12. August 2014

Kulturfalter und Zitronenschaffende im Dienst der richtigen Sache

Am ersten August haben über 400 deutsche "Kulturschaffende" einen offenen Brief "An die Mitglieder des Deutschen Bundestages / An die deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments / An die deutsche Bundesregierung" veröffentlicht.

Der Inhalt ist so widerlich wie vorhersehbar, er ist aus den Forderungen sowie der Propaganda der Hamas eins zu eins übernommen: 
In der gezielten Bombardierung von Krankenhäusern, Krankenwagen, Spielplätzen und von durch die UN als Schutzräume für Zivilisten ausgewiesenen Gebäuden durch eine Armee, die nach eigenem Bekunden über modernste Präzisionswaffen verfügt, vermögen wir nichts anderes als schwerste Kriegsverbrechen zu sehen. (...) 
Wir fordern, dass Sie Ihren - dank der engen Kooperation mit Israel - bedeutenden Einfluss geltend machen und Ihrer Verantwortung nachkommen. Wirken Sie auf die israelischen EntscheidungsträgerInnen ein im Sinne: 
eines sofortigen vollständigen Rückzugs der israelischer Truppen aus Gaza und der definitiven Einstellung jeglicher Angriffe aus der Luft oder vom Boden auf die Zivilbevölkerung 
der Aufhebung der Blockade des Gazastreifens 
der Öffnung der Grenzübergänge Gazas für Waren, Hilfsgüter und Menschen
Die Angriffe der Hamas - immerhin der im Gazastreifen gewählten Regierung spielen keine Rolle, denn:
Wir können nicht erkennen, dass die elementaren Rechte und der Schutz der PalästinenserInnen vor massiven bewaffneten Angriffen weniger wichtig sind als der Schutz der israelischen Zivilbevölkerung.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Zuerst wird unterschlagen, dass die Hamas die Waffen gezielt in "Krankenhäusern, Krankenwagen, Spielplätzen und von durch die UN als Schutzräume für Zivilisten ausgewiesenen Gebäuden" aufstellt. Aber wenn es doch so ist, darf die israelische Armee ihre Bevölkerung nicht verteidigen. Blanker Antiisraelismus, wie er heute leider die Regel ist.

Dass abgesehen von ein paar Unvermeidlichen wie IM Willy Dehm (der anscheinend zuwenig Post im Bundestag bekommt und sich daher selber schreiben muss), der
Tochter und der bedeutenden Welterklärerin Nina Hagen keine bekannte Persönlichkeit unterschrieben hat, ist nur ein schwacher Trost. Denn ob es die letzte Tinte von Günter Grass oder die Online-Unterschrift von "Yüksektepeli, Danyal - Sozialpädagoge" (Unterzeichner Nr. 435) ist - die Motivation ist immer die Gleiche. Es muss gesagt werden:

Als Kulturschaffende in Deutschland können wir dazu nicht schweigen.
An diesem Satz ist letzteres typisch und ersteres interessant. Dass gerade die Zunft der politisch Korrekten wie Herr Yüksektepeli, der sich auf der ersten Google-Trefferseite als Mitglied eines "Netzwerk(s) Rassismuskritische Migrationspädagogik Baden-Württemberg" ausweist, für sich einen Gattungsbegriff wählt, der direkt aus dem "Handbuch der Reichskulturkammer" stammt. Der erste registrierte "Aufruf der Kulturschaffenden" in Deutschland hatte einen noch unsympathischeren Inhalt wie dieser hier - er rief zur Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten in der Person Adolf Hitlers auf. In der DDR bestanden die "Klubs der Kulturschaffenden" als Untergruppierungen innerhalb des streng linientreuen Kulturbundes. 

Da nun der Begriff "Intellektueller" so ziemlich an Glanz verloren hat - schließlich wird seit dem Untergang des Sozialismus auch permanent der Untergang dieser Spezies besungen - wird nun eben der "Kulturschaffende" zum Rotkäppchensekt des Feuilletons, indem die Gesellschaft für deutsche Sprache ihn zu den "überlebensfähigen DDR-spezifischen Wörtern" zählt. Und das Beste darin ist, dass er so schön schwammig inklusiv ist. Wie wir dank Eckhard Henscheids großartigem Büchlein wissen, kennt die deutsche Sprache nicht weniger als 756 zusammengesetzte Begriffe, deren zweiter Teil "-kultur" ist. Da bleibt keiner außen vor, der das nicht soll; denn eine Investmentbankingkultur gibt es ja zum Glück nicht. Und mit dem Schaffen der Kultur möge es sich ähnlich verhalten wie mit dem Falten von Zitronen.

