Dürer zu Martin Luther 1521
Es gibt von Albrecht Dürer eine Reihe von Federzeichnungen zur Szene, wie Jesus im Ölgarten um sein Ja zum drohenden Tod ringt, während die Jünger schlafen und dann feige fliehen. In vielen Fassungen Dürers zur Passion kniet Jesus, betet oder reißt die Arme hoch, als der Engel Trost bietet. In anderen Fassungen aber liegt der Leib ganz hingestreckt auf dem Felsen, wie gekreuzigt. Diese Interpretation berührt mich am stärksten, weil Jesus so auf dem Erdboden ausgestreckt liegt, als wolle er die Welt, das Leben umarmen. Dieses Gegenstück zum späteren Ausgestrecktsein am Kreuz ist wie aus der neuzeitlichen Empfindung geboren, es entspricht einer modernen Fragestellung: Was wird aus der geliebten Welt? War durch die Entdeckung Amerikas der Blick auf unsere Erdkugel stärker zu einer horizontalen Heilsfrage geworden?
Was der Zeit-Hintergrund war, erfährt man aus Dürers Klage in seinem Tagebuch. Die Zeichnung stammt wohl von 1521. Dürer war auf einer langen Reise durch die Niederlande und hörte in Antwerpen vom Nein des Kaisers zu Luther, von dessen Verhaftung und vermeintlichem Tod. Er schrieb in sein Tagebuch am Freitag vor Pfingsten 1521:
„Und lebt er noch oder haben sie ihn gemördert, das ich nit weiß, so hat er das gelitten um der christlichen Wahrheit willen und um dass er gestraft hat das unchristliche Pabsttum. (…) Und sonderlich ist mir noch das Schwerste, dass uns Gott vielleicht noch unter ihrer falschen blinden Lehr will lassen bleiben. (…) Ach Gott vom Himmel, erbarm dich unser, o Herr Jesu Rex Christe, bitt für dein Volk, erlös uns zur rechten Zeit, erhalt in uns den rechten wahren christlichen Glauben, versammle deine weite zertrennte Schaf durch dein Stimm. (…) Ruf den Schafen deiner Weide, derer noch ein Teils in der römischen Kirchen erfunden werden, mitsamt den Indianern, Moscabitern, Reußen, Krichen, wieder zusammen. (…) Und so wir diesen Mann verlieren, der so klärer geschrieben hat dann nie keiner in 140 Jahrn gelebt, den du ein solchen evangelischen Geist geben hast, bitten wir dich, o himmlischer Vater, dass du deinen Geist wiederum gebest einem andern, der do dein heilige christliche Kirch allenthalben wieder versammel. (…) O Gott, ist Luther todt, wer wird uns hinfort das heilig Evangelium so klar fürtragen!“
Luther wider die Türken 1540
1529 lagen die Truppen Suleimans II. vor Wien, 1540 bahnte sich die Gefahr erneut an. Der Kurfürst Johann Friedrich bat Luther um eine Äußerung. Luther ist als politisches Gewissen gefragt. Wie sind die Zeichen der Zeit zu deuten? Soll man zum Kreuzzug rüsten?
Der Reformator sieht Deutschland immer noch voller Sünden. Er hatte sich schon jahrelang gefragt, ob Gott den Türken gerufen habe, um zu strafen, oder ob die Deutschen untereinander sich selbst strafen würden, das heißt umkehrten aus den Missständen. Seine Antwort „Vermahnung zum Gebet wider die Türken“ von 1541 orientiert sich an der in der Bibel erzählten Erziehungsstrafe Gottes für Juda, der Eroberung Jerusalems durch Babel und der Verschleppung der Juden in das Exil: „So ist der Türke auch unser Schulmeister und muss uns stäupen und lehren, Gott zu fürchten und zu beten, sonst verfaulen wir ganz in Sünden und in aller Sicherheit, wie bisher geschehen. Wollen wir uns nun helfen und raten lassen, so lasst uns Buße tun.“
Luther schwankt, ob er den Rat, sich den Türken zu fügen, geben darf, und argumentiert: „Weil wir aber nicht wissen, ob Gott das von uns haben will (denn wir haben keinen Jeremia oder Hesekiel, die uns von Gottes wegen aufs neue gebieten oder befehlen, dem Türken zu weichen)“, so gebühre es jetzt, sich zu wehren „bis auf den letzten Atem“, so lange, bis wir nicht „von Gott aufs neue durch Propheten oder Wunderzeichen zurückberufen werden.“ Er überschätzt sich also nicht, als wäre er selber der wegweisende Prophet und Politiker. Luther schreibt im guten Sinn dialektisch, er wisse, dass wir Heutigen nicht die Kraft von Josua und Elia hätten, aber andererseits seien wir doch als Prediger Christi so viel wie diese, auch als arme Sünder. Nur Papisten und falsche Christen schließt er aus.
