Die kleine Erinnerung an das Oeuvre des amerikanischen Science-Fiction-Künstlers Henry Richard van Dongen, der heute genau vor 100 Jahren, am 20. August 1920 in Rochester im Bundesstaat New York geboren wurde, bietet Gelegenheit zum einem angelegentlichen Schlnker zu zwei faits diverses.
Zum einen: so gut wie keinem der hunderten Künstler, Zeichner, Maler, Gestalter, Gebrauchsgraphiker, Designer, Planer in dieser Branchew ist es vergönnt, einen wie auch immer gearteten ikonischen Status zu erreichen, ob nun als Künstler oder durch irgendeines seiner (oder ihrer) Werke. Gewisse Ausnahmen zählen in diesem Metier zu den Bestätigungen der Regel: die ringförmige Raumstation, wie sie Wernher von Braun Anfang der 1950er Jahre in den drei Symposien zum Thema "der anstehende Aufbruchs ins Weltall" des Hayden-Planetariums konzipiert hat, ist in den Illustrationen von Chesley Bonestell dazu geworden und hat sich mindestens zwei Generationen von Zeitzeugen als Chiffre eingeprägt; von den Bebilderungen aus dem direkten Bereich der SF könnte Frank Kelly Freas' pastoses Porträt eines Metallriesen, der so erstaunt wie anklagend in seiner Hand den Sterblichen präsentiert, den seine mechanische Gewalt das Leben gekostet hat und das 1953 als symbolisches Titelbild des damals bedeutendsten SF-Magazins, Astounding Science Fiction, erschienen ist (mit zu dieser Bekanntheit dürfte beigetragen haben, daß die Rockgruppe Queen das Bild ein Vierteljahrhundert später als Cover einer LP wiederverwendet hat). Filmszenen und -tableaus bilden in diesem Bereich sowieso die Ausnahme. Aber die zahllosen Titelbilder und Illustrationen im gedruckten, erzählenden Genre sind eine flüchtige Kunst. Die Namen und auch die Bildfindungen selbst "große", "namhafter" Künstler sind nur noch denen geläufig, die sich mit der Geschichte dieser Literaturgattung befaßt haben. Namen wie die erwähnten von Bonestell oder Freas, von Ed Emshwiller, Frank R. Paul, Chris Foss, Michael Whelan oder Karel Thole, Patrick Woodroff, David G. Hardy oder Paul Lehr sind niemandem außerhalb dieses kleinen Interessenbereichs "ein Begriff" - und auch in diesem Bereich scheint das "kollektive Gedächtnis" nachzulassen. Die jüngeren Generationen der Rezipienten beziehen ihren Bildvorrat zumeist aus dem Fundus der seit einem halben Jahrhundert dominierenden visuellen Spielart: aus den Film- und Fernsehserien, von Star Wars, Star Trek et hoc genus omne, deren Prägekraft freilich seit den letzten zwanzig Jahren ebenfalls erschöpft scheint und deren Ikonizität, wie man anhand der zumindest bis vor jenen zwanzig Jahren omnipräsenten Merchandising leicht feststellen kann, ihrerseits nur recht dürftig war.
Und doch, und doch...
Auf der anderen Seite bleibt festzuhalten, daß zumindest für ältere Lesergenerationen, die während der Präsenz van Dongens, aber auch all der anderen Genannten im kleinen Karpfenteich des Genres diese Bücher, die Magazine lasen, die an der Entwicklung des Metiers teilhatten, diese Namen eine bis heute nachhallende Präsenz besitzen. Van Dongen, der den größten Teil seiner Berufslaufbahn als Werbegraphiker arbeitete und dessen Passion es war, als Landschaftsmaler reüssieren zu können, ist einzig als Verfertiger von einem guten halben Hundert Titelbilder für die Magazine der fünfziger Jahre in irgendeiner Form präsent und auffindbar. In den beiden anderen Bereichen war seine Kreativität, seine gesamte Tätigkeit, ohne bleibende Spur - wie bei abertausenden anderen Kreativen, Werbemenschen, Journalisten, Textern ebenfalls.
