22. November 2023

„Heraus aus der Wiege, auf endloser Kreisbahn“: ISS@25




„Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht für immer in der Wiege leben.“ – Konstantin Ziolkowski

Oder, weniger konzise und nicht im Netzjargon gesagt: die Internationale Raumstation feiert Silberjubiläum.

I.

Mitunter gibt es solche Jahrestage, die selbst dem Interessierten nur dann ins Gedächtnis springen, wenn es sie vorher im Terminkalender rot markiert hat, weil sie sonst völlig unauffällig vorbeigehen. Und bei deren unverhofften Aufscheinen ein kleines Erschrecken mitschwingt: SO LANGE ist das schon her? Wo ist die Zeit geblieben?

Ein solcher Termin war vorgestern, am Montag, dem 20. November 2023, zu vermelden. Dort nämlich, genauer gesagt: um 09 Uhr und 40 Minuten nach Mitteleuropäischer Zeit, war es auf die Minute genau ein Vierteljahrhundert her, daß auf dem Kosmodrom Baikonur in Kasachstan, von uns aus gesehen noch 200 Kilometer jenseits der Aralsees gelegen, um 13:20 Uhr Ortszeit von der Startrampe 23 des Komplexes (Площадка) 81 eine Trägerrakete des Typs Proton-K in den strahlendblauen Spätherbst-Mittagshimmel stieg und das erste Wohnmodul des geplanten beständigen Außenpostens im All in eine Umlaufbahn in 400 Kilometern Höhe brachte: Das Modul Sarja (Заря, „Morgenröte) mit einer Länge von 12.5 Metern, einem Durchmesser von 4 Metern und einem Leergewicht von fast 20 Tonnen. Zwei Wochen später, am 4. Dezember 1998, beförderte der Space Shuttle Endeavour in Rahmen der Mission STS-88 das erste in Westen gebaute Modul, Unity, in die gleiche Bahn mit ihrer Neigung von 51,6 Grad gegen den Erdäquator (was nicht zufällig der nördlichen Breite des „fruchtbaren Braunlands“ – so die Bedeutung des Namens Байконур im Kasachischen – genau entspricht). Unity, mit seinen sechs Verbindungsstutzen des erste von drei zentralen Kopplungsmodulen für die insgesamt 16 unter Druck stehenden Wohn- und Arbeitsmodule der ISS, wurde zwei Tage später um 13:07 unserer Zeit angekoppelt, nachdem Kommandant Robert Cabana das Sarja-Modul mit dem Manipulatorarm Canadarm eingefangen hatte und durch eine kurze Zündung der Steuerdüsen des Shuttles die Flugbahn absenkte. ­



(Die ISS zur Zeit der Expedition 1, aufgenommen beim Anflug von STS-97)

Nachdem als weitere Komponenten im Juli 2000 das russische Wohnmodul Swesda und im Februar 2001 das amerikanische Labor Destiny an Unity angekoppelt worden waren, folgte im November 2000 mit den drei Raumfahrern der Expedition 1 die erste Langzeitbesatzung, die bis zum März 2001 insgesamt 137 Tage auf der Station verbrachten, bis der Shuttle Discovery die Ablösungsmannschaft der Expedition 2 vorbeibrachte - wobei „Mannschaft“ hier nur im Sinne des zeitgeistig verpönten generischen Maskulinums gilt, da mit Susan Helms die erste Frau Quartier auf der Station bezog – die erste von 35, die die Station bis heute besucht haben. Seit 8419 Tagen ist sie seitdem beständig besetzt geblieben, oder, mit anderen Worten gesagt: seit 23 Jahren (und 18 Tagen) hat es keinen Moment mehr gegeben, in dem sämtliche Exemplare der Spezies Mensch sich auf ihrem Heimatplaneten – oder kurzfristig auf einem Flug in seiner Lufthülle – befunden haben.





(Das Sarja-Modul und sein Start im November 1998)

Insgesamt haben in diesem Zeitraum 245 Menschen über kurz oder lang auf der Station Quartier bezogen – 117 davon als Mitglieder der regulären Langzeitbesatzungen, 9 als „Weltraumtouristen,“ 122 davon mehrfach – die beiden russischen Kosmonauten Juri Malenchenko und Oleg Kononenko (der sich zurzeit, seit dem 15. September, als Mitglied der Expedition 69, an Bord aufhält) haben es auf je fünf Visiten gebracht. Eine gewisse „Geschlechterdisparität“ fällt beim Durchsehen dieser Gästeliste ins Auge: unter den russischen Besuchern befand sich bislang nur zwei Frauen - und bei einer davon handelt es sich nicht um eine „gelernte Kosmonautin,“ sondern die Schauspielerin Julija Peressild, die im Oktober 2021 mit dem Regisseur Klim Schipenko „am Originalschauplatz“ 12 Tage lang Szenen für den auf der ISS (bzw. MKS, für Междунаро́дная косми́ческая ста́нция) spielenden Film Вызов (Wijsow, „Die Herausforderung“) abdrehte (**). Für ein Land, das es vor 60 Jahren, auf dem Höhepunkt des „Wettlaufs ins All“ als gewaltigen Propagandaerfolg gefeiert hat, die „erste Frau im Weltraum“ für sich verbuchen zu können, als Walentina Tereschkowa zwischen dem 16. und dem 19. Juni 1963 an Bord der Kapsel Wostok mit dem Rufzeichen „Möwe“ (Чайка *) 44 Mal die Erde umkreiste, liegt darin eine schöne Ironie. Dagegen waren unter den 153 Besuchern aus den Vereinigten Staaten 29 weiblich gelesene Frauenzimmer.

