11. September 2018

Politische Symmetrie

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Die Diskussion um das Phänomen der AfD lässt mich oftmals ratlos zurück. Dies liegt vor allem daran, dass im Zusammenhang mit ihr monokausale Erklärungen samt monokausaler Schlüsse präferiert zu werden scheinen. Selbst wenn man versucht sie differenziert zu sehen, werden Argumente gerne monokausal missverstanden. Von Befürwortern, wie Gegnern der AfD. Woran liegt das? Ich vermute, dass dies mit einem Symmetriebruch der politischen Landschaft zu tun hat, durch welchen sehr starke Rückstellkräfte wirken und möchte im Folgenden versuchen, meine diesbezüglichen Gedanken zu erläutern.

Persönlich halte ich Symmetrie für eine sehr starke Struktur in allen Dingen und habe daher versucht, mich dem Phänomen der AfD aus diesem Aspekt heraus zu nähern. Ganz sicher ist auch dieser Ansatz keine monokausale, einfache Erklärung der politischen Situation in Deutschland, aber er beleuchtet einen Aspekt, der meiner Meinung nach viel zu wenig gewürdigt wird.

Ausgehen möchte ich von der Bonner Republik. Die beiden Volksparteien der alten Bundesrepublik hatten im Kern, so meine ich, eine ganz wesentliche Aufgabe: Die politischen Ränder zur Mitte hin, in das bürgerliche Lager zu integrieren, ihnen ein politisches Angebot zu machen. Der Satz von Strauß, dass es keine demokratische Partei, rechts der Union geben dürfe, streicht die Wesentlichkeit dieser Aufgabe heraus, die er augenscheinlich klar erkannte. Und sein Diktum galt natürlich – wenn auch nie formuliert - (spiegelverkehrt, bzw. symmetrisch) ebenfalls für die SPD.

Die SPD gab diese Aufgabe in der Folge von 1989 immer mehr auf. Die Gründe mögen hier vielfältig sein und sowohl von parteiinternem, wie auch externem Druck getrieben. Sie reichen wohl von der gemeinsamen Sozialisierung ihrer Funktionärsschicht mit den Grünen bis zum Auftreten der PDS nach der Wiedervereinigung. Durch die Aufgabe der Integrationsarbeit am linken politischen Rand durch die SPD, bildeten bzw. etablierten sich Parteien am linken Rand, welche in Teilen auch Affinität zu Gewalt hatten oder sich zumindest nicht klar gegen diese abgrenzten. Dazu zähle ich persönlich die Grünen wie auch die Linke.

Damit ist nicht gemeint, dass ich in den Grünen oder Linken extremistische Parteien sehe, sondern dass ich – ganz analog zur AfD - problematische Teile in diesen Parteien ausmache, die mindestens mit Abgrenzung zur Gewalt Probleme haben oder gerne auch einmal mit totalitären Phantasien schwanger gehen.

Im Gegensatz zur SPD auf der linken Seite, hielt die Union ihre Aufgabe von rechts zur Mitte hin, ins bürgerliche Lager zu integrieren, länger durch. In der Folge Merkels asymmetrischer Mobilisierungspolitik wurde sie dieser Aufgabe aber immer weniger gerecht. Die Gründung der AfD durch Lucke war in meinen Augen zunächst der Versuch, diesen Trend zu stoppen indem er mit einer rein parlamentarisch und bürgerlich orientierten Partei die immer weniger wahrgenommene Aufgabe der Union übernehmen wollte. Dieser Plan ging nicht auf. Ich vermute das war zwangsläufig, inhärent in der Parteigründung angelegt, weil hier die Symmetriekräfte der politisch entstandenen Landschaft wirkten. Durch den Katalysator von Merkels Migrationspolitik ging dann alles unglaublich schnell und mit der AfD erwuchs ein starker Gegenpol zum äußeren linken, parlamentarischen Spektrum: Als dessen Spiegelbild, mit all seinen Problemen.

In dieser Sicht ist die AfD der (gesellschaftspolitische) Gegenpol zu Grünen und Linkspartei und lässt sich möglicherweise in Teilen aus diesen Symmetrieüberlegungen erklären. Sowohl betreffend die Agenda, wie auch die Parteistruktur und Zusammensetzung, inklusive der problematischen Teile. Ob man das jetzt gut findet oder nicht, ist keine Kategorie. In meinen Augen hat sich hier ein Gleichgewicht eingestellt, dass mit der Neuformierung des linken politischen Flügels der Republik nach 1989 gestört war.

