21. April 2023

Starship





I.

Ich muß zugeben, daß ich – als Chronist in Sachen Raumfahrt und besonders der Entwicklung von SpaceX, dem erfolgreichsten privaten Unternehmen in dieser Branche - ein tiefes Gefühl des Enttäuschung, des Bedauerns nicht unterdrücken konnte, als heute am frühen Nachmittag – oder am frühen Morgen, nach der Ortszeit in Texas – der Erststart des Starship fast genau vier Minuten nach dem Abheben in der Starbase in Boca Chica, genau an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko – 30 Kilometer über en Golf von Mexiko ein Ende fand, als die in ein unkontrolliertes Trudeln geratene Rakete von der Flugleitung gesprengt wurde. Dabei gibt es, bei Licht betrachtet, keinen Grund, hier enttäuscht zu sein.

Und dennoch: zu hoch war die Spannung, mit der der erste Testflug der größten Rakete, die jemals gebaut worden ist, erwartet wurde – besonders, nachdem der erste Countdown vor drei Tagen, am Montag, den 17. April 2023, acht Minuten vor der Zündung abgebrochen worden war. Und zu lang war die Pause seit dem letzten Start, als vor fast genau zwei Jahren, am 5. Mai 2021, ein Prototyp der Zweitstufe des Starship, ebenfalls als „Starship“ bezeichnet“ endlich, im sechsten Anlauf, den ersten Probeflug bis in 10 Kilometern Höhe erfolgreich absolvierte und SN 15 nicht nach der Landung in einem Feuerball explodierte wie seine Vorgänger, an denen das Prinzip, eine 50 Meter hohe Rakete mit einem Gewicht von 100 Tonnen - ohne Treibstoff - senkrecht zu landen. (Zum Vergleich: der Booster, die Startstufe der Falcon von Space X wiegt bei einer Höhe von 70 Metern unbetankt nur 25 Tonnen.) SpaceX-Chef Elon Musk hatte im Vorfeld vor allzu hohen Erwartungen gewarnt. Es könne noch allzuviel beim Start und dem Flug des noch nie erprobten Gesamtsystems fehlschlagen. Am Sonntag, vor dem ersten Countdown, hatte er erklärt: „Alles, was dazu führt, daß die Startrampe nicht zerstört wird werten wir als Erfolg – wenn wir es weit genug schaffen, um sie nicht in die Luft zu jagen.“ Überstanden hätten die beiden Stufen, das Starship wie die 70 m hohe Erststufe, ebenfalls „Booster“ genannt, den ersten Einsatz auf keinen Fall. Der Booster wäre im Meer versunken wie alle Startstufen der amerikanischen Raketen seit dem Beginn des Raumfahrtzeitalters, bevor SpaceX im September 2013 beim sechsten Flug einer Falcon 9 die erste erfolgreiche Landung gelang. Das Spaceship selbst – die zweite Stufe – wäre nach der Zurücklegung fast eines ganzen Erdorbits eineinhalb Stunden später beim Wiedereintritt in die Atmosphäre über dem Pazifik östlich von Hawaii verglüht.



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Wenn das Starship – das Gesamtsystem – erst einmal ausgereift und fluggetestet ist – sollen bei Stufen weich landen und für weitere Flüge wiederverwendet werden. Das Starship soll, wie man es bei den bisherigen Testflügen gesehen hat, „bäuchlings“ durch die tieferen Schichten der Atmosphäre fallen, dabei den größten Teil seiner Geschwindigkeit durch Reibung verlieren, in einigen Kilometern Höhe in die Vertikale schwenken und anschließend durch die kurze Zündung der Triebwerke abgebremst senkrecht landen. Der Booster kehrt nach der Stufentrennung zu seinem Startplatz zurück, wird ebenfalls von seinen Triebwerken gebremst – aber anstatt weich aufzusetzen, wird er von zwei gewaltigen Gitterarmen, die beweglich seitlich am Startturm montiert sind, aufgegfangen. Wie der Booster der F9 weist auch der von Starship vier Gitterflossen auf, die zur Steuerung beim „Rücksturz zur Erde“ dienen – nur in diesem Fall nicht auf zwei Dritteln der Höhe der Stufe, sondern an ihrem oberen Ende. Und diese Gitterflossen sollen auf der Oberkante dieser Greifarme, von Elon Musk als „Mechazilla“ bezeichnet, aufsetzen. Für den Startturm auf der Starbase in Boca Chica in Florida sind diese „Chopsticks“ Ende 2021 montiert und Anfang Januar 2022 zum ersten Mal getestet worden; die Montage auf der Startrampe 40 im Kennedy Space Center in Florida ist im Januar 2023 erfolgt. Vor vier Tagen dienten diese Arme auch dazu, das Schiff N24 auf den Booster 7 zu setzen für den entstehenden Start zu setzen.



