6. Februar 2021

Somerset Maugham, "Der Damensalon" (1922)





"Ich denke, daraus läßt sich wirklich etwas machen," sagte sie.

Sie sah sich aufmerksam um, und die Kraft der gestalterischen Phantasie strahlte ihr aus den Augen.

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Es handelte sich um einen kleinen, alten Tempel am Stadtrand, den sie gemietet hatte und den sie jetzt zu einem Wohnhaus umgestaltete. Er war vor dreihundert Jahren für einen überaus heiligen Mönch von seinen Jüngern errichtet worden, der dort fromm seinen Lebensabend verbrachte und sich im Verzicht auf alles Erdenkliche übte. Noch lange nach seinem Tod waren die Gläubigen gekommen, um sein Andenken zu wahren, aber zuguterletzt blieben die Almosen natürlich aus und die letzten zwei oder drei Mönche mußten ausziehen. Das Gebäude war verwittert oder die grünen Dachziegel waren mit Moos bedeckt. Die Deckenbalken waren immer noch ansehnlich, mit ihren verblichenen goldenen Drachen vor einem ausgeblichenen roten Hintergrund; aber eine dunkle Decke gefiel ihr nicht, und so spannte sie einen Stoffbezug darunter und tapezierte ihn. Sie brauchte Luft und Sonne, also ließ sie zwei Fensteröffnungen in eine der Wände brechen. Wie es das Glück wollte, hatte sie ein paar blaue Vorhänge in der passenden Größe zur Hand. Blau war ihre Lieblingsfarbe; es brachte die Farbe ihrer Augen am besten zur Geltung. Da ihr die Säulen - große, solide, rote Säulen - zu finster und bedrückend erschienen, tapezierte sie sie mit einer hübschen Tapete, die überhaupt nicht chinesisch wirkte. Und mit der Tapete, die sie für die Wände ausgewählt hatte, hatte sie ebenfalls Glück gehabt. Sie hatte sie hier in der Stadt gekauft; aber sie hätte auch von Sanderson's stammen können; sie war hellrosa gestreift und ließ das Zimmer sofort gemütlich wirken. Am Ende des Zimmers befand sich eine Nische, in der einmal ein großer Lacktisch vor einem Bildnis gestanden hatte, das Buddha in seiner ewigen Meditation zeigte. Generationen von Gläubigen hatten hier ihre Kerzen angezündet und gebetet - manche wegen dieser oder jener Sorge des Alltags, andere, um von der Last des sich unendlich wiederholenden Daseins erlöst zu werden - und dies schien ihr der ideale Platz zu sein, um einen amerikanischen Patentofen aufzustellen. Sie war gezwungen, ihren Teppich hier in China zu kaufen, aber sie trieb einen auf, der von einem Axminster-Teppich praktisch nicht zu unterscheiden war. Natürlich war er handgeknüpft und hatte nicht ganz die Glätte und Geschmeidigkeit des Originals, aber als Ersatz war er durchaus geeignet. Die hübschen Möbel hatte sie einem Mitarbeiter der Botschaft abgekauft, der einen neuen Posten in Rom antrat, und aus Shanghai hatte sie einige Meter hellen Chintz bestellt, aus dem sie sich Schonbezüge nähen wollte. Zum Glück besaß sie ausreichend Bilder - Hochzeitsgeschenke und sogar einige, die sie selbst erstanden hatte, denn sie verfügte über eine künstlerische Ader - die das Zimmer sofort gemütlich wirken ließen. Sie benötigte unbedingt einen Wandschirm, und sie sah sich gezwungen, einen chinesischen zu erstehen, aber das machte nichts, denn wie sie klug anmerkte, wäre ein chinesischer Wandschirm auch in England nicht fehl am Platz gewesen. Sie besaß viele silbergerahmte Photographien, darunter eins von der Prinzessin von Schleswig-Holstein und eines von der Königin von Schweden, beide signiert, und sie gab ihnen einen Ehrenplatz auf dem Klavier, denn sie ließen das Zimmer wirken, als sei es schon seit langer Zeit bewohnt. Und als sie damit fertig war, besah sie sich zufrieden ihr Werk.

"Natürlich wirkt es nicht wie ein Zimmer in London," sagte sie, "aber für Cheltenham oder Tunbridge Wells würde es hingehen."

"My Lady's Parlour" ist die zweite der insgesamt 58 Prosaminiaturen und -skizzen in Somerset Maughams Sammlung "On a Chinese Screen," 1922 bei William Heinemann in London erschienen.
U.E.

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