6. Mai 2025

"Merzisto"





("Mephisto." 19. Jh. Unbekannter Künstler)

Faust:

Gesetzt den Fall, ich wählte dich.
Was, sag‘ es ehrlich, wartet dann auf mich?

Merzisto:

Du kennst aus alten Schriften meine Rolle:
Neu ist das Los nicht, das mir auserkoren.
Wer mir vertraut, hat die Kontrolle
Verläßlich über sich verloren.
Ich bin der Geist, der stets das Gegenteil umsetzt
Von dem, was ich im Wahlkampf noch geschwätzt.
Ich spreche dem, was ihr geglaubt habt, Hohn:
Der Undank aller Macht war stets des Wählers Lohn!
So war es stets und wird es immer sein.
Sie lernen’s nie und fallen stets herein. ­
Schenkst du mir blindlings dein Vertrauen
Wirst du verdattert in die Röhre schauen.
Doch setzt du auf ein zynisches Kalkül
Durchschaust du klug mein abgekartet' Spiel.
Wenn sie sich mir mit leichtem Sinn verschreiben
So will ich Schabernack mit ihnen treiben!
Das Glauben, Hören und das Sehen
Soll diesen Blinden ganz und gar vergehen -
Ich will sie beuteln, wie’s noch nie geschehen.
„Mundus vult decipi“ - das wußten schon die Alten.
So ist die Welt: sie will betrogen sein.
- Und wer ein Amt anstrebt, ist von Natur gemein –
Der Rat ist gut: ich will mich daran halten.
Das alles dünkt mich nur noch ein Debakel,
Und sie bekommen‘s links wie rechts vors Tabernakel!
Du glaubst es nicht und wendest dich mit Grausen?
Mir ist es gleich - ich will sie trefflich zausen!



(Anton Kaulbach, "Faust und Mephisto", um 1900)

Faust:

So ist es recht. Ein Mann von echtem Schrot und Korn.
Was war, es schert dich nichts und du blickst nur nach vorn.
Doch sag‘: fürchtest du nicht des Wählers Zorn?

Merzisto:

Oh, da wird es mir gehen wie grad allen
Die dieses Spiel vor mir mit diesem Land getrieben:
Kein Fleckchen auf der Weste ist geblieben.
Wer nur genügend dreist betrügt, ist stets noch weich gefallen.
Angela, Ursel, Olaf, auch der Karlatan:
Sie ziehen ungeschoren ihre Bahn.
Der Deutsche läßt sich nicht lang bitten:
Du stapelst hoch und bleibst stets wohlgelitten.
Was liegt daran, auch wenn sie sich beklagen?
Sie lassen sich stets neu ins Bockshorn jagen.
Und ist’s dein Plan, das Haus in Brand zu setzen
Um sich am bunten Spiel der Flammen zu ergötzen
Wie Nero einst, als Rom lichterloh brannte
Kehrt dich dergleichen nicht, in modo conflagrante!

Faust:

Du weißt: wenn du solch lose Reden führst,
Du diesen Staat, wie es jetzt heißt, deligitimierst?
Und seine Büttel, ungebeten
Des Morgens deine Wohnungstür eintreten?

Merzisto:
Was soll mir eine solche Frage frommen?
Allein der schnöde Pöbel muß sich deshalb sorgen
Und halte Unbotmäßiges verborgen.
Der Kreis der Macht bleibt davon ausgenommen.

Faust:

Das ist mal recht gesprochen. Gehn wir’s an!
Hältst du dein Wort, dann bin ich ganz dein Mann.

(Aus: „Merz. Der Tragödie aktueller Teil“)



(Offizielles Plakat zur Ausstellung "Teuflisch! Mephisto in der Bibliothek". Die Eröffnung der Austellung in Weimar findet am 8. Mai 2025 statt; sie läuft bis Halloween, dem 31. Oktober 2025.)

Angesichts der frappanten Ähnlichkeiten bleibt dem angelegentlichen Chronisten der Zeitläufte nur noch, zu befinden: Lavater hatte recht.

