Ja. Vielleicht. Eher nicht. Möglicherweise. Doch der Reihe nach.
1.
Für ein knappes Jahrhundert, nachdem die Darwinsche Evolutionstheorie dem Nachdenken über die Entstehung des Lebens und die Entwicklung höherer Lebensformen ein theoretisches Grundgerüst verliehen hatte, also ab den sechziger Jahren der 19. Jahrhunderts, bis zum Anbruch des "Raumfahrtzeitalters" fast genau 100 Jahre später, als die technischen Möglichkeiten entwickelt wurden, die Bedingungen, die anderenorts im Sonnensystem vorherrschen, aus der Nähe in Augenschein zu nehmen, war neben dem Mars unser Nachbarplanet Venus immer der aussischtsreichste Kandidat für eine weitere Wiege des Lebens. Anders als beim roten Planeten, dessen Temperaturen und Oberflächenformationen zumindest schemenhaft in den damaligen Teleskopen auszumachen waren, verwehrte die undurchdringliche Wolkendecke den Forscheraugen jeglichen Einblick. Nicht einmal die Dauer eines Tages ließ sich vor den ersten Visiten durch Raumsonden Mitte der 1960er Jahre angeben. Daher blieb den Spekulationen nur, sich an der Größe, die der der Erde beinahe entspricht, sowie an der größeren Nähe zur Sonne festzumachen. Der schwedische Physiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius (1859 geboren, dem Erscheinungsjahr von Darwins "The Origin of Species" und 1927 gestorben), der Entdecker des Treibhauseffektes, und, ja doch, ein entfernter Verwandter von Greta Thunberg, mutmaßte kurz nach der Jahrhundertwende folgendermaßen:
Mit den ersten Besuchen von Raumsonden und den Meßdaten über die tatsächlich dort vorherrschenden atmosphärischen Bedingungen (zuerst durch Mariner 2 im August 1962 und dann mit großen Datenmengen durch Mariner 5 im Juni 1967) war diese romantische Spekulation ein für allemal hinfällig. Die Oberflächentemperaturen von durchweg 450 Grad Celsius und der Druck am Boden von 90 irdischen Atmosphären machten allen Spekulationen über die Venus als einen Hort des Lebens hinfällig. zu komplexen Kettenmoleküle, aus denen sämtliche Zellen des irdischen Lebensaufgebaut sind; die Erbinformation, die Enzyme, die Stoffwechselfunktionen und damit "Leben" überhaupt erst ermöglichen, und die es Lebewesen, vom Einzeller an, erst ermöglichen, Kopien von sich herzustellen und somit fortzupflanzen, können unter diesen extremen Umweltbedingungen nicht existieren: sie zerfallen in ihre Bestandteile. Und wo sie gar nicht erst entstehen können, können sie natürlich auch nicht über lange Zeit existieren und durch Veränderung und das vermehrte Überleben von Varianten, die mit diesen Bedingungen besser zurecht kommen, sich daran anpassen. Hinzu kommt, daß flüssiges Wasser, das man unserer Erkenntnis unabdingbar für den Bestand von Leben ist - als Zellinhalt und als Transportmedium für Nährstoffe und den Abtransport von Zellgiften, an der Oberfläche unseres Nachbarplaneten nicht vorkommen kann. Nicht umsonst kapriziert sich bei Planeten außerhalb unseres Sonnensystems die Suche nach potentiellen Heinstätten von Leben auf solche Sternbegleiter, die sich innerhalb der "bewohnbaren Zone", auch "Goldilocks Zone" genannt, bewegen: gerade weit genug vom Muttergestirn, Wasser aufzuweisen. Ist die Entfernung zu klein, verdunstet alles verfügbare H²O, ist sie zu groß, erstarrt es zu Eis.
Freilich: beim Nachdenken über die Existenz von Leben außerhalb der einzige Biosphäre, die wir bislang kennen - nämlich der irdischen - gilt es im Hinterkopf behalten, daß die "Natur", äußerst erfindungsreich ist. Oder anders gesagt: ein Sample von 1 ist eine denkbar schlechte Grundlage, um darauf Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Schon bei der Betrachtung dieser Goldilocks-Zone (benannt nach der Heldin des englischen Märchens, weil für einen glücklichen Ausgang unwahrscheinlich viele gute Fügungen zusammentreffen müssen) fällt auf, daß jenes "eine Sample", das wir kennen, sich gar nicht in der "bewohnbaren Zone" befindet. Ohne den akkumulierten Treibhauseffekt der Atmosphärengase läge die Oberfächentemperatur von Sol III, Terra, um gute 33 Grad unter dem globalen Mittelwert von gut 15° Celsius und wäre eine gefrorene Eiswelt. (Die in Paläontologenkreisen überaus umstrittene Hypothese des "Schneeballs Erde" geht davon aus, daß die gesamte Oberfläche unseres Planeten tatsächlich für einen Zeitraum von rund 200 Millionen Jahren, vor etwa 800 bis 600 Millionen Jahren, tatsächlich ein geschlossener Eispanzer war und das bis dahin nur in einzelliger Form existente Leben tief unter dem Eis in der Wärme von vulkanischen Spalten überlebt hat.) In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf die irdische Existenz sogenannter "Extremophiler" verwiesen: Pflanzen und niedriger Lebensformen, die an Bedingungen angepaßt sind, die für "normale" Lebewesen in unserer Biosphäre tödlich sind: Bakterien, die in Geysirspalten Temperaturen bis zu 103° ertragen; Röhrenwürmer und Muscheln an den Ausgasungszonen von Tiefseespalten, die ohne Sauerstoff und Licht existieren und deren Stoffwechsel seine Betriebsenergie aus einem Schwefelkreislauf beziehen (statt wie jede einzelne unserer Körperzellen, aus dem Zitronensäurezyklus.) Solches "Leben am Limit" hat sich freilich nicht eigenständig entwickelt; diese Taxa stammen von gemeinsamen Vorfahren in der Kette des Lebens ab, die juns allen gemein sind und denen wir einen über das gesamte Reich des Lebendigen identischen genetischen Code und die wichtigsten Funktionswiesen der Proteine und Enzyme verdanken.
