17. Februar 2021

Das Impeachment fällt aus



Im Forum zu diesem Netztagebuch hat der geschätzte Mit-Protokollant Llarian seine Absicht dargelegt, dem neuen amerikanischen Präsidenten Biden die übliche Schonfrist von 100 Tagen einzuräumen, sich also bis Ende April des Urteils über die neue Politik der US-Regierung zu enthalten.Ich will versuchen, mich in diesem Beitrag daran zu halten; daß es nicht völlig möglich sein wird, liegt in der Natur der Sache, die in der Wahl Bidens. der Wahl seiner Minister und den bishrigen Maßnahmen als größtmöglicher Kontrast zu seinem Amtsvorgänger und der Rückgängmachung seiner Politik begründet liegt. So wie Donald Trump und seine Politik das maximale Kontrastprogramm zum "Sozialdemokratismus" Barack Obamas darstellte, so steht Biden bislang für die Rückkehr zu dieser Ausrichtung. Und auch in dem am Samstag klanglos versandeten zweiten Amtsenthebungsverfahren kann man eine bruchlose Fortsetzung der Politik der Democracts während der letzten vier Jahre auf der Oppositionsbank ausmachen: eine grelle, weitgehend inhaltsfreie und auf Showeffekte hin ausgelegte Effekthascherei, die einmal wieder demonstriert, daß nicht nur bei uns, sondern auch in den USA die Politik als Kunst des Möglichen und Umsetzbaren durch ein vergiftetes pseudomoralisches Schwarz/Weißschema ersetzt worden ist.

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Es gibt Episoden der Geschichte, bei denen man froh ist, daß man sie als Zeitzeuge nicht den eigenen Enkeln oder Urenkeln in 50 oder 70 Jahren erläutern muß. Ein Deutscher etwa, der im Jahr 1990 geboren wurde, wird im Jahr 2070 kaum glaubhaft vermitteln können, wieso ein Tsunami nach einem Seebeben im Pazifik den drittgrößten Industriestaat der Welt Knall auf Fall dazu veranlaßte, auf Kernkraft und Kohle- und Ölkraftwerke zu verzichten und seine gesicherte Energieversorgung, die Grundlage seines Wohlstands, zu vernichten - obwohl er selbst dabei war. Und ebensowenig wird dann der sehrende, giftige Haß zu vermitteln sein, mit dem nicht nur die Medien, sondern auch nicht geringe Teile der Bevölkerung auf die Person und die Politik des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten geblickt haben - ein Haß, der sich so gar nicht in Übereinstimmung bringen läßt mit dem, wofür dieser Präsident stand und was während seiner Amtszeit passiert ist. Ganz neu ist dieses Phänomen allerdings nicht. Auch Ronald Reagan galt ja bei nicht wenigen Medien und einem Großteil der Öffentlichkeit (soweit er sich für "politisch interessiert" und "links" einschätzte) als Gefahr für den Weltfrieden, politischer Tölpel und Ärgeres. Auch hier - und im Fall der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher - könnte das nüchterne Urteil der Geschichte keinen größeren Kontrast zur zetigeistlichen, medialen Aufgeheiztheit (fast hätte ich geschrieben "Aufgehetztheit") bilden. Nur waren die schäumende Wut und überdrehte Empörung, mit der Reagan verfolgt wurde, ein laues Lüftchen gegenüber dem Haß, den Anschuldigungen - und ja: den endlosen infamen Lügen - mit denen eben nicht nur die deutschen, sondern auch ein großer Teil der US-amerikanischen Medien Donald Trump in den letzten vier Jahren bedacht haben.

