Heute, zwei Tage nachdem der erste Startversuch der größten und leistungsstärksten Rakete, die je in der Geschichte der Raumfahrt gebaut worden ist, 30 Kilometer über dem Golf von Mexiko in einem Feuerball geendet ist, läßt sich, nach der ersten genaueren Auswertung der Daten und der Inaugenscheinnahme der Schäden an der Startrampe ein genaueres Bild über den Hergang und die wahrscheinliche Ursachen, die zu diesem Ende geführt haben, zeichnen.
Der Verlauf
Anders als ich es in meinem letzten Posting geschrieben habe, die die ersten drei der Raptor-Raketenmotoren der Startstufe, der 70 Meter hohen Boosters, nicht gleich beim Start ausgefallen. Die Eindruck entstand, weil die Statusanzeige, die das Funktionieren der Treibwerke anzeigte, der nach fünf Sekunden nach der Zündung, nachdem die Meßdaten von der Rakete eintrafen, während der Live-Übertragung angezeigt wurden und sie als inaktiv zeigten. Tatsächlich sind sie erst zwei Sekunden nach der Zündung ausgefallen. Alle 33 Triebwerke, sowohl die 20 des äußeren Ring, die 10 der inneren sowie die drei zentral montierten, haben also wie vorgesehen mit 85 Prozent ihrer Leistung gezündet. Erst nachdem die Rakete den Startturm hinter sich gelassen hatte, wurde die Leistung auf 100 Prozent gesteigert. Nach zwei Sekunden Flugzeit kam es zeitgleich zum Ausfall der Motoren 1 in der Mitte und der Treibwerke 20 und 32 des äußeren Rings. Des weiteren versagten während der nächsten etwas mehr als zwei Minuten folgen Treibwerke in dieser Reihenfolge:
Bei 32 Sekunden: Triebwerk Nr. 12, im äußeren Ring.
Bei 56 Sekunden: Triebwerk Nr. 16, im äußeren Ring.
Bei 64 Sekunden: Triebwerk Nr. 13, im äußeren Ring.
Bei 56 Sekunden: Triebwerk Nr. 16, im äußeren Ring.
Bei 93 Sekunden: Triebwerk Nr. 23, im äußeren Ring.
Bei 97 Sekunden: Triebwerk Nr. 17, im äußeren Ring.
Bei 126 Sekunden: Triebwerk Nr. 23, im inneren Ring.
Bei 126 Sekunden: Triebwerk Nr. 23, im inneren Ring.
Im Vorfeld des Starts hatte Elon Musk mitgeteilt, daß die Rakete noch in der Lage sein würde, eine Umlaufbahn zu erreichen, wenn es zum Ausfall von zwei Treibwerken kommen würde.
In meinem ersten Posting habe ich geschrieben: „Bei 2:32, im 32 km Höhe und einer Geschwindigkeit von 2132 km/h, richtet die das Starship in Sekundenfirst auf und ‚kippt‘ rückwärts wieder in eine fast waagrechte Lage, die der Flugrichtung entgegengesetzt liegt.“ Da Starship gut zehn Sekunden – und erheblich länger als im Flugablauf vorgesehen, gebraucht hat, um Fahrt aufzunehmen, ist davon auszugehen, daß es sich bei diesem plötzlichen Schwenk um den „Boostback“ gehandelt hat, der nach der Trennung des Boosters und des Starships die Startstufe aufrichten und auf den „Rücksturz zur Erde“ bringen sollte. Nach dem Flugplan war die Stufentrennung für Minute 2:52 vorgesehen; fünf Sekunden sollten die sechs Raptor-Triebwerke der Zweitstufe gezündet werden. Dieses Manöver ist durchgeführt worden, während die beiden Stufen noch fest miteinander verkoppelt waren – und das ungeplante Mehrgewicht hat dann dazu geführt, daß sich die Rakete vor der Sprengung 58 Sekunden später zweieinhalb Mal unkontrolliert überschlagen hat. Das hat nicht damit zu tun, daß die Hydraulik, die für die Lagesteuerung der Düsen unter den Treibwerken, durch die die heißen Gase strömen, zuständig sind, wahrscheinlich schon nach der Explosion der beiden HPU, der Hydraulic Power Units, bei den Zeitpunkten 34 und 62 Sekunden komplett ausgefallen war: dieser Lageschwenk erfolgt wie bei der Startstufe der Falcon 9 durch sogenannte Kaltgastriebwerke (cold gas thrusters), bei denen kein Treibstoff gezündet wird, sondern ein Stoß stark komprimierten Gases durch eine Vernierdüse den Schubimpuls liefert.