Van Dongen studierte von 1939 bis 1941 am Mechanics Institut in New York Kunst und technisches Zeichnen. Während des Kriegs diente der als Bordschütze auf einem Lancaster-Bomber; verbrachte nach einem Abschuß neun Monate in deutscher Kriegsgefangenschaft und arbeitete nach dem Krieg als Illustrator für das Studio Hart-Conway Company an der New Yorker Madison Avenue, bis heute Herzstück der amerikanischen Werbeindustrie. Ab Ende 1950 fertigte er Innenillustrationen und Titelbilder für die Redaktionen der SF-Magazine, die in New York ansässig waren; für Popular Publications und Street and Smith, die Astounding verlegten, wo in den nächsten zehn Jahren mehr als 40 seiner Umschlagillustrationen erschienen. Nach einem Umzug ins Provinznest Canandaiqua, ebenfalls im Bundesstaat New York gelegen, aber nicht mehr in passabler Nähe zu den Redaktionen, erwies sich der Postversand der Titelbild-Vorlagen aufwendig und van Dongen kaprizierte sich im Folgenden auf Werbegraphik. Ein zweites Gastspiel im Genre gab er zwischen 1976 und 1980, als er rund 30 Titelbilder für die SF- und Fantasy-Taschenbuchreihe von Ballantine Books anfertigte. In diesen Bildern bediente er sich häufig grotesker, die Physiognomie verzerrender Elemente und einer mehr auf kräftige Farben tendierenden Palette, als es bei ihm früher der Fall gewesen war. Die Gedeckheit der Palette und die Motivwahl gerade bei den Covern für Astounding war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß John W. Campbell, Jr., der Herausgeber, dem das Genre sein "Goldenes Zeitalter" verdankt, sich mit seinem Magazin vom knallfarbigen Image des Abenteuerschundes mit grotesken Aliens und leichtbekleideten Damsels-in-Distress als einer dezentere Spielwiese des fiktionalen Spekulierens über ferne Welten, die Möglichkeiten der Technik und den Hallraum der Zukunft abzugrenzen.
H. R. van Dongen starb im Februar 2010 in New York, im Alter von 89 Jahren, 30 Jahre nach seinem zweiten Abschied vom Genre.
Und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: van Dongen ist es, auch unter den Parteigängern des Genres, nicht geglückt, sich mit einer prägnanten Bildfindung, einer ikonischen Illustration eines Textes mit unverbrüchlichem Wiedererkennungswert, sich ins kollektive Gedächtnis der Leser- (bzw. Betrachter-)schaft einzuschreiben. Er war Teil jener Kohorte, die oft mit staunenswertem handwerklichem Können, aber doch in der Menge verschwindend, den Bildraum des Genres mit seinen Versatzstücken illustrierten. Aber aus der Distanz von mittlerweile einem halben Jahrhundert fällt auf, wie sehr dieser Bildkosmos selbst der Vergangenheit angehört. Die Bilder von pittoresken Aliens, stromlinienförmigen Raumgefährten, Robotern in Menschengestalt, futuristischen Vehikeln in Tropfenform und Zukunftsmetropolen wie in den Himmel aufschießende Wälder aus Kristallsäulen - all diese Tropen, die dem Betrachter in einem Sekundenbruchteil den Eindruck "die Zukunft!" vermitteln - die Bildsprache, die auch erst ein ganzes Jahrhundert für ihre Entwicklung und Reifung benötigte, scheint abgetan und der Vergangenheit anzugehören. SF-Romane heutiger Prägung unterscheiden sich in ihrer Gestaltung oft kaum nicht, und vor allem: nicht mehr auf diese grundsätzliche Weise, von anderen Drapierungen zeitgenössischer Unterhaltung. Halbsymbolisches, Gesichter in Nahaufnahme, oft abstrakte Muster ohne Verweisfunktion scheinen mittlerweile die Norm zu sein. Irgendwann in den neunziger Jahren hat diese Umorientierung eingesetzt; die letzte prägante Umschlaggestaltung, die mir in dieser, nun ja, "ikonischen Form" spontan im Gedächtnis verhaftet geblieben ist, war das Titelbild für China Mievilles "Perdido Street Station" aus dem Jahr 2000. Man mag darin einen ästhetischen Reifungsprozess sehen; ich verbuche es als Verlust einer einzigartigen Bildwelt, auch wenn sie zumeist aus schlichten Klischees zusammengesetzt war. Wir sehen Ähnliches im "RL", in der sich entwickelnden Technologie, die im Alltag Verbreitung findet. Jedermann benützt heutzutage tagtäglich Smartphones nicht nur zur Kommunikation, sondern auch als Wegweiser, als Zugang zum gesamten angesammelten Weltwissen der letzten Jahrtausende, als Kamera, als Fahrscheindepot, Kompaß, Sternenatlas, als Musikarchiv und Spielkonsole und allem weiteren, wofür sich eine App herungterladen läßt - und NICHTS davon fühlt sich in der geringsten Weise "nach Zukunft", nach "Technik des 21. Jahrhunderts" an. Die Besatzung der NGC-1701 Enterprise hätte sich vor einem halben Jahrhundert in ihrem nominellen 23. Jahrhundert nicht im Traum solche Kommunikatoren ausgemalt - bzw. deren Schöpfer, allen voran Gene Roddenberry, nicht. Irgendetwas scheint auf dem Weg der Imagination der Zukunft in ihre Umsetzung, soweit es Ingenieurskunst und Naturgesetze zulassen, verloren gegangen zu sein. Und es könnte sein, daß es nicht allein der Verlust der Naivität war.
(Van Dongens Version einer mobilen Videokonferenzschaltung von 1957)
* * *
Bleibt noch etwas? Ja. Vielleicht. Möglicherweise. Wenn auch auf seine Weise sowohl trivial als auch unerwartet.
Es ist mitunter von Kennern des Metiers bemerkt worden, daß bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts ab und an bei den Autoren der Brauch herrschte, bei Spekulationen, denen etwas mehr Seriösität hinsichtlich der Verhältnisse der Zukunft beigemengt sein sollte, den Text 100 oder 50 Jahre jenseits der Entstehungszeit zu situieren. Seinen Ursprung hat dies in den Frühformen der Futurologie in den Zeit zwischen 1900 und 1930 (nicht zufällig war dies auch die Zeit, als "das Jahr 2000" als Wegmarke für die Nahe Zukunft in Gebrauch kam). So spekulierte der Earl of Birkenhead in dem seinerzeit bekanntesten Buch dieses kleinen Genre über "The World in 2030 A.D"; der Text erschien 1930. Im deutschen Sprachraum steht dafür Arthur Bremers nicht immer sehr seriöse Essay-Anthologie "Die Welt in hundert Jahren" aus dem Jahr 1910. Dieses Verfahren kam nicht häufig zur Anwendung, aber immerhin oft genug, um aufzufallen. Und zu dem ersten Titelbildern, die H. R. van Dongen für ein SF-Magazin angefertigt hat, zählt das Cover für die vorletzte Ausgabe des Magazins Super Science Stories, die im Juni 1951, also fast exakt ein halbes Jahrhundert vor 9/11, erschien. Der Verlag, Popular Publications, hatte die Magazine Famous Fantastic Mysteries und Fantastic Novels im Programm, die in erster Linie auf Nachdrucke fantastischer Texte aus den vorangegangenen Jahrzehnten festgelegt waren. Der Nachkriegsboom der SF, der sich mit den ersten Anthologien mit Genretexten angekündigt hatte, brachte den Verlag dazu, den Titel eines SF-Magazins, das es zwischen 1939 und 1943 auf gut 40 Ausgaben gebracht hatte, neu zu beleben und hier auf neue Texte zu setzen.
Das Bild, nominell eine Illustration einer ganz frühen Erzählung von Poul Anderson, "Earthman, Beware!" zeigt eine Großstadt, die offenkundig der Jetztzeit angehört und sich auf der Erde befindet. Das Empire State Building im Hintergrund macht deutlich, daß es sich um New York, the Big Apple handelt. Fremdartige Flugmaschinen fliegen durch die Straßenschluchten, zwischen den Wolkenkratzerfassaden quillt der Rauch viele Stockwerke hoch; die Szene ist in das primäre Rot und Gelb der Flammen gehüllt. Und über allem prangt das Motto des Magazins:
"Read It Today - Live It Tomorrow!"
