I guess you've heard about the Bermuda Triangle
There's something going on
Nobody seems to know just what it is
And the Air Force won't let on
Ah, down in Bermuda
In the pale blue sea
Way down in Bermuda
Yeah, it's easy to believe
Down in the Triangle
Easy to believe…
Fleetwood Mac, “Bermuda Triangle” (1974)
I.
Es ist gelegentlich angemerkt worden, das eines der Kennzeichen der technologischen Entwicklung, vor allem auf Gebieten, die symbolisch für die „Technik der Zukunft“ stehen, in der Umsetzung von Möglichkeiten und Fähigkeiten, die in Märchen und Legenden der Magie vorbehalten sind, in de Wirklichkeit besteht – auch wenn die harten Gesetze der Physik und Chemie dieser Umsetzung strenge Grenzen setzen. Statt der Siebenmeilenstiefel erfinden die Daniel Düsentriebs dieser Welt Kraftfahrzeuge (ob schienengebunden oder nicht), statt daß ihnen durch Tränke die Gabe des Vogelflugs verliehen wird, besteigen heute pro Jahr 3,8 Milliarden Fluggäste „einen Flieger“ (2019, im Jahr vor Ausbruch des Coronavirus, waren es 4,5 Milliarden; 2020 sank die Zahl dann auf immerhin noch 1,8 Milliarden). Ansichten von weit entfernten Orten vermittelt nicht mehr die Kristallkugel oder das „dritte Aug“ (oberhalb der Zirbeldrüse) seines Sehers, sondern Daguerrotypien, Farbfilme, Fernsehkameras und jetzt die Roboteraugen von 6,94 Milliarden Smartphones, mit denen mittlerweile 85 Prozent der Menschheit ausgestattet sind. Töne werden nicht mehr konserviert, indem sie bei sibirischer Kälte im Horn des Postillons einfrieren, wie es Rudolf Erich Raspe 1785 im fünften Kapitel seines Lebensberichts des Barons von Münchhausen berichtet, sondern durch die Bewegungen eines Abtastnadel auf einer Schallplatte, der Anordnung magnetisierter Eisenfeilspäne auf einem Kunststoffband, den implodierten Bläschen auf der metallbedampften Oberfläche einer Kunststoffscheibe oder den binären Werten einer Audiodatei – auch wenn sich hier eine frappante „Entmaterialisierung“ dieses Vorgangs zeigt, so potenziert sich doch sich doch mit jedem dieser Schritte der davorgeschaltete technische Aufwand, der dies erst möglich macht.
(Der kleine Pedant, der mir beim Schreiben stets über die Schulter sieht, merkt an dieser Stelle an, daß der Fachmann für Besitzerwechsel Raspe – er hatte während seiner Zeit als Kurator des landgräflichen Münzkabinetts in Kassel Münzen im Wert von mehr als 3000 Talern unterschlagen – daß auch der Bericht von den „eingefrorenen Tönen“ aus einer früheren Quelle entstammt, nämlich dem 55. Kapitel des vierten Bandes von Francois Rabelais Bericht über die Abenteuer der Riesen Gargantua und Pantagruel,,erschienen 1552, das den Titel „Comment en haulte mer Pantagruel ouyt diverses parolles degelees trägt“)
Mein Kerl setzte an und blies aus Leibeskräften in sein Horn, aber alle seine Bemühungen waren umsonst. Nicht ein einziger Ton kam heraus, welches uns ganz unerklärlich, ja in der That für ein rechtes Unglück zu achten war, indem bald eine andere uns entgegen kommende Kutsche auf uns stieß, vor welcher nun schlechterdings nicht vorbey zu kommen war.
In der Herberge erhohlten wir uns von unserm Abentheuer. Der Postillon hängte sein Horn an einen Nagel beym Küchenfeuer und ich setzte mich ihm gegenüber. Nun hört, ihr Herren, was geschah? Auf einmal gings: Tereng! Tereng! teng! teng! Wir machten große Augen und fanden nun auf einmal die Ursache aus, warum der Postillon sein Horn nicht hatte blasen können. Die Töne waren in dem Horne festgefroren und kamen nun, so wie sie nach und nach aufthaueten, zu nicht geringer Ehre des Fuhrmannes heraus. Denn die ehrliche Haut unterhielt uns nun eine ziemliche Zeit lang mit der herrlichsten Modulation, ohne den Mund an das Horn zu bringen. Da hörten wir den preußischen Marsch – Ohne Lieb‘ und ohne Wein – Als ich auf meiner Bleiche – Gestern Abend war Vetter Michel da – nebst noch vielen andern Stückchen, auch sogar das Abendlied: Nun ruhen alle Wälder – Mit diesem letzten endigte sich denn dieser Thauspaß, so wie ich hiermit meine russische Reise-Geschichte. (Wunderbare Reisen zu Waser und zu Lande des Freiherrn von Münchhausen, wie er derselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. London (d.i. Göttingen), ohne Verlagsangabe, 1786, S. 61-64)
(Tonaufzeichnung mit der Technik des 18. Jahrhunderts. Das Bild ist die fünfte Postkarte aus der ersten von zwei sechsteiligen Reihe mit Motiven aus Raspes Buch, die der Genremaler Oskar Herfurth (1862-1934) um 1920 für die Stuttgarter Firma Uvachrom geschaffen hat. Es handelt sich um die Nr. 4916 und ist Teil der Serie 324. Diese Bilderserien sind sämtlich undatiert; die Stuttgarter Firma wurde aber 1917 gegründet.)
Pantagruel continuoit affermant ouyr voix diverses en l’air tant de homes comme de femmes, quand nous feut advis, ou que nous les oyons pareillement, ou que les aureilles nous cornoient. Plus perseverions escoutans, plus discernions les voix, iusques à entendre motz entiers. Ce que nous effraya grandement, & non sans cause, personne ne voyans, & entendens voix & sons tant divers, d’homes, de femmes, d’enfans, de chevaulx.
