14. Dezember 2013

Meckerecke: Voltaire im Faraday'schen Käfig


Redeverbote sind nicht erst mit der politischen Korrektheit über dieses Land gekommen. Im Gegenteil: Kindern wurde bereits in früheren Zeiten nahegelegt, dass man dieses nicht sage und über jenes keine Witze mache. Humor gehört - um eine Phrase zu dreschen - nicht gerade zu den Kernkompetenzen der Deutschen. Bei Karnevalssitzungen bedarf es eines Tusches, damit auch ja niemand überhört, dass gerade etwas Lustiges in seine Ohren gedrungen ist. Lachen auf Kommando - das passt zu dem germanischen Untertanengeist, den uns so leicht keiner nachmacht.
Wenn Sie ob dieser bissigen Einleitung in Ihrer Magengegend Unmut aufkeimen fühlen und sich gerade anschicken, auf den Link zum Kleinen Zimmer zu klicken, um dieser unverschämten Nestbeschmutzung einige klare Worte entgegenzusetzen, dann ist das gut. Dann können Sie nämlich nachfühlen, wie Humor manchmal eben auch ist: verletzend, zum Widerspruch anregend, eine Grenze überschreitend. Nicht jeder lacht über das Gleiche, geschweige denn über dasselbe.
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Humor ist außerdem häufig stereotyp. Die meisten Witze bedienen Klischees oder spielen damit. Wenn zwei Schwaben bei einer Hochtour in eine Gletscherspalte fallen und am nächsten Tag - nach einer durchzitterten Nacht - eine sonore Stimme hören, die ihnen zuruft: „Hier ist die Bergwacht Hintertupfing.“ Wie lautet dann ihre Erwiderung? Genau: „Mir gäbet nix!“ Und wenn zwei Jäger sich treffen oder am Wirtshaus vorbeigehen, dann ist das bereits der gesamte Jokus.
Viele Zeitgenossen dürften einen Bayern-, Sachsen-, Ostfriesen-, Burgenländer-, Aargauer-, Blondinen-, Beamten-, Arzt- oder Pfarrer-Witz im Repertoire haben, um diese Aufzählung nicht ad nauseam fortzuführen. 
Nicht mehr ganz so junge Semester werden sich vielleicht noch an den Negerwitz erinnern. Aus bekannten Gründen ist dieses Genre nicht mehr wirklich en vogue. Wenn man aus dem Negerwitz einen Afrikaner- oder einen Mensch-afrikanischer-Herkunft-Witz zu machen versucht, wird man entdecken, dass mit dieser sprachlichen Reinigung auch der Witz flöten geht. Humor und politische Korrektheit vertragen sich nicht, im Gegenteil: Sie sind natürliche Antipoden. Ein mögliches weiteres Motiv für die Desuetudo rassistischer Sottisen ist einer äußerst erheiternden Kolumne von Dirk Maxeiner und Michael Miersch zu entnehmen: So scheint die Generation der jungen Erwachsenen an dem Wort Neger Anstoß zu nehmen, aber die Adjektive schwul und behindert ohne weiteres (die Empörung ihrer Eltern verwerfend) als abwertende Passepartout-Bezeichnungen zu verwenden.
Apropos: Sprechen wir von den Behinderten. Darf man das überhaupt so schreiben? Oder muss es nicht vielmehr „Menschen mit Behinderung“ heißen? Oder gar „Menschen mit anderen“ beziehungsweise „besonderen Fähigkeiten“? Wie dem auch sei: In zahlreichen Kinderstuben dürfte gelehrt worden sein, dass man über diese Menschen keine Witze macht. Bei der TAZ hat man diese Lektion ganz offenbar vergessen oder vorsätzlich außer Acht gelassen. Zu einem Film über den Blindenfußballer Robert Warzecha heißt es dort nämlich:

Der Weg des blinden Fußballers lässt sich doch auch in wenigen Worten nacherzählen: "Aua, huch, oh, nanu, uups, oje, hoppla, ach, seufz, o weh … Sorry, Schiri. Ich dachte, Sie wären dieser verdammte Torpfosten!" (Im Original mit Hervorhebungen) 