(* Falls ein Leser hier meint, ein Echo zu vernehmen: ja, auch Anton Tschechows berühmtes Bühnenstück aus dem Jahr 1895 trägt den Titel Чайка.)

(** Der Film ist am 20. April 2023 in den Kinos der Russischen Föderation angelaufen; seine Produktionskosten beliefen sich auf etwas über eine Milliarde Rubel; bis zum 20. August hatte der Film – nach offiziellen Angaben 2 Milliarden Rubel eingespielt. Die auf der ISS gedrehten Szenen machen dabei 35 von insgesamt 165 Minuten des Films aus.)

II.


(Die ISS beim Durchgang vor der Sonnenscheibe. Ausnahme von Mehmet Ergün aus Baden-Württemberg vom 25. April 2021. Komopsitausnahme von drei unmittelbar hinterienader entstandenen Aufnahmen: Die kurzfristig belichtet für die Protuberanzen am Sonnenrand, eine etwas länger belichtete, um die Einzelheiten der Sonnenoberfläche hervorzuheben, und eine, um die Statin beim sekundenschnellen Durchgang vor der Sonne abzubilden. Auf der Ausschnitsvergrößerung rechts oben ist die zu diesem Zeitpunkt angekoppelte Crew-Dragon-Kapsel von SpaceX zu erkennen.)


Zu dem Zeitpunkt des vorgestrigen Jubiläums befand sich die ISS über Ostchina, etwa 80 Kilometer nördlich der Großstadt Wuhan (ein Name, der vielen Lesern noch „ein Begriff“ sein sollte) über der Provinz Henan und war am dortigen Himmel, eine gute Stunde vor Sonnenuntergang, natürlich nicht auszumachen; 20 Minuten vorher hatte die Station in gleicher Entfernung vom Äquator, aber über der südlichen Erdhalbkugel über den leeren Weiten des indischen Ozeans bei 30,52° südlicher Breite und 63,31° östlicher Länge, den insgesamt 142.826. Erdumlauf in 427 Kilometern Höhe abgeschlossen. Wenn sie am heutigen Abend gegen 17 Uhr 27 gute zehn Bogengrad über dem westlichen Horizont sichtbar wird (vorausgesetzt, der himmlische Wetterdirigent meint es gut; gestern verhüllte er seinen Himmel, getreu nach Goethe, mit Wolkendunst), vier Minuten darauf auf 30 Grad Höhe des Himmels gute zehn Grad über dem zunehmenden Mond vorbeizieht, der vorgestern sein erstes Viertel erreicht und dann für eine Minute lang Kurs auf den gerade im Osten aufgegangenen Königsplaneten Jupiter nimmt, bevor sie direkt daneben in den Erdschatten eintritt, dann wird es bereits der Orbit Nr. 142.862 sein. Von dem heute leider vergessenen französischen Zeichner Chaval (dem nom de plume, unter dem Yvan Francis Le Louarn, 1915-1968, seine Cartoons publiziert hat) gibt es eine kleine Zeichnung, deren Titel in der deutschen Übertragung lautet: „Hochbegabter Mann, befähigt, durch die bloße Erdumdrehung einen Eindruck von Geschwindigkeit zu empfinden.“ Beim Betrachten des hellen Lichtpunkts, als der die ISS über den Nachthimmel zieht, stellt sich ein ähnlicher Eindruck ein: man bekommt geradezu ein Gespür für die Krümmung der Erdoberfläche und wie klein diese Kugel ist, die seit 4,5 Milliarden Jahren ihre Bahn um die Sonne zieht. Wenn die ISS zuerst als statisch erscheinender Stern eine Handbreit über dem westlichen Horizont auftaucht, befindet sie sich noch über den Wellen des Nordatlantiks, gute 200 Kilometer vor Land’s End, der südwestlichen Landspitze Englands; wenn sie 10 Minuten später ebenso statisch tief am Osthimmel wieder verschwindet, überquert sie bereits den südlichen Teil von Belarus.



