26. April 2022

Elon und der blaue Vogel. Coda: "Der Twitterplag"





„Der Twitterplag“

Verdaustig war's, und baffe Woken
Rotieren zornig im Geflenn
Denn Elon ist jetzt Twitter-Man
Und die gabben Schreihäls' toben.

Hab acht vorm Twitterplag, mein Kind!
Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr!
Vorm SpaceX-Flieger sieh dich vor,
Dem mampfen Chatroom-Rind!

Er zückt' sein Angebot, vermehrt,
Das Board zu futzen ohne Saum,
Und lehnt' sich an den Googlebaum
Und stand da lang in sich gekehrt.

In sich getimed, so stand er hier,
Da kam verschnoff der Twitterplag
Mit Flammenlefze angewackt
Und gurkt' in seiner Gier.

Mit Eins! und Zwei! und bis auf's Bein!
Die biffe Klinge ritscheropf!
Packt er den Aufsichtsrat beim Schopf,
Und wichernd sprengt' er heim.

»Vom Twitterbann hast uns befreit?
Komm an mein Herz, musker Elon!
Oh, blumer Tag! Oh, schlusse Fron!«
So hüpfte er vor Freud'.

Verdaustig war's, und baffe Woken
Rotieren zornig im Geflenn
Denn Elon ist jetzt Twitter-Man
Und die gabben Schreihäls' toben.

(Mit Bitte um Verzeihung an Lewis Carroll und Christian Enzensberger)

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Ich habe in den letzten Tagen die einzelnen Schritte von Elon Musk zur „feindlichen Übernahme“ des Kurznachrichtendienstes im Zeichen des L’oiseau bleu im Kommentarstrang zur Llarians Ausführungen an dieser Stelle so kommentiert, als würde es sich um die Züge einer Schachpartie handeln. Und das berühmteste Werk der englischen – ach was: der gesamten Weltliteratur – ist natürlich der zweite Band von Lewis Carrolls „Alice“-Büchern, „Through the Looking-Glass, and What Alice Found There“ von 1871, dessen Handlung in Spiegelland am Ende, nicht ganz schlüssig übrigens, als Züge der handelnden Figuren auf einem Schachbrett gedeutet werden. Und das erste, was Alice nach dem Durchgang durch den Spiegel über den Kamin im elterlichen Wohnzimmer in die Hände fällt, ist ein Buch mit einem Gedicht in Spiegelschrift, daß sich, vor den gewissermaßen gespiegelten Spiegel gehalten, später zu dem berühmtesten Nonsens-Gedicht in englischer Sprache geworden ist: die schauervolle Ballade vom Jabberwock, auf deutsch „Jammerwoch“ genannt oder, in Enzensbergers Nachdichtung von 1977, der „Zipferlake.“ „Es klingt doch ausgesprochen nett,“ spricht unsere Heldin zu sich („denn sie wollte nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen, daß sie kein Wort davon verstanden hatte“) – „aber ich habe dabei merkwürdige Vorstellungen. Ich weiß nur nicht welche.“



Mit dem heute erfolgten Èchec et mat, mit dem der Aufsichtsrat dem „hostile Takeover“ des reichsten Mannes der Welt, dem gesamten Aktienstock von Twitter für 46 Milliarden Dollar zu übernehmen, dürften in den nächsten Tagen sämtliche Dämme der Empörung im Lager der Guten, Wohlmeinenden, Aufgeweckten gebrochen sein. Um Llarians Beschreibung zu zitieren:



Die amerikanische Linke schäumt vor Wut: Brian Stelter versuchte Musk mit Marihuana in Verbindung zu bringen, Joy Reid drosch die unvermeidliche Rassismus Keule und die Washington Post (in fester Hand von Jeff Bezos) feuerte mit allen Kanonen, dass einzelne, reiche Leute keinen Einfluss auf die Meinungsbildung haben sollten. Alleine für diese Show muss man Elon Musk dankbar sein, zeigt sie doch offen wie wichtig der amerikanischen Linken ihre Zensurplattform ist. Und inhaltlich ist das absolut nachzuvollziehen: Die amerikanische Linke (die deutsche nebenbei auch) lebt inzwischen rein von der Zensur gegenteiliger Meinungen. Man hat sich inzwischen so daran gewöhnt, dass Big-Tech die andere Meinung wegfegt, dass man sich gar nicht mehr die Mühe gemacht hat, eigene Argumente zu schärfen. Umso größer ist jetzt die Panik das jemand darauf zeigen könnte wie nackt der Kaiser am Ende ist.