Wie schon Randall Munroe 2012 in der Folge 1133 von xkcd, „Upper Goer Five“ (in der er den Aufbau der Mondrakete Saturn V „anhand der der tausend gebräuchlichsten Wörter im Englischen“ erläutert), erläutert hat, sollte jenes Ende, „aus dem viel Feuer kommt,“ beim Start tunlichst in Richtung Erdboden ausgerichtet sein – „wenn ihr in den Weltraum wollt.“ Sollte es dagegen Richtung Weltraum weisen, „dann habt ihr ein ziemliches Problem und werdet es heute nicht in den Weltraum schaffen.“
Allerdings erfolgte beim Booster Nr. 4, der vor zwei Tagen beim Start sein Ende fand, diese Stufentrennung eben hydraulisch, über die ausgefallene HPU. Immerhin haben die Überschläge die Rakete nicht zerbrechen lassen – ein bemerkenswertes Zeugnis für die Robustheit dieser Konstruktion. Andererseits haben die Ingenieure von SpaceX schon seit Jahren bewiesen, daß sie in der Lage sind, verläßlich Raketenstufen zu fertigen, die die Belastungen eines Starts bis in 115 Kilometern Höhe und die Landung mehr als ein Dutzend Mal in intaktem Zustand zu überstehen.
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Die Schäden an der Startrampe
Heute ist die Startrampe – genauer gesagt: der Starttisch, auf dem die Rakete vor dem Abheben platziert war, der Orbital Launch Mount (OLM) zum ersten Mal von Teams aus der Nähe inspiziert worden, nachdem es gestern erste Luftaufnahmen von Drohnen und mit Teleobjektiven gegeben hatte. Der 146 m hohe Startturm, dessen neuntes und letztes Gittersegment im Juli 2021 montiert worden ist scheint weitgehend unbeschädigt (soweit sich das von außen beurteilen läßt; ebenso die Versorgerarme, über die die beiden Stufen mit flüssigem Sauerstoff und Methan betankt werden – und ebenso die schwenkbaren Gitterarme des „Mechazilla,“ die einmal, wenn das System seinen regulären Betrieb aufgenommen hat, den Booster am Ende seines Einsatzes auffangen sollen, und die auch dazu dienen, das Starship, die Zweitstufe, auf den Booster zu heben. Aber die Partie an der Front des dazugehörigen Gebäudes, das die Versorgungseinheiten und Steuerungseinheiten beherbergt, ist auf der Seite, die dem Starttisch zugewandt ist, von Betonbrocken wie von Schrapnellen durchlöchert worden. Auch alle vier Tanks der „Tank Farm,“ wenige hundert Meter vom Starttisch entfernt haben Treffer abbekommen: die Wand des links stehenden, der zurzeit als Wassertank dient, ist auf halber Höhe eingedrückt worden, und die beiden rechten Tanks, die zur Speicherung flüssigen Sauerstoff dienen, zeigen deutlich erkennbar jeweils 2 oder 3 „Einschußlöcher,“ wo ihre äußere Hülle von Betonbrocken durchlöchert worden ist. Alle diese Silos sind in doppelwandiger Bauweise ausgeführt worden, so daß zurzeit noch unklar ist, ob ihre Innenwand intakt ist
(Im Hintergrund der Starttisch; vorn, leicht mitgenommen, der "Hopper," der zum Test der Raptor-Triebwerke dienete.)
(Die Tank Farm im Bau. Deutlich ist die doppelte Hüllenkonstruktion zu sehen.)
(Die Greifarme des "Mechazilla" und der bewegliche Versorgungsausleger. Zustand von heute Nachmittag.