Pantagruel entendent l’esclandre que faisoit Panurge, dist. Qui est ce fuyart là bas ? oyons premierement quelz gens sont. Par adventure sont ilz nostres. Encores ne voy ie persone. Et si voy cent mille à l’entour. Mais entendons. … D’adventaige Antiphanes disoit la doctrine de Platon es parolles estre semblable lesquelles en quelque contrée on temps du fort hyver lors que sont proferées, gèlent & glassent à la froydeur de l’air, & ne sont ouyes. Semblablement ce que Platon enseignoyt es ieunes enfans, à peine estre d’iceulx entendu, lors que estoient vieulx devenuz. Ores seroit à philosopher & rechercher si forte fortune icy seroit l’endroict, on quel telles parolles degèlent. (François Rabelais, Le Quart Livre des Faicts et Dicts Heroiques du bon Pantagruel (Paris 1552, Michel Fexandat), ch. LV ; zitiert nach der Orthographie der Editio princeps)
Pantagruel bestand darauf, daß er in der Luft die Stimmen von zahlreichen Männern wie Frauen vernehmen würde, und auch uns war es, als ob wir sie hören würden - oder als ob uns die Ohren klingen würden. Je länger wir lauschten, desto mehr Stimmen konnten wir unterscheiden, bis wir schließlich einzelne Worte verstehen konnten. Das erschreckte uns sehr, und das nicht ohne Grund, denn wir sahen niemanden, aber wir hörten doch die Stimmen und die Laute von Männern, Frauen, Kindern und Pferden.
Pantagruel hörte den Aufruhr, den Panurge machte und sagte: „Was macht dieser Narr für einen Aufstand? Laßt uns erst einmal schauen, um welche Leute es sjch handelt. Vielleicht gehören sie ja zu den unseren. [ …] Ferner sagt Antiphanes von den Lehren Platons, daß sie den Worten gleichen, die in Ländern gesprochen werden, wenn dort strenger Winter herrscht, die man nicht hört, weil sie in der kalten Luft zu Eis gefrieren. So ist es auch mit den Worten des Plato, die man die Kinder lehrt, und die sie erst im Alter verstehen. Wir sollten darüber nachdenken und untersuchen, ob uns das Schicksal an einen solchen Ort verschlagen hat, an dem solche Worte auftauen.“
(Tonaufzeichnung mit der Technik des 16. Jahrhunderts. Die Comic-Umsetzung von Pantagruel e Gargantua durch Dino Battaglia (1923-1983) wurde in Italien zuerst 1979 in der katholischen Wochenzeitschrift Il giornale vorabgedruckt; die französische Übersetzung erschien 2001 bei den Éditions Mosquito. Zur Technik der Tonaufzeichnungen zur Zeit der Antike habe ich vor einiger Zeit an dieser Stelle berichtet: „Das Phonogramm von Pompeji“, Zettels Raum von 29. Dezember 2020)
In der erzählenden Literatur, sie sich solcher Zukunftstechnik als Staffage und zur Ermöglichung ihrer Geschichten bedient, der Science Fiction, ist in solchen Fällen mitunter von der „literalization of metaphor“ die Rede. Samuel R. Delany etwa, erster prominenter schwarzer SF-Autor und als Kritiker etwas zu lange in den Kessel mit dem Zaubertrank aus der Küche des Poststrukturalismus der Schwarzkünstler Derrida und Baudrillard gefallen, spricht von den „Protokollen“, die Bedeutung eines Textes je nach seinem Genre bestimmen. Wenn es in einem Text der nicht-phantastischen Literatur heißt „ihre Welt zersprang“ („her world exploded“), dann ist das als Metapher dafür zu lesen, daß der, von der hier die Rede ist, durch eine Entdeckung oder Offenbarung die bisherige Sicht auf ihre Umgebung abhanden kommt. Als „SF“ gelesen, teilt uns derselbe Satz mit, daß hier ein tatsächlicher „Planetenkiller“ zum Einsatz gekommen ist – wie der „Overkill“ in der „Raumpatrouille“ (1966), der „Planetenkiller“ in der Folge „The Doomsday Machine“ in der ersten Star-Trek-Serie (Folge 6 der zweiten Staffel) oder durch das galaktische Räumkommando zu Beginn von Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ (1979).
II.
Und manchmal bietet einem der praktische Einsatz solcher Zukunftstechnik Gelegenheit, solche Metaphern in neuer Variation auf die sogenannte „Wirklichkeit“ anzuwenden – in diesem Fall den metaphorischen Stoßseufzer, mit dem man im Deutschen – und nur dort – ein absolut unbedeutendes, triviales Vorkommnis zu begleiten pflegt: Wenn in China ein Sack Reis umfällt Wahlweise kann es sich dabei auch um ein Fahrrad handeln und sich der Ort auf Peking beschränken. Solche Metaphern entwickeln ihr eigenes Beharrungsvermögen, wie etwa im Ausdruck „das geht auf keine Kuhhaut.“ Kaum jemand, der diesen Satz verwendet, dürfte noch wissen, daß damit Pergament gemeint ist, das aufwendig hergestellte und damit entsprechend sündhaft teure Schreibmaterial des Mittelalters, mit dem entsprechend sorgsam umgegangen werden mußte – was zur Folge hatte, daß Texte immer wieder ausgekratzt und die Seiten als Palimpsest neu beschrieben wurden. Erst die Steigerung der Leinenproduktion durch die Einführung des Spinnrads am Ende des Hochmittelalters führte zu einer größeren Verfügbarkeit des aus den Fasern gewonnenen Papiers, die es lohnend machte, ein mechanisches Vervielfältigungsverfahren zu entwickeln und zu verbreiten: den Buchdruck. Es aber ist eine andere Geschichte. Und wer wie Franz Beckenbauer vor 35 Jahren davon spricht, etwas „sei so wurscht, wie wenn in Peking ein Radl umfällt,“ der trägt nicht der Tatsache Rechnung, daß der KFZ-Bestand in der Volksrepublik China (laut den offiziellen Statistiken) im Dezember 2022 auf 321 Millionen Fahrzeuge angewachsen ist.