Elon Musk hatte am 16. März, wohl eher im Scherz, angedeutet, daß der erste Startversuch des Starship am 20. April erfolgen könnte. Der Kleine Zyniker, die hier bekanntlich stets mitschreibt, sieht deshalb in dem ungeplanten Abbruch des ersten Countdowns vor vier Tagen einen weiteren Hinweis, daß diese „sogenannte Wirklichkeit“ in Wirklichkeit (sit venia verbo) eine Simulation darstellt, deren Programmier gern durch solche Scherze auf sich aufmerksam machen. (Er merkt übrigens an, daß das erste „Easter Egg,“ das ihm in dieser Hinsicht verdächtig vorkam, der „Al Gor-Effekt“ war. Aber das ist eine andere Geschichte.) Der Abbruch am Montag war notwendig geworden, weil ein Ventil in einer der Leitungen eingefroren war, die zur Zuleitung flüssigen Sauerstoffs dienen, um die Brennkammer der 33 Raptor-Triebwerke während der Zündung zu kühlen. Um die Energiedichte des Treibstoffes zu erhöhen und somit mehr Schub erzeugen zu können, verwendet SpaceX Methan und Sauerstoff in flüssiger Form in unterkühltem Zustand, bei einer Temperatur von minus 191 Grad für den Sauerstoff.

II.









Heute gab es dagegen keinerlei Probleme mit der Betankung der Rakete. Auch das Wetter, das in der vergangenen Nacht der Flugleitung noch Sorgen bereitet hatte, weil es zunächst so aussah, als könnten zu starke Höhenwinde den Start gefährden, spielte mit und sorgte für einen netten dramatischen Effekt, als der dichte Morgennebel nach Sonnenaufgang die Rakete, den Startturm und den Starttisch verhüllte, aus dem das Ensemble erst eine Viertelstunde für dem Abheben wieder auftauchte. Aber unmittelbar nach der Zündung, nachdem Starship gute zehn Sekunden benötigte, um den nötigen Schub zum Abheben aufzubauen, zeigten sich die Probleme, die dann 199 (bzw. 189) Sekunden später in einem Feuerball endeten. Auf der Statusanzeige für Treibstoffvorrat und Funktion der Treibwerke war klar zu sehen, daß drei der Raptor-Triebwerke nicht gezündet hatten – eines der drei in Dreiecksformation in der Mitte der Stufe, und zwei nebeneinanderliegende der 20, die den zweiten, äußeren Ring bilden. Vor den 33 Motoren, die der Erststufe eine Schubkraft von 16,9 Millionen Pfund (oder 75,351 KiloNewton, kN)) verliehen, sind nur die drei im Zentrum und die 10 der ersten, inneren Rings schwenkbar montiert, um die Rakete beim Start lenken zu können. In zwei Kilometern Höhe, 39 Sekunden nach der Zündung, bei einer Geschwindigkeit von 450 km/h, kam es zum Ausfall eines vierten Triebwerks am äußeren Ring, den beiden schon ausgefallenen genau gegenüberliegend; bei eine Minute und 41 Sekunden, im 5 km Höhe und einer Geschwindigkeit von 687, fiel, ebenfalls im Außenring, ein fünfter aus, in der schematischen Statusanzeige der Telemetriedaten in der 9-Uhr-Position befindlich, und bei einer Minute und 41 Sekunden, 14 km über der Erde, kam es zum letzten Ausfall, direkt neben der „Nr. 4“. Auf den Bildern, die den Flug der Rakete zeigen, ist deutlich zu sehen, wie bei Sekunde 32 des Fluges deutlich sichtbare Vibrationen und Schwankungen einsetzen.; zwei Sekunden später, bei einer Geschwindigkeit von 372 km/h, einen Kilometer hoch, sieht man an der Unterkante der Düsen, die die austretenden Gase bündeln und damit den erzeugten Schub maximieren, deutlich ein helles Aufblitzen, als ob es dort zu einer Explosion gekommen wäre. Bei 1 Minute und 4 Sekunden erfolgt ein weiteres Aufblitzen etwas in der Mitte der Höhe der Startstufe, und es ist klar zu sehen, wie sich eine augenscheinlich feste Partie, ein Stück einer Leitung oder einer Schanzverkleidung, löst als hell glühender Punkt in die Tiefe fällt.