Im selben Jahr, als die Meßergebnisse von Mariner 5 über die Zustände auf der Oberfläche der Venus eintrafen (der SF-Autor und -Poet Joe Haldeman schrieb in einem Gedicht viele Jahre später: "It is the planet of love / all right"), veröffentlichten Carl Sagan (1934-1996) und sein Co-Autor Harold Morowitz in der führenden Wissenschaftszeitschrift Nature eine kleine Miszelle, in der sie darauf verwiesen, daß die Verhältnisse an der Oberfläche des Planeten zwar die Existenz von Leben, so wiet es nach unseren heutigen Erkenntnissen vorstellbar ist, recht kategorisch ausschließen, daß es aber hoch darüber anders aussieht: in einer Höhe von 50 bis 70 Kilometern über der Oberfläche, an der Obergrenze der Wolkendecke, herrscht ein Druck von ungefähr 1,7 Atmosphären; und die Temperatur liegt zwischen 210 bis 260 Grad Kelvin, und steigt natürlich bei abnehmender Höhe weiter an (auch wenn zu dieser Zeit für diesen Gradienten keine Meßwerte vorlagen). Der spektrographische Nachweis von Kohlendioxyd und zumindest Spuren von Wasserdampf würden zumindest auf dem Papier, auf die Möglichkeit von Photosynthese hinweisen. in ihrer Zusammenfassung schreiben die Autoren:
(Carl Sagan, Harold Morowitz: "Life in the Clouds of Venus?" Nature, Bd. 215, S. 1259–1260, 1967)
Ja. Vielleicht. Eher nicht. Möglicherweise. Doch der Reihe nach.
1.
Für ein knappes Jahrhundert, nachdem die Darwinsche Evolutionstheorie dem Nachdenken über die Entstehung des Lebens und die Entwicklung höherer Lebensformen ein theoretisches Grundgerüst verliehen hatte, also ab den sechziger Jahren der 19. Jahrhunderts, bis zum Anbruch des "Raumfahrtzeitalters" fast genau 100 Jahre später, als die technischen Möglichkeiten entwickelt wurden, die Bedingungen, die anderenorts im Sonnensystem vorherrschen, aus der Nähe in Augenschein zu nehmen, war neben dem Mars unser Nachbarplanet Venus immer der aussischtsreichste Kandidat für eine weitere Wiege des Lebens. Anders als beim roten Planeten, dessen Temperaturen und Oberflächenformationen zumindest schemenhaft in den damaligen Teleskopen auszumachen waren, verwehrte die undurchdringliche Wolkendecke den Forscheraugen jeglichen Einblick. Nicht einmal die Dauer eines Tages ließ sich vor den ersten Visiten durch Raumsonden Mitte der 1960er Jahre angeben. Daher blieb den Spekulationen nur, sich an der Größe, die der der Erde beinahe entspricht, sowie an der größeren Nähe zur Sonne festzumachen. Der schwedische Physiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius (1859 geboren, dem Erscheinungsjahr von Darwins "The Origin of Species" und 1927 gestorben), der Entdecker des Treibhauseffektes, und, ja doch, ein entfernter Verwandter von Greta Thunberg, mutmaßte kurz nach der Jahrhundertwende folgendermaßen:
"The average temperature there is calculated to be about 47° (116.6°F), assuming the sun constant to two calories per cubic centimeter (.61 cu. in.). The humidity is about six times the average of that on Earth, or three times that in Congo where the average temperature is 26°C. The atmosphere of Venus holds about as much water vapour 5 km (3.1 miles) above the surface as does the atmosphere of the Earth at the surface. We must therefore conclude that everything on Venus is dripping wet." (The Destinies of the Stars, New York: G. P. Putnam's Sons, 1918, S. 250-51)(In der schwedischen Originalausgabe von 1915, Stjärnornas öden, lautet der Passus: "Luften håller där på fem kilometers höjd ungefär lika myckert vattenånga som vid jordytan på vå planet. Man kan därav förstå, att på Venus allt skall vara drypande vått.") Während sich die Wissenschaft der Sachlage gemäß zurückhielt, traf die Aussage "alles auf der Venus ist tropfend naß" den Nerv der spekulativen Literatur, die mit Edgar Rice Burroughs' John Cabot beginnend, die Venus in den folgenden Jahrzehnten als eine Dschungelwelt voll tödlicher Bedrohungen ausmalte - oder als einen weltumspannenden Ozean (wie etwa in C. L. Lewis Perelandra). Gemäß der alten, auf Laplace zurückgehenden Vorstellung, die Begleiter der Sonne seien aus einer sich abkühlenden Gaswolke kondensiert und hätten gewissenmaßen "von außen nach innen" denselben Entstehungsprozeß durchlaufen, so daß der Mars "die Zukunft der Erde" darstelle, während die Venus ihr Pendant in einem früheren geologischen Zeitalter sei, wurden diese grünen Höllen gern mit hungrigen Sauriern und turmhohen Schachtelhalmen bestückt.