Und im Zug einer solchen „wortwörtlichen Umsetzung eines Sprachbildes“ ist es eben auch dazu gekommen, daß tatsächlich im Bermudadreieck eine Rakete umgefallen ist – und daß diesem Ereignis eben die Wichtigkeit zukommt wie einem, nun ja, umkippenden Velo in China.
Passiert ist es vor einer Woche, am späten Morgen des zweiten Weihnachtstags, Dienstag, dem 26. Dezember, beim Rücktransport der Erststufe für den 59. und vorletzten Start des Jahres 2023 zum Aufbau des satellitengestützten Funknetzes Starlink durch Elon Musks Firma SpaceX. Während die schwimmende, unbemannte Landeplattform „Just Read the Instructions“ (kurzerhand meist mit den Initialen JTRI bezeichnet) vor ihrem Heimathafen Port Canaveral gute 30 Seemeilen vor der Küste Floridas auf die Beruhigung des schweren Seegangs infolge eines Sturmtiefs abwartete – älteren Lesern, die mit der Lektüre der Seeabenteuer auf der Zeit der Windjammer und Dreimastbarken groß geworden sind, wird an dieser Stelle das Wort „abwettern“ in den Sinn kommen – geriet die 40 Meter hohe Startstufe mit ihrem Leergewicht von 330 Tonnen in eine Schieflage, stürzte auf das Landedeck und zerbrach in zwei Teile, von denen der obere in den Tiefen des Atlantiks versank, während der untere als Wrack am frühen Nachmittag in Port Canaveral anlangte.
(Start und Landung von B1058-19 am 23.12.23; die nachgestellte Ziffer entspricht der Zahl der Flüge)
Gestartet war die Mission des Gruppe 6-32, die ihre Aufgabe, 23 weitere Starlink-Satelliten der zweiten Modellreihe, „Mini“ genannt, in die Umlaufbahn zu befördern, so problemlos erledigt hatte wie die bisherigen 128 Starts, die seit Mai 2019 zum Aufbau von Starlink erfolgt sind, am Samstag, dem 23. Dezember um 7 Uhr 33 Mitteleuropäischer Zeit von Startkomplex 40 in Cape Canaveral. Mit diesem Start erhöhte sich die Gesamtzahl der dafür gestarteten Trabanten auf 5628, von denen 5249 noch im Orbit ihren Dienst versehen. 8 Minuten und 40 Sekunden, nachdem die Brennkammern der Merlin-Antriebe ihre 18 Tonnen Nutzlast auf den Weg gebracht hatten, und gute sechs Minuten, in denen in 80 Kilometer Höhe die Trennung der beiden Stufen erfolgt war, landete der Booster mit der Seriennummer B1058 auf dem fußballfeldgroßen Landedeck der JRTI in 630 Kilometern Entfernung– wie üblich in der Mitte des dort aufgemalten Zielkreises. Es war die 181. Problemlose Landung in Folge.
(Noch ein flapsiger Spruch: "Immer hübsch senkrecht bleiben!")
An dieser Stelle muß der Protokollant noch einmal seine Bewunderung für die technische Meisterleistung zum Ausdruck bringen, die sich hinter diesem zur Routine gewordenen Recyclingverfahren verbirgt. SpaceX hat im abgelaufenen Jahr insgesamt 91 fehlerfreie Starts der Falcon 9 und der Falcon Heavy hinter sich gebracht – die beiden letztlich fehlgeschlagenen Starts des Starship am 20. April und 18. November stehen auf einem anderen Blatt, da sich dieses System noch in der Entwicklungs- und Erprobungsphase befindet. Nach dem erfolgten Brennschluß – MECO genannt (für „main engine cut-off“) und der erfolgten Stufentrennung wird der Booster von seinem eigenen Schwung noch bis auf etwas mehr als 100 km Höhe getragen, bevor er im freien Fall den Rücksturz zur Erde beginnt. Gleich nach der Trennung erfolgt ein sogenannter „boostback burn,“ der die Rakete in die gewünschte Orientierung für diesen Fall bringt; danach werden drei der 9 Merlin-Triebwerke in 63 Kilometern Höhe für eine Dauer von 25 Sekunden gezündet, um die Fallgeschwindigkeit von 7800 km/h auf gut 5000 km/h zu verringern; eine zweite Bremszündung erfolgt in 2 Kilometern Höhe durch ein einzelnes Triebwerk; und schließlich wird durch eine dritte Zündung kurz vor dem Aufsetzen die Sinkgeschwindigkeit fast auf Null reduziert. Ansonsten erfolgt die Steuerung des Falls nur durch vier 5 m lange Gitterflossen aus Titan, die in gut 27 m Höhe am Rumpf gefestigt sind. Und dennoch gelingen solche Zielwürfe – gewissermaßen ein Basketballspiel in einem Format, das einen Gargantua oder Pantagruel angemessen ist – wieder und wieder. Es handelt sich, um es noch einmal zu betonen, dabei immerhin um ein Wurfgeschoß mit einer Länge von mehr als 40 Metern und einem Gewicht von mehr als 300 Tonnen, das über eine Entfernung von mehr als 700 Kilometern geworfen wird. Die Generalüberholung eines Boosters bis zum nächsten Einsatz, das „Refurbishment,“ dauerte zu Beginn der zurzeit benutzten Baureihe Block 5, auch „Full Thrust“ genannt, zwischen 80 und 90 Tage; mittlerweile ist in einigen Fällen die Spanne zwischen den Starts auf unter 30 Tage reduziert worden.
(Es ist deutlich zu erkennen, welche Triebwerke für den "Reenrty Burn" gezündet wurden.)