Ich habe mich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder angelegentlich mit der Propaganda befaßt, mit denen die diversen totalitären Regime, die dem zwanzigsten Jahrhundert ihre entsetzliche Blutspur eingeschrieben haben, ihre "inneren" wie "äußeren" Gegner, zu denen naturgemäß die größte Demokratie jenseits des Atlantiks (oder Pazifiks) an erster Stelle zählte, bedacht und zum Weltfeind Nr. 1 erklärt haben: die UdSSR gegen den Westen, die DDR (für allem die frühe), gegen die B-R-D, Maos China gegen Taiwan und die USA, und so endlos weiter. Bis 2017 war darin eine Linie zu erkennen; man könnte es fast eine Gesetzmäßigkeit nennen (wenn dies im Fall der Ideologie und Propaganda zulässig ist): je formierter, ideologisch-fanatischer eine formierte, totalitär strukturierte Ordnung daherkommt, desto rigider und greller, giftiger wird "der Feind" gezeichnet. Das Amerikabild der Sowjetunion war nicht einmal zu den rigidsten Zeiten jenes absolute Schwarz/Weiß-Gegensatzpaar, das später der Maoismus zeichnete (man denke etwa an das Reisebuch Одноэтажная Америка, "Das eingeschossige Amerika" von Ilf und Petrow von 1937, dem Jahr der Großen Säuberungen). Die Industrialisierung, der Taylorismus, der Fordismus: all das galt in der UdSSR als zu kopierendes Ideal. Dahingegen war das Zerrbild des nordkoreanischen Juche-Systems noch um ein Erhebliches primitiver, ganz seinem brachialen manichäischen Weltbild entsprechend - und eben auch entsprechend lauter. (Die nächste, höchste Steigerung besteht darin, die Existenz der Außenwelt ganz abzustreiten: so haben es die Roten Khmer und das Albanien Enver Hodschas gehalten.) Wenn nun die Nachgeborenen des Jahrs 2070 oder 2100, die "nicht dabei waren," diese Meßlatte an das von den deutschen Medien seit 2017 vermittelte Bild der USA legen und sonst nichts von dieser Zeit wüßten, könnten sie durchaus zu dem Schluß kommen, daß die Ära Merkel nicht nur zu den erschreckendsten in Deutschland, sondern weltweit zu zählen wäre. Ich will damit keineswegs irgendeine Gleichsetzung unterstellen. Aber daran läßt sich gut sehen, wie sehr hier das Medienecho zu einem entstellenden, von Ideologie getriebenen Zerrspiegel verkommen ist. Vor allem - und dies ist das wirklich Erschreckende - ein Zerrbild, dessen Erzeuger in den Redaktionen sich nicht mehr über diese Entstellung im Klaren sind, sondern diese Grotesken für ein Abbild der Wirklichkeit halten.

Diesem Verwechslungseffekt zwischen dem selbst geschaffenen Feindbild und der Wirklichkeit dürfte sich auch die Scharade des jetzt klaglos zu Ende gegangenen zweiten Amtsenthebungsverfahrens gegen Donald Trump verdanken. Auch hier dürfte es schwerfallen, jemandem, der im Jahr 2070 näheres über diese Episode erfahren möchte (ein Jahr, von dem uns übrigens die gleiche zeitliche Distanz trennt wie vom Massaker auf den Olympischen Spielen in München), zu erklären, wie es geschehen konnte, daß in Kongreß und Senat ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen ehemaligen Präsidenten angestrengt wurde, der sein Amt längst an seinen unter dubiosen Umständen gewählten Nachfolger abgegeben hatte. Die Nüchtereren unter den Beobachtern "hier vor Ort" ist klar, daß dies nicht allein dem blinden Haß geschuldet ist, dem Drang zum Nachtreten, der bei den Democrats wie den Medien seit vier Jahren alles politische Kalkül ersetzt hat - sondern auch der Furcht, dieser "Betriebsunfall in politischen Geschehen" könnte 2024 noch einmal als Kandidat antreten und im Fall einer schlecht verlaufenen Amtsperiode Bidens durchaus realistische Chancen auf eine Wiederwahl haben (dafür gäbe es auch ein historisches Vorbild in Grover Cleveland, der von 1885 bis 1889 den 22. und von 1889 bis 1893 den 24. Präsidenten der Vereinigten Staaten stellte). Aber jenen Nachgeborenen wird ein Rätsel bleiben, wieso sie sich eine Chance ausmalten, das Impeachment im Senat mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen zu können, während die 100 Sitze genau zu je 50 auf das "rote" Lager der Republikaner und das "blaue" der Democrats verteilt sind (die beiden parteilosen Senatoren Angus King und Bernie Sanders werden der "roten Fraktion" zugerechnet). Und wieso sie glaubten, damit Erfolg zu haben, während die bisherigen drei Amtsenthebungsverfahren in den in den 232 Jahren seit dem Amtsantritt George Washingtons im Senat scheiterten. All das sind Anzeichen dafür, daß die Classe Politique in einer Wahrnehmungsblase gefangen ist, die sie nicht nur gegen ein nüchternes Kalkül, sondern die Wirklichkeit außerhalb der Echokammern der Medien abschottet.