Der Zwang zur "Einmischung" (Jensens Walter) und die daraus resultierende Begeisterung für offene Briefe hat seinen Ursprung dagegen in einem feuilletonistischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Franzosen, die in Person von Zola diese einst schillernde und heute nur noch penetrant-bemühte Textgattung zur Blüte gebracht haben. Solch einen erbfeindlichen Affront konnte und kann sich das Land der D&D natürlich nicht bieten lassen; und so wird diesseits des Rheins mittlerweile accuset, dass den FranzmännerInnen entendre und voir vergeht. 

Allerdings geht auch das in diesem unserem Lande nach der Regel: Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun. Denn im Gegensatz zu Frankreich, wo Kulturbetrieb und Politik Hand in Hand gehen und ein tatsächlicher Einfluss der intellectuels möglich ist, ist die Einmischung deutscher Literaten und sonstiger Geistesentitäten völlig selbstreferentiell. Sie melden sich zu Wort, vorrangig im Kulturteil von ZEIT, FAZ oder Tagesspiegel, um dem Vorwurf des Schweigens (erhoben von den Kulturredakteuren von ZEIT, FAZ oder Tagesspiegel) zu entgehen.  

Ein etwas älterer Beitrag - natürlich - in der ZEIT, von Stephan Möbius, kann in mehrerlei Hinsicht als exemplarisch für dieses feuilletonistische Glasperlenspiel gelten. Er wirft zu nächst einen sehnsuchtsvollen Blick - natürlich - über den Rhein und formuliert die Wünsche an die Intellektuellen. Dabei scheut er sich natürlich nicht, für "uns" alle zu sprechen:
Man sehnt sich nach Menschen, die uns diese Prozesse nicht nur in ihren technischen oder politischen Details erklären, sondern unkonventionelle Perspektiven einnehmen, die weitreichenden Folgen dieser Ereignisse interpretieren, neue Lösungen anbieten und deren Statements geistig und materiell unabhängiger von den herrschenden Eliten sind. Kurzum: Man sehnt sich nicht nur nach Experten, sondern nach engagierten Intellektuellen, die ihr Expertentum und ihre intellektuelle Tätigkeit mit Moralvorstellungen verbinden.
Darauf folgt ein schwer erträgliches Lamento, dass es das ja alles gar nicht (mehr) gibt. Und es zeigt sich, dass Fachwissen als dem Intellekt abträglich angesehen wird. Auf die Moral kommt es an.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Der Ruf nach der "unkonventionellen Perspektive" ist, wenn nicht eine dreiste Lüge, dann ein völliger Selbstbetrug. Denn noch unerträglicher als das Schweigen der Intellektuellen ist es, wenn sie sich tatsächlich erlauben, diese einzunehmen. Sie sollen mahnen, warnen, und zwar streng innerhalb des gängigen Kanons des Mahn- und Warnwürdigen.

Die spannenden Debatten der letzten Jahre - um Enzensberger (pro Golfkrieg), Christa Wolf und Günter Grass (pro DDR), vielleicht die letzte um den Kosovoeinsatz, aber dabei weniger um "Krieg oder nicht Krieg" als vielmehr "Grün oder nicht Grün" - sind Geschichte. Das Feuilleton frisst seine verhätschelten Kinder, indem es ihnen den Intellektuellenstatus entzieht, wenn sie den Kanon verlassen. Sloterdijk ist so ein Beispiel. Umgekehrt wurde die allerletzte kapitalismuskritische Tinte von Stéphane Hessel trotz gelegentlicher antisemitischer Ausfälle durchgängig gefeiert.

Was bleibt, ist das Einrennen offener Türen. Habermas trommelt für Jean-Claude Juncker, Juli Zeh gegen die NSA. Nur die Solidaritätsadresse an Israel von 140 namhaften deutschen Historikern (geschehen anlässlich der Scud-Bombardierung durch Saddam Hussein 1991) sucht man heute vergebens.

Meister Petz


© Meister Petz. Titelvignette: Berlin, Kundgebung des Kulturbundes. Bundesarchiv Bild 183-H0611-0500-003, CC-BY-SA. Für Kommentare bitte hier klicken.