(Mutmaßliche Explosion der zweiten HPU)

Zu diesem Zeitpunkt dürfte die Rakete ungefähr MaxQ erreicht haben. Das ist der Punkt während eines Starts, an dem sie den größten Reibungskräften der Atmosphäre und damit den höchsten Belastungen ausgesetzt ist. In größerer Höhe führt der nachlassende Luftdruck dazu, daß trotz der zunehmende Geschwindigkeit die Reibung rasch nachläßt – bis in 78 bis 85 Kilometern Höhe die Schanzverkleidungen, die bei Satellitenstarts die Nutzlast schützen, abgeworfen werden können. Noch ist nichts Genaues über die Ursache und den genauen Verlauf der Havarie bekannt; aber erste Spekulationen laufen heute Abend darauf hinaus, daß es zu diesen beiden Zeitpunkten – bei Sekunde 34 und 64, zum Versagen oder zur Explosion der HPU, erst eines und dann eines zweiten „Hydraulic Power Unit“ gekommen ist, die für die Schwenkung der Düsen der Triebwerke zuständig sind. Die dynamischen Kräfte, die die vorbeiströmende Luft auf die beiden Stufen ausgeübt hat, dürften dazu geführt haben, daß die Lage der Rakete, zu jenem Zeitpunkt fast waagerecht und in einem Winkel von etwa 10 Grad ansteigend, stabil geblieben ist und weiter planmäßig beschleunigt hat. Zum Zeitpunkt 1:58 erreichte sie eine Höhe von 20 km und eine Geschwindigkeit von 1549 km/h, 30 Sekunden später 25 km bzw. mit 2140 km/h ihre größte Geschwindigkeit. Vor der geplanten Stufentrennung mußte zur Lagekorrektur noch ein Rollmanöver erfolgen, die Rakete also um die Längsachse geschwenkt werden. Anscheinend war die Bordsteuerung nicht mehr in der Lage, dieses Manöver kontrolliert durchzuführen. Bei 2:32, im 32 km Höhe und einer Geschwindigkeit von 2132 km/h, richtet die das Starship in Sekundenfirst auf und „kippt“ rückwärts wieder in eine fast waagrechte Lage, die de Flugrichtung entgegengesetzt liegt. Danach sieht man auf den Aufnahmen deutlich, wie die Rakete in eine unkontrollierte Taumelbewegung gerät, die damit endet, daß die Spitze in Richtung des Erdbodens zeigt. Die erreichte Geschwindigkeit hat dafür gesorgt, daß Starship 178 Sekunden nach der Zündung seine größte Höhe von 39 Kilometern erreicht hat und danach in einen wie es scheint freien Fall überging. Die Sekunde 239 hat die Flugleitung daraufhin beide Stufen gesprengt.



(Blick auf Starship im 9 km Höhe)



(Die ausgefallenen Treibwerke sind deutlich zu erkennen)





(Blick aus der Startstufe bei 2:24 im 24 km Höhe)













III.

Diese Schilderung ist, nicht was ihren Verlauf, aber ihre Ursachen betrifft, natürlich reine Spekulation. Aber der Ablauf legt eine solche Vermutung nahe. Die Analyse der Telemetriedaten und Betriebszustände der einzelnen Baugruppen wird hier in den nächsten Wochen Klarheit liefern. Und gerade SpaceX hat es sich zum Prinzip gemacht, solche Fehler nur einmal zu begehen – wobei man hier nicht guten Gewissens von „Fehlern“ sprechen kann. Denn das genaue Zusammenspiel alle Komponenten läßt sich auf Testständen und Simulationen niemals exakt vorhersagen. Erst die tatsächliche Praxis läßt solche Erkenntnisse zu – und aus genau diesem Grund gibt es solche Testflüge