Die kleine Erinnerung an das Oeuvre des amerikanischen Science-Fiction-Künstlers Henry Richard van Dongen, der heute genau vor 100 Jahren, am 20. August 1920 in Rochester im Bundesstaat New York geboren wurde, bietet Gelegenheit zum einem angelegentlichen Schlnker zu zwei faits diverses.
Zum einen: so gut wie keinem der hunderten Künstler, Zeichner, Maler, Gestalter, Gebrauchsgraphiker, Designer, Planer in dieser Branchew ist es vergönnt, einen wie auch immer gearteten ikonischen Status zu erreichen, ob nun als Künstler oder durch irgendeines seiner (oder ihrer) Werke. Gewisse Ausnahmen zählen in diesem Metier zu den Bestätigungen der Regel: die ringförmige Raumstation, wie sie Wernher von Braun Anfang der 1950er Jahre in den drei Symposien zum Thema "der anstehende Aufbruchs ins Weltall" des Hayden-Planetariums konzipiert hat, ist in den Illustrationen von Chesley Bonestell dazu geworden und hat sich mindestens zwei Generationen von Zeitzeugen als Chiffre eingeprägt; von den Bebilderungen aus dem direkten Bereich der SF könnte Frank Kelly Freas' pastoses Porträt eines Metallriesen, der so erstaunt wie anklagend in seiner Hand den Sterblichen präsentiert, den seine mechanische Gewalt das Leben gekostet hat und das 1953 als symbolisches Titelbild des damals bedeutendsten SF-Magazins, Astounding Science Fiction, erschienen ist (mit zu dieser Bekanntheit dürfte beigetragen haben, daß die Rockgruppe Queen das Bild ein Vierteljahrhundert später als Cover einer LP wiederverwendet hat). Filmszenen und -tableaus bilden in diesem Bereich sowieso die Ausnahme. Aber die zahllosen Titelbilder und Illustrationen im gedruckten, erzählenden Genre sind eine flüchtige Kunst. Die Namen und auch die Bildfindungen selbst "große", "namhafter" Künstler sind nur noch denen geläufig, die sich mit der Geschichte dieser Literaturgattung befaßt haben. Namen wie die erwähnten von Bonestell oder Freas, von Ed Emshwiller, Frank R. Paul, Chris Foss, Michael Whelan oder Karel Thole, Patrick Woodroff, David G. Hardy oder Paul Lehr sind niemandem außerhalb dieses kleinen Interessenbereichs "ein Begriff" - und auch in diesem Bereich scheint das "kollektive Gedächtnis" nachzulassen. Die jüngeren Generationen der Rezipienten beziehen ihren Bildvorrat zumeist aus dem Fundus der seit einem halben Jahrhundert dominierenden visuellen Spielart: aus den Film- und Fernsehserien, von Star Wars, Star Trek et hoc genus omne, deren Prägekraft freilich seit den letzten zwanzig Jahren ebenfalls erschöpft scheint und deren Ikonizität, wie man anhand der zumindest bis vor jenen zwanzig Jahren omnipräsenten Merchandising leicht feststellen kann, ihrerseits nur recht dürftig war.
Und doch, und doch...
Auf der anderen Seite bleibt festzuhalten, daß zumindest für ältere Lesergenerationen, die während der Präsenz van Dongens, aber auch all der anderen Genannten im kleinen Karpfenteich des Genres diese Bücher, die Magazine lasen, die an der Entwicklung des Metiers teilhatten, diese Namen eine bis heute nachhallende Präsenz besitzen. Van Dongen, der den größten Teil seiner Berufslaufbahn als Werbegraphiker arbeitete und dessen Passion es war, als Landschaftsmaler reüssieren zu können, ist einzig als Verfertiger von einem guten halben Hundert Titelbilder für die Magazine der fünfziger Jahre in irgendeiner Form präsent und auffindbar. In den beiden anderen Bereichen war seine Kreativität, seine gesamte Tätigkeit, ohne bleibende Spur - wie bei abertausenden anderen Kreativen, Werbemenschen, Journalisten, Textern ebenfalls.
