28. Juni 2011

Subventionsillusionen

Unter dem Titel "Die unglaubliche monetäre Subvention der Finanzwirtschaft" beklagt ein studierter Volkswirt und aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, daß Staaten den Bankensektor durch angeblich überhöhte Zinsen auf ihre Staatsschuld seiner Meinung nach unzulässig subventionieren. Auch so mancher Blogger vermag auf die Frage, "warum Staaten sich eigentlich über die Märkte finanzieren" "keine zufriedenstellende Antwort, die diese Praxis rechtfertigen würde" zu geben. Dem kann abgeholfen werden.

Es ist auf den ersten Blick durchaus nachfragenswert, warum ein Staat in Europa für seine Staatsanleihen einen Zinssatz von 4, 5 oder gar 6% jährlich zahlen muß, wenn sich doch eine Bank bei der Europäischen Zentralbank (EZB) für 1,25% (aktueller Stand Juni 2011) refinanzieren kann. Aber eben nur auf den ersten Blick.

Zuerst ist das eine bloße Momentaufnahme. Der Leitzins stand seit Gründung der EZB in 1999 10 Jahre lang nicht unter 3% und erreichte seinen höchsten Wert (4,75%) im Jahr 2000. Der aktuell äußert niedrige Leitzinssatz ist eine Folge der Finanzkrise 2008/09 und wird wahrscheinlich nicht mehr lange so niedrig bleiben. Und dann würden höhere Zinsen unmittelbar auf die Zinslast des Staates durchschlagen, denn Refinanzierungsgeschäfte der EZB haben eine übliche Laufzeit von lediglich einer Woche. "long term", also langfristige Geschäfte schließt die EZB zwar auch ab, aber die haben eine Laufzeit von maximal 3 Monaten.

Dagegen begeben die Staaten nur in geringem Umfang kurzfristige Anleihen, sondern üblich sind Laufzeiten von mehreren Jahren, darunter häufig 3, 5 und 10, manchmal sogar 30 Jahre. Bindungsdauern mit langen Laufzeiten sind aber immer teurer als kurzfristige Geldanlage. Das weiß jeder Sparer, aber auch jeder Kreditnehmer: je länger man auf das verborgte Geld keinen Zugriff hat, umso mehr Unsicherheit haftet dem Rückzahlungsstrom an. Die für unterschiedliche Laufzeiten zu zahlenden Zinsen drücken sich in der Zinsstruktur aus und die EZB kann davon mit den Standardoperationen nur die am kurzen Ende direkt beeinflussen. Desto länger die Laufzeit, umso mehr Risikoprämie für zB in der Zukunft drohende Inflation verlangen die Geldgeber. Der bloße Vergleich zwischen dieser kurzfristigen Finanzierung und langfristiger Glättung ist also unzulässig. Eine Bank, die sich so finanziert, würde die nächsten Zinserhöhungen nicht überleben.

Jetzt kann man natürlich fragen, warum zahlt der Staat trotzdem 4% und beschränkt nicht etwa per Gesetz die Zinshöhe auf sagen wir 1%? Das würde doch das Budget stark entlasten und den Staat sogar noch unabhängig von den heftiger Kritik ausgesetzten Ratingagenturen machen?

Das ist wieder zu einfach gedacht, denn die Zinszahlungen gehen ja irgendwo hin. Und zwar nicht, wie einige Politker stimmenfangend behaupten, nur an "die Banken", sondern vor allem an gewöhnliche Privatpersonen, die mit dem Veranlagungsinstrument Staatsanleihe ihr Erspartes aufbewahren. Das wird von den Schuldnern ja sogar aktiv gefördert. Das Land Österreich vermarktet etwa seine Bundesanleihen unter

http://www.bundesschatz.at/main/start.html

an das gemeine Volk, genauso wie es die Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland unter

http://www.bundeswertpapiere.de/startseite/

tut. Was hier an Zinsen gezahlt wird, kommt dann genau den Bürgern des eigenen Landes zu Gute, die ihren Konsum zugunsten der Staatsausgaben in der Vergangenheit eingeschränkt haben. Eine Forderung seitens der Politik, der Staat möge weniger Zinsen für seine Staatsschulden zahlen, ist also tatsächlich ein Eingriff in bestehende Verträge und kommt einer Enteignung der Käufer seiner Staatsanleihen gleich.

Aber das gilt auch für die Banken. Im Gegensatz zur Behauptung, die Finanzbranche würde sich alles Geld von der EZB beschaffen, wirtschaften die Banken vor allem mit Kundeneinlagen. Sie sind als Finanzintermediäre Vermittler zwischen Kapitelgebern und -Nachfragern. Typischerweise sind die privaten Haushalte Kapitalgeber und der Staat und die Unternehmen Kapitalnachfrager. Und die Kapitalgeber erwarten sich Ertrag in der Gestalt von Sparzinsen dafür, daß sie heute auf Konsum verzichten. Die Sparzinsen von üblicherweise mehr als den 1,25% des EZB-Leitzinses müssen mit Hilfe renditeträchtigerer Investments verdient werden - unter anderem durch Kauf von Staatsanleihen.