Mit den ersten Besuchen von Raumsonden und den Meßdaten über die tatsächlich dort vorherrschenden atmosphärischen Bedingungen (zuerst durch Mariner 2 im August 1962 und dann mit großen Datenmengen durch Mariner 5 im Juni 1967) war diese romantische Spekulation ein für allemal hinfällig. Die Oberflächentemperaturen von durchweg 450 Grad Celsius und der Druck am Boden von 90 irdischen Atmosphären machten allen Spekulationen über die Venus als einen Hort des Lebens hinfällig. zu komplexen Kettenmoleküle, aus denen sämtliche Zellen des irdischen Lebensaufgebaut sind; die Erbinformation, die Enzyme, die Stoffwechselfunktionen und damit "Leben" überhaupt erst ermöglichen, und die es Lebewesen, vom Einzeller an, erst ermöglichen, Kopien von sich herzustellen und somit fortzupflanzen, können unter diesen extremen Umweltbedingungen nicht existieren: sie zerfallen in ihre Bestandteile. Und wo sie gar nicht erst entstehen können, können sie natürlich auch nicht über lange Zeit existieren und durch Veränderung und das vermehrte Überleben von Varianten, die mit diesen Bedingungen besser zurecht kommen, sich daran anpassen. Hinzu kommt, daß flüssiges Wasser, das man unserer Erkenntnis unabdingbar für den Bestand von Leben ist - als Zellinhalt und als Transportmedium für Nährstoffe und den Abtransport von Zellgiften, an der Oberfläche unseres Nachbarplaneten nicht vorkommen kann. Nicht umsonst kapriziert sich bei Planeten außerhalb unseres Sonnensystems die Suche nach potentiellen Heinstätten von Leben auf solche Sternbegleiter, die sich innerhalb der "bewohnbaren Zone", auch "Goldilocks Zone" genannt, bewegen: gerade weit genug vom Muttergestirn, Wasser aufzuweisen. Ist die Entfernung zu klein, verdunstet alles verfügbare H²O, ist sie zu groß, erstarrt es zu Eis.
Freilich: beim Nachdenken über die Existenz von Leben außerhalb der einzige Biosphäre, die wir bislang kennen - nämlich der irdischen - gilt es im Hinterkopf behalten, daß die "Natur", äußerst erfindungsreich ist. Oder anders gesagt: ein Sample von 1 ist eine denkbar schlechte Grundlage, um darauf Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Schon bei der Betrachtung dieser Goldilocks-Zone (benannt nach der Heldin des englischen Märchens, weil für einen glücklichen Ausgang unwahrscheinlich viele gute Fügungen zusammentreffen müssen) fällt auf, daß jenes "eine Sample", das wir kennen, sich gar nicht in der "bewohnbaren Zone" befindet. Ohne den akkumulierten Treibhauseffekt der Atmosphärengase läge die Oberfächentemperatur von Sol III, Terra, um gute 33 Grad unter dem globalen Mittelwert von gut 15° Celsius und wäre eine gefrorene Eiswelt. (Die in Paläontologenkreisen überaus umstrittene Hypothese des "Schneeballs Erde" geht davon aus, daß die gesamte Oberfläche unseres Planeten tatsächlich für einen Zeitraum von rund 200 Millionen Jahren, vor etwa 800 bis 600 Millionen Jahren, tatsächlich ein geschlossener Eispanzer war und das bis dahin nur in einzelliger Form existente Leben tief unter dem Eis in der Wärme von vulkanischen Spalten überlebt hat.) In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf die irdische Existenz sogenannter "Extremophiler" verwiesen: Pflanzen und niedriger Lebensformen, die an Bedingungen angepaßt sind, die für "normale" Lebewesen in unserer Biosphäre tödlich sind: Bakterien, die in Geysirspalten Temperaturen bis zu 103° ertragen; Röhrenwürmer und Muscheln an den Ausgasungszonen von Tiefseespalten, die ohne Sauerstoff und Licht existieren und deren Stoffwechsel seine Betriebsenergie aus einem Schwefelkreislauf beziehen (statt wie jede einzelne unserer Körperzellen, aus dem Zitronensäurezyklus.) Solches "Leben am Limit" hat sich freilich nicht eigenständig entwickelt; diese Taxa stammen von gemeinsamen Vorfahren in der Kette des Lebens ab, die juns allen gemein sind und denen wir einen über das gesamte Reich des Lebendigen identischen genetischen Code und die wichtigsten Funktionswiesen der Proteine und Enzyme verdanken.
Im selben Jahr, als die Meßergebnisse von Mariner 5 über die Zustände auf der Oberfläche der Venus eintrafen (der SF-Autor und -Poet Joe Haldeman schrieb in einem Gedicht viele Jahre später: "It is the planet of love / all right"), veröffentlichten Carl Sagan (1934-1996) und sein Co-Autor Harold Morowitz in der führenden Wissenschaftszeitschrift Nature eine kleine Miszelle, in der sie darauf verwiesen, daß die Verhältnisse an der Oberfläche des Planeten zwar die Existenz von Leben, so wiet es nach unseren heutigen Erkenntnissen vorstellbar ist, recht kategorisch ausschließen, daß es aber hoch darüber anders aussieht: in einer Höhe von 50 bis 70 Kilometern über der Oberfläche, an der Obergrenze der Wolkendecke, herrscht ein Druck von ungefähr 1,7 Atmosphären; und die Temperatur liegt zwischen 210 bis 260 Grad Kelvin, und steigt natürlich bei abnehmender Höhe weiter an (auch wenn zu dieser Zeit für diesen Gradienten keine Meßwerte vorlagen). Der spektrographische Nachweis von Kohlendioxyd und zumindest Spuren von Wasserdampf würden zumindest auf dem Papier, auf die Möglichkeit von Photosynthese hinweisen. in ihrer Zusammenfassung schreiben die Autoren:
WHILE the surface conditions of Venus make the hypothesis of life there implausible, the clouds of Venus are a different story altogether. As was pointed out some years ago1, water, carbon dioxide and sunlight—the prerequisites for photosynthesis—are plentiful in the vicinity of the clouds. Since then, good additional evidence has been provided that the clouds are composed of ice crystals at their tops, and it seems likely that there are water droplets toward their bottoms. Independent evidence for water vapour also exists. The temperature at the cloud tops is about 210° K, and at the cloud bottoms is probably at least 260–280° K (refs. 4 and 6). Atmospheric pressure at this temperature level is about 1 atm.7.