Die meisten Schäden scheint der OLM, der Starttisch selbst (von SpaceX auch als „Stage 0“ bezeichnet) zu verzeichnen zu haben – wenig überraschend, weil er sich direkt unter dem flammenden Inferno befand. Dieser Starttisch ist im Juli 2020 errichtet worden und besteht aus 6 in Hohlbauweise ausgeführten Stützen aus Stahlbeton und dem eigentlichen runden Starttisch mit einem Gewicht von 370 Tonnen, der am 31. Juli 2021 aufgesetzt wurde. Die Leitungen und Elemente dieser Plattform wirken auf den Bildern von heute, als ob ein Feuersturm über sie hinweggegangen ist. (Wobei dieses rhetorische „als ob“ natürlich zu streichen ist.)
Auf den Drohnenaufnahmen des Starts ist zu sehen, daß Betonbrocken während des Starts gute zweihundert Meter vom jenseits von der Waterkant des Strands des Golfs von Mexiko (der gute 200 m vom Starttisch entfernt verläuft) einschlagen; Kameras, die von Teams bis in einer Entfernung von 1300 Metern aufgebaut worden waren, sind getroffen und zerstört worden. Überschlagsberechnungen legen nahe, daß diese Geschosse sich mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h bewegt haben. In einem Umkreis von 300 oder 400 Metern um die Startstelle findet sich ein mit Steintrümmern übersähtes Feld, das der Oberfläche des Mondes gleicht. Noch ist das ganze Ausmaß der Verwüstung nicht zu ermessen, und es mag durchaus sein, daß die tatsächlichen Schäden geringer ausgefallen sind, als der erste Eindruck nahelegt. Aber die Zuversicht, die Elon Musk gestern an den Tag gelegt hat, als er auf Twitter erklärte, „in ein oder zwei Monaten erneut starten zu können,“ dürfte verfehlt sein. Nicht nur die Schadensbeseitigung, sondern vor allem die anstehenden Maßnahmen, um einen weiteren Durchgang dieser Art zu vermeiden, und ihre Abnahme durch die NASA und die amerikanische Flugsicherheitsbehörde FAA, die Federal Aviation Administration, dürften den Termin für den nächsten Start auf das Jahr 2024 verschieben. Elon Musks Äußerung vom Mittwoch, er würde den Start „als Erfolg“ werten, wenn es gelingen würde, die Startrampe nicht in die Luft zu jagen“ wirkt nach der Inaugenscheinnahme des Ground Zero um einiges ironischer.
(Aus "Asterix und die goldene Sichel")
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Die Ursache
("Flame trench" auf der Startrampe 39A in Cape Canaveral)
Und aus dem genauen Ablauf dieses Starts – und dem Trümmerfeld rund um den Startturm – ergeben sich mittlerweile Hinweise, was die wahrscheinlichste Ursache für diese Havarie angeht – und wieso es dazu gekommen ist. Anders als bei anderen Startrampen gab es auf der Startbase keine Vorrichtungen zur Flammenumlenkung („flame diverter“ genannt) und üppig dimensionierte Schächte unter Bodenniveau, Flammengräben oder „flame trenches,“ auf die die heißen Gase, die aus den Triebwerken strömen, treffen und in die sie umgelenkt werden. Das sind nicht eben kleine bauliche Maßnahmen. Bei der „Mondstartrampe“ 39A auf Cape Canaveral, und die seit 2013 auch von SpaceX für Starts der Falcon 9 und der Falcon Heavy genutzt wird, weist dieser „Graben“ eine Länge von 180 Metern, bei einer Breite von 18 m und einer Tiefe von 12 m unter Bodenniveau auf. Die heißen Gase treffen auf Stahlplatten von 12 m Höhe, die in einem Winkel von 45 Grad gekippt sind, die sie dorthin umlenken.
(Starbase: der Starttisch während der Bauphase)
Nichts davon findet sich in Boca Chica. Auf den Bildern, die während des Hochziehens der sechs Betonstützen des Starttischs entstanden sind, sieht man nur eine ebene Betonplatte. Ganz offenkundig haben Elon Musk und sein Ingenieursteam drauf vertraut, daß der Freiraum von 18 bis 20 Metern, der zwischen dieser Platte und dem Bodenbereich des eigentlichen Starttisches lieht, ausreichend sein würde, um eine solche „explosive Auswirkung“ zu verhindern. Am 7. Oktober 2020 schieb Elon Musk auf Twitter: „Aspiring to have no flame diverter in Boca, but this could turn out to be a mistake“ – wir wollen in Boca Chica auf die Flammenumlenkung verzichten, aber das könnte sich als Fehler herausstellen.