Es ist aber nicht nur ein solches Gefühl dafür, daß die Erde tatsächlich eine Kugel ist, das der Anblick der „hellsten Sterns am Nachthimmel“ vermittelt. Wenn die ISS bei nachfolgenden Umlauf um 19:01 erneut über dem Horizont auftaucht, um nach gut zweieinhalb Minuten im südlichen Bereich des tief im Westen stehenden Sommerdreiecks, gleich oberhalb von Altair, dem hellsten Stern im Sternbild Adler, zu verschwinden, dann tut sie das nicht wie eineinhalb Stunden vorher auf einem Azimut von 223 Grad (also einem Bogen entlang des Horizonts, gerechnet von Norden aus im Uhrzeigersinn) im Südwesten , sondern bei 256 Grad in westsüdwestlicher Richtung. Wären sämtliche Umläufe pro Tag sichtbar, so würde diese Bahn im Lauf eines Tages den Himmel in 16 Abschnitte unterteilen wie eine geschälte Orange. Die Lage der Bahn im Raum ist gleichgeblieben, aber die Erde hat sich in dieser Zeit um gute 22 Grad weitergedreht. Wie ein Foucault’sches Pendel führt die ISS handgreiflich vor Augen, daß sich die Erde um ihre eigene Achse dreht. (Es gibt noch einige andere solcher Beobachtungen, aus denen ein informierter Betrachter einige höchst überraschende Schlüsse ziehen kann: etwa ebenfalls, daß es sich bei der Erde um eine Kugel handelt, indem er die Höhe des Horizonts, vom Meeresufer aus gesehen, taxiert: würde es sich bei Terra, Sol II, um eine Scheibe handeln, so läge die Grenze von Meer und Himmel auf Augenhöhe. Und aus der Tatsache, daß es nachts überhaupt dunkel wird, darf der Schluß abgeleitet werden, daß das Universum nicht unendlich ist – das sogenannte „Olberssche Paradoxon.“)





(Die beiden Überflüge der ISS für meinen Standort für Mittwoch, d. 22. November 2023)

Was hier sichtbar wird, ist reine angewandte Mathematik. Man muß es nur entsprechend einzuschätzen wissen. Natürlich gilt dies auch für alle Technologie, die ja auf der Anwendung mathematischer Grundlagen beruht – und vor allem die Abläufe beim Start in den Weltraum – und schließlich auch in der Tatsache, daß ich diesen Text auf einem Rechner schreiben und weltweit abrufbar ins Weltnetz einstellen kann. Aber in dieser abstrakten, auf einen ziehenden Lichtpunkt reduzierten Form wird dies besonders deutlich.

III.

Der kalendarische Zufall bringt es mit sich, daß der Anfang der ISS ihrerseits ein Vierteljahrhundert nach dem Start der ersten westlichen Raumstation erfolgt, dem von Skylab, das im Mai 1973 von Cape Canaveral in die Umlaufbahn gebracht wurde. (Bei Skylab handelte es sich um eine umgewidmete dritte Stufe der Mondrakete Saturn V, und daß sie zu diesem Zweck zur Verfügung stand, verdankte sich dem Umstand, daß der amerikanische Kongreß im Januar 1970 die Mittel für die geplanten Mondlandungen Apollo 18 bis 20 gestrichen hatte, die „Hardware“ aber schon zum größten Teil gefertigt worden war.) Zum „Jubiläumszeitraum,“ also vor genau einem halben bzw. einem viertel Jahrhundert, am 20. November 1973, befanden sich die drei Astronauten der letzten Besatzung, Gerald Carr, Edward Gibson und William Pogue, seit vier Tagen an Bord der Station – sie blieben dort 80 weitere Tage, bis zum folgenden Februar. Ein zweiter kalendarischer Zufall, daß der Start des ersten Moduls der ISS fast exakt 29 Jahre erfolgte, nachdem die Landefähre von Apollo 12 im Oceanus Procellarum zum zweiten Mal Menschen auf dem Mond abgesetzt hatte. (Um eine exakte Übereinstimmung zu erzielen, war die Landung des Lunar Module „Intrepid“ 27 Stunden und 46 Minuten „zu früh“ erfolgt.) Und ein dritter solcher kalendarischer Reim ist, daß 75 Jahre zuvor – oder vor genau einem Jahrhundert aus heutiger Sicht, überhaupt erst die mathematischen Grundlagen gelegt worden sind, die all diese Ausflüge ins All erst ermöglicht haben – sämtliche Starts in die Umlaufbahn und darüber hinaus. Der Start der neuesten Tranche von Starlink-Satelliten heute morgen von Cape Canaveral um 09:47 MEZ war der insgesamt 6038. Start dieser Art, seit Sputnik 1 vor 66 Jahren am 4. Oktober 1957 das Raumfahrtzeitalter eingeleitet hat. Vor 100 Jahren nämlich, im Sommer 1923, genauer: am 27. Juli 1923 - erschien im Münchner Verlag R. Oldenbourg das schmale, gerade einmal 83 Seiten umfassende Büchlein „Die Rakete zu den Planetenräumen,“ die Habilitationsschrift des aus Siebenbürgen stammenden Hermann Oberth (1895-1989), in der zum ersten Mal anhand genauer mathematischer Berechnungen nachgewiesen wurde, daß es tatsächlich möglich war, Flugkörper zu konstruieren, die mit Hilfe des bordeigenen Treibstoffs nicht nur die Erdatmosphäre verlassen konnten, sondern eine so hohe Geschwindigkeit erreichen konnten, daß sie im freien Fall eine stabile Kreisbahn erreichen konnten.