Der Verlauf des fünftätigen Verfahrens legt dies nicht nur nahe, sondern ist ein einziger Beweis dafür. Daß selbst einer Anwälte Trumps, Staatsanwalt David Schoen, erst im Lauf der Vorbereitung auf das Verfahren bei der Sichtung der Videomitschnitte von Trumps Pressekonferenzen erkannte, daß der "Fine People Hoax" nicht als eine dreiste Medienlüge ist, zeigt aber, warum die Democrats gehofft hatten, mit solchen Entstellungen der Wahrheit Erfolg zu haben. Vielen Amerikanern, die der Präsentation etwa in Netz gefolgt sind, dürfte hier zum ersten Mal klar geworden sein, daß Trump 2017 keineswegs "Nationalisten, Gewalttäter und Neonazis" gelobt hat, wie es das Mediennarrativ seitdem vermeldete, sondern sie mehrfach in in eindeutigen Worten verurteilt hat. Die Manipulationen am Beweismaterial, die den Leiter des Anwaltsteams, Michael van der Veen im Interview mit CNN sprachlos zurückließ, spricht Bände. Der einzige Anklagepunkt des Verfahrens drehte sich darum, ob Trump während des Wahlverfahrens zur Gewalt, zum "Sturm auf das Capitol" aufgerufen hat. Wer immer sich die Mühe gemacht hat, die Präsentation des Originaltons zu verfolgen, weiß jetzt, daß Trump seine Anhänger express zu Gesetztreue und Friedfertigkeit aufgerufen hat und daß Wendungen wie "Fight!" und "Fight like hell!" im politischen Kontext einer Wahl kein Aufruhr zur physischen Gewalt darstellen, sondern "Kämpft für eure Sache!" und "Gebt alles, was ihr habt!" Reihum haben Kongreßmitglieder und Senatoren im Wahlkampf dieselben Worte benutzt; Elizabeth Warren (von Trump aufgrund ihrer angeblichen Abstammung von den "first nations" als "Pocahontas" bezeichnet) mehr als 50 Mal; Vizepräsidentin Kamala Harris brachte es auf 70 Mal. Zahlreiche Kandidaten der Democrats äußerten wie im Wahlkampf wesentlich gewalttätiger als es Trump je tat; ein gewisser Joe Biden stellte sich immerhin vor, Donald Trump zu verprügeln.

Daß der "Sturm auf das Kapitol" am 6. Januar 2021 ein dunkler Fleck in der Geschichte des amerikanischen Parlamentarismus ist, steht außer Zweifel; auch Donald Trump hat ihn eindeutig verurteilt. Aber ein "Staatsstreich" war dieses Chaos nicht. Am 1. Februar erhielt die Weltöffentlichkeit, wieder einmal, historoischen Anschauungsunterricht darin, wie ein Coup d'Etat aussieht, als in Myanmar, dem früheren Burma, das Militär gegen die Staatschefin Aung San Suu Kyi putschte - mit Panzern, die vor dem Parlament auffuhren, Besetzung der Radio- und Fernsehsender, Abschaltung der sozialen Medien und Verhändung des Ausnahmezustands. Nicht mit dem Stehlen von Rednerpodien und Kostümierungen mit Büffelhörnern. (Eine kleine historische Fußnote: die dilettanische Durchführung des "Bierkeller-Putsches" im November 1923, die immerhin mit Waffengewalt und der versuchten Besetzung des Parlaments einherging, hatte zur Folge, daß Hitler nur zur fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde und nach 9 Monaten aus der Haft entlassen wurde.) Aber in der Anhörung wurde auch deutlich, wie sehr demokratische Abgeordnete die Besetzungen von Parlamenten in einzelnen Bundesstaaten im Zug von Protestaktionen, wie sie in den letzten Jahren mehrfach vorkamen, eindeutig unterstützt haben - und wie sie die Gewalt der Black Lives Matter-Bewegung im letzten Sommer, bei denen zahllose Geschäfte geplündert und niedergebrannt und Dutzende von Menschen getötet wurden, mit Schweigen übergangen haben. Noch gravierender war, daß sich herausstellte, daß Trump am Vorabend des 6. Januar zehntausend zusätzliche Truppen zum Schutz des Kapitols angefordert hatte, das Pentagon sich aber weigerte, sie bereitszustellen. Ausgerechnet jene Behörde, die 2017 hinter Lüge steckte, Trump sei nur mithilfe russischer Wahlmanipulation Wahlsieger geworden.