No shit, Sherlock.
(Pardon my French.)
Und heute er, ebenfalls auf Twitter, in zwei weiteren Tweets erklärt: „Vor drei Monaten haben wir begonnen, eine große wassergekühlte Stahlplatte anzufertigen, die unter dem Startisch plaziert werden sollte. Sie ist nicht rechtzeitig fertig geworden, du wir haben irrtümlicherweise aufgrund der Daten aus den Probeläufen gedacht, daß der Boden den ersten Start übersteht.“ Sowie: „Wir sind erst am Anfang der Auswertungen, aber es ist möglich, daß die Energie aus den Motoren, als sie als volle Kraft hochgefahren wurden, den Beton zersprengt anstatt nur weggefräst hat. Bei Static Fire Test liefen die Brennkammern nur mit halber Kraft.“
Die Frage liegt nahe, solche Trümmer nur zur Seite gefegt worden sind – ober ob einige auch direkt in die Höhe geschleudert wurden, wo sie die drei Triebwerke des Boosters beschädigen konnten. Und ein genauer Blick auf die Aufnahmen, die den Moment zeigen, an dem die Verbindungsstelle zwischen erster und zweiter Stufe die beiden Greifarme in gut 120 m Höhe passieren – die Rakete sich also gut 30 bis 40 Meter über dem Starttisch befindet – bestätigt exakt diesen Verdacht. Auf dem ersten Standbild sieht man die schwarze Oberkante eines offensichtlich massiven Bruckstücks kurz aus der Rauchwolke auftauchen, direkt vor der dem Betrachter zugwandten Seite an der Oberkante des Boosters, zwei Sekunden später ist ein weiteres massives Bruchstück rechts von der Rakete in der Lücke zwischen den Staub- und Rauchschwaden, höchstens 4 bis 5 Meter von der Rakete entfernt, deutlich zu sehen. Es ist also nicht nur möglich, sondern erwiesen, daß solche Brocken in diese Richtung geschleudert worden sind. Und es ist ebenso erwiesen, daß die drei ersten Triebwerke gezündet haben und erst nach zwei Sekunden versagt haben.
Natürlich ist diese Analyse nur eine vorläufige, laienhafte; es ist wahrscheinlich, daß hier noch viele Details nachzutragen sind oder sie in sich in einigen entscheidenden Punkten als falsch erweist. Das werden die Untersuchungen der nächsten Wochen und Monate ergeben.
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Sollte sich ein Leser angesichts dieses Befundes versucht fühlen auszurufen „Holmes, das ist brilliant!“ – so kann ich darauf nur in den Worten des oben erwähnten großen Detektivs mit Wohnsitz in der Baker Street 221B antworten: „Elementar, mein lieber Wqtsxn. Sie kennen meine Methoden – wenden Sie sie an!“ (Wobei ich zugebe, daß diese Analyse sich nicht ausschließlich meiner Rationation verdankt, sondern ich mich den Diskussionen anschließe, die in den letzten 50 Stunden in einigen amerikanischen Netzforen zum Thema angestellt worden sind.)
(Tom Kidd, Titelbild für die Anthologie „Sherlock Holmes Through Times and Space,” Bluejay Books, 1984. Der Kleine Pendant merkt an, daß der abgebildete Personal Computer mittlerweile eine ähnliche historische Patina aufweist wie die Gaslampenstrünke und die Antimakassar-Schutzbezüge, auch wenn ihn keines der frühen Modelle geläufig ist, bei dem das Laufwerk für die Acht-Zoll-Floppydisks vertikal in das Gehäuse von Monitor und Tastatur integriert gewesen ist. Und ihm ist bewußt, daß Holmes an keiner Stelle der „heiligen Schriften“ den Satz „elementary, my dear Watson“ sagt – obwohl die Wendung „You know my methods. Apply them“ im Kapitel 4 des Romans „Das Tal der Furcht“ vorkommet.)
U.E.
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