9. Juli 2018

Das Ende der Spezialdemokratie. Ein Gedankensplitter.

Fast 46% der Zweitstimmen (und sogar noch ein bischen mehr bei den Erststimmen) entfielen im besten Jahr der deutschen Sozialdemokratie(1972) auf die SPD unter ihrem damaligen Anführer Willy Brandt (der dadurch als Kanzler bestätigt wurde und mit der FDP eine absolute Mehrheit in die neue Regierung führen konnte). Gerhard Schröder schaffte es im Jahr 1998 zwar nur noch 41% von der SPD zu überzeugen, in absoluten Zahlen legte er jedoch gegen Brandt sogar noch zu (da sich durch die Wiedervereingung die Wählerbasis deutlich vergrößerte).


Das war vor 20, bzw. vor 46 Jahren. Heute ist die Sozialdemokratie entschieden weiter. Bei der letzten Wahl unter dem einstimmig(!) gewählten Parteivorsitzenden Martin Schulz entgleiste eben jener Schulzzug und kam auf nicht einmal 21% der Stimmen. Von den über 20 Millionen Wählern unter Schröder war nicht einmal mehr die Hälfte übrig. Doch auch seit der letzten Wahl hat die SPD nicht geschlafen: Derzeitige Umfragen sehen sie zwischen 16 und 19 Prozent mit der deutlichen Tendenz nach unten. Setzt sich dieser Trend fort, wird die SPD, so die aktuelle Regierung die nächsten drei Jahre überstehen sollte, sich irgendwo um die 12-15 Prozent einpendeln und dann im deutschen Parteienspektrum mit der FDP um den vierten Platz kämpfen müssen. Und an dieser Stelle wäre es eine Freude zu sehen, ob die FDP noch ein bischen was von der Häme, die ihr entgegen schlug, als sie Westerwelle zum Kanzlerkandidaten kühren wollte, aufbewahrt hat, wenn Frau Nahles dem Volks verkündet einen eben solchen aufstellen zu wollen.

Da wäre es doch durchaus einmal angebracht zu fragen: Wie konnte es so weit kommen, bzw. warum ist es überhaupt dazu gekommen? Die am nächsten liegende Antwort ist nicht nur simpel, sie erklärt tatsächlich zu einem Teil die Lage: Schlechtes Personal. Mit Leuten wie St. Martin, Bätschi-Nahles, Pöbel-Stegner oder dem Scholzomaten ist sicher nicht viel zu gewinnen. Da waren sicher Brandt wie auch Schröder andere Kaliber. Allerdings kann das auch nur einen Teil erklären, denn das Personal anderer Parteien ist derzeit nicht viel besser. Wäre es nur das schlechte Personal wäre es kaum erklärbar das die SPD abstürzt und gleichzeitig Parteien wie die Grünen mit Personal wie Roth ("Die Türkei ist meine Freundin") oder "Menschengeschenk"-Göring-Eckart stabil bleiben und sich teilweise noch steigern.

Ich denke die SPD hat zwei ganz andere Probleme, die im Speziellen wirken, und nicht nur dafür sorgen, dass die SPD bereits mehr als die Hälfte ihrer Stimmen verloren hat, sondern auch dafür sorgen werden, dass es bald mehr als ein Dreiviertel sein werden. Oder anders gesagt: Das die SPD mittelfristig fast komplett verschwinden wird.