Gehen wir einmal davon aus, dass dieser Witz zulässig ist, weil Humor - in Abwandlung eines häufig missbrauchten Tucholsky-Zitats - ja bekanntlich alles darf. Aber ist er auch gut? Allein das Spiel mit einem Klischee macht noch keinen Witz, es ist dafür auch noch ein gewisses Überraschungsmoment erforderlich. Eben eine Pointe. Die hier völlig fehlt. TAZ: zéro point ist die Wertung des federführenden Jurors. Aber viel interessanter als das platte Herumgealbere auf Schulhofniveau ist das Nachspiel zu dieser „Gurke des Tages“: Ein Funktionär des Deutschen Behindertensportverbandes mahnte bei der Chefetage der TAZ eine Entschuldigung an, was der verantwortliche Redakteur laut FOCUS mit den Worten beschied, dass man „normalerweise nicht auf Stellvertreter-Empörung“ reagiere. Der war aber jetzt wirklich gut! Die TAZ reagiert nicht auf Stellvertreter-Empörung? Da möchte man doch gleich laut auflachen, pardon: #aufschreien und Herrn Sarrazin zu seinen einschlägigen Erfahrungen befragen.
Bleiben wir kurz beim großen Diskussionsthema vom Anfang dieses Jahres: In die Debatte um Deutschlands nunmehr berühmteste Bar-Anmache schaltete sich auch eine Journalistin namens Silke Burmester ein. Ihrem Enthusiasmus für den virtuellen Flächenbrand tat sie sichtlich keinen Zwang an: 

Denn es ist anders. Es tut sich was. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass nach diesem Kampf die Dinge anders sein werden. Gerade so, wie es in den 70ern gewesen sein muss. Nach Jahrzehnten der kleinen Schritte geht jetzt der Umbruch weiter. In ähnlicher Größe und Tragweite.

Der Kreis schließt sich nun dadurch, dass die besagte Silke Burmester vor wenigen Tagen in ihrer SPON-Kolumne der fade Witze reißenden TAZ beigesprungen ist. Böse Zungen würden jetzt vielleicht mutmaßen, dass diese Solidarität mit dem linken Boulevardblatt (abgesehen von ihrer Mitarbeit an diesem Periodikum) auch dadurch Nahrung bekommen hat, dass der Autorin

kürzlich von einer großen Einrichtung, für deren Magazin ich schreibe, […] die Sätze eines Filmregisseurs gestrichen [wurden], der über die Schwierigkeiten berichtete, die die Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom mit sich bringen kann.

Die Conclusio der TAZ-Apologie richtet sich dann direkt an die Menschen mit Behinderung, anbiedernd in der zweiten Person Plural formuliert:

Aber euch geht es ja darum, nicht als defizitär wahrgenommen zu werden. Uns auch. Und deswegen behandeln wir euch so beknackt wie andere auch.

Man wird Burmesters Einlassungen wohl in folgendem Satz zusammenfassen können: „Wer dazugehört, der darf auch verspottet werden.“ Dann müsste aber auch der Islam, der ja bekanntlich zu Deutschland gehört, eine legitime Zielscheibe schlechter Witze darstellen, und der künftige Hohn über eine Aufsichtsratsquotenfrau oder aber entgleiste Komplimente an der Tresenfront wären kein casus belli für ein Trommelfeuer aus dem Twitter-Arsenal. Man mag sich im Übrigen gar nicht vorstellen, wie die TAZ und SPON reagiert hätten, wenn die gegenständliche Humoreinlage in einer gefühlt rechten Zeitung erschienen wäre.
Es ist schon bezeichnend und auch entlarvernd, dass Burmester und Ringel für ihre liberalen Spiegelfechtereien keinen aggressiveren Gegner gewählt haben. Sich an einer Personengruppe abzuarbeiten, die verbale Übergriffe lediglich mit einem höflich formulierten Protestbrief eines Funktionärs beantwortet - das ist Discount-Liberalismus oder Voltaire im Faraday'schen Käfig. Mit diesem - im Sprachgebrauch der Linken wohl „mutigen“ - Einsatz für die Redefreiheit ist kein Blumentopf und auch kein Humorpreis zu gewinnen. Es handelt sich dabei nämlich um den selbstgefälligen Gratismut eines Publizistenmilieus, das sich als Letztinstanz in Sachen Anstand und Moral versteht. An einer solchen Hybris ist nun wirklich nichts komisch.
Noricus


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