(Carl Sagan, Harold Morowitz: "Life in the Clouds of Venus?" Nature, Bd. 215, S. 1259–1260, 1967)
- so daß es zumindest denkbar sei, daß in diesen Bereich bakterielles (oder zumindest strukturell vergleichbares) Leben existieren könnte, als Einzeller leicht genug um in der Höhe zu verbleiben. Natürlich handelt es sich bei einer solchen Hypothese nur um eine flüchtig skizzierte Möglichkeit, keinen Nachweis, und die tatsächlichen Entdeckungen (wie etwa der erwähnten Tiefsee-Röhrenwürmer, die einen Durchmesser von bis zu 30 Zentimetern aufweisen und rotes Blut haben; beim Transport an die Wasseroberfläche durch Fangkäfige explodieren sie durch den Druckabfall regelrecht, was das Betrachten von Bildern solcher Forschung zu einer unappetitlichen Erfahrung macht) verdanken sich der Entwicklung neuer Sonden, Proben, Tauchboote uund erfolgen völlig unabhängig von solchen Anregungen. Dennoch sind solche Sandkastenspiele (oder sollte man in diesem Fall nicht eher von "Wolkenschiebereien" sprechen?) ein elementarer Teil des Geschäfts der Wissenschaft, den bekannten "Gedankenexperimenten" der Physik vergleichbar.
2
Bei der Suche nach Hinweisen auf die Existenz von Leben außerhalb unserer eigenen Biosphäre liegt das Augenmerk der Astronomen auf dem Nachweis von Substanzen, von Stoffen, die sich eindeutig (oder doch mit recht hoher Wahrscheinlichkeit) als das Produkt biologischer Vorgänge deuten lassen - sogenannte "Biomarker". Dem liegt nicht zuletzt die Erkenntnis zugrunde, daß im Fall jenes "Sample 1" das Leben im Lauf seines milliardenlangen Bestehens die "drei Hauptreservoire" des oberen Bereichs des Systems Erde grundlegend umgestaltet hat: vor allem die Atmosphäre. Die 21 Prozent Sauerstoff der Erdatmosphäre verdanken sich zum allergrößten Teil der Stoffwechselaktivität ihrer Bewohner. Und da dieses Gas äußert reaktionsfreudig ist, wie jeder Autobesitzer weiß, würden die natürlich ablaufenden chemischen Reduktions-Reaktionen nach einem Verschwinden dieser Bewohner, vom Einzeller bis zum Blauwal, sehr schnell dafür sorgen, daß sich der Gehalt an Sauerstoff auf nur wenige Bruchteile eines Prozents vermindert. Bei den Atmosphären der übrigen Planeten des Sonnensystems ist dies der Fall (dieser Befund brachte Mitte der 70er Jahre James Lovelock, den Vater der Gaia-Theorie, zu dem Vorschlag, die NASA könne sich die 6 Milliarden Dollar für die beiden Lander der Viking-Missionen sparen, die aufwendige Versuchsanordnungen an Bord mitführten, um Lebensspuren zu registrieren: es reiche ein irdisches Spektroskop zur Ermittlung der Zusammensetzung der Marsatmosphäre, um nachzuweisen, daß dort kein Leben existiere). Wenn nun also im Spektrum einer fernen Welt ein kräftiger Anteil von Sauerstoff nachgewiesen werden kann, ist dies ein recht verläßliches Anzeichen für den Bestand einer Biosphäre, die das aufrechterhält. Mehrere der für die 2020er Jahre geplanten Missionen zum Aufspüren und Erforschen von Exoplaneten setzen auf eine solche Ermittlung der atmosphärischen Zusammensetzung - etwa das James Webb Space Telescope (JWST), dessen Start zurzeit auf den März 2021 angesetzt ist) oder ARIEL, dessen Start 2028 als vierte Mission des Programms "Cosmic Vision" der ESA erfolgen soll (das Kürzel steht für "Atmospheric Remote-sensing Infrared Exoplanet Large-survey"). Sauerstoff ist dabei keineswegs der einzige Biomarker: Methan, Chlormethan und Dickstoffoxid gelten, neben einer Vielzahl anderer Verbindungen, ebenfalls als gute Kandidaten. Natürlich ist dabei immer einzupreisen, daß die Produktion solcher Moleküle auch andere, nichtorganische Ursachen haben kann - aber das ist ein dem Nachweis nachgeordneter Analyseprozeßß. Der Fortgang der Wissenschaft besteht darin, solche Annahmen nicht nur zu bestätigten (zu "verifizieren"), sondern auch alternative Erklärungen zu prüfen, die sich anhand der akkumulierten Daten dann als zutreffend oder irrig erweisen. Und um eine dieser Verbindungen dreht sich die aktuelle Aufregung, "auf der Venus" - in Gedenken an Carl Sagan: in den oberen Schichten ihrer Lufthülle, sei nun der Nachweis eines solchen Fingerabdrucks gelungen.