Der erste Grund liegt in der gesellschaftlichen Entwicklung. Traditionell ist die SPD nach eigenem Selbstverständnis die Partei der Arbeiter. In zweiter Linie auch die Partei der Angestellten, aber eben zuerst der Arbeiter. Nun ist produzierende Arbeit, trotz aller Unkenrufe, immernoch die Grundlage des Reichtums diesen Landes, nichtsdestotrotz ist die Menge der Arbeiter durch die letzten Jahrzehnte kontinuierlich gesunken. In den sechziger Jahren betrug der Anteil des sekundären, also produzierenden Sektors der Volkswirtschaft, noch fast 50%, heute sind es 25%, eine gute Halbierung. Der dagegen gewaltig gewachsene tertiäre Sektor (Dienstleistungen) speist sich nur am Rande aus Arbeitern. Zwar gibt es heute auch mehr Angestellte als vor 50 Jahren, aber es sind eben auch riesige neue Gruppen aufgebaut worden, sei es im öffentlichen Dienst, in der Sozialwirtschaft oder in der sonstigen Verwaltung, die mit einem traditionellen Arbeitsverständnis nichts mehr zu tun haben. Eine solche demographische Entwicklung wirkt entsprechend auch direkt auf das Potential einer Arbeiterpartei. Und insofern ist Schröders 41% Erfolg ein riesiger, denn schon zu seiner Zeit war der Anteil der Arbeiter an der arbeitenden Bevölkerung gerade mal noch 30%. Aber diese Entwicklung erklärt immer noch nicht den Absturz dieser Tage, die Zahl der Arbeiter hat sich seit Schröder sicher nicht halbiert. Dafür gibt es einen weit verheerenderen Grund.

Und der lässt sich am ehesten beschreiben mit "Verachtung der eigenen Klientel". Man kann es aus mehreren Perspektiven beschreiben, aber zufälligerweise begegnete mir vor ein paar Tagen ein Artikel im Blog des Kollegen Danisch, der wiederum den Focus zitiert, der ein Zitat des parlamentarischen Geschäftsführers der SPD wiedergibt (lange Kette, aber alles nachschlagbar). Schneider sagte wohl:
„Wir haben als Sozialdemokraten in den letzten Wochen und Monaten viel dafür getan, dass es eine stabile Regierung gibt.  (…) Ich bin nicht mehr bereit, weiter hinzunehmen, die Leiden weißer, alter Männer in der CSU zu ertragen. Die müssen den Gong jetzt mal gehört haben.“
Mal ab davon, dass ich dem Kollegen Danisch absolut zustimme, dass es sich hier um ein recht klares Zeugnis von Rassismus handelt, so sehe ich in dem Satz eine andere Form der Ehrlichkeit, die man sonst eher bei Linksextremisten sieht und bei der SPD nicht so oft so deutlich hervortritt: Die totale Verachtung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe und ihre Geisteshaltung. Hier maskiert unter "alte, weiße Männer". Das dumme daran für die SPD ist: Das ist ihre Klientel, auch wenn sie das nicht wahrhaben mag. Die allermeisten Arbeiter diesen Landes sind weiß. Und überdurchschnittlich viele sind auch schon etwas älter. Und selbst wenn sie noch nicht allzu alt sind, so ist es halt nur eine Frage der Zeit bis der Zahn der Zeit sie zu solchen macht. Das was der gute Herr Schneider hier so offen verachtet, sind genau die Wähler, die der SPD davon laufen. Die SPD hat es in bis dato einmaliger Weise geschafft, in den letzten Jahren eine Politik zu propagieren, die genau dem Gegenteil von dem entspricht, was die eigene(!) Kernwählerschaft sich wünscht. Sie spuckt ihren eigenen Wählern die offene Verachtung ins Gesicht. Das ist schon eine besondere Leistung. Wenn Martin Schulz was von der tollen EU schwadroniert und von Goldstücken, die man geschenkt bekommt, dann mag das bei den eigenen Funktionären, in aller Regel durch eine Juristen-, Soziologen- oder Studienratskarriere vorgeprägt, sehr gut ankommen. Bei dem "kleinen" Arbeiter vor Ort ist das aber ganz und gar nicht der Fall. Der wünscht sich nämlich in erster Linie das er mehr netto hat, seine Kinder auf eine gute Schule gehen können und er selber vielleicht mal ab und zu mal in den Süden fahren kann. Das erreicht man aber nicht mit Deindustrialisierung, Fahrverboten, Steuererhöhungen und mehr Goldstücken in den Innenstädten. Im Gegenteil. Die Kampagne für den dollen Sonnenstrom, gegen die Kohle, gegen den Diesel und für immer mehr Zuwanderung ist wunderbar zur "kosmopolitischen" grünen Klientel passend, aber der Arbeiter hat nicht nur andere Sorgen, der wird davon akut bedroht.

