Mir wurde neulich in unserem kleinen Zimmer "vorgeworfen" (zumindest war der Anwurf so verwendet), dass ich ein geistiger wie körperlicher "Selbstoptimierer" sei. Dem Vorwurf habe ich erst einmal ad hoc zugestimmt, ohne groß darüber nachzudenken. Denn es erschien mir (und erscheint mir) durchaus sinnvoll an sich selber zu arbeiten. Aber vielleicht verbirgt sich hinter diesem platten Anwurf doch etwas mehr als nur ein Begriff.
Was also ist eigentlich "Selbstoptimierung", das ja heute als Schlagwort an vielen Ecken zu finden ist, und doch sehr unterschiedliche Dinge zu meinen scheint? Es gibt sehr lange, wenn auch sicher korrekte Definitionen wie diese, die ich bei der Bundeszentrale für politische Bildung gefunden habe:
"Selbstoptimierung" lässt sich ganz allgemein definieren als kontinuierlicher Prozess der ständigen Verbesserung der persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten mittels Selbstthematisierung, rationaler Selbstkontrolle und permanenter Rückmeldungen hin zur bestmöglichen persönlichen Verfassung."
Besser noch gefallen hat mit allerdings die ganz platte Definition, die ich in der (nicht lachen!) Brigitte gefunden habe: "Besser werden!" Warum nicht? Gefällt mir eigentlich sehr gut. Denn die Definition der Brigitte ist zum einen unschuldiger und weniger technisch, zum anderen blendet sie nicht das kleine, aber wichtige Details aus, dass Menschen zwar besser werden können, es aber einen tatsächlich implizierten Bestzustand kaum geben kann.
Eigentlich sollte man naiv erst einmal meinen dass die Idee "besser" zu werden, doch eigentlich für jeden Menschen ad hoc ansprechend sein sollte. Wer will denn morgen nicht kompetenter sein, stärker sein, schneller sein, gesünder sein oder auch mitfühlender sein? Und überraschenderweise ist die Antwort (man glaubt es kaum): Eine ganze Menge Leute.
Genauso wie es zur "Selbstoptimierung" eine ganze Reihe von Büchern, Ratgebern und Leitfäden gibt, so gibt es inzwischen auch durchaus Ratgeber mit ganz gegenteiliger Intention. Beispielsweise diesen hier, der auf den lustigen Titel hört: "Ich bleib so scheiße, wie ich bin: Lockerlassen und mehr vom Leben haben." Der Titel gibt wohl (ich habe ihn nicht gelesen!) schon ziemlich deutlich wieder worum es geht: Glück ist wichtiger als an sich zu arbeiten. Und unabhängig davon ob das richtig ist, kommt die Botschaft offensichtlich an. Solche Bücher verkaufen sich ebenso gut wie Ratschläge, was man an sich verbessern kann. Es gibt offenkundig einen gar nicht so kleinen Markt dafür. Und ohne eine Statistik dafür vorweisen zu können, ist es mein Eindruck, dass dieser Philosophie durchaus nicht wenige Menschen folgen.
Mithin haben wir es mit zwei Positionen zu tun. Die eine Position ist die, dass man ständig an sich arbeiten muss, um ein besserer Mensch zu werden. Die andere Position, dass man das sicher nicht muss, und das das nur unglücklich macht (passenderweise heißt eines der Bücher für die zweite Position auch "Einen Scheiss muss ich.")
Prinzipiell muss man der zweiten Position erst einmal zwei Dinge einräumen. Richtig ist, dass niemand muss. Wir leben glücklicherweise in einer Gesellschaft wo tatsächlich jeder "einen Scheiss" muss. Naja, mal ab vom Sterben und dem Zahlen der Steuern. Aber richtig ist eben: Niemand muss. Und das ist auch gut so. Jeder darf so dumm bleiben wir er ist, jeder darf so ungesund leben wie er will, jeder kann die emotionale Reife einer Kartoffel aufweisen, man muss sich nicht waschen, nicht pflegen, nicht fit halten, man darf rauchen, saufen, daddeln und Drogen (zumindest begrenzt) konsumieren. Ist alles okay, so lange man damit niemand anderen behelligt.
Ebenso ist richtig: Optimierung kann krank machen. Leistungsdruck kann sehr gut krank machen. Sport kann krank machen. Und dauernd Gemüse zu kauen kann unglücklich machen. Dinge an denen wir scheitern oder das Gefühl haben zu scheitern, machen uns unglücklich. Und das ist nicht nur dahin gesagt, unglücklich ist für den Menschen wirklich sehr verheerend. Depressionen sind eine Volkskrankheit und noch dazu eine sehr tödliche. Ich verstehe insofern durchaus die Motivation hinter den oben genannten Büchern, die darauf abzielen dem Menschen zu sagen: Sei glücklich mit dem, was Du bist. Auch wenn ich zustimmen würde, dass ein Mensch sich insgesamt immer selbst bejahen sollte, so lehne ich den Gedanken ab, dass das für jeden Aspekt gelten muss und sollte. Dennoch ich verstehe die Idee dahinter.
Am Rande sei vermerkt, dass wir hierzulande übrigens noch in einer harmlosen Variante von dieser zweiten Position stecken: In den USA ist man da deutlich weiter, denn dort firmiert eine Subvariante der zweiten Version bereits als Body-Positivity, deren (böses) Kehrbild als Body-Shaming bezeichnet wird und inzwischen dazu führt, dass es als verwerflich gilt einen schwer adipösen Menschen darauf hinzuweisen, dass er seiner Gesundheit schwer schadet. Das geht inzwischen so weit, dass Menschen, die es geschafft haben sich aus diesem Zustand zu befreien, beschimpft werden, weil sie die anderen Menschen damit beleidigen.