Immerhin sind aktuell 63 Prozent aller Amerikaner der Ansicht, daß die Wahl Bidens nur durch unlautere Manipulationen zustandegekommen ist. Das bei uns gängige Mediennarrativ, zahlreiche Gerichte hätten diesen Verdacht wiederlegt, trifft nicht zu. Bislang wurden keine Klagen zu diesem Komplex zugelassen: die Gerichte haben sich also geweigert, sich mit diesen Fällen aufgrund des bislang vorgelegten Materials zu befassen; drei Verfahren, die unter anderem den Wahlausgang in Michigan und Florida zum Thema haben, stehen für dem 25. Februar an. Es steht nicht zu erwarten, daß derlei letzte Scharmützel noch irgendeinen Einfluß auf den weiteren Gang der Dinge haben werden. Eine tatsächlich vorgefallene Wahlmanipulation in "Swing States" mit äußerst knappem Wahlausgang läßt sich post factum nicht mehr nachweisen, wenn entsprechend präpierte Wahlzettel einmal in den Wahlgang eingebracht worden sind.

Ob Trump in der nächsten Zukunft noch eine Rolle in der amerikanischen Politik spielen wird, ist eine Frage, die zurzeit naturgemäß nicht zu beantworten ist. In aller Regel sind ehemaligen amerikanische Präsidenten Niemande, oder auf Englisch gesagt "Nonenities." Selbst Obama, trotz der ihm von den Medien während seiner beiden Amtszeiten zum neuen Messias emporgeschrieben, hat aus seinem Nimbus Kapital schlagen können; die zahllosen Bücher, die von Ghostwritern verfaßt worden und während seiner beiden Wahlkämpfe die Abteilung "Zeitgeschichte" in unseren Buchhandlungen in ein Oligopol namens "Barack & Michelle Inc." verwandelten, hat die Furie des Verschwindens ereilt. Twitter hat bereits angekündigt, daß es die Sperre für den früheren Präsidenten lebenslang aufrechterhalten wird. Aber Trump ist in der politischen Kaste Amerikas eine absolute Auswahmeerscheinung, ein absoluter Außenseiter. Genau dies: nicht Teil der korrupten Elite zu sein, nicht Produkt einer Seilschaft (so wie Obama das Resultat der "Chicago Machine" war), die nur für Lobbyinteressen und die eigene Machtausübung steht, hat ihm 2016 den Wahlsieg eingebracht. Viel wird vor allem von den ersten beiden Jahren von Bidens Präsidentschaft abhängen: ob er imstande ist, das Land zu führen, ohne neue Konflikte anzuzetteln oder die alten wiederaufbrechen zu lassen. Und ob er die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise durch Weichenstellungen, die sich im Nachhinein als richtig erweisen, auffangen kann. Die bisherige Rhetorik, die in Drohungen gegen China und Rußland bestehen, die Freigabe des iranischen Atomprogramms und die Kampfansage gegen die Fracking-Industrie, die die USA unter Trump zu einem Exporteur von Erdgas gemacht haben, und der Baustop der Keystone-Pipeline, lassen bislang wenig Gutes erwarten. Vor allem liegt es an der Frage, ob Biden, der mit 78 Jahren der dienstälteste Präsident in der Geschichte seiner Landes ist und der im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger höflich gesagt keine große Vitalität ausstrahlt, nicht im Laufe dieser Amtszeit durch seine Vizepräsidentin ersetzt wird, die in einer freien Wahl keinerlei Chance gehabt hätte und deren "linke Agenda" alles verkörpert, was allem, was die USA groß gemacht haben, widerspricht, aber den weltfremden "progressiven" Idealen von Medienmachern, die die utopische Verbesserung der Welt auf ihr Panier geschrieben haben, schmeichelt.

Eins darf immerhin sicherstehen: der Leser und Medienkonsument des Jahres 2070 wird mit diesen Fragen, diesen Ungereimtheiten nie konfrontiert werden. Linke, alarmistische Behauptungen, die sich als haltlos erweisen, werden nicht korrigiert oer in einen Kontext gestellt. Sie fallen schlicht dem Vergessen anheim. Das "Waldsterben," das in den 1980er Jahren für das Jahr 2000 für Deutschland den Tod aller Wälder voraussagte (und bei dem es sich, notabene, um den Import amerikanischer Ängste handelte) und das Ozonloch sind mittlerweile historische Beispiele dafür. Und auch die unwürdige Episode aus dem Beginn des Jahres 2021 wird dem kollektiven Vergessen überantwortet werden. Nicht der "Staatsstreich" - dergleichen bleibt wie die "18000 Atomtoten" des Tohoku-Erdbebens von 2011. Aber die Richtigstellung dieser Vorwürfe.



U.E.

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