11. Juni 2011

Zettels Meckerecke: Wie der Deutschlandfunk desinformiert, wie dpa desinformiert. Die Falschmeldung des Tages

In seiner Nachrichtensendung am heutigen Samstag um 12 Uhr meldete der Deutschlandfunk:
Drei Monate nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Atomkatastrophe hat Japan der Opfer gedacht. Premierminister Kan legte bei einem Besuch in der nördlichen Provinz Iwate eine Schweigeminute ein. In der Hauptstadt Tokio und an anderen Orten erinnerten tausende Menschen an den Reaktorunfall von Fukushima und forderten einen Ausstieg aus der Kernkraft.
Fällt Ihnen an dieser Meldung etwas auf? Möglicherweise nicht, denn als Hörer und Seher der deutschen Öffentlich-Rechtlichen sind Sie vermutlich abgehärtet.

Welcher "Opfer" der "Atomkatastrophe" hätte Japan den wohl "gedenken" sollen? Es gab kein einziges Todesopfer. Einige Arbeiter wurden leicht verletzt; Menschen durften nicht in ihre Häuser zurückkehren. Das ist alles, sieht man vom allerdings großen Sachschaden ab.

Aber, nicht wahr, wenn man eine Schweigeminute einlegt, um der Opfer einer Katastrophe zu gedenken, dann meint man doch Todesopfer?

Es stimmt also wohl etwas nicht mit dieser Meldung. Deshalb bin ich ihr nachgegangen. Der Deutschlandfunk hat sie von dpa übernommen und redigiert. Bei dpa lautet sie so:
Tokio (dpa) - Drei Monate nach dem Mega-Erdbeben mit Tsunami und der folgenden Atomkatastrophe in Fukushima hat Japan seiner tausenden Opfer gedacht. Premierminister Naoto Kan legte eine Schweigeminute ein. Unterdessen gingen in mehreren Städten des Landes Zehntausende Menschen für Alternativen zum Atomstrom auf die Straße.
Auch diese Fassung der Meldung erweckt den Eindruck, das Gedenken und die Schweigeminute hätten auch "Opfern" der "Atomkatastrophe" gegolten.

Und wie war es wirklich? Hier ist der Bericht in der Japan Times; schon mit Datum vom morgigen Sonntag:
Three months marked since killer quake, tsunami - Anniversary of twin disasters observed with prayers, protests

Kyodo, AP. Events to commemorate the three-month anniversary of the Great East Japan Earthquake and the deadly tsunami it spawned were held Saturday throughout the Tohoku region, where about 15,400 people have been confirmed dead and more than 8,000 remain missing. (...) The quake occurred at 2:46 p.m. March 11 off the Pacific coast of northeastern Japan, triggering massive tsunami that ravaged vast areas of the region.

Drei Monate seit dem tödlichen Erdbeben und dem Tsunami - Wiederkehr des Tags der doppelten Katastrophe mit Gebeten und Protesten begangen

Kyodo, AP. Am Samstag fanden überall in der Region Tohoku, in der es 15.000 bestätigte Todesfälle gab und wo noch immer 8.000 Menschen vermißt werden, Feiern zur Wiederkehr des Tags des drei Monate zurückliegenden Großen Ostjapanischen Erdbebens und des Tusnami statt, den es hervorbrachte. (...) Das Beben ereignete sich am 11. März um 14.46 Uhr vor der Pazifikküste von Nordostjapan. Es löste einen gewaltigen Tsunami aus, der weite Gebiete der Region verwüstete.
In dem Teil der Meldung, den ich ausgelassen habe, wird über drei solche Gedenkveranstaltungen berichtet: Eine Feier in einer Grundschule des Orts Ishinomaki in der Präfektur Miyagiren; einen Gedenkgottesdienst für drei ums Leben gekommene Feuerwehrleute in Kamaishi in der Präfektur Iwate; und ebenfalls in Iwate eine Ansprache des Bürgermeisters von Yamada, Kiichi Numazaki, der zum Wiederaufbau aufrief.

