27. Dezember 2013

Von Schmutzarbeitgebern und Abschaum: Eine Meckerecke

Pünktlich zum Weihnachtsfest, zum Fest des seligeren Gebens denn Nehmens also (wobei jede Gabe ja naturgemäß einen "Unseligeren" braucht, der sie nimmt; nicht sehr schmeichelhaft für die Armen und Bedürftigen, wie mir scheint), nimmt eine Debatte wieder an Fahrt auf, die man, um sprichwörtlich zu bleiben, als bereits durchs Dorf getriebene Sau geglaubt hatte: die zum Mindestlohn.
­Auf Forderungen, hier für bestimmte Branchen und Regionen Ausnahmen zu ermöglichen, reagierte DGB-Chef Michael Sommer laut Spiegel Online folgendermaßen:
Der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gilt ab dem 1. Januar 2015. Darauf werden wir streng achten. Das müssen die Schmutzarbeitgeber wissen, die immer noch meinen, sie könnten das unterlaufen. Es ist ein großer gewerkschaftlicher Erfolg, dass der Mindestlohn dann auch für die Minijobber gilt.
Das Wort Schmutzarbeitgeber wird in verschiedenen Medien, oft in der Artikelüberschrift, unkritisch zitiert. In Zeiten der zunehmend inquisitorisch anmutenden Suche nach gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (aktuell sind ja die Geographie-Schulbücher des Westermannverlages dran) scheint dies ein bemerkenswerter Vorgang zu sein. Nun ist der Begriff natürlich insofern ein semantisches Schmankerl, als er eine gewisse Hintertür bietet, je nachdem wie man ihn betont. Bezieht sich der "Schmutz" nun auf die Arbeit, auf Schmutzarbeit also, oder landläufiger: Drecksarbeit? Wohl kaum, oder kann sich irgendjemand vorstellen, daß Herr Sommer, dieser vergleichsweise harmlosen Deutung folgend, von Schmutzarbeitnehmern spräche, etwa wenn es sich um Mitarbeiter aus dem Bereich der Gebäudereinigung handelte? Wohl kaum. Das "Schmutz" bezieht sich auf die Arbeitgeber, auf die Menschen also, die die betreffenden Arbeitsplätze als Unternehmer zur Verfügung stellen. Warum spricht er also nicht gleich von Drecksarbeitgebern? Wohl der genannten Hintertür wegen für den Fall, daß sein Begriff für Empörung gesorgt hätte. Dreck ist der Bedeutung nach weitgehend identisch mit Schmutz, tendenziell aber noch abwertender, wenn man Menschen so tituliert.  Allerdings hätte sich Sommer wohl auch dann nicht wirklich zu sorgen brauchen, schließlich ist er ein linker  Gewerkschafter und steht somit bei vielen Medien unter Artenschutz. Umgekehrt male man sich einmal die Reaktionen aus, wenn der Chef von Amazon Deutschland seine, sich im Weihnachtsstreik befindlichen, gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter als "Schmutzarbeitnehmer" bezeichnet hätte.

Wie anders fiel dagegen die Reaktion in Medien und Netz aus, als vor wenigen Tagen ein hessischer Polizeigewerkschafter die linksextremistischen Gewalttäter aus dem Umfeld der Hamburger "Rote Flora"-Demonstrationen in einem Tweet als "Abschaum" bezeichnet hatte! Diese hatten, neben der Verursachung erheblichen Sachschadens, 120 Polizisten verletzt, 19 davon schwer, und eine völlig unbeteiligte Familie in Todesangst versetzt, mutmaßlich weil der Vater einen Audi A6 fuhr, was ihn für Linksextremisten wohl schon zu einem Großkapitalisten macht und dessen Familie offenbar in der Tat zu Abschaum.
Der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft beeilte sich dann auch zu versichern, daß solcherlei Entgleisungen nicht zur Sprache der Polizeigewerkschaft gehörten, daß er den Kollegen bereits zur Rede gestellt habe und dergleichen mehr. Wäre eine solche Reaktion wahrscheinlich gewesen bei einem gleichlautenden Tweet über eine keinesfalls sympathischere, aber in ihrem Ablauf erfahrungsgemäß ungleich friedlichere, NPD-Kundgebung? Was, wenn Rechtsextreme sich gar so aufführten wie die linksextremistischen Gewalttäter in Hamburg?

Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Ich halte es ausnahmslos für falsch, Menschen, als "Schmutz", "Dreck" oder "Abschaum" zu bezeichnen. Es ist Nazijargon und widerspricht der Idee der unantastbaren Würde des Menschen. Das gilt aber, nicht nur im Grundgesetz, für alle Menschen, unabhängig von ihrer politischen Verortung, ihrem Einkommen oder ihrem Besitz. Und es ist dabei ungemein ärgerlich, wenn ausgerechnet die Hauptprotagonisten der politisch korrekten Bereinigung der deutschen Sprache ihrerseits zu den größten  sprachlichen Entgleisungen neigen. Wie oft wurden Thilo Sarrazin oder andere, denen man zunächst das Kainsmal des "Rechtspopulismus" angeheftet und sie somit gleichsam zu Vogelfreien erklärt hatte, als Rattenfänger bezeichnet? Wenn diese nun Rattenfänger sind, dann sind die Menschen, die ihnen "folgen" (d. h. die Sarrazins erstes Buch zustimmend gelesen haben) Ratten. Menschen als Ratten zu bezeichnen ist nun aber Nazijargon, wie er genauer kaum zu treffen ist.
Andreas Döding


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