Ich persönlich fand die Situation mit den beiden integrierenden Volksparteien und einem liberalen Mehrheitsbeschaffer sehr viel ansprechender. Das ändert aber nichts daran, dass die Situation nun eine andere ist. Solange es Grüne und Linke in ihrer jetzigen Form gibt, wird es meines Ermessens auch die AfD so geben, wie sie ist - als Spiegelbild der beiden. Zwei politische Flügel, die sich jeweils als Projektionsfläche für komplementäre Angstphantasien nutzen, bei Menschen, die der bürgerlichen Mitte den Rücken gekehrt haben.

Wenn man die AfD marginalisieren möchte, muss man daher wohl auch Grüne und Linke marginalisieren, in dem Sinne, dass die beiden Volksparteien wieder zur bürgerlichen Mitte hin integrierende Parteien werden, die linke wie rechte Parteien neben ihnen überflüssig machen. Unterstützt wird diese These in meinen Augen dadurch, dass in aktuellen Wahlumfragen die beiden Antipoden AfD und Grüne vom Vertrauensverlust in die beiden Volksparteien gleichermaßen profitieren.

Diese Aufgabe, der Befriedung der politischen Ränder ist schwierig. Das zeigt sich nicht zuletzt in dem eingangs erwähnten Hang zur Monokausalität bei diesem Thema. Dieser Hang scheint mir Ausdruck dafür zu sein, dass die gesellschaftlichen Kräfte umso stärker wirken, je weiter ihre Pole auseinanderrücken. Im Spiegelpunkt der beiden Pole, der politischen Mitte, ist ein Agieren unter Einfluss dieser starken Kraftwirkungen kaum mehr möglich. Dies könnte auch ein Umstand sein, der dafür verantwortlich zeichnet, dass diese Mitte kaum mehr besetzt ist.

Wenn man diese Mitte wiederbesetzen, zur Akzeptanz verhelfen möchte, müssten die Vertreter der Volksparteien (zurück) zu einer integrierenden und nicht spaltenden Sprache und Ansprache eines Großteils der Bürger finden. Dazu gehört allem voran, mit einem überzeugenden Vorleben der eigenen, eingeforderten Maßstäbe in Vorleistung zu treten. Das ist eine ganz einfache Regel, welche dem Verfasser dieser Zeilen aus der Kindererziehung bestens vertraut ist: Vorbild durch vorleben. Alles andere ist zweck- und wirkungslos.

Die Ereignisse um Chemnitz haben gezeigt, dass sich viele Vertreter der Volksparteien mit diesem „Vorleben“ noch sehr schwer tun. Als Beispiele dafür kann man einen Bundespräsidenten nennen, der Auftritte linksextremistisch grundierter Musiker bewirbt oder auch eine Bundeskanzlerin, die sehr schnell und eigenwillig aus einer mehr als spärlichen Faktenlage fertige Schlüsse zieht.

Es erscheint mir derzeit nur die CSU zu sein, die mit Seehofer die Aufgabe der Befriedung der politischen Ränder - im Staußschen Sinne - angehen möchte. – Dass Wahltaktik ebenfalls dazu gehört: Geschenkt. Zu einer Adjustierung der Symmetrie gehört dabei auch, dass sich die Mitte des Systems verschiebt und neu findet. In meinen Augen versucht die CSU, die zwischen den entstandenen Kraftpolen neu justierte, politischen Mitte zu besetzen. Sie ist dabei eingekeilt zwischen der AfD, den Merkel-affinen Unionsteilen und dem linken parlamentarischen Flügel, welche sich allesamt schwer mit der Neuadjustierung tun. Auch die FDP fremdelt in großen Teilen damit.

Der Kampf der CSU, stellvertretend für die Union, um diese neue, aus politischer Symmetrie entstandene Mitte mag richtungsweisend werden, für die Gestalt der politischen Landschaft in unserer Republik. Findet sie zurück zu integrierenden Volksparteien oder verschiebt sie sich zu einer politischen Landschaft mit starken Polen? Die erste Variante scheint mir für Deutschland ein Maßanzug zu sein, die zweite eine eher den persönlichen Präferenzen angepasste, ausgebeulte Wohlfühlkleidung. Mein Daumendrücken hat die CSU sicher. Meine Stimme - in der außerbayrischen Diaspora beheimatet - leider nicht.
 

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