* * *

Wir verbleiben im Bereich der deutschen Literatur und ihrer „klassischen Epoche“ – also den Jahren zwischen den ersten literarischen Gehversuchen Lessings und Klopstocks in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts und Goethes Tod in Weimar 1832. Die Erhebung des englischen Dramatikers aus Stratford-upon-Avon, in seiner Heimat oft nur als „the Bard“ bezeichnet, zum „dritten deutschen Klassiker“ fällt zeitgleich mit der Apotheose des Dioskurenpaars Goethe-und-Schiller (man muß sich in diesem Bereich der Genienverehrung die Bindestriche stets dazudenken) zusammen, als deren Höhepunkt man die Feiern zum hundertsten Geburtstags des Schwäbischen Nationalpoeten 1859 nehmen darf. Die Grundlage dieser allgemeinen Wertschätzung verdankt sich der Gesamtausgabe der Shakespeareschen Dramen durch Ludwig Tieck und August Wilhelm Schlegel – daneben waren auch Caroline Schlegel, Dorothea Tieck und Wolf Heinrich von Baudissin an dem Mammutwerk beteiligt - deren Buchpublikation sich zwischen den Jahren 1801 bis 1833 ziemlich schleppend und sporadisch anließ. Und die Vorbereitung dafür, daß Shakespeares Dramen dem Publikum bekannt genug und in ihren anarchischen Verstößen gegen alle Konventionen eines „well-made play“ gegen die dramatische Tradition von Aristoteles bis zu Racine als Ausdruck dichterischer Freiheit und Selbstbestimmung – eben als Ausweis genialer Kreativität, die sich ihre eigenen Regeln erschafft, anerkannt werden konnte, hatte Martin Christoph Wieland gelegt, der zwischen 1762 und 1766 insgesamt 22 Stücke aus der 1765 abgeschlossenen Werkausgabe von William Warburton auf Deutsch vorlegte.

Seitdem ist am fest zementierten Rang Shakespeares im deutschen Literaturkanon nicht mehr gerüttelt worden; selbst die beiden totalitären Interludien zwischen 1933-1945 und 1945-1989 waren eifrig bemüht, seine Stücke als eisernes Fundament der eigenen Kultiviertheit aufzupolieren - auch wenn man ihn nur sehr bedingt zu einem Vorkämpfer einer völkisch-rassistischen Ideologie oder aufrechten Klassenkämpfer avant la lettre umschminken konnte – obwohl es an Versuchen in beider Hinsicht nicht gemangelt hat. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis des Jahrbuchs der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft der Jahrgänge 69 bis 79 für die Jahre 1933 bis 1943, und - in bescheidenerem Maß - nach der Trennung der bis dahin gesamtdeutschen Gesellschaft in eine Weimarer und eine Bochumer Abteilung läßt die Gradwanderung erahnen, die aus dem Balanceakt zwischen ernstzunehmender philologischer Arbeit und dem Bedürfnis, sich den ideologischen Vorgaben des Regimes zu unterwerfen, erwuchs. Bennett Cerf und Victor Navasky zitieren in ihrem unübertroffenen Florilegium „The Experts Speak“ (erschienen bei 1984 bei Pantheon Books, New York, dessen Untertitel „The Definitive Compendium of Authoritative Misinformation“ heute für jeden Faktenchecker ein Ausweis „gesichert rechtsextremer“ Orientierung sein dürfte) eine Passage aus der in New York verlegten stramm NS-ausgerichteten Zeitung „Deutscher Weckruf und Beobachter“, des Organs des German-American-Bund mit einer Auflage von gut 20.000 Exemplaren vom Juni 1940 (also zu einer Zeit, als sich die USA noch nicht im Krieg mit den Achsenmächten befanden und der Isolationismus im Land noch viel Zuspruch fand: „Eine überraschende Zahl von Leuten zählen Shakespeare, den klassischen deutschen Autor, zur englischen Literatur, weil er - der zufällig in Stratford-on-Avon geboren wurde – von der Obrigkeit jenes Landes dazu gezwungen wurde, seine Werke auf Englisch zu verfassen.“ (zitiert nach: „The American Mercury“ vom Juli 1940, S. 322.)

Langer Vorrede kurzer Sinn: in der allerersten Übersetzung eines shakespear’schen Dramas, „Versuch einer gebundenen Uebersetzung des Trauer-Spiels von dem Tode des Julius Cäsar,“ die der preußische Diplomat Kaspar Wilhelm von Borcke (1704-1747) 1741 beim Berliner Verleger Ambrosius Haude herausbrachte, findet sich ein Passus, der - freilich unbeabsichtigt – zum unserem Thema paßt. Borck (der Name taucht in mehreren Varianten auf, mit und ohne finales „e“) bringt seine Textvorlage, ganz dem Geist der Zeit entsprechend, in gereimte Alexandriner, was dem Text für einen heutigen Leser, der an die ungereimten Blankverse des Originals gewohnt ist, einen ganz eigenen Charme entwickelt. Dafür hält sich Borcke genau an die Vorgabe des Textes - anderes als viele Bearbeiter des achtzehnten Jahrhunderts wie etwa der Londoner Bühnenstar David Garrick, der als verstoßener König Lear nicht etwa auf der Heide sein Ende findet, sondern nach Heilung seines Wahns wieder in seine alte Königswürde eingesetzt wird, oder Romeo und Julia, denen der Apotheker ein harmloses Schlafmittel untergejubelt, so daß sie sich nach dem Aufwachen glücklich in die Arme sinken können.