Interessant ist dann natürlich die Frage: Warum ist das heute so und warum war das nicht früher auch schon so? Zumindest Zweiteres kann nur teilweise beantwortet werden, aber es wird schon deutlicher, wenn man alleine die Unterschiede in den Personen sieht. Gerhard Schröder, der letzte erfolgreiche SPD Chef, war zwar als "Genosse der Bosse" bekannt und mit Sicherheit kein Arbeiter mehr. Aber er hat einmal durchaus so angefangen. Soviel man an Schröder auf kritisieren kann (und da könnte man eine halbe Bücherwand zu schreiben), er hat nie den vollständigen Kontakt zu dem verloren, wo er einmal her kam. Schröder hat eine Ausbildung gemacht und einige Jahre gearbeitet. Sein Abitur konnte er aufgrund der damaligen wirtschaftlichen Situation (Schröder stammt aus wirklich armen Verhältnissen) erst auf der Abendschule machen, so ziemlich alles in diesem Leben musste er selber erarbeiten. Der Gegensatz zur heutigen Parteichefin könnte kaum größer sein. Andrea Nahles ist gutbürgerlich groß geworden, hat nie ernsthaft gearbeitet und ihre außerpolitische "Lebensleistung" besteht aus einem 20-semestrigen Gemanistik- und Politikstudium. Sie lebt auf einem Bauernhof, der schon seit Generationen in Familienbesitz ist und kennt die Nöte und Probleme von Arbeiterhaushalten allenfalls aus dem Fernsehen.
Und Andrea Nahles steht stellvertretend für eine ganze Generation von SPD Politikern: Germanisten, Soziologen, Politikwissenschaftler, Juristen. Von den immerhin sechs(!) stellvertretenden Vorsitzenden der SPD ist nicht ein einziger dabei, der mal eine Lehre gemacht hätte oder mal ein Jahr in einem Industrieunternehmen was mit den Händen geschafft hätte. Nicht einer. 

Salopp ausgedrückt könnte man sagen: Die SPD ist die Partei bei der eine Gruppe von ewigen Politologiestudenten vorspielt die Interessen der Arbeiter zu vertreten. Aber wem dient die Einführung von immer neuen staatlichen Segnungen? Wer profitiert davon, dass der Staat sich mehr und mehr aufbläht? Dem, der es am Ende bezahlen muss oder dem, der davon profitiert? Der wichtigste, ja fast einzige, Abnehmer für Soziologen, Politologen und Germanisten ist der Staat, vulgo der öffentliche Dienst. Der Arbeiter hat kein Interesse daran immer mehr staatliche Regulierung aufzublasen, der Politiologe dagegen schon. Und wem dient die riesige Zuwanderung? Dem Arbeiter? Oder dem Soziologen, der eigentlich der dem normalen Markt nichts anbieten kann, aber plötzlich gefragt ist, weil jemand die hunderttausenden Neubürger betreuen muss? Die SPD betreibt eine reine Politik für die eigenen Funktionäre. Was sogar in dem Sinne nachvollziehbar ist. Aber das sie ihrer eigentlichen Wählerbasis dabei ins Gesicht lacht, das ist dabei nicht allzu clever. Und diese Wählerbasis sieht sich inzwischen nach Alternativen um. Wer kanns ihr verdenken?


Nachsatz: Man sagt Angela Merkel nach, dass sie die AfD erst geschaffen, bzw. erfolgreich gemacht hat, weil sie eine Politik betreibt, in der viele, ehemalige Wähler sich nicht mehr von der CDU vertreten fühlen. Und bei ehrlicher Reflektion kann man dem auch kaum ernsthaft widersprechen. Das Argument muss aber ebenso für die SPD gelten. Der einfache Arbeiter wird von der SPD nicht besser repräsentiert als der Konservative von der CDU. Wenn also die Konservativen das Elend der mit der CDU bedauern (zurecht), dann lohnt sich auch ein Blick nach links zum Kollegen aus der Arbeiterschaft. Ihm gehts nicht besser.


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Llarian

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