Das ist alles. Die "doppelte Katastrophe", von der in der Überschrift gesprochen wird, ist das Zusammentreffen von Erdbeben und Tsunami. Kein Wort von Fukushima; keine Zeile in diesem längeren Artikel über ein Gedenken an "Opfer der Atomkatastrophe". Es gibt lediglich einen zweiten Teil des Artikels, in dem über Anti-Atom-Proteste mit einigen Tausend Teilnehmern in Tokio berichtet wird.

Und der Premierminister Kan? Über ihn heißt es in der Meldung:
Also Saturday, embattled Prime Minister Naoto Kan travelled to Tohoku and visited a tsunami-damaged region in Iwate Prefecture. In a meeting with local government officials, Kan pledged to reflect the requests made by devastated municipalities in the next reconstruction budget.

Ebenfalls am Samstag reiste der bedrängte Premierminister Naoto Kan nach Tohoku und besucht eine vom Tsunami zerstörte Region in der Präfektur Iwate. Bei einem Treffen mit örtlichen Behördenvertretern versprach Kan, beim nächsten Budget für den Wiederaufbau die Forderungen der zerstörten Gemeinden zu berücksichtigen.
Auch hier nichts über Fukushima. Und ebenso nichts über eine Schweigeminute, die der Premierminister den Opfern gewidmet hätte.

Schweigeminute heißt auf Englisch minute of silence. Ich habe dies zusammen mit dem Namen des Premierminister in eine Google-Suche eingegeben. Aus der vergangenen Woche liefert das 13 Fundstellen.

Überwiegend handelt es sich um Monate alte Meldungen wie diese, die nur unter einem aktuellen Datum im Netz stehen, oder um Meldungen, in denen beide Suchbegriffe vorkommen, aber ohne Zusammenhang miteinander.

Keine Meldung weiß von einer Schweigeminute, die Premierminister Naoto Kan jetzt, drei Monate nach dem Unfall, dem Gedenken an Opfer von Fukushima gewidmet hätte; oder auch nur den Opfern von Erdbeben und Tsunami.

Jedoch gibt es eine zehn Wochen alte Meldung vom 2. April 2011, wonach Kan schweigend eine Minute den Kopf senkte; allerdings vor Opfern des Tsunami und nicht vor "Opfern von Fukushima".

Und es gab allerdings in der Tat auch heute, zum Jahrestag der Katastrophe, eine Schweigeminute; jedenfalls war sie laut einem Bericht der Pakistan World News für heute vorgesehen. Allerdings nicht in der Provinz Iwate, sondern in Tokio. Und schweigen würde keineswegs der Premierminister Kan, sondern das hatten Anti-Atom-Demonstranten angekündigt.



Soweit mein Versuch, der seltsamen Meldung auf den Grund zu gehen, Japan hätte gestern der "Opfer" nicht nur von Erdbeben und Tsunami, sondern auch der "Atomkatastrophe" gedacht; und der Premierminister Kan hätte dazu in der Provinz Iwate eine Schweigeminute eingelegt.

Wie immer bei solchen Falschmeldungen kann man fragen: Schlamperei, Absicht? Ich habe das zum Beispiel zu den hanebüchenen falschen Behauptungen über Fukushima in der Tagesschau vom 18. März 2011 gefragt (Die "Tagesschau" gestern über Fukushima: Vierzehn sachliche Fehler; ZR vom 18. 3. 2011).

Inzwischen hat sich die kollektive deutsche "Ausstiegs"-Besoffenheit eingestellt; und damit muß man mit einer dritten Möglichkeit rechnen: Vielleicht ist der deutsche Atomwahn ja schon so weit gediehen, daß selbst Redakteure von dpa und des Deutschlandfunks tatsächlich glauben, in dem KKW Fukushima Daiichi habe es Opfer gegeben, deren die Japaner und ihr Premierminister gestern gedacht hätten.

Ausschließen kann ich natürlich auch nicht, daß die Meldung von dpa und deren Bearbeitung durch den Deutschlandfunk korrekt sind und daß ich das dort Berichtete nur nicht bei anderen Agenturen oder Medien finden konnte. Vielleicht liest ja ein Redakteur von dpa oder des Deutschlandfunks diesen Artikel und kann das klarstellen. Ich werde die Berichtigung dann gern bringen.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Rainer aus dem Saarland.