26. April 2020

Kim Jong-un

­Dies soll nur eine knappe Notiz sein, kein vollwertiger Netztagebuch-Eintrag, und sie soll nur den Stand der seit heute (vielmehr, gestern, da ich dies nach Mitternacht tippe) umgehenden Gerüchte zusammenfassen.

Diese lauten dahin, daß der "oberste Führer" (der "supreme leader") der Volksrepublik Nordkorea am frühen Samstagmorgen im Alter von 36 Jahren an den Folgen einer mißlungenen Herzoperation gestorben ist.









Lanciert wurde diese Nachricht von der Vizepräsidentin des Hongkonger Fernsehsenders HKSTV, Hong Kong Satellite Television, Shijian Xingzou, die in einem Posting am Samstagmorgen auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo (etwa unserem Twitter vergleichbar) mitteilte, sie habe diese Nachricht aus guter Quelle erhalten. Die japanische Wochenzeitschrift Shukan Gendai griff die Meldung wenig später auf und ergänzte sie um einige Einzelheiten. Demnach soll sich Kim, dessen letzter Auftritt am 11. April in den nordkoreanischen Staatsmedien erfolgt ist, am Tag darauf einem chirurgischen Eingriff unterzogen haben, des mißglückt sei (die Shukan Gendai fügt das Gerücht an, die Hand des operierenden Arztes habe zu sehr gezittert, weil er sich der Konsequenzen eines Fehlgriffs bewußt gewesen sei); er sei nicht mehr aus dem Koma erwacht. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Samstag nur, daß ein Team von chinesischen Ärzten und Herzspezialisten am Donnerstag nach Pjöngjang geflogen sei, um dem prekären Gesuundheitszustand Kim (um den es seit Dienstag internationale Gerüchte gibt, seit Kim am 15. April, dem 태양절, T'aeyang-jŏl, dem "Tag der Sonne", dem Geburtstag des Staatsgründers und "ewigen Präsidenten" Kim Il-sung, nicht präsent war) aufzuhelfen; dieser Teil kann, cum grano salis, also als "offiziell bestätigt" gelten. Von den nordkoreanischen Staatsmedien gibt es bis zur Stunde keine Meldung. In den japanischen und auslandschinesischen sozialen Medien machte zudem ein Bild die Runde, das Kim in einem gläsernen Sarg aufgebahrt zeigen soll.

Zwei kurze Anmerkungen: Kim Jong-un ist nicht zum ersten Mal aus den Staatsmedien "verschwunden". 2014 verschwand er für einen ganzen Monat aus deren Fokus; danach zeigten ihn Fernsehaufnahmen mit einem hinkenden Gang. In bezug auf Nordkorea, das wie keine andere Diktatur von der Weltöffentlichkeiit abgeschirmt ist, bildet das, was man zu Zeiten des Sowjetimperiums "Kremlastrologie" nannte, einen unverbrüchlichen Teil der unsicheren Berichterstattung. Die damalige Erklärung war, daß sich der "oberste Führer" (ein Titel, den ihm die Parteiführung analog zu dem Titeln seines Großvaters, des Großen Führers, und seines Vaters, des Geliebten Führers, 2011 verliehen hat (in jenem Jahr, in dem ihm auch offiziell der militäre Rang eines Generals verliehen wurde), beim Skifahren Knochenbrüche zugezogen hatte. Das Skigebiet Masik-Ryong im Nodern des Landes, das einzige Skiresort, war ein von Kim lanciertes Prestigeprojekt, das zum Jahresanfang 2014 eröffnet wurde. Zum zweiten: als sein Vater und Amtsvorgänger im Dezember 2011 starb, dauerte es zwei Tage, bis die Meldung über die Staatsmedien verkündet wurde.