Bei der fraglichen Substanz handelt es sich um Phosphorwasserstoff, auch Phosphin genannt, mit der chemischen Formel PH³, bei der sich drei Wasserstoffatome wie die Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks um ein zentrales Phosphoratom gruppieren. Die Häufigkeit dieser Verbindung in der oberen Venusatmosphäre beträgt den Analysen zufolge 1 zu 20 Milliarden; oder 0,0002 ppm. Auf der Erde kommt dieses Molekül als Spurengas vor. Etwa ein Zehntel des Phosphors in der Erdatmosphäre wird von Phosphin gebildet; der Rest liegt in der Form von Phosphat vor. Der Ursprung des irdischen Phosphins ist eindeutig: es entsteht nur als Stoffwechselprodukt anaerober Bakterien. (Ein geringer Teil entsteht auch bei industriellen Fertigungsvorgängen; wir können uns aber einig sein, daß deren Vorhandensein ebenfalls auf die Existenz von Leben, in diesem Fall sogar intelligentem Leben, zurückzuführen ist.) Das Team um Jane Greaves von der Universität Cardiff, die ihre Resultat in dieser Woche in einem Aufsatz in der Zeitschrift Nature publizierten und am Montag auf einer Pressekonferenz in London erläuterten, zeigten sich selbst vom Resultat völlig überrascht. Das Ziel ihrer Arbeit war zwar das Abtesten von spektrographischen Analysemethoden im Submillimeterbeich des elektromagnetischen Spektrums; die Venus diente dabei allerdings als Referenzpunkt für ein Ziel, das kein Signal liefern würde. (Ein solches Testverfahren ist bei der Entwicklung neuer Methoden blich, um sichergehen zu können, daß nicht andere Vorgänge, die mit dem gesuchten Bereich nichts zu tun haben, "falsch positive" Ergebnisse hervorrufen können.) Das Projekt und seine Meßmethode war von dem Team seit Januar 2016 entwickelt; die erste Beobachtungsreihe fand vom Juni 2017 bis Ende 2018 mit dem James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) auf dem Mauna Kea auf Hawaii, das dort seit 1987 betrieben wird. (Als Laie stellt man sich für gewöhnlich Radioteleskope als gewaltige Antennen vor, analog zur 11-Meter-Schüssel in Effelsberg oder dem dreihundert Meter über einem Talkrater gespannten Antennennetz des Arecibo-Teleskops in Puerto Rico - das Anfang August schwer beschädigt wurde, als eine der Stahltrossen, die durch Zug dieses Netz gespannt halten, brach und ein großes Winkelsegment der Antenne kollabierte. Die Antenne des JMCT mißt nur 15 Meter im Durchmesser.) Die zweite Beobachtungsserie erfolgte im Lauf des Jahres 2019 mit Hilfe des ALMA-Arrays, des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array in den nordchilenischen Anden im Zentrum der extrem trockenen Atacama-Wüste, das aus 66 einzelnen, transportablen Einzelteleskopen besteht. Die Höhe von mehr als 5000 Metern über dem Meeresspiegel sorgt nicht nur dafür, daß die kosmischen Signale, die aufgefangen werden sollen, weniger von der Erdatmosphäre absorbiert werden; die Trockenheit sorgt zudem für eine extreme Lichtschärfe (für die optischen Teleskope) und dafür, daß das Rauschen im Radiobereich geringer ausfällt. Als Radiohörer mag man sich, zumal im Zeitalter des Digitalfunks, hier wundern. Aber die Signale, die hier aufgefangen und analysiert werden, sind um ein Millionenfaches schwächer als die der drahtlosen Kommunikation der Erdlinge. Aus diesem Grund ist es etwa um Umkreis von fünf Kilometern rund um das Radioteleskop im niederländischen Westerbork streng untersagt, ein Fahrzeug mit einem Verbrennungsmotor zu betreiben, dessen Zündung durch Zündkerzen erfolgt. Die Signale, um die es in diesem Fall geht, messen die Signatur, die die Moleküle der Strahlung, die sie aussenden, nicht nur im sichtbaren Bereich des optischen Spektrums aufprägen, sondern auch im Radiobereich. (Zu den Analyseverfahren gehört es deshalb, die "Störsignale", die durch die gleichen Vorgänge in der Erdatmosphäre entstehen, herauszurechnen.)
Eine solche zweite Meßreihe stellt sicher, daß diese Signatur tatsächlich etwas "Externes" abbildet und nicht auf übersehene Effekte der ersten Meßanordnung zurückgeht. Ein berüchtigter Fall eines solchen Instrumentenfehlers stellt etwa die Suche nach dem "Neunten Planeten" dar, dessen Existenz anhand der vermeintlichen Bahnstörungen von Uranus und Neptun vorausgesagt worden war (so wie die Entdeckung des Neptun seinerseits auf die Analyse der Bahnstörungen des Uranus zurückging). Nachdem die Bestimmung der Masse des Pluto nach seiner Entdeckung durch Clyde W. Tombaugh im Jahr 1930 erwies, daß sie viel zu gering war, um die verzeichneten Perturbationen zu erklären, fiel auf, daß diese winzigen Abweichungen von errechneten Kurs einzig auf die Beobachtungen mit einem bestimmten Teleskop zurückzuführen waren, einem Refraktor des US Naval Observatory über einen Zeitraum von dreißig Jahren.