Im Zug des von Oberth und seinen Fans ausgelösten „Raketenfiebers“ in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre kam es auch zu ersten Entwürfen für Raumstationen – beständigen Außenposten auf der Bahn um die Erde: in diesem Fall durch den österreichischen Oberleutnant Hermann Potočnik (1892-1929), der in seiner kleinen Schrift „Das Problem der Befahrung des Weltraums,“ in seinem Todesjahr unter dem Pseudonym Hermann Noordung veröffentlicht, eine rotierende, ringförmige Raumstation vorgeschlagen wurde, deren Rotation mittels Zentrifugalkraft die fehlende Schwerkraft ersetzen sollte. Diese Vision eines immensen rotierenden Torus hat in den folgenden Jahrzehnten das Bild einer „Insel im All“ (so der Titel von Arthur C. Clarkes dritten Roman von 1953, der sich ausführlich mit den Thema beschäftigt) geprägt, soweit hier tatsächlich praktikable Konstruktionen im Vordergrund standen. So etwa in den Projekten von Wernher von Braun und Co. auf den drei Symposien im New Yorker Hayden Planetarium, die anschließend als Serien in „Collier’s Magazine“ zwischen 1952 und 1954 erschienen und das amerikanische Publikum davon zu überzeugen suchten, daß der „Aufbruch ins All“ tatsächlich machbar war (und überdies kurz bevorstehen würde) – und nicht nur die Domäne frei phantasierender Groschenheftautoren. Auch die Raumstation in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ von 1968 ist ein direkter Nachfahre dieses Konzepts.





(Hermann Noordungs "Wohnrad" von 1929)




(Die Raumstation in der Version von Collier's Magazine von 1952. Zeichungen von Chesley Bonestell und Rolf Klep)



(Das Doppelrad der Sation aus "2001 - Odyssee im Weltraum", 1968)

IV.

Daß die Wirklichkeit solcher ständigen Außenposten erheblich bescheidener aussieht, als es sich diese Pioniere ausgemalt haben, darf als symptomatisch für technologische Zukunftsvisionen gelten. Aber immerhin handelt es sich hier um „Engineer’s Dreams“ (Willy Leys so betiteltes Buch aus dem Jahr 1954 widmet sich freilich eher größenwahnsinnigen Projekten wie dem Atlantropa-Plan oder dem Vorhaben, einen Tunnel unter dem Ärmelkanal zu bauen), nicht um frei nach Gusto entworfene Luftschlösser, wie sie die erzählende Literatur als Grundlage ihrer Zukunftswelten nimmt. Überhaupt Science Fiction: es liegt in der Natur der Sache, daß solche Stationen eher selten in den Fokus dieser Gattung gerückt worden sind (einzelne, didaktisch intendierte Bücher wie das erwähnte „Islands in the Sky,“ Murray Leinsters „Space Platform“ von 1953, oder Manly Wade Wellmans „Island in the Sky“ von 1961 einmal außen vor gelassen). Zu bescheiden sind die Möglichkeiten, die sich dort bieten – außer Hüttenkollern und von außen eingetragenen Konflikten bietet sich dort für die Dramatik, die eine Erzählung oder einen Roman trägt, wenig an. Selbst die luxuriösen Stationen Deep Space 9 (1992-1999, 176 Folgen) und Babylon 5 (1993-1998, 110 Folgen) gewannen erst an Kontur, als sie von einer „kosmischen Einkaufsmeile“ mit Besuch aus der gesamten Galaxis zu einer operativen Ausgangsbasis im Krieg gegen das Dominion bzw. die Schatten und Vorlonen aufgewertet wurden).

Zum Stichwort „Hüttenkoller“ bemerkt der Verfasser der umfangreichsten Übersicht über die Texte zum Thema, Gary Westfahl, in seinem Buch „Islands in the Sky: The Space Station Theme in Science Fiction Literature“ (Borgo Press, 1997) sarkastisch: „Solche Erzählungen beweisen schlüssig die Absurdität, eine Raumstation zur Heilung von Wahnsinnigen zu verwenden.“



V.

Denn das ist nun einmal das unabwendliche Schicksal solcher Technik: einmal vorhanden, wird sie alltäglich. Mehr noch: sie verliert sich aus dem Blick. Schon Skylab konnte nicht mehr die mediale Aufmerksamkeit für sich verbuchen, mit der die Medien Tag für Tag das vorhergehende „Wettrennen zum Mond“ begleitet hatten. Als die Station 6 Jahre später, am 11. Juli 1979, infolge unerwartet hoher Sonnenaktivität in die Atmosphäre eintrat und über Südaustralien verglühte, bestand ein Großteil der Publikumsreaktionen im Erstaunen, daß diese Station überhaupt noch vorhanden war. Die Pläne der NASA hatten vorgesehen, die Station mit Hilfe des Triebwerke des Space Shuttle soweit anzuheben, daß die Abbremsung durch die oberen Schichten der Atmosphäre entfallen würde; die Verzögerung des Shuttle-Programms, dessen Erststart für 1978 vorgesehen war, hat dies verhindert.