Allerdings reiht sich die Havarie von heute in einer Serie ein, die sich in Sachen Raumfahrt seit einigen Monaten zeigt. Das eine ist, daß es bislang noch einer privat betriebenen Firma im Raumfahrtgeschäft gelungen ist, eine entwickelte Rakete mit Flüssigkeitsantrieb beim allerersten Mal erfolgreich zu starten. Das gilt auch, wie ich an dieser vor ein paar Tagen erwähnt habe, für SpaceX. Die ersten drei Starts ihres ersten Modells, der Falcon 1, endeten in den Jahren 2005 bis 2007 sämtlich als Fehlschläge. Und das gilt für alle Erststarts neuer Modelle in den letzten vier Monaten – angefangen mit dem Start der Zhuque-2 des chinesischen Betreibers LandSpace von Weltraumbahnhof Qiuquan am 14. Dezember 2022. Am 10. Januar mißlang der Start der passenderwiese „Maiden Flight“ genannten Mission der Firma ABL Space Systems vom Pacific Spaceport Complex im Süden Alaska. Ihnen folgten im März der Erststart der japanischen H3 vom Raumfahrtzentrum Tanegashima (am 7. März) und am 23. März das Versagen der „gedruckten“ Terran-1 von Relativity Space von der Startrampe 16 in Cape Canaveral. Und heute eben der Verlust von Starship.



Und dabei kommt es zu der anderen Reihung, die ich erwähnt habe. Bis auf die H3 handelt es sich bei all diesen Modellen und Raketen, bei denen der Wasserstoff, der bislang als Treibstoff gebräuchlich ist, durch Methan ersetzt werden soll. Zhuque-2 war der erste Versuch überhaupt, eine methangebtriebene Rakete in eine Umlaufbahn zu starten. Auch die Ariane 6, die ich in meinem letzten Beitrag erwähnt habe, verwendet Methan, der allgemein als „der Raketentreibstoff der Zukunft“ gilt. Und bei all diesen Fehlschlägen kam es zum Scheitern, weil nach dem tadellos verlaufenen Zünden der ersten Stufe die Zündung der zweiten versagt hat – bis auf den heutigen Fall. Man kann sich als Laie fragen, warum die neue Triebswerkstechnik in der letzten 65 Jahren, in denen die Raumfahrt jetzt betrieben wird, noch keine Anwendung gefunden hat. Zum einen liegt es daran, daß die Verwendung von Wasserstoff eine erprobte und bekannte Ingenieursleistung darstellt. Wichtiger ist aber, daß es bei Satellitenstarts darauf ankommt, einen möglichst hohen Schub zu erzielen, um Nutzlasten auf die Umlaufbahngeschwindigkeit von 11,2 Kilometern pro Sekunde zu beschleunigen. Und die Reaktion Methan – Sauerstoff liefert nur etwa 60 Prozent des spezifischen Impulses wie die Knallgas-Reaktion Wasserstoff – Sauerstoff. Andererseits bietet Methan gegenüber Hydrogen einige handfeste Vorteile. Um Wasserstoff zu verflüssigen, braucht es eine Temperatur von minus 253 Grad. Methan hat einen Siedepunkt von minus 161 Grad; liegt also etwa im selben Bereich wie Sauerstoff. Das ist zwar immer noch eine immense Kälte, liegt aber um fast 80 Grad weiter vom absoluten Nullpunkt entfernt. Und zudem weist flüssiger Wasserstoff mit 0,0785 kg/m³ eine höchst geringe Dichte auf gegenüber Methan mit 0,657. Man benötigt also für dieselbe Menge achtmal so große Tanks. Der geringere spezifische Impuls reduziert das zwar um gut die Hälfte. Da der erzeugte Schub auf noch von anderen Faktoren beeinflußt wird, ein konkretes Beispiel. Der VSI (spezifischer Impuls im Vakuum), angegeben in der zwar veralteten, aber noch weit verbreiteten Angabe in Sekunden – sie zeigt an, wie lange eine Menge X an Treibstoff in der Lage ist, in der Reaktion mit Sauerstoff das Äquivalent der eigenen Masse (also X) konstant mit einem G zu beschleunigen. Für Triebwerke der Baureihe RS-25, wie sie im Space Shuttle verwendet wurden (und wie sie in den Artemis-Mondmissionen zur Anwendung kommen) mit Wasserstoff beträgt der VSI 452 Sekunden, für die Raptoren des Starship 380 Sekunden.



Immerhin hat der Teststart in Boca Chica heute gezeigt, daß sowohl der Start als auch das Überwinden von MaxQ und der Überschallgeschwindigkeit erreicht werden. SpaceX tut durchaus recht daran, den heutigen Flug als Erfolg zu werten. Es dürfte nicht der letzte Fehlschlag dieser Art gewesen sein, bis die Technik so weit perfektioniert worden ist wie sie es heute schon mit der falcon 9 ist, die am Tag zuvor mit dem zwölften Start für das Kommunikationssystem Starlink den 218 reibungslosen Start einer F9 in Folge absolviert hat.









U.E

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