15. Oktober 2025

Ein leichter Kontrast



Manchmal fügt es der Zufall, der unvorhersehbare Gang der Zeitläufe (angesichts der Tragik der Ereignisse wäre es allerdings frivol, hier Hegels Wendung von der „List der Vernunft“ zu bemühen), daß ein Bild – oder in diesem Fall: der Kontrast zwischen mehreren – wie nichts anderes dazu taugt, einen Moment in der Geschichte symbolisch festzuhalten, zu illustrieren, eine Wendung im Gedächtnis der Nachwelt einzufrieren. Das sind Bilder, die tatsächlich „mehr als tausend Worte sagen“ – und bei denen man sich jede weitere Erläuterung schenken kann. Das berühmte Foto, das der deutsche Photograph Thomas Höpker (er ist vor einem Jahr im Alter von 88 Jahren gestorben) am 11. September 2001 aufgenommen hat, gehört dazu: Im Hintergrund, auf der anderen Seite des Hafens von New York, steigen schwarz die Rauchsäulen aus den getroffenen Twin Towers wie ein Fanal in den Himmel, und davor sitzt eine Gruppe junger Menschen, die unbeschwert und ohne jede Ahnung des entsetzlichen Geschehens in ein Gespräch vertieft sind. Vergangenheit und Zukunft zugleich: in einer Sekunde für alle Zeit auf ein Bild gebannt.

Im aktuellen Fall, fast ein Vierteljahrhundert danach, geht es mir um etwas viel „Niederschwelligeres,“ nämlich den Kontrast zwischen der Sicht der Medien auf einen Politiker, die wie kein anderer in diesen 25 Jahren eben diese Medien (die klassischen wie die modernen „sozialen“) gespalten und polarisiert hat, seit er zuerst vor acht Jahren für ein öffentliches Amt kandidiert hat: aus deutscher Perspektive – und aus der Sicht der von ihm verantworteten Politik unmittelbar Betroffenen.

­ Aus israelischer Sicht, Oktober 2025:



(Die Titelseite der „Jerusalem Post“ vom 12. Oktober)



(Trump spricht gestern mit den Familien der freigelassenen Geiseln in der Knesset)

Aus deutscher Sicht, Oktober 2017:







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Zwei kurze Anmerkungen dazu möchte ich aber noch hinzusetzen.

Zum einen: Seit einiger Zeit wird in „pro-palästinensischen“ Kreisen, bei den Demonstrationen der Unterstützer und in unzähligen Meldungen und Postings auf X und Facebook die Behauptung aufgestellt, die israelische Armee begehe seit jetzt zwei Jahren mit ihrem Vorgehen im Gazastreifen „einen Völkermord.“ Angesichts der weitgehenden Zerstörung der Gebäude, der Infrastruktur, dürfte diese Wendung auch bei Zuschauern, die nicht aktiv auf der Seite der Palästinenser engagiert sind, nicht „ganz abwegig scheinen.“ Am Samstag, dem 11. Oktober 2025, hat die Hamas selbst die Zahlen der Getöteten auf der eigenen Seite in der Zeit zwischen dem 10. Juli 2023 (also ein Vierteljahr vor dem „7. Oktober“) bis jetzt bekannt gegeben. Danach sind in diesem Zeitraum 31.574 Männer, 20.179 Kinder, 10.427 Frauen und 4.813 Ältere getötet worden, insgesamt also 67.713. Nach den Angaben der Hamas waren darunter 56.000 „eigene Kämpfer.“ Dazu ist zu sagen, daß bekannt ist, daß zum einen die Hamas Jugendliche ab 15 Jahren für ihre Terroreinheiten rekrutiert, und zum anderen in diesen Zahlen die 4000 Toten enthalten sind, die statistisch in einem Zeitraum von zwei Jahren bei einer Bevölkerung mit einer vergleichbaren Altersstruktur zu erwarten sind. Im Gazastreifen leben gut zwei Millionen Menschen. Was die israelische Armee seit zwei Jahren führt, ist eine kriegerische Auseinandersetzung unter den schlimmsten Bedingungen, unter denen eine Armee überhaupt kämpfen kann: nämlich ein Häuserkampf, in Tunneln, ohne eigene Deckungs- und freie Positionierungsmöglichkeiten, mit einem Kampf um jedes einzelne Zimmer. Seit den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg wissen Militärhistoriker, daß eine solche Kriegsführung – die sich die IDF nicht ausgesucht hat, sondern zu der sie durch den Ausbau des Gazastreifens zu einem einzigen Heerlager gezwungen sieht – zu den größten Verlusten, nicht nur unter den eigenen Soldaten, sondern eben auch unter Zivilisten, die sich dort befinden, führt. Nach den Angaben der Hamas selbst kommt hier auf 6,4 „eigene Kämpfer“ ein getöteter Zivilist. Ein solches Verhältnis hat es bislang in keinem modernen Krieg gegeben. Den Vorwurf des „Völkermords“ hat die Hamas damit selbst mit den von ihr genannten Zahlen widerlegt.