3
Nun gibt es freilich noch einen zweiten Weg, auf dem sich Phosphorwasserstoff bilden kann. In den Atmosphären der beiden größten Gasplaneten des Sonnensystems, Jupiter und Saturn, läßt sich diese Verbindung nämlich ebenfalls nachweisen. Und seit ab den 1950er Jahren klar wurde, daß diese Gasreisen keine feste Oberfläche aufweisen, sondern nur eine Atmosphäre aus Wasserstoff und Helium mit einer Tiefe von vielen Zehntausenden Kilometern, bis der Wasserstoff bei Drücken von Millionen von Atmosphären und vielen Tausend Grad Temperatur in eine kristalline Form übergeht, hat kein Forscher mehr dort die Möglichkeit von Leben in Betracht gezogen. (Science-Fiction-Autoren, deren Aufgabe es unter anderem ist, gegen den Stachel zu löcken, haben trotzdem mitunter atmosphärische Biotope postuliert, mit gewaltigen Medusen, die sich von schwebenden Wäldern außerirdischer Algen nähren und ihrerseits von Räubern von dem Dimensionen eines Zeppelins gejagt werden - etwa Arthur C. Clarke in seiner Erzählung "A Meeting with Medusa" von 1971 oder Gregory Benford in seinem Jugendbuch The Jupiter Project von 1975; Robert L. Forward - auch er im Zivilstand im MINT-Bereich ausgebildet und tätig - hat 1997 in seinem Roman Saturn Rukh ein entsprechendes Biotop verliehen.) Auf Jupiter und Saturn entsteht das Phosphin weit unten in den Tiefen der Atmsophäre, bei mehreren tausend Atmosphären Druck und bei Temperaturen bei ebenfalls weit über tausend Grad. Konvektionsvorgänge tragen die Verbindungen in die obersten Atmosphärenschichten, wo sie ihre charakteristische Signatur dem ausgesandten Licht aufprägen, das unsere Instrumente in den irdischen Observatorien und in der Umlaufbahn einfangen.
Professor Greaves und ihr Team haben in ihrem Paper, und während der Pressekonferenz am Montag am Montag, ausdrücklich betont, daß sie eine solche, mithin anorganische, a-biologische Erklärung für das Vorhandensein von Phosphin für überaus wahrscheinlich erachten. Nur ist mit dem bisher erlangten Stand unseres Wissen bisher kein Reaktionsweg in Aussicht, der als Kandidat in Frage käme. Allerdings ist unser Wissen über die auf der Venus ablaufenden atmosphärischen, aber auch geologischen (oder muß dies "venerologisch" heißen?), was die Details angeht, äußerst dürftig. Die Topographie der Oberfläche ist seit der Kartierung vermittels Radar der Sonde Magellan zwischen 1990 und 1994 mit einer Auflösung von gut einem Kilometer bekannt; Nahaufnahmen vom Boden haben nur die beiden russischen (damals noch soowjetischen) Sonden Venera 9 (von 1975) und Venera 8 und 9 von 1981 geliefert, deren Kameras für kurze Zeit die höllischen Bedingungen überstanden, bevor die darauf kondensierende Schwefelsäure die Instrumente zerfraß. Wir wissen nichts über die tatsächlich ablaufenden geologischen Vorgänge im Innern des Planeten; niemand kann sagen, ob und wenn welche Gase austreten (selbst für die Erde ist nicht sicher zu beziffern, welcher Anteil des atmospähirschen Kohlendioxids oder Methans auf Ausgasungen etwa durch subozeane Bruchzonen zurückgehen). Auszählungen der Impakt-Formationen wie Krater haben, unter Annahme einer für Mars, den Erdmond und die großen Monde der äußeren Planeten grob taxierten Einschlagrate, die Vermutung nahegelegt, daß es auf der Venus keine Oberflächenformation gibt, die älter ist als 800 Millionen Jahre (beziehungsweise; daß ein - ebenfalls hypothetischer - Umwälzvorgang alle Spuren älterer Formationen ausgelöscht hat). Man könnte etwa, als ersten Geistesblitz, die Vermutung hegen, PH³ entstünde tief im Venusinnern und gelange durch Ausgasungsprozesse in die Atmosphäre. Das Team aus Cardiff kontert dies mit dem Hinweis, die - bekannten - Bedingungen von Mineralien im Innern und an der Oberfläche führen zu zersetzenden chemischen Reaktionen (das klingt plausibel, da auf der Erde ebenfalls keine solche Ausgasung stattfindet). Greaves und ihr Team vermuten, wie erwähnt, stattdessen eine unbekannte chemische Reaktion hinter diesem Vorkommen. Es wird die Aufgabe künftiger Raumsonden-Missionen sein, daß ihr Instrumentarium so ausgelegt wird, daß es Antworten auf diese Fragen liefern kann. (Denkbar wären etwa Ballon-Sonden, die in der Zone zwischen 70 und 50 Kilometern treiben und für längere Zeit Daten übertragen könnten.)
In der Pressekonferenz auf die Hypothese eines biologischen Ursprungs angesprochen, haben die Forscher kurz ein Szenario entwickelt, wie der Lebenszyklus solcher "Mikroben" ablaufen könnte. Natürlich ist dies vorerst nichts als luftige Spekulation. Gegen einen solchen Erklärungsansatz sprechen nach dem Stand des gegenwärtigen Wissens diverse Punkte. Anders als von Sagan vor 53 Jahren vermutet, bestehen die Wolken der Venus fast aus reiner Schwefelsäure; Zellen dürften schwer vor der korrodierenden Wirkung zu schützen sein, vor allem, wenn sie klein genug sind, um ihren Lebenszyklus vollständig in der Atmosphäre hinter sich zu bringen; bei der linearen Abnahme der Größe nimmt das Verähltnis von Inhalt zur Oberfläche - an der die Säure angreift - in der zweiten Potenz zu (das ist der Grund, warum Mikrolebewesen unbeweglicher sind, je winziger sie sind; für Kleinlebewesen nimmt die Viskosität des Mediums, in den sie sich bewegen, in gleicher Weise ab). Ob Minerale und Nährstoffe in einer solchen Umgebung in hinreichender Menge zur Verfügung stünden, ist ein weiterer Aspekt.