Was auf der ISS passiert, welche Besatzungen an Bord sind, all das wird höchstens dann noch von den Medien eines Berichts für wert erachtet, wenn etwa ein Landsmann wie Alexander Geerst sich dort aufhält (als dritter Deutsche übrigens) und sich regelmäßig in der „Sendung mit der Maus“ zu Wort meldet. Genauso ist es natürlich mit der gesamten Bevölkerung des sechsten Kontinents, der Antarktis. „Man weiß“ zwar, daß dieses Land eine beständig besetzte Station dort im ewigen Eis unterhält, man weiß vielleicht auch, daß die Von-Neumeyer-Station, seit 2009 in Betrieb, die dritte ihres Namens ist. Aber ansonsten findet alles, was dort vor sich geht, „unter Ausschluß der Öffentlichkeit“ statt Und so wird es auch absehbar kommen, wenn tatsächlich im Zug des Artemis-Programms am Ende dieses Jahrzehnts oder im Verlauf der 2030er Jahre, tatsächlich eine beständig bemannte Station auf dem Südpol des Erdmonds eingerichtet werden wird – und wenn eine weitere Raumstation, das Gateway, als Zubringer den Mond umkreisen wird. Denn mehr als „Präsenz zeigen“ (und Meßdaten sammeln – wozu es freilich keiner Humanpräsenz bedarf) ist in all diesen Fällen nicht möglich: der Aufbau einer Infrastruktur, eine Ausweitung der Aktivitäten: all das scheint vorerst reine Utopie, grundlose Spekulation, für die es keine ökonomische Grundlage gibt.

Exemplarisch läßt sich dies an dem letzten „Ingenieurstraum“ zeigen, die Präsenz in der Erdumlaufbahn zu einer Industrie zu erweitern. In Zug der ersten Öl- bzw. Energiekrise von 1973 gab es zwei Vorschläge dieser Art: in G. Harry Stines Buch „The Third Industrial Revolution“ von 1977, in der der Autor dringend anriet, die amerikanische Produktion von Mikrochips in die Erdumlaufbahn zu verlegen, weil die US-Produktion ansonsten der japanischen Konkurrenz auf dem Gebiet der Halbleiterherstellung hoffnungslos unterlegen sei und die Weltführung einbüßen würde. Schließlich gebe es das Vakuum, das für die staubfreie Produktion von Chips unabdingbar sei, dort kostenlos. Der zweite Vorschlag dieser Art entstand zwischen 1974 und 1977 unter der Federführung des Ingenieurs Gerard K. O’Neill, der ebenso dringlich empfahl, dem drohenden Ende der Erdölproduktion bis zum Jahr 2000 zuvorzukommen, indem im Lagrangepunkt 5 zwischen Erde und Mond gewaltige Sonnenkraftwerke zu platzieren, um die so gewonnene Energie mittels Mikrowellen zur Erde zu beamen und somit das Problem der drohenden Energieknappheit ein für allemal zu lösen.

Viel mehr als ein solch ewiges Kreisen wird sich mit Raumstationen, auch solchen, die die ISS in Zukunft ersetzen werden (bislang sehen die Pläne vor, die alternde Station bis zum Jahr 2030 im Pazifik in die Atmosphäre eintreten zu lassen, damit sie dort in einem spektakulären Flammenregen verglüht) auch in Zukunft nicht erreichen lassen. Die Zukunft im All, soweit sie über den Mond und vielleicht noch unseren Nachbarplaneten Mars hinausreicht, gehört sowieso den Sonden und Robotern, nicht den empfindlichen biologischen Wesen aus Eiweißen und Kohlehydraten, deren intelligente Gehirne den Bau dieser Roboter erst ermöglicht haben. Und trotzdem: es gab zu Beginn der fünfziger Jahre, bis hin zu den Landungen auf dem Mond, immer zahlreiche Stimmen, die darin einen neuen Sündenfall gesehen haben, eine Vermessenheit, eine Hybris (oder wie Bob Dylan 1983 in „License to Kill“ sang: „For man has invented his doom / first step was touching the moon…“). Aber ohne diese ersten Schritte ins All, ohne dieses Präsenz-Zeigen wäre es nie dazu gekommen, daß die Sonden uns die Oberfläche des Pluto in metergroßer Auflösung gezeigt hätten, daß Weltraumteleskope wie Hubble, das James Webb Telescope oder das im Juli gestartete Euclid der ESA Bilder und Daten aus der Zeit unmittelbar nach der Entstehung des Universums vor 13,7 Milliarden Jahren liefern würden, daß die Wetterfronten von Spähern aus dem All nachverfolgt würden, daß jedes Handtelefon in der Lage ist, seinem Besitzer anzuzeigen, wo auf der Erde er sich gerade aufhält (wobei sich ein interessantes Experiment im Sinne des oben erwähnten „Horizonts“ durchführen läßt: wenn man sich die eigenen Position, im Sessel sitzend, per GPD anzeigen läßt, wird man feststellten, daß nach einigen Minuten der Standpunkt zu wandern beginnt, in einer Ellipse von ungefähr 10 Metern Durchmesser. Das liegt daran, daß hier die Staffelübergabe an das Zeitsignal eines anderen Satelliten erfolgt und die Triangulation des Hand-Computers aus den mindestens drei verschiedenen Zeitsignaturen leicht unterschiedliche Werte ergibt).

