30. April 2015

Literarisches Neuland

Deutschland hat so seine Schwierigkeiten mit Innovationen. Jedenfalls das aktuelle Deutschland, früher galt die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Entwicklungen als eine Hauptstärke unseres Landes.
Ein Beispiel, an dem sich die Überforderung der Verantwortlichen (oder sich verantwortlich Fühlenden) immer wieder zeigt, ist der Umgang mit "E-Books". Sind das jetzt "richtige" Bücher?

Sind sie, meinen die Verbraucherschutzorganisationen (die sich völlig unabhängig von Sachkenntnis immer gerne verantwortlich fühlen). Und fordern von den Verlagen, daß man "E-Books" genauso weiterverkaufen können sollte wie gedruckte Bücher.
Vor Gericht sind sie damit wieder einmal gescheitert. Die deutsche Justiz scheint also technisch schon etwas weiter zu sein als die Streitparteien. Denn ein "Weiterverkauf" ist bei einer Datei eigentlich kaum möglich. Die wird kopiert, und ist dann beim "Verkäufer" immer noch vorhanden. Selbst wenn er sie - eine eher unrealistische Annahme - nach dem "Verkauf" ordentlich löscht: In seinen Datensicherungen ist sie natürlich immer noch vorhanden.
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Aber auch die beklagten Verlage scheinen das neue Medium nicht wirklich verstanden zu haben. Sonst würden sie nicht krampfhaft darauf beharren, daß E-Books überall sonst wie ihre gedruckte Variante zu behandeln seien. Also auch das Gleiche kosten sollen, mit voller Buchpreisbindung - auch da gibt es jetzt eine juristische Bestätigung.

Es ist ziemlich absurd, daß die Verlage die Kostenvorteile der E-Books nicht in den Preisen berücksichtigen wollen. Natürlich verursachen auch E-Books bei den zentralen Verlagsleistungen wie Lektorat oder Werbung die üblichen Kosten. Aber bei Druck, Lagerung und Vertrieb sind sie deutlich billiger. Unterm Strich könnten sie etwa 20-30% günstiger sein als gedruckte Exemplare - das entspricht auch den Preisen in ausländischen Märkten. Es gibt dazu hier und hier glaubhafte Beispielrechnungen.

Wobei beim Preis natürlich auch der Staat eine Rolle spielt. Bücher werden mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7% belegt, E-Books zahlen die vollen 19%.
Das ist jetzt aber kein Beleg dafür, daß die Politik die Unterschiede zwischen elektronisch und gedruckt begriffen hätte - die sind nämlich genau für die Mehrwertsteuer völlig irrelevant. Das ist einfach nur eine der vielen unverständlichen Regeln des deutschen Steuerrechts.

Und wo wir schon bei Unterschieden sind: Die sieht die Politik auch beim Jugendschutz. Weil jugendgefährdende Formulierungen auf dem iPad oder Kindle viel schrecklicher wirken als auf einer gedruckten Seite, werden E-Books demnächst als "Telemedien" eingestuft.
Künftig müssten (noch zu benennende) Jugendschutzbeauftragte der Verlage Bücher – wie schon jetzt z.B. bei Filmen üblich – im Wege einer freiwilligen Selbstkontrolle einstufen und mit FSK 0, 6, 12, 16 und 18 kennzeichnen. Bei der Meldung ans VLB müsse diese Kennzeichnung in ein Pflichtfeld eingetragen werden,

Diese versammelte Inkompetenz von Gesetzgeber und Verlagen wird im wesentlichen dazu führen, daß Deutschland auch weiterhin bei den E-Books hinterherhinkt.
Irgendein Nutzen ist bei diesen unsinnigen Maßnahmen nicht erkennbar. Außer vielleicht einem: Da Bestellungen im Ausland attraktiv bleiben, könnte das die Fremdsprachenkenntnisse fördern.

R.A.

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