(Caspar Wilhelm von Borcke)

Die Szene, in der ein namenloser Wahrsager bei Shakepeare den Helden des Stücks warnt, sich vor den „Iden des März“ vorzusehen, hat Shakespeare aus seiner Quelle, der Doppelbiographie des griechisch-römischen Autors Plutarch von Alexander dem Großen und dem römischen Feldherrn (Caesar 63) entnommen. Das Fehlen einer genormten Orthographie führt bei Borck zur Schreibweise „Merz“ – und da er sich nicht sicher sein konnte, daß das pp. Publico der reisenden Vaganten auf den improvisierten Bühnen wußte, daß mit den „Iden“ die Monatsmitte gemeint war, wird bei ihm daraus ein „halber Merz.“ In der „ersten Handlung, erster Auftritt“ heißt es nun bei Borck (Marcus Antonius, im Original nur bündig als Marc Anthony geführt, wird hier zum leicht unklassisch anmutenden „Anton“):

Anton.
Ich nehm es wohl in acht.
Wenn Cäsar sagt: thu dies: so ist es gleich vollbracht.

Der Wahrsager.
O! Cäsar ...

Cäsar.
Wer ruft?

Casca.
………………………He! Stille! redet leise! Seyd stille noch einmahl.

Cäsar.
Wer ists? wer rufet mich?
Wer ist es im Gedräng? ich höre fürchterlich,
Daß jemand Cäsar schreyt. Der Schall von dieser Zungen
hat viel durchdringender, als die Musick geklungen.
Sprich! Cäsar wendet sich, und hört dich gnädig an.

Der Wahrsager.
Traut nicht dem halben Merz.

Cäsar. ……………………Wer ist denn dieser Mann?

Brutus.
Ein Weiser sagt: Ihr sollt dem halben Merz nicht trauen.

Cäsar.
Bring ihn hervor. Ich will ihm recht ins Anlitz schauen.

Cassius.
Kerl: komm aus dem Gedräng und schaue Cäsarn an.

Cäsar:
Was sagest du zu mir, nun ich dich sehen kann?

Der Wahrsager.
Trau nicht dem halben Merz.

Cäsar.
…………………………………Er träumet. Laßt ihn stehen.

Cassius.
Wollt ihr den Aufzug nicht von diesem Wetlauf sehen?


Wie schon erwähnt, gibt die Reimform der Borck’schen Fassung einen nicht unbeträchtlichen Charme. Der bekannte Passus, den August Wilhelm Schlegel so überträgt: „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, / mit glatten Köpfen, und die Nachts gut schlafen! / Der Cassius dort hat einen scheelen Blick. / Er denkt zuviel: die Leute sind gefährlich!“

wird in der ersten deutschen Fassung:

Laßt fette Leute stets um mich die Wache thun,
Die glatt am Kopfe sind, und die des Nachtes ruhn.
Dort jener Cassius ist hungrig, unernährlich,
Und dürr. Er denckt zu viel. Die Leute sind gefährlich.




Und der bekannteste Monolog des Dramas, Marcus Antonius' (bzw. Antons) Gedenkrede auf den Ermordeten (III: 2), und neben Hamlets „Schlafen, vielleicht träumen“ der bekannteste Passus im gesamten Oeuvre Shakespeares (in Richard Lesters zweiter Beatles-Klamotte „Help“ von 1965 hat die deutsche Synchronfassung Paul McCartney die Wendung „Freunde, Römer, Landsleute: ich hab‘ mich naßgemacht!“ untergejubelt), liest sich bei Borck so:

Anton.

