Fahnen runter! befiehlt die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz in bemerkenswert militaristisch-kasernenhaften Ton. Etwas konzilianter versucht es Andreas Borcholte auf Spiegel online, der zunächst betont, nicht der „Spielverderber“ sein zu wollen, um dann im folgenden jedoch genau das zu versuchen. Das Tragen der Nationalfarben, doziert er mit erigiertem Zeigefinger, sei durch die Fahnenschwenker von Pegida oder durch einen Björn Höcke unmöglich gemacht; Schland ist gleichsam mit den Flüchtlingsunterkünften abgebrannt. „Nationalistische Triebe“ würden durch die Träger schwarzrotgoldener Bekleidung und Fahnen geweckt und drohten jede Sekunde in rassistische Gewalt umzuschlagen; schon wähnt man sich als argloser Leser und Fußballfan im Frühsommer 1914…
Zumindest ist Borcholte aber zum Ende seines Textes nicht um einen Lösungsvorschlag verlegen: wir mögen doch zukünftig alle die EU-Fahne schwenken; so wären wir doch gewissermaßen jetzt schon alle Europameister.
"Welch kleinkarierte Halbherzigkeit!" möchte man dem Autor indes zurufen. Ist es nicht vielmehr höchste Zeit für einen großen Wurf, für ein starkes Zeichen gegen jegliche Diskriminierung im Sport? So könnte man durch eine fünfzigprozentige Frauenquote für jede Mannschaft (dann als Menschschaft zu bezeichnen) dem sexistischen Unterton im Fußball machtvoll entgegentreten. Um den Sport darüber hinaus zu entnationalisieren, könnte man darüber nachdenken, die Mannschaften neu zusammenzusetzen; ein Zufallsverfahren wäre hier wohl geeignet, der Gerechtigkeit genüge zu tun. Wenn dann also jede Mannschaft aus einem Deutschen, einem Spanier, einem Engländer, einem Niederländer usw. besteht, werden dem Publikum die nationalistischen Flausen schon vergehen.
Um jeglichen sexistischen oder rassistischen Umtrieben weiter den Garaus zu machen, könnte man darüber hinaus über Körperverhüllungen für sämtliche Spieler_innen nachdenken, nicht zuletzt auch, um ein Zeichen gegen den grassierenden neoliberalen Leistungs- und Konkurrenzdruck im Sport zu setzen -und in Rücksicht auf unsere islamischen Mitbürger; hier gab es ja jüngst bereits innovative Ansätze einer deutschen Wirtschaftsdelegation im Vorfeld einer Iranreise, die man sich zum Vorbild nehmen könnte.
Apropos Neoliberalismus. Daß es im Fußball noch „Gewinner“ und „Verlierer“ gibt, ist hochgradig unzeitgemäß; vor diesem Hintergrund sollte das Zählen von Toren zukünftig unterbleiben. Wenn nun die gänzlich gegenderten und verhüllten europäischen Mannschaften, vom elenden siegenmüssen befreit, selbst nicht mehr wissen, wer nun eigentlich zu welcher Mannschaft gehört, dann wird der Fußball endlich seine völkerverbindende Bestimmung gefunden haben, indem man den Ball für 90 Minuten einfach freundschaftlich hin und her kickt.
In diesem Sinne wünsche ich allen Fußballfans ein schönes Turnier.
Andreas Döding
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