Und nichts könnte für diese Leute empörender sein, als daß sich Musk als radikaler Vertreter der freien Meinungsäußerung positioniert, als jemand, der mal eben eine zweistellige Milliardensumme dafür hergibt, jedem das Recht zuzugestehen, frei von der Leber daherzukommunizieren, ohne fürchten zu müssen, dafür in den Senkel gestellt zu werden, während von der Gegenseite nur ein „Ruf wie Donnerhall“ nach Einschränkung, nach dem verbietenden Staat, nach schäumender Empörung bleibt. Ein schlimmere Decouvrierung aller angeblich von diesem Lager vertretenden Positionen läßt sich kaum vorstellen. Und daß Musk sich ausdrücklich wünscht, daß selbst seine vehementesten Gegner auf Twitter bleiben, weil Freiheit der Rede darin besteht, daß sie prinzipiell für alle gilt, macht die Sache erst richtig rund. Daß es nicht ganz unwahrscheinlich ist, daß der böse Orangenmann demnächst wieder die Jugend der Welt mit seinen bösartigen Sprüchen verderben darf, kommt noch hinzu.



Nicht alle werden in ihrer kognitiven Dissonanz so weit gehen wie der amerikanische Journalist Michael Tracey heute in der „New York Times,“ der befindet, daß der Einzige, der einen Grund hätte, Musks Erfolg zu feiern, Russlands Präsident Putin sei: „Vor uns liegen dunkle Zeiten.“ Um das Ausmaß dieser Blindheit zu ermessen, sollte man wissen, daß die russische Staatsduma Ende Februar das russische Ordnungswidrigkeitengesetz (russisch: Кодекс Российской Федерации об административных правонарушениях, abgekürzt КоАП РФ) um zwei Artikel erweitert hat, die „öffentliche Maßnahmen, die auf eine Diskreditierung der Einsätze der Streitkräfte der Russischen Förderation“ mit drakonischen Strafen belegen. Damit sollen ausdrücklich kritische Postings in den sozialen Medien unterbunden werden. Artikel 20.3.3 sieht dafür eine Strafe von einer Million Rubel vor (also gut 12.000 Euro); für den Wiederholungsfall wird nach dem neuen Artikel 280.3 Lagerhaft von bis zu fünf Jahren verhängt. Sollte das Gericht befinden, es daß sich nicht um „versehentliche Falschinformationen“ sondern um bewußt als solche verbreitete handelt, drohen nach Artikel 270.3 sogar 15 Jahre Haft.



Immerhin eines ist hiermit geklärt. Elon Musk ist als „Aspie,“ als jemand, der ein Asperger-Autist ist (ich verrate damit kein Geheimnis, Musk selbst hat das vor einem Jahr bei seinem Auftritt als Gastmoderator in der Fernsehsendung „Saturday Night Live“ selbst erklärt – in der für diese Menschen typischen indirekten Form) zwar keineswegs humorlos – die Vorstellung, solche Menschen könnten keinen Humor verstehen, weil sie keine Metaphern begreifen könnten und sprachliche Inhalte nur „zum Nennwert nehmen,“ also rein wörtlich erfassen würden, könnte nicht falscher sein, hält sich aber in den Krisen der „Neurotypischen“ hartnäckig. Aber ebenso typisch ist dieser Humor, dieser Witz, dieses Abheben auf das Widersprüchliche für Außenstehende mitunter rätselhaft, gnomisch, zusammenhanglos – weil die Assonanzen, die Anklänge, die hier als Subtext mitschwingen, zu sehr gestaffelt, zu unerkennbar sind. Vor zwei Tagen twitterte Musk im Zug seiner Schachpartie den Satz „Barbarians at the Gate.“ Als Erklärung erfolgte, von anderer Seite, der Hinweis, hier würde auf „Conan den Barbaren“ angespielt. Das dürfte nicht zutreffen. Vielmehr ist es wohl ein Verweis auf das gleich betitelte Buch der Journalisten Bryan Burrough und John Helyar aus dem Jahr 1989, bei dem es um den Versuch des Vorsitzenden („CEO“) des amerikanischen Lebensmittel- und Tabakskonzerns RJR Nabisco, der eine „feindliche Übernahme“ seines Konzerns, an dem er keine Mehrheitsanteile hielt, zustandezubringen, in dem er die „Poison Pill,“ die „Giftpille“ ausspielte, um den Großteil der Firmenanteile für eine von außen bietenden Konkurrenz „in Sicherheit“ du unter eigene Kontrolle brachte – was ihn mit den Kartellgesetzen in Konflikt brachte. So, wie es auch der Aufsichtsrat von Twitter versucht hat, um Musks Übernahmevesuch abzublocken.