Van Dongen studierte von 1939 bis 1941 am Mechanics Institut in New York Kunst und technisches Zeichnen. Während des Kriegs diente der als Bordschütze auf einem Lancaster-Bomber; verbrachte nach einem Abschuß neun Monate in deutscher Kriegsgefangenschaft und arbeitete nach dem Krieg als Illustrator für das Studio Hart-Conway Company an der New Yorker Madison Avenue, bis heute Herzstück der amerikanischen Werbeindustrie. Ab Ende 1950 fertigte er Innenillustrationen und Titelbilder für die Redaktionen der SF-Magazine, die in New York ansässig waren; für Popular Publications und Street and Smith, die Astounding verlegten, wo in den nächsten zehn Jahren mehr als 40 seiner Umschlagillustrationen erschienen. Nach einem Umzug ins Provinznest Canandaiqua, ebenfalls im Bundesstaat New York gelegen, aber nicht mehr in passabler Nähe zu den Redaktionen, erwies sich der Postversand der Titelbild-Vorlagen aufwendig und van Dongen kaprizierte sich im Folgenden auf Werbegraphik. Ein zweites Gastspiel im Genre gab er zwischen 1976 und 1980, als er rund 30 Titelbilder für die SF- und Fantasy-Taschenbuchreihe von Ballantine Books anfertigte. In diesen Bildern bediente er sich häufig grotesker, die Physiognomie verzerrender Elemente und einer mehr auf kräftige Farben tendierenden Palette, als es bei ihm früher der Fall gewesen war. Die Gedeckheit der Palette und die Motivwahl gerade bei den Covern für Astounding war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, daß John W. Campbell, Jr., der Herausgeber, dem das Genre sein "Goldenes Zeitalter" verdankt, sich mit seinem Magazin vom knallfarbigen Image des Abenteuerschundes mit grotesken Aliens und leichtbekleideten Damsels-in-Distress als einer dezentere Spielwiese des fiktionalen Spekulierens über ferne Welten, die Möglichkeiten der Technik und den Hallraum der Zukunft abzugrenzen.
H. R. van Dongen starb im Februar 2010 in New York, im Alter von 89 Jahren, 30 Jahre nach seinem zweiten Abschied vom Genre.
Und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: van Dongen ist es, auch unter den Parteigängern des Genres, nicht geglückt, sich mit einer prägnanten Bildfindung, einer ikonischen Illustration eines Textes mit unverbrüchlichem Wiedererkennungswert, sich ins kollektive Gedächtnis der Leser- (bzw. Betrachter-)schaft einzuschreiben. Er war Teil jener Kohorte, die oft mit staunenswertem handwerklichem Können, aber doch in der Menge verschwindend, den Bildraum des Genres mit seinen Versatzstücken illustrierten. Aber aus der Distanz von mittlerweile einem halben Jahrhundert fällt auf, wie sehr dieser Bildkosmos selbst der Vergangenheit angehört. Die Bilder von pittoresken Aliens, stromlinienförmigen Raumgefährten, Robotern in Menschengestalt, futuristischen Vehikeln in Tropfenform und Zukunftsmetropolen wie in den Himmel aufschießende Wälder aus Kristallsäulen - all diese Tropen, die dem Betrachter in einem Sekundenbruchteil den Eindruck "die Zukunft!" vermitteln - die Bildsprache, die auch erst ein ganzes Jahrhundert für ihre Entwicklung und Reifung benötigte, scheint abgetan und der Vergangenheit anzugehören. SF-Romane heutiger Prägung unterscheiden sich in ihrer Gestaltung oft kaum nicht, und vor allem: nicht mehr auf diese grundsätzliche Weise, von anderen Drapierungen zeitgenössischer Unterhaltung. Halbsymbolisches, Gesichter in Nahaufnahme, oft abstrakte Muster ohne Verweisfunktion scheinen mittlerweile die Norm zu sein. Irgendwann in den neunziger Jahren hat diese Umorientierung eingesetzt; die letzte prägante Umschlaggestaltung, die mir in dieser, nun ja, "ikonischen Form" spontan im Gedächtnis verhaftet geblieben ist, war das Titelbild für China Mievilles "Perdido Street