Zu Beginn der planmäßigen Landungen auf den mittlerweile drei eingesetzten Roboterschiffen in den Jahren 2016 und 2017 (die erste solche Landung erfolgte im Dezember 2015 bei Flug 20 auf den Landezone 1 Cape Canaveral; während im April und Mai 2016 zwei der ersten Seelandungen erfolgreich waren) erfolgte die Sicherung des Boosters auf dem Deck der Landeplattform, offiziell ASDS genannt (für „Autonomous Spaceport Drone Ship“ – nicht zu verwechseln mit AHDS, der geistigen Beeinträchtigung durch das Allen-Herndon-Dudley- Syndrom, oder ADHS, der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktitätsstörung, im Original etwas weniger gezwungen „Attention Deficit Hyperactivity Disorder“ – obschon einem bei der Startfrequenz, die SpaceX mitttlerweile an den Tag legt, „Hyperaktivität“ in den Sinn kommen kann, verglichen mit anderen Raumfahrtorganisationen) durch Sicherungsmannschaften, die so schnell wie möglich nach dem Aufsetzen an Bord gingen, um die Metallröhre im Kirchturmformat mit Ketten zu arretieren. Nachdem während dieser Zeit mehrere Booster bei schwerer See ins Rutschen gekommen waren, hat SpaceX ab Anfang 2018 auf den drei im Einsatz befindlichen Landeplattformen, der „Just Read the Instructions“ (dem zweiten Schiff dieses Namens, seit Januar 2016 im Einsatz, auf der bislang 72 Lanungen erfolgt sind), der „Of Course I Still Love You“ (OCISLY, stationiert an der Pazifikküste für die Starts von der Air Force Base Vandenberg, seit März 2016; 84 Landungen) und „A Shortfall of Gravitas“ (seit August 2021 im Einsatz, mit 55 erfolgreichen Landungen) einen Sicherungsroboter installiert, „Octagrabber“ genannt, eine flache, gut 12 Meter breite rechteckige Vorrichtung, die unter die vier Landbeine des Boosters rollt und sie mit Metallgreifern arretiert. Der erste Einsatz eines Octagrabbers erfolgte im Juni 2017 im Zug der BulgariaSat-1-Mission. Vier Monate darauf wurde das erste Modell beschädigt, als nach der Ladung der SES-11-Mission auf der OCISLY ein Feuer ausbrach, als sich Resttreibstoff unter der Rakete entzündete. Seit Februar 2018 sind die Octagrabber routinemäßig im Einsatz.
("Manuelle" Vertäunung eine Boosters vor der Ägide des Octagrabbers)
(Octagrabber an Deck der OCISLY, 2019)
(Abtransport des beschäditen Octagrabbers in Port Canaveral, 31.12.23)
Sollte sich ein Leser (immer noch) über die leicht bizarr wirkenden Namen der Roboterschiffe wundern: SpaceX-Chef Elon Musk hat sie aus der Reihe der SF-Romane des schottischen Autors Iain M. Banks (1954-2013) entnommen, die im galaktischen Zukunftsmilieu der „Culture“ spielen, genauer gesagt: den zweiten der insgesamt 10 Romane, „The Player of Games“ aus dem Jahr 1988(die deutsche Übersetzung trägt den Titel „Das Spiel Azad“). Eines der Kennzeichen von Banks‘ Narrativersum, das stilistisch irgendwo zwischen den Welten eines Cordwainer Smith, Jack Vance oder Poul Anderson oszilliert, sind die Bezeichnungen der Raumschiffe der „Kultur,“ die aufgrund ihrer Bord-KI als eigene Intelligenzen anzusehen sind. Zumeist werden sie aber nur en passant erwähnt. Die beiden ersten Namen tauchen in „The Player of Games“ nur an diese Stelle auf (um ein unschönes Deutsch-Englisches Kuddelmudddel zu vermeiden, bringe ich die Stelle im Original):
He had a sudden, paranoid idea. He turned back to Chamlis urgently. “Those friends of yours are ships.”
„Yes,“ Chamlis said. „Both of them.”
„What are they called?“
„The Of Course I Still Love You and Just Read the Instructions.”
„They’re not warships?“
„With names like that? Of course not. They’re GCUs, what else?”
(“General Contact Units” sind im Kontext der “Culture” autonome Schiffe, die in Friedenzeiten für die Herstellung des Kontakts zu fremden Zivilisationen dienen, bei Bedarf aber auch als Kampfschiffe eingesetzt werden können. „A Shortfall of Gravitas“ wird im Roman „Look to Windward“ aus dem Jahr 2000 erwähnt und trägt dort den vollen Namen „Experiencing a Significant Gravitas Shortfall.“ Bei den Schiffen „Very Little Gravitas Indeed“ aus „Use of Weapons” und “Zero Gravitas” aus “Excession” dürfte es sich um Schwesterschiffe handeln. Daß der reichtse Mann der Welt oft einen erheblichen Mangel an Seigneuralität an den Tag legt, gehört natürlich zu seinen sorgfältig gepflegten Exzentrizitäten.)
Auf den Bildern von Einlaufen der „Just Read the Instructions“ in Port Canaveral ist zu sehen, daß beim Umstürzen des Boosters auch der Octagrabber aus seiner Verankerung gerissen worden ist. SpaceX hat in den ersten offiziellen Statements nach dem Zwischenfall betont, daß die Booster, die nach B1058 in Dienst gestellt worden sind, mit Hydrauliken ausgerüstet sind, die für den Ausgleich der Lastverteilung bei einer Schräglage sorgen.
III.