Man kann es, angesichts der Fokussierung der medialen Berichterstattung auf "Aliens!", gar nicht oft genug betonen: das Team aus Cardiff hat einzig den Befund präsentiert und Gründe dafür aufgelistet, warum ein "biologischer Ursprung" als Erklärung derzeit nicht ausgeschlossen werden kann - mehr nicht. Allerdings steht dieser Befund nicht allein: er steht neben zwei weiteren aus den letzten 13 Monaten: im August 2019 wurde berichtet, daß sich aus den langfristigen Verteilungs- und Absorptionsmustern im ultravioletten Strahlungsbereich auf das Vorhandensein von großen Mengen von Partikeln oder anderen Ursachen in der oberen Venusatmosphäre geschlossen wurde, die die Strahlungsbilanz und das davon ausgelöste Wettergeschehen in den unteren Atmosphärenschichten meßbar beeinflussen, indem sie es schlucken ("absorbieren"); auf Wikipedia wird es so zusammengefaßt:
In August 2019, astronomers reported a newly discovered long-term pattern of UV light absorbance and albedo changes in the atmosphere of Venus and its weather, that is caused by "unknown absorbers" that may include unknown chemicals or even large colonies of microorganisms high up in the atmosphere.[19][20] (Art. "Life on Venus")
Im Januar 2020 wurde dann im führenden Wissenschaftsmagazin Science eine Arbeit veröffentlicht, die zum Schluß kommt, daß es in der Gegenwart auf der Venus noch zu vulkanischer Aktivität kommt und die dadurch in die Atmosphäre beförderten Mineralien eine mögliche Nahrungsquelle für solche postulierten Mikroorganismen darstellen könnte. (Filiberto, Justin, 3 January 2020, "Present-day volcanism on Venus as evidenced from weathering rates of olivine". Science. 6 (1); das gesamte Paper ist hier nachzulesen.) Wir haben es also nicht mit einem einzigen Befund zu tun, sondern mit einer ganzen Reihe davon, die allesamt in dieselbe Richtung weisen. Natürlich ist es möglich - und ich halte es für überaus wahrscheinlich, aus den angeführten Gründen - daß es sich hier um einen Holzweg handelt, eine Schimäre - nicht ungleich dem Phantom der "Marskanäle", das zwischen 1880 und 1930 eher das Medienpublikum in Bann schlug als die skeptische Wissenschaft (die vermeintlichen Relikte einer hochentwickelten Zivilisation entpuppten sich als schnöde optische Illusionen an der Grenze der Auflösungsfähigkeit des menschlichen Auges) - wenngleich auf ungelich höherem wissenschatlichen Niveau. An dem Befund als solchem ist nichts auszusetzen, soweit ich dies überblicke; so er zutrifft oder nicht, bleibt der Zukunft überlassen und Robotermissionen, die entsprechend auszulegen sind.
Apropos Missionen: ein Punkt, der auf der Pressekonferenz am Montag angesprochen wurde und (naturgemäß) im Paper keine Erwähnung findet, ist das Plan, den der CEO (wie man auf Neudeutsch seit einiger Zeit sagt) von Rocket Lab, Peter Beck, am 4. August 2020 angekündigt hat. Rocket Lab ist eine kleine amerikanische Firma, die seit einigen Jahren das Projekt verfolgt, ein Raketensystem zu entwickeln, mit dem mit kleinen (relativ gesehen jedenfalls) Boostern, kleine, leichte Satelliten in die Umlaufbahn befördert werden sollen. Solche sogenannten Cubesats messen jeweils 10 Zentimeter im Kubik und haben samt Instrumentenbestückung und Bordelektronik ein maximales Gewicht von 1,3 Kilogramm. Da sie von der Stange gefertigt werden und in großer Stückzahl pro Start lanciert werden können, sind sie als Meßbasen im All auch für Privatunternehmen oder Universitäten von Interesse. Seit der Markeinführung 1999 sind davon mehr als 1100 gestartet worden. Rocket Lab hat nun die Schubkraft der beiden Stufen seines Trägersystems im letzten Jahr erheblich verbessert; nach Angaben Becks ist die insgesamt 17 Meter hohe Electron demnächst in der Lage, eine Masse von bis zu 37 kg auf den Kurs zur Venus zu bringen; in der erwähnten Pressekonferenz nannte Beck die Suche nach Leben in den Wolken der Venus ausdrücklich als Missionsziel. Der BBC sagte er vor zwei Tagen: "37 Kilogramm hören sich nach nicht viel an - aber es siind eine ganze Menge an Elektronik und Instrumenten, besonders, wenn man das auf ganz bestimmte Ziele und Meßergebnisse ausrichtet." Als Zeitpunkt für eine solche privatfinanzierte Forschungsmission nannte er das Jahr 2023.
