Redeverbote sind nicht erst mit der politischen Korrektheit
über dieses Land gekommen. Im Gegenteil: Kindern wurde bereits in früheren
Zeiten nahegelegt, dass man dieses nicht sage und über jenes keine Witze mache.
Humor gehört - um eine Phrase zu dreschen - nicht gerade zu den Kernkompetenzen
der Deutschen. Bei Karnevalssitzungen bedarf es eines Tusches, damit auch ja
niemand überhört, dass gerade etwas Lustiges in seine Ohren gedrungen ist.
Lachen auf Kommando - das passt zu dem germanischen Untertanengeist, den uns so
leicht keiner nachmacht.
Wenn Sie ob dieser bissigen Einleitung in Ihrer Magengegend
Unmut aufkeimen fühlen und sich gerade anschicken, auf den Link zum Kleinen
Zimmer zu klicken, um dieser unverschämten Nestbeschmutzung einige klare Worte
entgegenzusetzen, dann ist das gut. Dann können Sie nämlich nachfühlen, wie
Humor manchmal eben auch ist: verletzend, zum Widerspruch anregend, eine Grenze
überschreitend. Nicht jeder lacht über das Gleiche, geschweige denn über dasselbe.
Humor ist außerdem häufig stereotyp. Die meisten Witze bedienen
Klischees oder spielen damit. Wenn zwei Schwaben bei einer Hochtour in eine
Gletscherspalte fallen und am nächsten Tag - nach einer durchzitterten
Nacht - eine sonore Stimme hören, die ihnen zuruft: „Hier ist die Bergwacht
Hintertupfing.“ Wie lautet dann ihre Erwiderung? Genau: „Mir gäbet nix!“ Und wenn
zwei Jäger sich treffen oder am Wirtshaus vorbeigehen, dann ist das bereits der
gesamte Jokus.
Viele Zeitgenossen dürften einen Bayern-, Sachsen-,
Ostfriesen-, Burgenländer-, Aargauer-, Blondinen-, Beamten-, Arzt- oder
Pfarrer-Witz im Repertoire haben, um diese Aufzählung nicht ad nauseam
fortzuführen.
Nicht mehr ganz so junge Semester werden sich vielleicht
noch an den Negerwitz erinnern. Aus bekannten Gründen ist dieses Genre
nicht mehr wirklich en vogue. Wenn man aus dem Negerwitz einen Afrikaner- oder
einen Mensch-afrikanischer-Herkunft-Witz zu machen versucht, wird man
entdecken, dass mit dieser sprachlichen Reinigung auch der Witz flöten geht.
Humor und politische Korrektheit vertragen sich nicht, im Gegenteil: Sie sind
natürliche Antipoden. Ein mögliches weiteres Motiv für die Desuetudo rassistischer Sottisen ist einer äußerst erheiternden Kolumne von Dirk Maxeiner und
Michael Miersch zu entnehmen: So scheint die Generation der jungen
Erwachsenen an dem Wort Neger Anstoß zu nehmen, aber die Adjektive schwul und
behindert ohne weiteres (die Empörung ihrer Eltern verwerfend) als abwertende Passepartout-Bezeichnungen zu verwenden.
Apropos: Sprechen wir von den Behinderten. Darf man das überhaupt so
schreiben? Oder muss es nicht vielmehr „Menschen mit Behinderung“ heißen? Oder
gar „Menschen mit anderen“ beziehungsweise „besonderen Fähigkeiten“? Wie dem
auch sei: In zahlreichen Kinderstuben dürfte gelehrt worden sein, dass man über
diese Menschen keine Witze macht. Bei der TAZ hat man diese Lektion ganz
offenbar vergessen oder vorsätzlich außer Acht gelassen. Zu einem Film über den
Blindenfußballer Robert Warzecha heißt es dort nämlich:
Der Weg des blinden Fußballers lässt sich doch auch in wenigen Worten nacherzählen: "Aua, huch, oh, nanu, uups, oje, hoppla, ach, seufz, o weh … Sorry, Schiri. Ich dachte, Sie wären dieser verdammte Torpfosten!" (Im Original mit Hervorhebungen)
Gehen wir einmal davon aus, dass dieser Witz zulässig ist,
weil Humor - in Abwandlung eines häufig missbrauchten Tucholsky-Zitats - ja
bekanntlich alles darf. Aber ist er auch gut? Allein das Spiel mit einem
Klischee macht noch keinen Witz, es ist dafür auch noch ein gewisses
Überraschungsmoment erforderlich. Eben eine Pointe. Die hier völlig fehlt. TAZ: zéro point
ist die Wertung des federführenden Jurors. Aber viel interessanter als das
platte Herumgealbere auf Schulhofniveau ist das Nachspiel zu dieser „Gurke des
Tages“: Ein Funktionär des Deutschen Behindertensportverbandes mahnte bei der
Chefetage der TAZ eine Entschuldigung an, was der verantwortliche Redakteur
laut FOCUS mit den Worten beschied, dass man „normalerweise nicht auf
Stellvertreter-Empörung“ reagiere. Der war aber jetzt wirklich gut! Die TAZ
reagiert nicht auf Stellvertreter-Empörung? Da möchte man doch gleich laut
auflachen, pardon: #aufschreien und Herrn Sarrazin zu seinen einschlägigen Erfahrungen befragen.