Und damit komme ich auf Herrn Beckenbauer und das „Radl in Peking“ zurück. Anders als bei anderen Missgeschicken dieser Art wird dieser U(m/n)fall nämlich auf das Programm von SpaceX keinerlei Auswirkung und keine Verzögerung zur Folge haben. Die 60. Und letzte Starlink-Tranche ist an vergangenen Freitag, den 29. Dezember, ebenfalls von der Startrampe 40 in Cape Canaveral aus lanciert worden (der Weitwurf ging diesmal über 690 Kilometer), der erste Start in diesem Jahr erfolgt in wenigen Stunden heute nacht von Vandenberg aus. Zum Vergleich: der Fehlstart der neuen japanischen Schwerlastrakete H3 Anfang März 2023 von Raumfahrtzentrum Tanegashima hat dazu geführt, daß dieses Entwicklungsprogramm erst einmal auf unbestimmte Zeit verlängert worden ist. Im Januar hat der Fehlstart der „Start Me Up“-Mission von Robert Bransons Raumfahrtunternehmen Virgin Orbit über der irischen See zum Konkurs der Firma geführt; die europäische Raumfahrtbehörde ESA hängt mit der Entwicklung und Erprobung ihrer neuen Schwerlastrakete Arina 6 um Jahre hinter dem ursprünglich avisierten Zeitplan her. Nach dem während der letzten 15 Jahre verfolgten Planungsrahmen hätte die Arina 6 bereits 2020 ihren Erststart absolvieren sollen; mittlerweile ist dieser Termin auf Mitte 2024 verschoben worden. Nach dem Start der Jupitersonde JUICE (JU-piter IC-y M-oons E-xplorer) im April und der Kommunikationssateliten Syracuse 4B und des deutschen Satelliten Heinrich Hertz (der dem Test neuen Funkverfahren dient) verfügt die ESA damit nicht mehr über die Möglichkeit, schwere Nutzlasten in die Erdumlaufbahn zu befördern. Mehr noch: auch die Entwicklung der kleineren Rakete Vega-C, die eine Nutzlast von 1,5 Tonnen in die Umlaufbahn bringen soll, und die sich seit 2003 (!) in der Planung und seit 2011 ist der aktiven Entwicklung befindet, ist es im Dezember 2022 und Februar 2023 durch Probleme mit dem Triebwerk Zefiro-23 der zweiten Stufe zu weiteren Verzögerungen gekommen. Im Klartext: die Raumfahrtorganisation der Europäischen Union mit 22 Mitgliedsländern und einem Jahresbudget von 7 Milliarden Euro, verfügt zurzeit über genau eine einzige Trägerrakete (eine Vega aus vorhergehender Baureihe, ohne den Z23-Motor), um einen Satelliten starten zu können. Nein, nicht „ein einziges Modell,“ sondern „EIN Exemplar.“
Dagegen verfügt SpaceX aktuell über 19 Booster des Typs Falcon 9, die aktiv ihren Dienst versehen. Bislang war die Lebensdauer dieser Modelle auf 15 Einsätze limitiert; im Sommer (so wurden etwa B1051 im November 2022 nach 14 Starts und B1052 im Mai 2023 nach 8 Liftoffs außer Dienst gestellt). Angesichts der Erfahrungen mit der Robustheit dieses Modells hat SpaceX die Limitierung im vergangenen Sommer aufgehoben. B1058, bei dessen Erstflug im Mai 2020 die Vereinigten Staaten zum ersten Mal seit dem Ende des Shuttle-Programms im Juli 2011 wieder aus eigener Kraft Raumfahrer in den Weltraum befördern konnte, hat in diesem Bereich die meisten Dienste geleistet. Der Start vor Heiligabend war der 19. dieser Flüge, am 10. Juli hatte er als erster Booster einen 16. Start absolviert. 14 dieser Missionen dienten zum Aufbau von Starlink – insgesamt hat diese Rakete 659 dieser Kommunikationsrelais in die Umlaufbahn befördert. (An solchen Zahlen wird die Innovation durch die Wiederverwendungsfähigkeit wieder einmal schlagend deutlich: bei Satellitennetzen der „älteren Gebührenklasse“ wie dem Landsat-Programm seit den 1970er Jahren, oder den Navigationspeilsender von GPS, dem russischen Glonass-System oder dem Galilei-Programm der ESA, war es noch nötig, für jeden einzelnen dieser Trabanten eine Trägerrakete zu reservieren. Der fürwitzigen Stimme, die beim letzten Stichwort gerade „Z23“ gemurmelt hat, sei beschieden, daß SpaceX auch durchaus bereit ist, der lästigen Konkurrenz dienlich zu sein: im Januar und März sind mit einer Falcon 9 vom Cape Canaveral aus die Satelliten 16 und 17 der britischen Unternehmens OneWeb gestartet worden, das mit seinem im Aufbau befindlichen satellitengestützten Internetdienst in direkter Konkurrenz zu Starlink steht. (Bis zum Februar 2022 hat OneWeb seine fliegenden netzknotenpunkte von russischen Raumflughäfen aus gestartet; 2022 haben das indische Satish Dhawan und Kourou diesen Dienst übernommen.)
Von den aktiv verfügbaren F9-Boostern haben 3, B1600 bis B1062, jeweils 17 Einsätze hinter sich, B1063 seinen 15. Elon Musk hat im vergangenen September angekündigt, die Anzahl der Starts durch SpaceX für 2024 auf 144 zu erhöhen. Das macht, übers das Jahr gemittelt, 3 Starts pro Woche. Überhaupt ist eine rapide Steigerung der Startzahlen in den letzten Jahren festzustellen – vor allem, seit SpaceX vor 4 Jahren damit begonnen hat, Starlink aufzubauen. Allein im vergangenen Monat sind 29 Starts erfolgt -mehr als in jedem Monat der jetzt 66 Jahre zurückreichenden Geschichte der Raumfahrt (der Kleine Pedant mit seinem Zahlenfetischismus listet auf: 6 Starlink-Missionen, jeweils ein Start aus Südkorea und der privaten Raumfahrtunternehmen Alpha Firefly, Blue Origin und Electron, 4 russische Starts – 2 vom Kosmodrom Baikonur, 2 von Plesetsk – und 13 von chinesischem Boden aus. Wobei der „Boden“ hier cum grano salis zu verstehen ist, weil der Start der 3 Satelliten der Shiyan-24-Mission am 25. Dezember von einer schwimmenden Startplattform vor der Küste von Yangjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong aus erfolgt ist.)
2023 war das erste Jahr in der Geschichte der Raumfahrt, in der mehr als 200 Starts erfolgt sind. 2018, dem Jahr, bevor SpaceX mit dem Aufbau von Starlink begann, lag die Zahl bei 112; 2019 bei 95, 2020 bei 103, 2021 bei 132 und 2022 bei 174. Damit ist die Gesamtzahl der erfolgreichen Starts auf 6069 gestiegen, seit die Pieptöne von Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 mit seiner Sendeleistung von 1 Watt das Raumfahrtzeitalter eröffnet haben. Heute steht dieser Zähler bereits auf 6070, seit gestern am Neujahrsmorgen im 5 Uhr 40 MEZ das indische Röntgenobservatorium XPoSat (für „X-Ray Polarimeter Satellite“) von Satish Dhawan aus auf den Weg gebracht wurde.