Zum anderen: Trotz des Jubels und der Erleichterung in Israel über das Abkommen zwischen der israelischen Regierung und der Hamas am 9. Oktober unterzeichnet worden ist und einen Tag darauf in Kraft getreten ist, zögern noch viele Beobachter und Kommentatoren, sich dieser Begeisterung anzuschließen. Das ist verständlich: die Hamas ist eine reine Terror-Organisation; ihr ganzes Interesse ist auf die Vernichtung des Staates Israel gerichtet, die Verbesserung der Lebensverhältnisse in ihrem Herrschaftsgebiet war niemals ihr Ziel, sondern nur die Feindschaft zum jüdischen Volk und seine Vernichtung. Zu groß ist die Befürchtung, daß in den kommenden Jahren eine Neuauflage der Entwicklung stattfinden wird, wie sie seit dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen und den Machtübergabe an die palästinensische Autoritätsbehörde 2005 erfolgt ist: eine Umleitung von Milliarden von internationalen Hilfsmitteln zur eigenen militärischen (Wieder-)aufrüstung, eine Terrorherrschaft dieser Miliz, eine fanatische Indoktrinierung zum Hass auf alles jüdische Leben. Die 21 Punkte des von der Trump-Administration am 29. September vorgestellten Friedensplans sehen eine „vollständige Entwaffnung“ der Hamas vor und einen Ausschluß von jedwedem künftigen Einfluß auf das öffentliche Leben im Gazastreifen und seinen Wiederaufbau. Es kommt nicht überraschend, daß einzelne verbliebene Führer der Hamas gestern das Abkommen grundsätzlich abgelehnt und eine weitere Fortsetzung des „Kampfes bis zum Sieg“ angekündigt haben.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit der jetzt eingetretene Friedenzustand aufrechterhalten werden kann. Die gestern erfolgte Freilassung der letzten 20 noch überlebenden Entführten umfaßt nur drei der insgesamt 14 Unterpunkte des in Scharm-el-Scheich unterzeichneten Abkommens. Entscheidend ist etwas anderes: daß zu den Vermittlern dieses Abkommens die Türkei und Ägypten gehören, und vor allem Katar, bisheriger Hauptfinanzierer und Rückzugsort der Hamas-Führung. Damit haben sich diese Regierungen eindeutig positioniert und sind durch internationale Verträge daran gebunden. Und das beutet auch, daß ein offener Verstoß für diese Regierungen mit Kosten verbunden sein wird, mit der Kündigung von Handelsabkommen, mit empfindlichen Sanktionen. Die militärische Infrastruktur der Hamas, ihre Waffenlager und Tunnel, dürften weitgehend zerstört sein, und man kann davon ausgehen, daß die israelische Regierung nicht zulassen wird, daß die internationalen Mittel, die für den Wiederaufbau des Gazastreifens vorgesehen sind, zu einer erneuten Aufrüstung mißbraucht werden. Nach der Freilassung der letzten Geiseln gäbe es in einem solchen Fall für die IDF keinerlei Grund mehr, hier noch Rücksicht bei einem Vorgehen gegen diese „Freiheitskämpfer“ zu nehmen. Einen zweiten 7. Oktober wird es in Israel nicht geben. Niemals. Daß der schwärende Haß, der unter der Bevölkerung im Gazastreifen auf den Staat Israel und auf die Juden herrscht, einfach durch den Austausch von Schulbüchern und Lehrkörpern verschwindet, darüber wird man sich in Jerusalem und Tel Aviv keinerlei Illusionen hingeben. Zu sehr kennt man den Gegner, den Feind, seit nunmehr drei Generationen. Aber selbst in fanatisch verblendeten Hirnen, die „den Tod mehr lieben als das Leben,“ dürfte noch Platz für die schlichte Lebenserfahrung sein, daß eine Existenz in Frieden und wachsendem Wohlstand dem Leben während der letzten 24 Monate allemal vorzuziehen ist. Oder, wie es Golda Meir schon 1957 ausdrückte: „Frieden wird dann herrschen, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben als sie uns hassen.“

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PS. Nachtrag zur obigen kleinen Presseschau: Doch, es geht noch peinlicher:



("Welt Online" vom 12. Oktober 2025)


U.E.

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