Doch zurück ins hier: Ich halte die zweite Position, nicht nur in ihrer US-Extremversion, für sachlich falsch wie widersprüchlich, denn sie basiert auf einer, meines Erachtens nach ebenso falschen, Annahme, dass die meisten Menschen zu schwach sind, um etwas an sich zu ändern, es deshalb sinnlos ist und es in der Folge besser ist, diesen Menschen wenigstens einen glücklichen Zustand zu vermitteln.
Ich finde diese Vorstellung vom schwachen menschlichen Geist nicht nur seltsam sondern auch rundheraus beleidigend. Übersetzt bedeutet es so viel, dass "die Dicken" doch ohnehin "zu verfressen" sind, um etwas daran zu ändern (ganz ähnlich übrigens dem nicht minder dämlichen Komplex, dass "die Schwarzen" (sorry des mangelnden PC Wortes) nicht in der Gesellschaft weiterkommen deshalb Hilfe brauchen, weil sie es selber nicht schaffen). Es ist paternalistisch. Und auch grundfalsch. Jeder Mensch hat die Möglichkeit sich zu ändern. Vielleicht nicht gleich im ganz Großen, aber einem Menschen die Möglichkeit abzusprechen, Disziplin zu erlernen, Opfer zu erbringen oder Schmerzen zu ertragen ist einfach rotzfrech.
Und die Realität zeigt das auch. Es gibt etliche Beispiele von Menschen (Youtube ist voll davon), die zeigen wie man von richtig großem Gewicht auf ganz normale Körpermaße reduzieren kann. Trockene Alkoholiker gibt es wir Sand am Meer, Ex-Raucher haufenweise, Leute die das Abitur auf der Abendschule nachholen, Leute, die in Paar-Therapien gehen, etc. etc. etc. pp.
Die Welt ist voll von Leuten, die an sich Verbesserungen vornehmen und nicht daran scheitern. Und praktisch immer wird das Leben besser dadurch. Ich kenne keinen Ex-Raucher der sagen würde "Oh, das war ein großer Fehler das Rauchen aufzuhören" oder einen trockenen Alkoholiker, der sagen würde "Ach, wie gut war das, als ich noch getrunken habe". Oder einen dünn gewordenen Menschen, der sein Übergewicht vermissen würde. Selbstoptimierung macht den Menschen in aller Regel glücklicher, nicht unglücklicher, Erfolgserlebnisse sind eine hervorragende Quelle von Glücksempfinden. Unglücklich wird, wer an dem Projekt scheitert. Aber warum scheitern Menschen? Manchmal daran, weil die Ziele zu groß oder unrealistisch waren (sich vorzunehmen, demnächst eine halbe Million im Jahr zu verdienen kann ein ziemlich schwieriges Ziel sein). Manchmal, wenn auch eher selten, an äußeren Umständen. Ein eifersüchtiger Ehemann wird Schwierigkeiten haben an seiner Eifersucht zu arbeiten, wenn er gerade betrogen wird.
Aber in den allermeisten Fällen dürfte es an mangelndem Willen liegen. Und da frage ich mich: Woran liegt das? War das schon immer so? Oder werden wir mehr und mehr zu einer Gesellschaft, die Härte gegen sich selber zur Untugend erhebt? Ich glaube vieles spricht für letzteres. Vor allem wenn man Leuten vorwirft sie wollten sich "nur" selbst optimieren. Was oftmals dahinter steckt ist die Angst vor dem eigenen Versagen, bzw. vor der eigenen Schwäche. (Randnotiz: Als Raucher, der vom Rauchen loskommen will, ist es erstaunlich wie viele andere Raucher einem plötzlich bereitwillig Zigaretten anbieten, ohne dass man überhaupt fragt.) Als Gesellschaftsleitbild ist es traurig und als Leitbild für den Nachwuchs einfach nur verheerend. Wenn man einem Kind schon vermittelt, dass es nicht in der Lage ist sich selber zu beherrschen, statt die Welt aus den Angeln zu heben, der darf sich auch nicht wundern, wenn er schwache Persönlichkeiten heranzieht. Es mag vielleicht ein ungewöhnlicher Einsatz für den Begriff sein, aber ein Kind, dass das erste mal vom 3 Meter Brett springt, überwindet sich selber und treibt gerade Selbstoptimierung. (Mit dem Ansatz "Komm da runter, Du tust Dir nur weh" erziehe ich einen Feigling.) Und das ist auch gut so, denn dieser Mensch wird das restliche Leben mutiger sein als vorher. Genauso wie der "Streber" mehr wissen wird, der "Abnehmer" gesünder sein wird und der "Fleißige" am Ende mehr leisten wird. Sich selber zu verbessern ist ein edles Ziel, kein schlechtes.
Ich finde es jedenfalls seltsam, dass ein Gesellschaftsbild entworfen wird, dass Verbesserungswillen negativ konnotiert. Oder ganz banal: Wer nicht den Willen hat morgen besser zu sein, der soll wenigstens denen aus dem Weg gehen, die es sein wollen, statt sie noch versuchen herunter zu ziehen.
Llarian
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