Als Nachfolgerin wird von eben jenen Ausdeutern, die aus den offizellen Bildern und Propaganda-Verlautbarungen und dem offiziellen Schweigen Trends herauszufiltern versuchen, Kim Jong-uns jüngere Schwester Kim Yo-jong gehandelt, die als "graue Eminenz" hinter ihm gilt und  für die Organisation des Personenkults zuständig sein soll, der seit 2010 von der Staatspropaganda forciert wird; sie soll auch die gut zwei Dutzend Reden verfaßt haben, die er seit 2012 im Fernsehen und dem Scheinparlament gehalten hat (zumeist Neujahrsansprachen) und die die "Werke" ausmachen, ohne die ein Staatsführer seiner Couleur nicht auskommt (kein Vergleich zu den 50 Bände umfassenden Ausgaben des Begründers der Juche-Staatsideologie!). Kim der Dritte ist der dritte Sohn seines Vaters (der es immerhin auf 69 Jahre brachte; sein älterer Bruder Kim Jong-chul, 1981 geboren, der "eigentlich" als Amtsnachfolger vorgesehen warf und im Vorfeld von der Staatspropaganda für diese Rolle aufgebaut wurde, fiel um 2005 herum in Ungnade, weil er durch die Privilgien der Staatsführungskaste von westlicher Dekadenz angefressen wurde und international durch nach der Staatsideologie höchst halbseidene Episoden glänzte. So wurde er etwa in Deutschland 2006, von Leibwächtern abgeschirmt, auf einem Eric-Clapton-Konzert gesichtet, wie auch im Jahr 2015 bei einem Auftritt Claptons in London. Den Berichten des Überläufers Thae Yong-ho (des höchstrangingen Diplomaten, der je in den Westen (in diesem Fall Südkorea) übergelaufen ist) soll er in Pjöngjang als Gitarrist einer Rockband leben. (Ich habe, wie es der Zufall will, vor wenigen Wochen erst Volker Kriegels kleines literarisches Divertimento Der Rock'n'Roll-König aus dem Jahr 1982 wieder gelesen; ich weiß auch nicht, warum mir dies gerade einfällt...) Beider älterer Halbbruder war ihm darin vorausgegangen: Kim Jong-nam (seine Mutter war Kim II. erste Gattin, Song Hyde-rim, fiel in Ungnade, nachdem er von der japanischen Polizei im Jahr 2000 verhaftet worden war bei dem Versuch, das Disneyland Tokyo zu besuchen und einen gefälschten Paß mit dem gefälschten chinesischen Namen Pang Xiong der Dominikanischen Republik bei sich führte (ob es sich bei der Dom. Rep. ebenfalls um eine Fälschung handelt, lasse ich unabgemacht). Er machte zuletzt im Februar 2017 Schlagzeilen, als er einem Mordanschlag des nordkoreanischen Geheimdienstes auf dem Flughafen von Kuala Lumpur zum Opfer fiel, als zwei hübsche junge Damen, die für einen "Versteckte Kamera"-Scherz angeheuert worden waren, ihm vermeintliche Sonnenlotion, erst mit der Hand, dann mit einem Taschentuch, ins Gesicht schmierten. Die Verbindung der beiden für sich harmlosen Komponenten resultierte in dem Kontaktgift VX (seit 1983 durch die Vereinten Nationen verboten), das nach einer Viertelstunde zum Exitus führte.

Kims (also der beiden jetzigen Kims) Mutter Ko Yong-hui (1952-2004) war übrigens Halbjapanerin; sie wurde 1961 in einer Rückholaktion der Volksrepublik aus dem früheren Feindstaat "heim ins Reich" geholt (Nordkorea hat stets versucht, daraus Kapital zu schlagen, daß es sich ostentativ um die koreanische Minderheit in Japan bemüht hat; die Versuche, unter ihnen politische und gwerkschaftliche Aktivitäten zu organisieren, gelten sämtlich als vom Geheimdienst gesteuert). Mit diesem Hintergrund (ihr Vater arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Siedler im japanisch besetzten Korea zudem als Textilarbeiter in einer Fabrik arbeitete, die für die japanische Armee Unformen nähte) hätte sie im offiziell geltenden "Songbun"-Rangsystem, das jedem Staatsbürger von vornherein seinen Status und seine Funktion zuordnet, zur "niedrigsten vorstellbaren Klasse" gehört, was wohl erklärt, warum sie in der Staatspropaganda zu Lebzeiten ganz im Hintergrund blieb und seit ihrem Tod als nicht mehr als ein bloßer Name in der offiziellen Propaganda auftaucht.

Genug der dynastischen Kabalen. Ich möchte noch einmal betonen, daß es sich bei den Gerüchten um das Ableben Kim Jong-uns bislang nur um eben dies handelt: Gerüchte; und daß sie sich als falsch erweisyen können. In den nächsten Tagen werden wir hoffentlich mehr wissen.


U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.