Immerhin gibt es noch ein kleines Kuriosum zum Jubiläum, kalendarisch ebenfalls ein reiner Zufall, in Sachen ISS zu vermelden – ein Beispiel für jener Ereignisse, die es dann doch in die Nachrichten schaffen. Vor ein paar Tagen meldeten unsere Medien, daß zwei Astronautinnen auf der ISS, Jasmin Mogheli and Lorel O’Hara, während eines Außenbordeinsatzes am 1. November eine Werkzeugtasche verloren gegangen sei und seitdem als eigenständiger Satellit die Erde umkreist. Den vorläufigen Berechnungen nach die diese Tasche im März oder April 2024 in der Erdatmosphäre verglühen. Zur Meldung wurde der Vorfall allerdings erst vor fünf Tagen, als zwei Amateurastronomen aus Puerto Rico, Eddie Irizzary und Nelson Ortega, in der Nacht des 11. November (wie passend zum Beginn der närrischen Jahreszeit), die Tasche als schwach flackernden Lichtpunkt mit einer Helligkeit der 6. Größenklasse auf Video festzuhalten. Zurzeit befindet sich die Tasche immer noch auf derselben Umlaufbahn wie die ISS, geht aber ungefähr zehn Minuten vor ihr auf (während sie an Höhe verliert, nimmt die Geschwindigkeit des Umlaufs zu). In den Medienberichten hieß es übereinstimmend, man könne den schwachen Lichtpunkt mit einem Feldstecher ausmachen. Das ist freilich das Ahnungslosigkeit der Journalisten geschuldet: zwar lassen sich mit einem Feldstecher durchaus Objekte bis zu einer Helligkeit von 8 Magnituden ausmachen, aber das Bildfeld eines solchen Handfernrohrs ist so eng, daß der blinkende Punkt es in weniger als zwei Sekunden durchquert. Und das setz voraus, daß er exakt auf die Stelle ausgerichtet ist, an der er zu sehen sein wird – ein Aufsuchen oder eine Nachführung aus freier Hand ist, wie jeder Sternfreund aus eigener Erfahrung weiß, hier ausgeschlossen.



(Die verlorene Werkzeugtasche, 1. November 2023)

Coda.

Wem der Titel dieses Beitrags allzu kryptisch erscheint und noch exzentrischer, als es bei mir üblich ist: es handelt sich um eine wörtliche Übersetzung des Titels einer kleinen Erzählung von Arthur C. Clarke, „Out of the Cradle, Endlessly Orbiting.“ Der kleine Text gehört zu den Kurzgeschichten, die Clarkes literarischer Agent, Scott Meredith, nachdem sich Clarke einen Namen als Autor und Popularisator der Raumfahrt gemacht hatte, nicht nur den üblichen Genre-Magazinen anbot, sondern auch Journalen, die ein allgemeines leseinteresse bedienten. „Out of the Cradle…“ erschien in der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift The Dude (allgemein in den Bilbiographien nur als „Dude“ geführt), die seit August 1956 in New York erschien und wie einige andere Journale, etwa „Rogue,“ an den Erfolg von Hugh Hefners Magazin im Zeichen der Häschenohren anzuknüpfen versuchte. Anders als der Playboy beschränkte sich der Dude allerdings auf nur halbbekleidete Damen, um ein männliches Publikum anzulocken. Im übrigen übernahm man dort das Erfolgsrezept, sich als gehobenes Lifestyle-Magazin zu präsentieren, und eben auch Kurzgeschichten auch allen erdenkbaren Genres abzudrucken. Daß der Playboy in diesem Bereich, vor allem in seinen frühen Jahren, punkten konnte, lag daran, daß Hefner aufgrund der sechsstelligen Auflagenzahl seines Magazins es sich leisten konnte, die höchsten Preise für Kurzgeschichten zu zahlen, die es je in einem amerikanischen Magazin gegeben hat. Dort wurden für Erzählungen Autorenhonorare von mehreren tausend Dollar gezahlt, so daß der Playboy ohne Schwierigkeiten seinen Lesern Texte von Ian Fleming, Norman Mailer, Vladimir Nabokov oder P. G. Wodehouse präsentieren konnte.) In der Sammlung „Tales of Ten Worlds“ von 1962, die der die Geschichte in Buchform abgedruckt wurde, finden sich unter den 15 Kurztexten sechs, die zuerst im Playboy, Dude, Vogue oder This Week anstatt der SF-Magazinen abgedruckt worden waren.