Bleiben wir kurz beim großen Diskussionsthema vom Anfang
dieses Jahres: In die Debatte um Deutschlands nunmehr berühmteste
Bar-Anmache schaltete sich auch eine Journalistin namens Silke Burmester ein.
Ihrem Enthusiasmus für den virtuellen Flächenbrand tat sie sichtlich keinen Zwang an:
Denn es ist anders. Es tut sich was. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass nach diesem Kampf die Dinge anders sein werden. Gerade so, wie es in den 70ern gewesen sein muss. Nach Jahrzehnten der kleinen Schritte geht jetzt der Umbruch weiter. In ähnlicher Größe und Tragweite.
Der Kreis schließt sich nun dadurch, dass die besagte Silke
Burmester vor wenigen Tagen in ihrer SPON-Kolumne der fade Witze reißenden TAZ
beigesprungen ist. Böse Zungen würden jetzt vielleicht mutmaßen, dass diese
Solidarität mit dem linken Boulevardblatt (abgesehen von ihrer Mitarbeit an
diesem Periodikum) auch dadurch Nahrung bekommen hat, dass der Autorin
kürzlich von einer großen Einrichtung, für deren Magazin ich schreibe, […] die Sätze eines Filmregisseurs gestrichen [wurden], der über die Schwierigkeiten berichtete, die die Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom mit sich bringen kann.
Die Conclusio der TAZ-Apologie richtet sich dann direkt an
die Menschen mit Behinderung, anbiedernd in der zweiten Person Plural
formuliert:
Aber euch geht es ja darum, nicht als defizitär wahrgenommen zu werden. Uns auch. Und deswegen behandeln wir euch so beknackt wie andere auch.
Man wird Burmesters Einlassungen wohl in folgendem Satz
zusammenfassen können: „Wer dazugehört, der darf auch verspottet werden.“ Dann
müsste aber auch der Islam, der ja bekanntlich zu Deutschland gehört, eine
legitime Zielscheibe schlechter Witze darstellen, und der künftige Hohn über eine
Aufsichtsratsquotenfrau oder aber entgleiste Komplimente an der Tresenfront wären kein casus belli für ein Trommelfeuer aus dem
Twitter-Arsenal. Man mag sich im Übrigen gar nicht vorstellen, wie die
TAZ und SPON reagiert hätten, wenn die gegenständliche Humoreinlage in einer
gefühlt rechten Zeitung erschienen wäre.
Es ist schon bezeichnend und auch entlarvernd, dass Burmester und Ringel für ihre liberalen
Spiegelfechtereien keinen aggressiveren Gegner gewählt haben. Sich an einer
Personengruppe abzuarbeiten, die verbale Übergriffe lediglich mit einem höflich formulierten
Protestbrief eines Funktionärs beantwortet - das ist Discount-Liberalismus oder Voltaire im Faraday'schen Käfig. Mit diesem - im Sprachgebrauch der
Linken wohl „mutigen“ - Einsatz für die Redefreiheit ist kein Blumentopf und
auch kein Humorpreis zu gewinnen. Es handelt sich dabei nämlich um den
selbstgefälligen Gratismut eines Publizistenmilieus, das sich als Letztinstanz in Sachen Anstand und Moral versteht. An einer solchen Hybris
ist nun wirklich nichts komisch.
Noricus
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