…………………Römer, Landes-Leute,
Und Freunde, neigt das Ohr zu mir, und hört mich heute,
Ich komme, Cäsars Leich anjetzt, o! glaubet mir,
Nur zu beerdigen, nicht ihn zu preisen hier.
Das Uebel lebt nach uns, was wir begangen haben,
Und was wir Gutes thun, wird oft mit uns begraben.
So mags mit Cäsar seyn. Der edle Brutus hat
Euch alleweil erzehlt: Er gab dem Ehrgeiz Statt.
Es wäre, wär es wahr, ein grausam groß Verbrechen:
Und grausam habt ihr es gesehn, an Cäsarn rächen.
Hier, unter Brutus Gunst, und andrer, fang ich an.
(Denn Brutus ist ein ehrlich braver Mann.)
(Er, samt der Uebrigen, all' ehrlich brave Leute)
Hier, sag ich, fang ich an, wie mir erlaubet heute,
Bey Cäsars Todten-Bahr, die Leichen-Rede nun,
So traurig ich auch bin, so schwer mirs fällt, zu thun.
Er war mein Freund: Ich war von ihm zum Freund erlesen.
Er ist mir jederzeit gerecht und treu gewesen.
Alleine Brutus sagt: Ihn trieb der Ehrgeiz an.
Und sicher, Brutus ist ein herlich braver Mann.
Ihr wißte, daß er nach Rom viel tausend Sclaven brachte;
Aus deren Löse-Geld Rom grosse Schätze machte.
War das in Cäsar wohl vor Ehrgeiz anzusehn?
Er ließ die Noth des Volcks sich tief zu Herzen gehn:
Und wenn der Arme rief, ließ Cäsar Thränen rinnen.
Gewiß. Der Ehrgeiz ist von hätern Stof, und Sinnen.
Alleine Brutus sagt: Ihn trieb der Ehrgeiz an.
Und wahrlich, Brutus ist ein ehrlich braver Mann.
Letzthin, als wir des fest der Lupercalen hielten,
Und auf der Renne-Bahn, im großen Schau-Platz spielten,
Da habt ihrs selbst gesehn: Ich bracht und bote gar
Ihm eine Königs-Cron zu dreyen mahlen dar.
Er aber hat dreymahl die Crone ja versaget.
Soll das der Ehrgeiz seyn, warum man ihn verklaget?
Jedennoch Brutus sagt: Ihn trieb der Ehrgeiz an,
Und Brutus ist fürwahr, ein ehrlich braver Mann.
Ich wiederspreche nicht des edlen Brutus Rede.
Ich sage, was ich weiß. Ich weiß: ihr all und jede
Habt Cäsarn lieb gehabt. Ihr hattet Ursach auch.
Welch Ursach ist es nun, daß ihr nach Menschen Brauch,
Ihn nicht betrauren wollt? Vernunft du bist zu Thieren,
Und Bestien entflohn; weil Menschen dich verliehren!
Sie fühlen jetzt nicht mehr, und zwar durch eigne Schuld,
Was sie zu Menschen macht. O! ... trag mit mir Geduld ...
Bey Cäsar liegt mein Herz im Sarge ganz beklommen
So, daß ich warten muß, bis es zurück gekommen.

Einer vom Pöbel.
Mir deucht, daß vieler Grund in seine Rede sey.
Wenn man es recht erwegt, ist Cäsarn zweifelsfrey
Viel Unrecht zugefügt.

Ein Anderer
…………………Ja. Habt ihr das venommen?
Ich fürcht, ein Ärgrer wird an seine Stelle kommen.

Ein Dritter.
Merckt ihr die Worte wohl? er nahm die Crone nicht.
Ja. Lügen sinds, was man von seinem Ehrgeiz spricht.

Ein Vierter.
Wo das befunden wird; soll mancher schwer und theuer
Es büssen.

Der Andere.
Seht doch, sein Aug ist roth wie Feuer,
Ach arme Seele! schaut! so lange weint er schon.

Der Dritte.
Solch edler Mann ist nicht in Rom, wie Marc Anton.


Und zum Abschluß (in einer ironischen Volte) der Auftakt des Trauerspiels. Man möge mir die Frivolität nachsehen, daß ich an einem Tag, in dem in Deutschland Geschichte geschrieben wird (wenn auch nur in einer winzigen und unbedeutenden Fußnote, das leidige Formelle betreffend) so weitschweifig aus einem Stück Weltliteratur zitiere, in dem ein zentraler Kipp-und Wendepunkt in dramatisch zugespitzter Form behandelt wird (auch wenn Stefan Zweig in seinem Digest der „Sternstunden der Menschheit“ diese „Weltminute“ (O-Ton Zweig) links liegen läßt, um stattdessen den Tod Ciceros dramatisch zu überhöhen, dessen unglückliche Positionierung im Anschluß daran für ihn kein gutes Ende nahm). Der Kleine Zyniker, der mir beim Schreiben stets über die Schulter äugt, nimmt dies als Illustration für Marxens bekannte Aussage im „Achtzehnten Brumaire des Louis Napoleon“: daß die Weltgeschichte zu Wiederholungen neigt, einmal als Tragödie und beim zweiten Mal als Farce.