Clarke wieder bezieht sich mit seinem Titel auf das bekannte Zitat von Konstantin Ziolkowski, das ich oben als Motto gewählt habe. Ziolkowski (1857-1935), als frühester Theoretiker der Raumfahrt bis heute bekannt, der sein gesamtes Leben als armer Dorfschullehrer in der tiefsten Provinz des russischen Zarenreiches durchbrachte, schrieb den Satz „Земля – колыбель человечества, но нельзя вечно жить в колыбел“ am 11. August 1911 an Boris Nikititsch Worobjow (Борис Никитич Воробьёв, 1882-1965), den Herausgeber der Sankt Petersburger Zeitschrift „Вестник воздухоплавания“ (Zeitschrift für Luftfahrt), als er ihm seinen Aufsatz „Исследование мировых пространств реактивными приборами“ (Die Erkundung des Weltraums durch Rückstoßapparate“) anbot, der dann in der dritten Nummer der Zeitschrift mit der Jahresangabe 1911-12 erschien. Worobjow, der während der dreißig Jahre nach dem Tod Ziolkowskis dessen Nachlaß betreute, war von dem Satz so beeindruckt, daß er ihn in seinem Aufsatz „Воздухоплавание в наше время“ (Luftfahrt in unserer Zeit“) zitierte, der im Januar 1912 in der Zeitschrift Современный мир („Moderne Welt“) auf den Seiten 234 bis 260 abgedruckt wurde – dem ersten Abdruck des Satzes.



(Walt Whitman im Jahr 1860; die Lithographie nach einer Daguerrotypie wurde als Frontispiz zur dritten Auflage von "Leaves of Grass" verwendet.)

Soweit die „Wiege.“ Mit der „ewigen Kreisbahn“ dagegen spielt Clarke auf eines der im englischen Sprachraum bekanntesten Gedichte von Walt Whitman an: „Out of the Cradle Endlessly Rocking,“ am 24. Dezember 1859 in der Wochenzeitung Saturday Press erschienen und im folgenden Jahr unter dem Titel „A Voice from the Sea“ in die dritte, jetzt 452 Seiten umfassende Auflage der „Leaves of Grass“ übernommen. In den 170 Blankzeilen des Gedichts beschreibt – oder besser: beschwört – Whitman, wie er als Kind („der ewig geschaukelten Wiege entronnen“) an den Ufern des Pamaunok während eines Sommers ein Spottdrosselpaar beobachtete, das dort sein Nest gebaut hatte, bis eines Tags das Weibchen nicht mehr zurückkehrte, um ihre Eier zu bebrüten und die Klagerufe des Männchens in ihm, dem noch sprachlosen Kind Walt, die Gabe des Gesangs erweckte. Whitmans Gedicht lappt oft, wie bei ihm üblich, ins schwülstige Pathos („O Nacht! Sehe ich da nicht meine Liebste über den Wogen flattern? O Kehle! O zitternde Kehle! Kling lauter durch die Atmosphäre! Durchdringe die Wälder, die Erde - Irgendwo mußt du lauschend warten! … O Vergangenheit! O glückliches Leben! O Freudengesänge! In der Luft, in den Wäldern, über den Felder. Geliebt! Geliebt! Geliebt! Geliebt! Geliebt“) – daß man gleich einsieht, aus welcher Quelle des unerträgliche O-Mensch-Pathos stammt, das so viele Hervorbringungen des Expressionismus unverdaulich macht.

Aus der ewig schaukelnden Wiege,
Aus der Spottdrossel Kehle, dem Webeschiffchen des Wohllauts,
Aus neunten Monats Mitternacht,
Über den öden Sand und die Felder dahinter, wo das Kind, das sein Bett verlassen, einsam
wanderte, barhäuptig, barfuß,
Herab aus dem feuchten Hof des Monds,
Herauf aus dem mystischen Spiel der Schatten, die sich winden und schlingen, als ob sie lebten,
Aus dem Dornund Brombeergebüsch,
Aus der Erinnerung an den Vogel, der mir sang,
Aus der Erinnerung an dich, trauernder Bruder, aus dem jäh wechselnden Schwellen und Sinken,
dem ich lauschte
Unter dem gelben späten, wie von Tränen geschwellten halben Mond,
Aus jenen ersten Lauten der Sehnsucht und Liebe dort in dem Dunst,
Aus den tausend Antworten meines Herzens, nie wieder verstummten,
Aus Myriaden Worten, die sie erweckt,
Aus dem Wort, stärker und süßer als alle…

(Ich zitiere den Anfang des Gedichts in der Übertragung von Hans Reisiger, die 1922 im S. Fischer Verlag erschienen ist)

Allerdings spielt Clarkes kurzer Text nicht auf einer Raumstation in der Umlaufbahn, sondern auf der ersten Station, die auf dem Mond errichtet worden ist, erzählt von einem Veteranen am Vorabend des neuen Jahrtausends.