(XPoSat, gestartet am 1.1.2024)
IV.
Aber ist die Rakete tatsächlich, wie oben behauptet, „im Bermudadreieck versunken“? Schließlich gehört der Küstenstreifen von dem Norden Floridas auf 28 Grad nördlicher Breite und 80 Grad westlicher Länge knapp nicht mehr zu dem Bereich, den sein Entdecker (oder Erfinder, wie zynische Zungen behaupten würden) für das „Teufelsdreieck“ definiert hat: danach formen Miami an der Südspitze Floridas, und die Inseln Puerto Rico und eben die namensgebenden Bermudainseln die Eckpunkts des Gebiets, in dem schon mal Flugzeuge und Schiffe, wie es heißt, in einem Dimensionsloch verschwinden können. (Der Kleine Zyniker merkt an, daß das Bermuda Triangle in der „urbanen Folklore“ ab den 1960er Jahren in der gleichen Weltgegend lokalisiert worden ist, den zwei oder drei Generationen zuvor das Sargassomeer einnahm, das in einigen älteren Klassikern der Horrorliteratur wie William Hope Hodgsons „The Boats of the Glen Carrig“ (1907) oder Dennis Wheatleys „Uncharted Seas“ (1936) Windjammern zum Verhängnis wurde.) Der Landepunkt auf der JRTI befand sich nahe dem Epizentrum – aber die Mission selber wird von SpaceX, zurecht, als voller Erfolg gewertet.
(Vincent H. Gaddis)
Bei dem Entdecker (oder Erfinder, wie zynische Zungen sagen könnten) dieses Dreiecks handelt es sich um den amerikanischen Journalisten Vincent H. Gaddis (1913-1997), Gaddis verdiente in seinem ersten Berufsleben seinen Lebensunterhalt als Lokalreporter für Zeitungen in Warsaw und Elkhart im Bundestaat Indiana (Einwohnerzahl 15.000 bzw. 50.000), bevor er in den 1950er Jahren den Pressedienst für die Abteilung von Mercedes Benz im gleichen Bundestaat übernahm. Aber das Abfassen der Texte, mit denen man heute seinen Namen verbindet – wenn es denn überhaupt noch bekannt ist – hatte er in den vierziger Jahren für das SF-Magazin „Amazing Stories“ begonnen. „Amazing,“ zuerst im April 1926 erschiene, war das älteste Magazin überhaupt, das sich ausschließlich dem Genre widmete, das wir heute als Science Fiction bezeichnen. Anfang der 40er Jahre, unter seinem neuen Herausgeber Ray Palmer, war es allerdings zur „untersten Kategorie“ in diesem Groschenheftressort abgesunken, mit schlichtest gestrickten Abenteuergeschichten für jugendliche Leser, ein Journal, das ernsthaften Lesern des Genres mehr als peinlich war. Das steigerte sich nochmals, als Palmer 1945 das lostrat, was älteren Fans als „der Shaver-Mythos“ in unschöne Erinnerung ist. Palmer, der wenige Jahre später bei der Entstehung des „Mythos“ um die „Fliegenden Untertassen“ von zentraler Bedeutung war, hatte beschlossen, aus den endlosen Elaboraten, die ein gewisser Richard S. Shaver (1913-1995) an die Redaktion eingesandt hatte, eine Grundlage für eine Neuausrichtung angesichts der alarmierend sinkenden Verkaufszahlen zu machen. Shaver, der, das läßt sich im Nachhinein klar feststellen, an Schizophrenie litt und aufgrund der Stimmen, die er vernahm, mehrere Jahre in psychiatrischen Kliniken verbracht hatte, behauptete, er hätte die „bösartigen Wesen“ die tief im Erdinneren in riesigen Höhlen das Verderben der Menschheit planten und mittels Gedankenkontrolle für alle Katastrophen oben auf der Oberfläche verantwortlich seien, mit eigenen Augen gesehen. Die „Deros“ („detrimental robots“) – unsterbliche Automatenwesen mit außeirdischem Ursprung, die die ihnen schädliche Sonnenstrahlung ins Erdinnere getrieben hatte, verdenken sich ganz offensichtlich dem Szenario, das H. P. Lovecraft in seinen späten Erzählungen wie „The Shadow Out of Time“ (1931) und „At the Mountains of Madness“ (1936) entwickelt hatte, um seinem „Cthulhu-Mythos“ von den „großen Alten“ weg vom Übernatürlich-Dämonischen und mehr in Einklang mit den Visionen der SF zu bringen.
Palmer beschloß jedenfalls, sein Magazin ganz der Propagierung von Shavers Visionen (oder Wahnvorstellungen, wie zynische Zungen behaupten würden) zu widmen. Welchen Anteil er und sein Stab an Lohnschreibern, die in Akkordarbeit Texte für einen Cent pro Wort ablieferten, an der Umschreibung von Shavers Elaboraten zu Abenteuerreißern der schlichtesten Machart haben, läßt sich im Nachhinein nicht mehr ausmachen. Fast drei Jahre lang, seit dem Erscheinen von „I Remember Lemuria!“ im März 1945, füllte Palmer fast jeder monatliche Ausgabe mit Texten zum Thema, die fast ausschließlich Shaver als Verfasser angaben. Garniert wurde das mit Ausflügen zu ähnlichen Standardthemen der Esoterik: Gedankenlesen, die übernatürlichen Fähigkeiten von Fakiren, das Ungeheuer von Loch Ness…. Durch den Trick, hier nicht mit mit billigem Kintopp, sondern mit „der Wahrheit“ hausieren zu gehen, gelang es Palmer für kurze Zeit, sein Heft zum auflagenstärksten des Genres mit monatlich 100.000 Exemplaren zu machen. Als der Verlag, alarmiert durch negative Berichte in namhaften Zeitschriften wie „Life“, im Sommer 1948 Palmer den Stuhl vor die Tür setzte und durch den gestandenen Krimiautor Howard Browne, konnte Palmer umgehend mit der Gründung des Magazins „Fate“ seinen eingeschlagenen Weg weiterverfolgen, ohne noch den Schein der „Fiktion“ vorzuschützen. „Fate“ spielte bei der Propagierung um die „Fliegenden Untertassen“ während der ersten fünf Jahre dieses Phänomens ibs etwa 1952 eine entscheidende Rolle.