Aber der Folgetweet, den Elon Musk am 23. April dazu absetzte – „What is best in life?” – ist in der Tat ein Zitat, das der von Arnold Schwarzenegger gespielte Barbar in John Milius Verfilmung aus dem Jahr 1982 in seinem unnachahmlichen österreichisch eingefärbten Dialekt spricht, als er nach dem Besten im Leben gefragt wird: „To crush your enemies, see them driven before you, and to hear the lamentations of their women!“ Und die Lamentationen, die Elons Feinde jetzt gen Himmel senden, dürften bis zum Andromedanebel hörbar sein. (Fun fact: das "Cimmeria," aus dem Robert E. Howard (1906-1946) seinen barbarischen Helden im "Hyborischen Zeitalter" vor 30.000 Jahren herstammen läßt, entspricht mit dem Landstrich, der in unseer Antike diese Bezeichnung trug, sondern in der Privatmythologie des Autors der Steiermark.)





PS.

Bei vielen der Gedichte in Lewis Carrolls „Alice“-Büchern handelt es ihrerseits um Parodien, zumeist auf frömmelnde Kirchenlieder des viktorianischen Zeitalters oder um moralisch mit dem Zeigefinger drohenden Moritaten, mit denen ungezogenen Blagen die grausigen Folgen des Abweichens vom Pfad der Tugend ausgemalt wurden. Die Furie des Verschwindens hat diese Originale verschluckt wie der Schnark aus Carrolls Langgedicht „The Hunting of the Snark“ („..you will suddenly and softly vanish away / And never be met with again“), und erst Martin Gardners kommentierte Ausgabe, „The Annotated Alice “(zuerst 1960 erschienen, und in den späteren Ausgaben von 1990, 1999 und zuletzt 2015 erweitert) hat diese Textfolie für die Nachgeborenen wieder sichtbar gemacht. „The Jabberwock“ ist keine solche Reprise; dennoch setze ich einmal Christian Enzensbergers Version des „Zipferlake“ her, um Lesern, die mit meiner Vorlage nicht vertraut sind, eine kleine Handreichung zu geben.

Der Zipferlake

Christian Enzensberger

Verdaustig war's, und glaße Wieben
rotterten gorkicht im Gemank.
Gar elump war der Pluckerwank,
und die gabben Schweisel frieben.

»Hab acht vorm Zipferlak, mein Kind!
Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr.
Vorm Fliegelflagel sieh dich vor,
dem mampfen Schnatterrind.«

Er zückt' sein scharfgebifftes Schwert,
den Feind zu futzen ohne Saum,
und lehnt' sich an den Dudelbaum
und stand da lang in sich gekehrt.

In sich gekeimt, so stand er hier,
da kam verschnoff der Zipferlak
mit Flammenlefze angewackt
und gurgt' in seiner Gier.

Mit Eins! und Zwei! und bis auf's Bein!
Die biffe Klinge ritscheropf!
Trennt' er vom Hals den toten Kopf,
und wichernd sprengt' er heim.

»Vom Zipferlak hast uns befreit?
Komm an mein Herz, aromer Sohn!
Oh, blumer Tag! Oh, schlusse Fron!«
So kröpfte er vor Freud'.

Verdaustig war's, und glaße Wieben
rotterten gorkicht im Gemank.
Gar elump war der Pluckerwank,
und die gabben Schweisel frieben.

Der erste Vierzeiler -

'Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.

- lautet in der ersten “Übertragung“ (von Robert Scott, im Februar 1872 im „Macmillan’s Magazine“ erschienen) noch:

Es brillig war. Die schlichte Toven
Wirrten und wimmelten in Waben;
Und aller-mümsige Burggoven
Die mohmen Räth' ausgraben.

Auf Niederländisch geht so etwas übrigens so (in der Anverwandlung von Ab Westervaarder und René Kupershoek):

'Hebt gij de Krakelwok geveld?
O heugle dag! Hoezee! Hoezot!
Omhels mij, zoonlief, brale held!'
Hij gnorde van genot.





U.E.

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