„Das 21. Jahrhundert beginnt nicht morgen, sondern erst am 1. Januar 2001. Obwohl der Kalender ab Mitternacht die Zahl 2000 anzeigt, gilt das alte Jahrhundert noch weitere zwölf Monate. Alle hundert Jahre müssen wir Astronomen das von neuem erklären … Sie interessieren sich als für den denkwürdigsten Augenblick in einem halben Jahrhundert Raumforschung. Ich nehme an, Sie haben schon von Braun interviewt? Wie geht’s ihm? Ich hab ihn seit der Feier in Astrograd zu seinem achtzigsten Geburtstag nicht mehr gesehen. Das wr das letzten Mal, als er den Mond verlassen hat.“

„Es war 20 Jahre nach dem Start von Sputnik, und wie so viele andere war ich damals auch auf dem Mond … Wir haben mit dem Mond angefangen, wegen der geringen Schwerkraft. Es kostet etwa 50 Mal weniger Treibstoff um von dort zu starten als von der Erde. .. Es war der erste Sroung der Menschheit auf dem Weg ins All. Zu dieser Zeit war für uns der Mond nur noch so etwas wie ein Vorort der Erde, eine Station auf dem Weg zu den Zielen, auf die es uns wirklich ankam. Unsere Einstellung entsprach ganz der wie in den berühmten Zitat von Ziolkowski, das ich an der Wand aufgehängt hatte, für alle, die in mein Büro kamen: „Die Erde ist die Wiege des Geistes, aber man kann nicht ewig in der Wiege leben.“ (Was bitte? Nein, natürlich habe ich Ziolkowski selber nie getroffen! Ich war erst vier, als er 1936 gestorben ist.)

„Wenn etwas dazwischen kommen sollte, konnten wir den Start des Projekts Ares (Anm.: des ersten Flugs zum Mars) um Jahre verschieben. Der Countdown hatte bereits begonnen, als Hutchings mit ziemlich fahler Miene zu mir eilte. „Ich muß eine Ansage machen“ sagte er. „Es ist ziemlich wichtig.“ „Wichtiger als das hier?“ fragte ich sarkastisch. Er zögerte einen Moment, als ob er mir etwas mitteilen wollte, dann sagte er: „Ich glaube schon.“ (…) Fünf Minuten später war meine Stimmung noch schlechter. Ich hatte mich ein wenig beruhigt und wir waren gerade bei unserer zweiten Runde Kaffee, als das „Achtung!“-Signal aus den Lautsprechern ertönte. Es gibt nur einen Ton, der höhere Priorität genießt, der Notalarm, den ich in all meinen Jahren auf den Mondkolonie nur zweimal gehört habe, und den ich hoffentlich nie wieder hören werde.

Die Stimme, die in jedem geschlossenen Raum auf dem Mond ertönte, und in jedem Helm der Arbeiter draußen im Vakuum auf den Ebenen, war die von General Mosche Stein, Vorsitzender der Raumfahrtbehörde. „Ich spreche aus Genf,“ sagte er, „und ich habe eine wichtige Ankündigung zu machen. Während der letzten neun Monate ist ein wichtiges Experiment durchgeführt worden. Wir haben es geheim gehalten, um die Betroffenen zu schützen, und um keine falschen Ängste oder Hoffnungen zu wecken. Es ist noch nicht lange her, wie Sie wissen, als selbst Fachleute bezweifelt haben, daß der Mensch im Weltraum überleben könnte. Und auch diesmal gab es Pessimisten, die an dem nächsten Schritt bei der Eroberung des Weltraums Zweifel anmeldeten. Hier ist der Beweis, daß sie sich geirrt haben: ich möchte Ihnen George Jonathan Hutchins vorstellen – den ersten Bürger des Weltraums.“

Es klickte, als der Schaltkreis umgeschaltet wurde. Dann folgte eine Pause voll verschwommenem Rauschen und Flüstern. Und dann folgte das Geräusch, von dem ich Ihnen erzählen wollte – das bewegendste, das ich in meinen Leben jemals gehört habe.

Es war das schwache Weinen eines menschlichen Säuglings – das erste Kind in der Geschichte der ganzen Menschheit, das auf einer anderen Welt als der Erde geboren worden war. Wir schauten einander an, im Blockhaus, in dem es totenstill geworden war, und dann die Schiffe, die wir auf der gleißenden Ebene dort draußen auf der Mondoberfläche gebaut hatten und die eben noch so bedeutend gewirkt hatten. Das waren sie immer noch – aber nicht so bedeutend wie das, was drüben in der Krankstation geschehen war, und was sich Milliarden von Malen auf unzähligen anderen Welten wiederholen würde – bis zum Ende der Zeiten. Denn das, meine Herren, war der Augenblick, an dem ich wußte, daß der Mensch der Weltraum wirklich erobert hatte.




U.E.

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