Und in diesem Umfeld begann Vincent Gaddis seine ersten Ausflüge als Berichterstatter über „die geheimen, unentdeckten, unterdrückten Wahrheiten.“ In seinem Text „Energy from Beyond“ (Amazing Stories, Mai 1946) heißt es beispielsweis:
„Wir wissen, daß der menschliche Körper, und tatsächlich alles Leben, Strahlung aussendet. Tatsächlich besteht alle Materia aus Vibrationsenergie. Nach der Aussage von Dr. E. D. Allen aus England ist es gelungen, Nervenströme mit einem Radioapparat aufzufangen. Es ist bekannt, daß das menschliche Hirn elektrische Signale aussendet. Laut Professor Otto Rahn kann Strahlung die aus menschlichen Augen und Fingerspitzen gesendet wird, Hefezellen abtöten. Die gleiche Strahlung, kann gemäß Dr. Charles Ross, feste Objekte beeinflussen. ... In Budapest gibt es einen berühmten "elektrischen Menschen, Graf John Berenyi, dessen Körper so mit statischer Elektrizität aufgeladen ist, daß er Neonröhren zum Leuchten bringen kann, wenn er die Fassungen berührt. Es kann im Licht, das sein eigener Körper erzeugt lesen. Das Phänomen hat die Ärzte und Techniker, die ihn untersucht haben, in Erstaunen versetzt. So viel zu der vom Körper erzeugten Strahlung, die natürlich aus der Lebensenergie entstammt. (S. 157-58)“
Und von dieser Güteklasse sind auch Gaddis‘ spätere Bücher, nachdem er das Verfassen solcher Texte ab 1962 zu seinem Hauptberuf gemacht hatte und in Bücher wie „Invisible Horizons: True Mysteries of the Sea“ (1965), „Mysterious Fires and Lights“ und „The Wide World of Magic“ (beide 1967) das übliche Sammelsurium angeblicher Augenzeugenberichte, Sommerlochgeschichten aus der Klatschpresse und die unkaputtbaren Klassiker aus dem Bereich der „unerklärlichen Phänomene“ zusammenrührte – nicht anders als etwa Robert Charroux, Louis Pauwels, Jacques Bergier oder Peter Kolosimo zur selben Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks – von Erich von Däniken ganz zu schwiegen.
(Ausdehnung des Bermuda-Dreiecks. Ill. Aus Gaddis' "Argosy"-Artikel von 1964)
Gaddis präsentierte das „Bermudadreieck“ zuerst in der Ausgabe der Zeitschrift „Argosy“ vom Februar 1964 – vor fast exakt 60 Jahren also, das das Heft schon im Januar an die Kioske gekommen war, in einem kleinen Bericht mit dem Titel „The Deadly Bermuda Triangle.“ In Gaddis Report, der etwas weniger als 4000 Worte umfaßt.(zum Vergleich: wenn Sie diesem Text bis hierher gefolgt sind, liegen schon mehr als 5000 Worte hinter Ihnen), erwähnt er neben vier oder fünf Fällen, in denen „vor kurzem“ Flugzeuge oder Schiffe spurlos verschwunden sind, vor allem den berüchtigten Fall des „Flug 19,“ bei dem im Dezember 1945 fünf Trainingsflugzeuge von Typ Northrop Avenger von einem Trainingsflug als Formationsflug vor der Südspitze Floridas nicht zurückkehrten.. Diese recht ausführliche Schilderung leitet Gaddis wie folgt ein:
Ziehen Sie eine Linie von Florida bi Bermuda, dann von Bermuda bis Puerto Rico, und als dritte durch die Bahama-Inseln zurück nach Florida. In diesem Gebiet, das als Bermuda-Dreieck bekannt ist, sind die meisten Fälle vorgekommen.
Das Bermudadreieck zeigt uns, daß selbst in einer Zeit, in der schnelle Flügel und das radio unser Leben bestimmen, wir immer noch eine Welt vor uns haben, die groß genug ist, daß Menschen und ihre Maschinen und Schiffe darin spurlos verschwinden können.
Welche Bedrohung es auch immer sein mag, die so dicht vor unserer Haustür in diesem tödlichen Dreieck lauert, sie war für das erstaunlichste Rätsel in der Geschichte der Luftfahrt verantwortlich. Dies hier ist diese Geschichte …
Und Gaddis beschließ seinen Text mit dem Satz
“Die See behält ihre Geheimnisse für sich.“
C’est tout.
Nicht ganz so knapp faßte sich der Autor, mit dem die Vorstellung des Teufelsdreiecks im Nachheinein im Gedächtnis verbunden blieb: Charles Berlitz. Sein Buch „The Bermuda Triangle,“ 1974 im Verlag Doubleday erschienen, umfaßt in der gebundenen Ausgabe immerhin 203 Seiten; die nachfolgenden Taschenbuchausgaben umfassen zwischen 226 und 176 Seiten. Aber wesentlich detaillierter und substanzvoller ist es auch, was Berlitz zu berichten weiß: zumeist ohne Quellennennung aneinander gereihte Berichte, unterbrochen von rhetorischem Händeringen über die Sensationen, die „in unserer Welt und Zeit“ noch möglich sind. Immerhin traf das Buch ganz offensichtlich ein Bedürfnis nach solchen Sommerlochgeschichten. Die Gesamtauflage der diversen Übersetzungen soll sich auf 30 Millionen Exemplare belaufen.