Erste Handlung. Erster Auftritt.

Der Schau-Platz ist in einer Gasse zu Rom.

Flavius und Marullus Zunfft-Herren mit dem Pöbel.

Flavius.
Fort! fort ihre faules Pack; nach Hause! weg von hier!
Ist heut ein Feyer-Tag? was gibts? vergesset ihr ...
Ihr Handwercks-Bursche sollt nicht in den Gassen streichen
An einem Werkel-Tag ohn eure Handwerks-Zeichen?
Was Handwerks bist du? sprich!

Ein Zimmermann.
…………………Ich? Herr, ein Zimmermann.

Marullus.

Und warum hast du denn so saubre Kleider an?
Wo sind dein Winckelmaaß, dein Schurtz-Fell, deine Trachten?
Wes Handwerks seyd ihr? Kerl!

Ein Schu-Flicker.
…………………………Herr, keinen zu verachten,
Bey seinem Handwerks-Volks bin ich, als wenn ihr sprecht,
Ders besser kan.

Marullus.
……………Allein ich frag, antworte recht,
Was dein Gewerbe sey?

Der Schu-Flicker.
……………………………Nun wohl, ich bin beflissen
Auf meine Nahrung, Herr, mit ehrlichem Gewissen.
Ich beßre wieder aus was alt und ungesund.

Flavius.
Was Handwerk? grober Schelm! Was Handwerk? Lumpen-Hund!

Der Schu-Flicker.
Ey! Herr, ich bitt euch sehr, mich nichts ins Loch zu schicken.
Denn wenn ihr Löcher habt, kann ich euch wieder flicken.

Flavius.
Mich flicken? Loser Schalck! wie? mich! was meynest du?

Flavius.
………………Versohlest du die Schu?

Der Schu-Flicker.
Ja freylich Herr, der Pfriem ist es, wovon ich lebe;
Und weiter nicht nach Manns-noch Weiber-Händeln strebe.
Mit einem Wort: ich bin ein alter Schu-Barber.
Wenn sie gefährlich wund, so bringet man sie mir,
Daß ich sie heylen muß. Den allerzartsten Füssen,
So nur auf Leder gehn, hab ich sie pflastern müssen.

Flavius.
Und warum bist du nicht auf deiner Arbeits-Banck?
Warum verführest du das Volck zum Müßiggang?

Der Schu-Flicker.
Vornemlich, Herr, daß es die Schue brav verderbe,
Damit ich armer Mann mein Stückchen Brodt erwerbe.
Allein wir machen auch vor Cäsarn Feyertag.
Daß man den Einzug sehn, und sich erfreuen mag.


(Die Szene hat bei Kommentatoren der Literaturgeschichte mitunter für Kopfzerbrechen gesorgt, die sich gefragt haben, wie das knappe Dutzend Schaupieler, die die Gruppe der King’s Men umfaßte, „eine große Menschenmenge“ darstellen konnte. Aus dem Kontext dürfte aber eindeutig sein, daß sich hier zwei dieser Schauspieler an die Zuschauer im Globe Theatre gewendet haben, unter denen wiederum einige Komparsen für die Gegenrede zuständig waren. Und da die Londoner Theater am Sonntag und abends geschlossen waren - schließlich lagen sie außerhalb der Stadtmauern -, fanden sich natürlich die Zuschauer in ihrer Arbeitskleidung ein, um „den großen Julius Cäsar“ zu sehen: "we've come to see great Caesar!" wie es im Orignal heißt.)

* * *

Immerhin ist es der Truppe im Berliner Welttheater heute nachmittag gelungen, die fällige Stafettenübergabe von Olaf dem Vergesslichen an Friedrich den Wortbrüchigen doch noch über die Bühne gehen zu lassen, wenn auch nach einer bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht dagewesenen Startpanne. Die Zukunft wird zeigen, ob man darin eine ungeschickte Verstolperung sehen darf – oder ob sich das in die Reihe der unheilvollen Omina einreiht, die bei Shakespeare Caesars Gattin Calpurnia aufzählt und die fürwahr keine ersprießliche Zukunft für das Land ankündigen.

Bis dahin dürfen wir uns mit diesem Netzfund begnügen:










U.E.

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