2. Juni 2011

Bericht vom grünen Kirchentag / Ein Gastbeitrag von Stefanolix

Als Bewohner Dresdens bin ich in diesen Tagen gleichzeitig Gastgeber und Gast des Kirchentags. In der gesamten Innenstadt finden fast rund um die Uhr Veranstaltungen statt. Die Stimmung der Teilnehmer ist gelöst, friedlich, entschleunigt und offen. Auf vielen Straßen, Plätzen und Brücken ist Musik zu hören. Ich habe in Dresden noch nie einen so ruhigen Himmelfahrtstag erlebt.

Auf der Agenda des Dresdner Kirchentags stehen auch politische Themen, und es sind viele Politiker vertreten. Das ist auf vergangenen Kirchentagen auch so gewesen. Doch diesen Kirchentag dominiert die Farbe Grün.

Wer heute durch die Innenstadt ging, kam weder an grünen Themen noch an grünen Politikerinnen vorbei. Die grüne Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und eines der markanten Gesichter dieses Kirchentags. Sie wurde am gestrigen Eröffnungstag in der FAZ zitiert:
Göring-Eckardt verwies darauf, dass der Kirchentag inmitten großer Umbrüche in Deutschland und der Welt stattfinde, die viele Menschen verunsicherten und nach Orientierung suchen ließen. "In dieser Lage ist evangelische Zeitansage besonders gefragt." Dies gelte beispielsweise bei der Abkehr von der Atomkraft und der Energiewende in der Bundesrepublik. "Dieser Kirchentag kann ein kräftiges Zeichen für eine neue, andere Energiezukunft setzen", sagte die Grünen-Politikerin.
Ich habe heute an zwei prominenten Plätzen des Kirchentags zwei grüne Spitzenpolitikerinnen getroffen.

Renate Künast saß auf einem Podium in einem großen Medienzelt. Sie hat dort Wahlkampf für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin gemacht: moderat im Ton, aber entschieden in der Sache. Die Themen waren auf die Zielgruppe der Kirchentagsbesucher abgestimmt. Die grüne Spitzenkandidatin hat also von ihrem unermüdlichen Einsatz gegen die Atomkraft, gegen herkömmliche deutsche Autos, gegen die Gentechnik und gegen die Massentierhaltung berichtet. Sie hat ihre Verbundenheit mit dem Berliner Fußball und den deutschen Bio-Bauern betont.

Dann habe ich mich einige Zeit durch die Stadt treiben lassen und mit der Kamera die Stimmung eingefangen. Die beiden Farben des Kirchentags sind in diesem Jahr lila und grün. Man kann T-Shirts, Tücher, Bänder und viele andere Artikel in diesen Farben kaufen. Grün dominiert eindeutig.

Auf dem Neumarkt unweit der Frauenkirche war dann Claudia Roth zu hören, und mir kam unwillkürlich der Gedanke: Ist denn schon wieder Straßenwahlkampf? Nachdem ich bei Renate Künast vorher schon 15 Minuten zugehört hatte, konnte ich mir einen Vergleich erlauben. Die Beiträge waren sehr gut aufeinander abgestimmt, zum Teil in den Wendungen identisch. Ein Beispiel: Die BSE-Krise sei damals ausgebrochen, weil man den pflanzenfressenden Rindern tierisches Eiweiß gegeben habe.

Auf beiden Podien gab es auch eine Moderatorin, aber es fand weder ein Interview noch eine kritische Befragung statt. Man konnte ein komplettes Einverständnis zwischen Publikum, Veranstaltern und den Grünen-Politikerinnen spüren.

Margot Käßmann ist ein weiteres Gesicht dieses Kirchentags. Ich hörte in der Straßenbahn einen Bericht über das tragende Thema ihrer Bibelarbeit: "Es ist besser, mit den Taliban zu beten, als die Taliban zu bombardieren". Dazu habe ich von den Grünen noch nichts gehört. Hoffentlich erinnern sie sich manchmal noch an ihre eigene Regierungsbeteiligung.

"Spiegel-Online" zitiert zu diesem Thema den Verteidigungsminister Thomas de Maizìere:
"Wir werden unseren Auftrag weiter ausführen", sagte er am Rande des Evangelischen Kirchentags in Dresden. Der Gewalt dürfe man nicht weichen. Wenn sich Deutschland jetzt zurückzöge, würde das den radikal-islamischen Taliban in die Hände spielen. Die Taliban hätten in jüngster Zeit an Boden verloren und griffen deshalb zum Mittel der Gewalt. Zudem sagte der Minister: "Das Beten für Täter und Opfer - für Opfer gleich welcher Nation - ist gut und richtig. Insoweit ist auch ein Gebet für die Taliban nötig und sinnvoll."
Thomas de Maizière hat vom Kirchentag viel weniger Beifall mitgenommen als Margot Käßmann. Das lag nicht am Unterschied zwischen den Wendungen "mit jemandem beten" und "für jemanden beten". Das Reden über Verantwortung ist allemal leichter als das Handeln in Verantwortung.
Stefanolix



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