13. Juni 2015

Martin Buber starb am 13. Juni vor 50 Jahren

Er blieb, so scheint es mir, immer ein Sucher und hatte den chassidischen Glauben seines Großvaters im galizischen Lemberg durch das Studium der Aufklärung verloren. Ältere erinnern sich vielleicht noch an Radiovorträge, in denen das Wort vom heutigen Schweigen Gottes vorkam. Damals liefen auch alle in Ingmar Bergmans Film „Das Schweigen“. Und fand der jüdische Sucher etwas?

Buber (1878-1965) berichtet über seine Suche nach der Wahrheit: „In jüngeren Jahren war mir das ‚Religiöse‘ die Ausnahme. (…) Das ‚Religiöse‘ hob einen heraus. Drüben war nun die gewohnte Existenz mit ihren Geschäften, hier aber waltete Entrückung, Erleuchtung, Verzückung, zeitlos, folgelos.“ Das Ereignis eines schicksalshaften Besuchs eines jungen verzweifelten Menschen habe ihn bekehrt. Er habe dessen Fragen zwar beantwortet, aber es unterlassen, „die Fragen zu erraten, die er nicht stellte“ und von denen er später durch einen Freund erfuhr. „Seither habe ich jenes ‚Religiöse‘, das nichts als Ausnahme ist, Herausnahme, Ekstasis, aufgegeben oder es hat mich aufgegeben. Ich besitze nichts mehr als den Alltag. (…) Ich kenne keine Fülle mehr als die Fülle jeder sterblichen Stunde an Anspruch und Verantwortung. (…) Wenn das Religion ist, so ist sie einfach alles, das schlichte gelebte Alles in seiner Möglichkeit der Zwiesprache.“ ( Zwiesprache, Traktat vom dialogischen Leben, Heidelberg 1978, 31-33)

Buber suchte von Anfang an einen dritten Weg zwischen Individualismus und Kollektivismus. Er hat es später so benannt: „Der Mensch im Kollektiv ist nicht der Mensch mit dem Menschen. (…) Jene zarte Fläche des persönlichen Wesens, die nach Fühlung mit anderem Wesen verlangt, wird fortschreitend abgetötet oder doch unempfindlich gemacht.“ (Das Problem des Menschen, Heidelberg 1954, 163)

Der erste Schritt müsse die Zerschlagung der falschen Alternative sein. „Die fundamentale Tatsache der menschlichen Existenz ist der Mensch mit dem Menschen. (…) Diese Sphäre, mit der Existenz des Menschen als Menschen gesetzt, aber begrifflich noch unerfasst, nenne ich die Sphäre des Zwischen. Sie ist die Urkategorie der menschlichen Wirklichkeit.“ Gemeinschaft meint: „weder das Individuum noch das Kollektiv, sondern der Mensch mit dem Menschen“. (165-166, 169)

Er ist neben Ebner ein Begründer der dialogischen Philosophie. Seine „Schriften über das dialogische Prinzip (Ich und Du)“ (Heidelberg 1954) umfassen vier Aufsätze: „Ich und Du“ (1923), „Zwiesprache“ (1930), „Die Frage an den einzelnen“ (1936) und „Elemente des Zwischenmenschlichen“ (1953).

Das Wortpaar Ich-Du ist ihm ein „Grundwort“ neben dem anderen Wortpaar „Ich-Es“. Aber da waltet ein Unterschied: „Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Das Grundwort Ich-Es kann nie mit dem ganzen Wesen gesprochen werden.“ (10) Im Unterschied zum Reich des Es, der Weltgegenstände, hat das Reich des Du keinen anderen Grund als dass das Ich in einer Beziehung steht. „Das Grundwort Ich-Du stiftet die Welt der Beziehung.“ (15) Die Beziehung zur Person ist nach Buber keine Erfahrung wie die Beziehung zu einem Es, sondern eine Begegnung und Aktion meines ganzen Wesens. „Das Du begegnet mir von Gnaden.“ (38) „Ohne Es kann der Mensch nicht leben. Aber wer mit ihm allein lebt, ist nicht der Mensch.“ Das Zwischen zeige sich als eine wirkkräftige Macht, die im magischen Weltbild der Primitiven ebenso erfahren wird wie im Kontakttrieb der Zärtlichkeit. (22-25, 31-32)

Bubers Frage hat ein bestimmtes Ziel. Er fragt: „Die Welt des Du ist nicht verschlossen. Wer mit gesammeltem Wesen, mit auferstandener Beziehungskraft zu ihr ausgeht, wird der Freiheit inne. (…) Wie kann in einem Wesen die verschüttete Beziehungskraft auferstehen, wo allstündlich ein rüstiges Gespenst den Schutt feststampft? Wie sammelt sich ein Wesen ein, das unablässig von der Sucht der abgelösten Ichheit im leeren Kreis gejagt wird?“ (60-61) Er müsse seinen kleinen unfreien Willen dem großen Willen, seiner Bestimmung, Sehnsucht opfern.

Hier muss Buber nun über das Entdecken des transzendenten Du sprechen. „Der Du-Sinn, der sich nicht ersättigen kann, bis er das unendliche Du findet.“ Aber um dessen Gnade zu begegnen, muss unser menschlicher Wille „ausgehn“, sich ganz loslassen auf sie hin, eine „elementare Umkehr“ akzeptieren. (60-61) Das bedeutet für sein jüdisches Denken nicht Weltabkehr, sondern: „Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann.“ (80)

Das Interesse gilt hier nicht der mystischen Vereinigung mit Gott, sondern dem Wählen des richtigen Ziels, der Umkehr von Götzen zu dem wahren Gott. Und das bedeutet zugleich auch die Teilnahme am Bau einer Gemeinschaft, die zur Befreiung führt und mehr ist als eine Sozialisierung, nämlich dem Leben Sinn gibt: „die ganze Fülle der wirklichen Gegenseitigkeit“. (111)

„Und so besteht die echte Bürgschaft der Raumstetigkeit darin, dass die Beziehungen der Menschen zu ihrem wahren Du, die Radien, die von all den Ichpunkten zur Mitte ausgehn, einen Kreis schaffen. Nicht die Peripherie, nicht die Gemeinschaft ist das erste, sondern die Radien, die Gemeinsamkeit der Beziehung zur Mitte. Sie allein gewährleistet den echten Bestand der Gemeinde.“ (116)

Eine zweite Stelle in „Ich und Du“ erklärt: „die wahre Gemeinde entsteht nicht dadurch, dass Leute Gefühle füreinander haben (wiewohl freilich auch nicht ohne das), sondern durch diese zwei Dinge: dass sie alle zu einer lebendigen Mitte in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen und dass sie untereinander in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen.“ (47)

Die Frage an den Einzelnen ist, an einem solchen Platz mittragen und sich mittragen lassen, und dies heißt für ihn: „Sich von Gott helfen lassen wollen.“ ( Die Schriften über das dialogische Prinzip (Die Frage an den Einzelnen), Heidelberg 1954, 200)

Wir sollten Buber so wenig vergessen wie Franz Rosenzweig, mit dem zusammen er die hebräische Bibel wörtlich ins Deutsche zu übersetzen suchte, zum Gebrauch in liberalen Synagogen. Als die Übersetzung fertig war, gab es aber keine solchen in Deutschland mehr.

Ludwig Weimer

© Ludwig Weimer. Für Kommentare bitte hier klicken. Das Bild wurde vom Autor Joop van Bilsen / Anefo unter der Lizenz "Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Netherlands" freigegeben.