Station" aus dem Jahr 2000. Man mag darin einen ästhetischen Reifungsprozess sehen; ich verbuche es als Verlust einer einzigartigen Bildwelt, auch wenn sie zumeist aus schlichten Klischees zusammengesetzt war. Wir sehen Ähnliches im "RL", in der sich entwickelnden Technologie, die im Alltag Verbreitung findet. Jedermann benützt heutzutage tagtäglich Smartphones nicht nur zur Kommunikation, sondern auch als Wegweiser, als Zugang zum gesamten angesammelten Weltwissen der letzten Jahrtausende, als Kamera, als Fahrscheindepot, Kompaß, Sternenatlas, als Musikarchiv und Spielkonsole und allem weiteren, wofür sich eine App herungterladen läßt - und NICHTS davon fühlt sich in der geringsten Weise "nach Zukunft", nach "Technik des 21. Jahrhunderts" an. Die Besatzung der NGC-1701 Enterprise hätte sich vor einem halben Jahrhundert in ihrem nominellen 23. Jahrhundert nicht im Traum solche Kommunikatoren ausgemalt - bzw. deren Schöpfer, allen voran Gene Roddenberry, nicht. Irgendetwas scheint auf dem Weg der Imagination der Zukunft in ihre Umsetzung, soweit es Ingenieurskunst und Naturgesetze zulassen, verloren gegangen zu sein. Und es könnte sein, daß es nicht allein der Verlust der Naivität war.
(Van Dongens Version einer mobilen Videokonferenzschaltung von 1957)
* * *
Bleibt noch etwas? Ja. Vielleicht. Möglicherweise. Wenn auch auf seine Weise sowohl trivial als auch unerwartet.
Es ist mitunter von Kennern des Metiers bemerkt worden, daß bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts ab und an bei den Autoren der Brauch herrschte, bei Spekulationen, denen etwas mehr Seriösität hinsichtlich der Verhältnisse der Zukunft beigemengt sein sollte, den Text 100 oder 50 Jahre jenseits der Entstehungszeit zu situieren. Seinen Ursprung hat dies in den Frühformen der Futurologie in den Zeit zwischen 1900 und 1930 (nicht zufällig war dies auch die Zeit, als "das Jahr 2000" als Wegmarke für die Nahe Zukunft in Gebrauch kam). So spekulierte der Earl of Birkenhead in dem seinerzeit bekanntesten Buch dieses kleinen Genre über "The World in 2030 A.D"; der Text erschien 1930. Im deutschen Sprachraum steht dafür Arthur Bremers nicht immer sehr seriöse Essay-Anthologie "Die Welt in hundert Jahren" aus dem Jahr 1910. Dieses Verfahren kam nicht häufig zur Anwendung, aber immerhin oft genug, um aufzufallen. Und zu dem ersten Titelbildern, die H. R. van Dongen für ein SF-Magazin angefertigt hat, zählt das Cover für die vorletzte Ausgabe des Magazins Super Science Stories, die im Juni 1951, also fast exakt ein halbes Jahrhundert vor 9/11, erschien. Der Verlag, Popular Publications, hatte die Magazine Famous Fantastic Mysteries und Fantastic Novels im Programm, die in erster Linie auf Nachdrucke fantastischer Texte aus den vorangegangenen Jahrzehnten festgelegt waren. Der Nachkriegsboom der SF, der sich mit den ersten Anthologien mit Genretexten angekündigt hatte, brachte den Verlag dazu, den Titel eines SF-Magazins, das es zwischen 1939 und 1943 auf gut 40 Ausgaben gebracht hatte, neu zu beleben und hier auf neue Texte zu setzen.
Das Bild, nominell eine Illustration einer ganz frühen Erzählung von Poul Anderson, "Earthman, Beware!" zeigt eine Großstadt, die offenkundig der Jetztzeit angehört und sich auf der Erde befindet. Das Empire State Building im Hintergrund macht deutlich, daß es sich um New York, the Big Apple handelt. Fremdartige Flugmaschinen fliegen durch die Straßenschluchten, zwischen den Wolkenkratzerfassaden quillt der Rauch viele Stockwerke hoch; die Szene ist in das primäre Rot und Gelb der Flammen gehüllt. Und über allem prangt das Motto des Magazins:
"Read It Today - Live It Tomorrow!"
U.E.
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