Sympathisch-logisch ist der Satz: „Und Gott muss (dass ich einmal so rede) ebensowohl unser Gebet erhören wie jener Gebet; denn wir sind Glied seiner Kirche, das ist seines lieben Sohnes Braut, die er nicht verachten kann, wenn sie ernstlich schreit.“
So läuft sein Rat darauf hinaus, zuerst einmal kräftig von der Kanzel die Laster und Sünden zu schelten und zur Umkehr zu mahnen und abzuwarten. Daher folgert er mutig: „Wenn nun etliche sind, die solche Strafe nicht ertragen wollen in Gottes Namen, die mögen aus der Kirche bleiben oder herausgehen in Teufels Namen. Wer hält hier den anderen. Sie, die Gottes Wort nicht hören wollen, werden uns doch keinen Nutzen oder Hilfe, sondern vielmehr Schaden tun in solchen Nöten.“
Besonders die Heerprediger mahnt er, dass sie das Kriegsvolk moralisch beeinflussen sollen. Vielleicht tue Gott dann Wunder gegen die Türken, die eigentlich das Heer des Teufels seien.
Drohendes Jubiläum 2017 für gespaltene Christen
Ich schaue als Katholik auf das, was aus Luthers Werk geworden ist. Er wollte die Kirche reformieren, hat sie aber stattdessen gespalten; meine römische hat sich nicht reformieren lassen, sondern duldete auch lieber eine Spaltung. Beide sind gleich schuldig daran.
Was soll man nun feiern? Ein Vorschlag lautet: die Einheit. Eins-sein worin? Dass beide Kirchen an Jesus glauben, schlug jemand vor. Das ist nicht nur kindlich, sondern Vernebelung. Katholische Amtsträger müssen entgegenhalten, die Spaltung sei doch ‚Sünde‘.
Daher fordern andere, statt gemeinsam zu feiern miteinander das Versagen zu bekennen. Eine Trauerfeier also? Sie wäre nicht nur armselig, sondern auch zu billig, denn die Spaltung in tausend Christentümer tut heute den meisten nicht weh. Die Sehnsucht nach Einheit ist weithin verloren gegangen, viele fürchten sie sogar als Armut eines Zentralismus.
Man erwartet einen eigenen Vorschlag? Der verlangt ein gewisses Verstehen. Es ist ein dritter Weg. Ein zum Delta in viele Teile gespaltener Strom war an der Quelle einer. Beide könnten für sich dorthin zurückgehen, zur gemeinsamen Quelle, der jüdischen Bibel. Zur ökumenischen Frage gehört allererst die Frage, wie die Kirchen mit dem jüdischen Gottesvolk umgehen. Ohne diese Erweiterung zur größeren und tieferen Frage kann es meiner Ansicht nach keine ökumenischen Fortschritte zwischen Reformierten und Katholiken geben. Denn wir sind alle an menschliche Grenzen gefesselt; erst die Frage, welches Vorhaben mit dem Gottesvolk als Segen und Salz der Erde gemeint war, könnte sie sprengen.
Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der Konzilserklärung Nostra aetate hat der Apostolische Stuhl den derzeitigen Stand veröffentlicht (Rom, 10. 12. 2015). Die „Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum“ unter Kardinal Kurt Koch würdigt auf 35 Seiten in 49 Nummern folgende Erkenntnisse für die Katholiken:
Erste Erkenntnis: „Die Trennung von Synagoge und Kirche als der erste und weitreichendste Bruch im auserwählten Volk“ (Nr. 3).
Zweite: „Das Judentum ist nicht einfach als eine andere Religion zu betrachten.“ „Jesus war Jude, in der jüdischen Tradition seiner Zeit beheimatet“; seine Neuheit sei in der Erkenntnis zu sehen, dass die Nähe des Gottesreiches schon gegenwärtig ist (Nr. 14). „Die ersten Christen waren Juden, wie selbstverständlich versammelten sie sich als Teil der Gemeinschaft in der Synagoge“ (Nr. 15). „Die Trennung der Kirche von der Synagoge geschah nicht abrupt, sondern dauerte nach einigen neueren Erkenntnissen sogar noch bis ins dritte bzw. vierte Jahrhundert“ (Nr. 16).
Dritte: Es gebe aber keine zwei Heilswege nach dem Motto ‚Juden halten die Tora, Christen halten sich an Christus‘. Vielmehr verbinden die Christen beides so, „dass sich Jesus Christus als die ‚lebendige Tora Gottes‘ betrachten lässt“ (Nr. 26). „Damit kann es keine zwei Heilswege geben“, was aber nicht eine missionarische Bemühung bedeute. Sondern: „Erwartung, dass der Herr die Stunde heraufführt, wenn wir alle vereint sein werden“ (Nr. 37). Katholiken bekennen heute: „Dass der Bund, den Gott mit seinem Volk Israel geschlossen hat, bestehen bleibt und nie ungültig wird“ (Nr. 39).
Diese Verlautbarung aus Rom trägt den Titel „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29)“. Richtig, er kann seinen Bund nicht widerrufen, die Gläubigen aber dürften eine Abspaltung widerrufen.
Wenn der Bruch zwischen Christen und Juden hier als Ur-Spaltung im Gottesvolk bezeichnet wird, ist damit nicht das Geheimnis aller daraus folgenden Kirchenspaltungen gelüftet und vielleicht auch die Konkurrenz des Islam?
© Ludwig Weimer. Für Kommentare bitte hier klicken.
Das vatikanische Dokument zu 50 Jahren “Nostra aetate” findet man hier. (Direktdownload der PDF-Datei.)