Natürlich gibt es auch Gläubiger im Ausland, die Staatsanleihen halten und deshalb ein Teil der Zinszahlungen in das Ausland abfließt. Aber das einfach der Preis, daß bei Begebung der Anleihen in der Vergangenheit umgekehrt Geld aus dem Ausland zugeflossen ist - und das hat ja auch keinen gestört.

Was ist dann mit der Forderung, "die EZB und die nationalen Zentralbanken müssen endlich auch in Europa wieder die Funktion erfüllen, für die Zentralbanken ursprünglich gegründet wurden: die günstige Staatsfinanzierung.", wie in dem oben verlinkten Beitrag gefordert wird? Die ist schon inhaltlich falsch formuliert: die Zentralbanken haben nie den Staat direkt finanziert. Im Gegenteil, war doch die Bundesbank sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht und hätte nie auf Zuruf der Politik gehandelt. Die Bundesrepublik - wie auch alle anderen Staaten der heutigen EU - mussten sich schon immer mit Anleihen finanzieren. Das kann je nach Wirtschaftslage teuer sein - aber genau das ist ja der Zweck der marktgerechten Zinsen.

Der Marktzins ist ein Indikator dafür, wieviel Sparkapital zur Verfügung steht. Das ist das, was nach Steuern und Konsum noch für Investitionen der Unternehmen übrig bleibt. Je höher der Zins, umso geringer ist die Sparbereitschaft oder umso höher ist der Investitionsbedarf. In Summe geht sich das im Idealfall so aus, daß alle Arbeitskräfte beschäftigt sind. Im Idealfall sollte sich der Staat in dieser Lage alleine durch das Steueraufkommen finanzieren können.

Dieses ideale Gleichgewicht kann aber aus psychologischen Gründen aus dem Ruder laufen: wenn die Menschen aus Angst mehr sparen, als die Unternehmen an Kapital brauchen. Das kann eine Abwärtsspirale in Gang setzen, denn Angstsparer geben weniger aus, wodurch wiederum die Unternehmen weniger investieren und Arbeitskräfte entlassen wodurch wiederum noch weniger konsumiert wird und so weiter. Hier gibt es Raum für einen Staatsfinanzierung über Verschuldung: der Staat schöpft damit das überschüssige Sparkapital ab und investiert es - im Idealfall - in "sinnvolle" Projekte. Maßnahmen dieser Art sind ein Teil der Konjunkturpolitik.

Eine Verschuldung ist also nur dann sinnvoll, wenn der Marktzins sehr niedrig ist. Das bedeutet, daß sehr viel Sparkapital vorhanden ist und verwendet werden kann. Wenn dagegen der Zins hoch ist, dann ist das ein Zeichen dafür, daß bereits gute Nachfrage nach Krediten vorhanden ist, die Unternehmen also etwas mit dem Sparkapital anzufangen wissen. Und dann ist es zweckmäßig, daß es dem Staat nicht zu leicht gemacht wird, auf die ohnehin schon gute Wirtschaftslage mit Vollbeschäftigung noch weiter Nachfrage aufzusatteln. Wenn sich auch in dieser Situation der Staat "billig" zusätzliches Geld beschaffen kann, dann führt das bloß zu Inflation, erhöht aber nicht die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt. Mehr als Vollbeschäftigung geht ja nicht.

Daß die Politik selbst in guten Zeiten noch gerne mehr Staatsausgaben haben möchte, liegt an Klientelpolitik. Aber wenn in guter Konjunktur für eine Gruppe mehr ausgegeben werden soll, dann kann es nur auf Kosten aller anderen gehen. Entweder über Einsparungen (aber dann müsste sich der Staat nicht verschulden) oder eben über Inflation. Und letztere ist für die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt schädlich. Daher ist eine unabhängige Notenbank, so wie es die Bundesbank über Jahrzehnte war, ein weit besserer Garant für eine stabile Währung und Wirtschaftsentwicklung als die Politik. Daß daher der Staat nicht direkt Zugriff auf die Notenbank hat und sich des Finanzmarktes bedienen muß, um sich zu verschulden, ist ein sich über die ganze Geschichte der Bundesrepublik bewährte Form der Selbstbeschränkung und die EZB führt diese Arbeits- und Aufgabenteilung einfach nur fort. Und das gilt natürlich für alle wohlhabenden Hartwährungsländer in Europa wie etwa Österreich oder die Niederlande.

Und wie haltlos in der aktuellen Zinslandschaft das Eingangsargument überdies ist, zeigt der Vergleich der Finanzierungskosten bei gleicher Frist: der Staat Österreich zahlt per 28. Juni 2011 für 3-Monatsgeld 1,00%, die EZB verlangt für die gleiche Zeitspanne 1,25%.
Johann Grabner



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