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Ein letzter Aspekt, der mich in der Frage "haben wir Spuren außerirdischen Lebens gefunden?" zur Skepsis disponiert, ist eher symbolisch anstatt in der Sache begründet. Wir haben es hier nicht mit der ersten Ankündigung einer solchen Entdeckung zu tun. Und in jedem Fall stellte es sich als Irrtum heraus. Die "Marskanäle" habe ich bereits erwähnt. Der bekannteste Fall, der sicher noch vielen in Erinnerung sein dürfte, war wohl des des "Marsmeteoriten" ALH 84001, 1984 in der Antarktis gefunden, und die Pressepräsentation des vermeintlichen Fundes von Lebensspuren darin, die im Sommer 1996 auf dem Rasen vor dem Weißen Haus im Beisein von Präsident Bill Clinton stattfand. Es dauerte nur wenige Wochen, bis die Spuren vermeintlich organischer Kettenmoleküle als Resultat mineralogischer Kristallisationsprudukte sowie als irdische Kontamination erkannt wurden. (Natürlich ist es immer noch möglich, daß die Men in Black hier am Werk waren, um den Fauxpas zu kaschieren.) Allerdings war es nicht die erste Präsentation von "Fossilien" in Meteoriten. Diese Ehre kommt Otto Hahn (nicht der Otto Hahn, sondern dieser), der 1880 in seinem Buch "Die Meteorite (Chondrite) und ihre Organismen" die These vertrat, die kristallinen Strukturen von Dünnschliffen, die in Eisenmeteoriten auftreten, seien fossile Lebensspuren. Des weiteren wäre das LGM-Signal zu nennen (das Kürzel steht für "Little Green Men"), der erste Empfang eines Radiosignals eines Pulsars im Jahr 1967, dessen millisekundengenau getaktete Pulse zum Beginn, bevor seine Natur geklärt werden konnte, zumindest scherzweise von den beteiligten Forschern mit "ET ruft an!" etikettiert wurden.
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Gleichgültig, wie das Endresultat nun aber ausfallen wird - Leben oder reine Chemie? - unter dem Strich werden handfeste Folgen für unsere Sicht auf die Phänomene "da draußen", in den Weiten jenseits unseres kleinen Biotops, das in 365 Tagen einen durchschnittlichen Stern mit durchschnittlicher Leuchtkraft, auf halbem Weg zwischen dem Zentrum einer Spiralgalaxie und ihren Randbereichen, umläuft bleiben. Abgesehen von der Erinnerung daran, daß die Phänomene, über die die Forschung stolpert, sehr oft unverhofft, rätselhaft sind und Ansporn zu weiteren Untersuchungen. Daß das All voller Überraschungen steckt - auch wenn wir bis auf weiteres auf den Logenplatz im "Hotel kleines Biotop" festgelegt sind und alles, was jenseits des Schulhofs des Sonnensystems liegt, uns wohl auch in Zukunft unerreichbar bleiben wird, und daß die Forschung auch in Zukunft noch viel Ansporn haben wird. Allerdings sind diese Folgen, je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt, nicht symmetrisch.
Sollte sich dies als "Fehlalarm" herausstellen, als Resultat natürlicher Prozesse (mit der ironischen Volte, daß "Natur" also Leben, hier nicht hineinspielt), so wäre das eine Erinnerung, die Suche nach Lebensspuren, so wie sie die Astronomie mit ihrer Suche nach Biomarkern angeht, neu zu überdenken wäre: es wäre ein Hinweis, daß es möglich ist, hier leichter Irrtümern und Fehlschlüssen aufzusitzen, als vermutet. Das heißt nicht, daß dieser Ansatz verfehlt ist - abgesehen davon, daß es in der absehbaren Zukunft die einzige Option ist, unsere Neugierde in diesem Belang zu befriedigen - aber es sollte zur Vorsicht mahnen.
Sollte hier andererseits "the real McCoy" vorliegen, die tatsächliche, praktisch-faktische, krass-konkrekte Aber-so-was-von Entdeckung von Leben außerhalb unseres "Sample 1", des einzigen Biotops in all den Milliarden von Lichtjahren, von dem wir bisher Kenntnis haben, dann würde das unsere Sicht auf die Verhältnisse auf das, was ich einmal die "astronomische Mikroebene" nennen möchte, ebenso nachhaltig verändern wird wie der Nachweis der überwältigenden Anzahl von Planeten außerhalb des Sonnensystems. Nach heutigem Wissen kommt auf jedem Stern "da draußen" mindestens ein Planet; die meisten befinden sich in Zonen, an denen die früheren Modelle ihre Existenz kategorisch ausschlossen; manche kreisen nicht nur in Doppelstern-, sondern sogar in Drei- und Vierfach-Systemen. Die tote, unbelebte Ödnis unseres Sonnensystems, wie sie die Sondenmissionen seit nun über 55 Jahren mit jeder einzelnen Mission vor Augen führen, kombiniert mit dem "Fermi-Paradox", dem Schweigen des Alls, aus dem kein Signal einer fortgeschrittenen Zivilisation vorgedrungen ist: das hat den Schluß nahegelegt, daß Leben, bei all der Überzahl der möglichen Entstehungsorte, eine ziemlich seltene Angelegenheit darstellen dürfte - jedenfalls in höher organisierter, gar intelligenter Form. Dieser letzte Nebensatz wird durch die neuen Befunde nicht konterkariert: komplexes, intelligentes Leben dürfte vom Zusammentreffen so zahlreicher, und vor allem: seltener Umstände abhängen, daß es gut möglich ist, daß WIR, wenn nicht schon im Universum als Ganzem, so doch in unserer Milchstraße oder unserem Winkel davon, die einzige Spezies darstellen, die es vermittels Technik und Wissenschaft dazu gebracht hat, daß hier ein (winziger, aber vorhandener) Part dieses Universums über sich und seine Bedingungen nachdenkt. Aber sollte es sich erweisen, daß selbst unter den unwirtlichen Zuständen, die auf der Venus herrschen, Leben entstehen kann, sich eine Nische ausbilden, sich über lange Zeit erhalten kann, dann wächst die Wahrscheinlichkeit, daß sich die tote Materie auch unter widrigsten Umständen dazu organisieren kann, um Größenordnungen, die man nur als "astronomisch" bezeichnen kann. Darin, und nicht in der Frage "wen interessieren schon ein paar Schimmelpilze auf Aldebaran III?" liegt der tiefere Sinn dieser Episode.
Warten wir's ab.
Literatur:
Jane S. Greaves et al., "Phosphine gas in the cloud decks of Venus," Nature Astronomy, 2020, published 14 September 2020
U.E.
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