Nicht jeder war freilich von dem Zauber – oder Fluch -- der Karibik angenehm gefächelt. So Laurence Kusche, Bilbiotheka an der Universitätsbibliothek der ASU, der Arizona State University. Berlitz‘ Bestseller war einer von 9 Titeln, die sich, neben anderem „mythologischen Janhagel der Hochsee“ (Arno Schmidt) zwischen 1970 und 1974 mit dem Teufelsdreieck befaßt hatten (unter anderem John Wallace Spencers „Limbo oft he Lost“ und Richard Winers „The Devil’s Triangle“) und Kusche stellte sich, weil er öfters nach Texten zum Thema gefragt wurde, eine Bibliographie vor allem von Zeitungsartikeln und Meldungen in de Tagespresse zusammen. Und um die übliche Saumseligkeit, die nicht nur Berlitz auszeichnete, ein wenig wettzumachen, schrieb er zahlreiche Briefe an die Redaktionen, um genauere Angaben über Zeit, Ort, und Umstände zu erhalten. Als der Verlag Harper & Row ihn um ein Exemplar seiner Titelliste bat, bot ihm Kusche an, das Ergebnis seiner Recherchen als buchlanges Manuskript einzureichen. „The Bermuda Triangle Mystery – Solved!“ im April 1975 als Taschenbuchausgabe in Lizenz bei Verlag New English Library erschienen, zog dem vermeintlichen Mysterium gründlich den Stecker. Viele der Umstände, die das geheimnisvolle Verschwinden angeblich begleitet hatten, erwiesen sich als frei erfunden; einige Fälle, die angeblich von zahlreichen Augenzeugen bestätigt werden konnten, hatten überhaupt nicht stattgefunden. Andere hatten sich nicht in der Karibik, sondern im Pazifik, in der irischen See oder im Golf von Mexiko abgespielt. Flug 19 war nicht bei schönem Wetter spurlos vom Radar verschwunden, sondern bei nebligem Wetter bei befohlener Funkstille – und somit hatte es auch keine entsetzen Funksprüche, der Horizont sei verschwunden, gegeben. Unter dem Strich erwies sich dieser teil des Atlantik eben um kein Deut riskanter für die christliche Seefahrt als andere Gewässer mit unberechenbaren Strömungen und Untiefen auch.
Aber wenn, gemäß Berlitz, sogar der Pazifik als Ausläufer der Bermudadreiecks durchgehen kann – dann kann es die Nordküste von Florida ebenfalls.
Coda
Und nicht zuletzt läßt sich angelegentlich dieses Fall das wohl berühmteste Koan im Zenbuddhimus, die Erleuchtungsaufgabe für den Schüler, dessen plötzliche Auflösung zum satori führen soll, an die Verhältnisse unsere Zeit anpassen:
Wenn im Bermudadreieck eine Rakete umfällt und es niemand hört – scheppert es dann?
* * *
„Bermuda Triangle“ stammt vom zehnten Album von Fleetwood Mac, erschienen im September 1974 und dem letzten Album der Band, auf dem Bob Welsh als Gitarrist mitspielt – und dem letzten Album, bevor sich die ehemalige Bluesrockcombo mit ihrer nächsten LP, die schlicht den Namen der Combo trug, im Juli 1975 als Mainstream-Popgruppe neu erfand. „Bermuda Triangle Blues“ stammt von Blondies zweitem Studioalbum, „Plastic Letters,“ erschienen im Februar 1978 und auf den Markt gekommen, bevor die Gruppe mit „Heart of Glass“ von ihrem dritten Album, erschienen im September des gleichen Jahres, ihren ersten weltweiten Hit einfahren konnte. Der Protokollant ist als genug, um noch das Bedürfnis zu haben, darauf hinzuweisen, daß es sich bei „Blondie“ um den Namen der Band handelt, nicht um den Nom de Scène der Leadsängerin Debbie Harry.
Zum guten Schluß sei noch darauf verwiesen, daß Ursula K. Le Guin am ausführlichsten über die „literalization of metapher“ als modus operandi der Science Fiction in ihrer Einleitung zu der von ihr und Brian Atteberry zuammengestellt „Norton Anthology of Science Fiction“ (W. W. Norton, 1993) schreibt – die deswegen Wirkung reklamieren kann, weil sie als Standardausgabe in amerikanischen Highschools und Universitäten bei der Behandlung des Genres verwendet wird. Allerdings ist dagegen auch vielfach Einspruch erhoben worden: „Wenn solche Sätze tatsächlich in einem Text vorkommen, dann meistens als Knalleffekt, um den Leser zu packen, am Anfang eines Textes – und sei wirken in der Regel, als wären sie als grelle Leuchtreklame gehalten,“ schreibt etwa Gary K. Wolfe.
"Argosy" war eine der ältesten Illustrierten Zeitschriften der USA. 1882 hatte das Magazin als Wochenschrift für ein jugendliches Publikum begonnen, war 1888 auf ein allgeimes Lesepublikum umorientiert worden; mit welchselnden Untertiteln (etwa als "Argosy-All Story Weekly" erschien es von 1894 bis 1917 monatlich, zwischen 1917 und 1941 wöchentlich, während der ersten Hälfte des Jahres 1942 infolge der Papierrationierung durch den Kriegseintritt der USA zweiwöchentlich und vom Juni 1942 bis zu seiner lezten Ausgabe Ende 1978 wieder im Monatstakt. Die höchste Auflagenstärke erreichte das Magazine 1907 mit einer halben Million Exemplaren. In der Februarausgabe 1964 erschien neben "The Deadly Bermuda Triangle" auch ein Auszug aus Alistair MacLeans Roman "Ice Station Zebra" als Vorabdruck, einem Buch, das die Vorlage des gleichnamigen Films unter der Regie von John Sturgis aus dem Jahr 1968 mit Rock Hudson in der Hauptrolle diente - jenem Film, den sich Howard Hughes während der letzten Jahre seines Lebens als berühmtesten Einsielder der Welt in seiner Hotelsuite hunderte von Malen vorführen ließ - und in dem es um die Bergung eines Filmkapsel geht, die von einem Spionagesatelliten aus der Umlaufbahn abgeworfen worden ist.
U.E
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