14. August 2016

Welterschöpfungstag und neue Romantik

Es wird Angst gemacht: Schon am 8. August wurde dieses Jahr laut Global Footprint Network der Einschnitt erreicht, wo die Erde im Jahresrest nicht mehr regenerieren kann, was sie vom Januar bis August an Energie, Holz oder Nahrung verbrauchte.

Lässt jemand sein Auto deshalb stehen, außer im Stau? Aber es gibt eine andere große Reaktion, die „Romantik 2.0", die Natursehnsucht. Was bedeutet dieser Trend?

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Das Grün kommt in die Städte nicht nur zur Luftkühlung. Die „Landlust" für den Gartenfreak verkauft sich jenseits der Millionenmarke. Förster und Schäfer schreiben Bestseller.

Wenn viele sogar zurück wollen aus den Englischen Gärten in die Wildnis, was zeigt das an? Wollen sie nach der technischen Ausnützung der Naturgesetze nun aus Angst vor dem Kippen der Menschheit in die Welterschöpfung die Notbremse ziehen und wieder von der elementaren Kraft der Natur, des Lebens lernen?

Statt Kulturverfeinerung zurück zum Wilden? Will der verängstigte Mensch in der freien Natur sich selbst finden, hieße das: Er braucht einen Religionsersatz, und wie gehabt geht er aus der Kirche in den Wald.

Die „Welt am Sonntag" vom 7. August hat die Rückkehr zur Natur-Romantik als neuen Mega-Trend auf vier Seiten thematisiert. Die Bilder von Caspar David Friedrich nehmen allerdings mehr als die Hälfte des Platzes ein.

Die Faszination für Baumriesen wird als Verkörperung der Suche nach Entschleunigung und Ende der Fortschrittsideologie gedeutet, der Siegeszug der Bioprodukte als Gewissenserforschung und Wiedergutmachung der persönlichen Mitschuld an der Zerstörung. Aber ein Biologe und Philosoph, Andreas Weber, erklärt dazu: Umweltschutz ist museal, nur permanente Katastrophen halten die Natur stark, neue Schöpfungen treten nur durch den Tod als Tor ins Leben. Dieser Naturphilosoph prägte den Gegenbegriff „Enlivenment" statt „Enlightenment", Verlebendigung der Gesellschaft in ihrer Sinnkrise statt immer mehr Aufklärung.

Suchen die Menschen draußen vielleicht gar nicht sich selbst, sondern das Fremde, Andere, den Urlaub vom Ich? Eine weitere These behauptet: Man muss den Verdacht aussprechen, der Spätzeitmensch wolle den todkranken Verwandten, die Natur, noch einmal besuchen, bevor es zu spät ist. Wieland Freund und Richard Kämmerlings meinen in der „Welt", es sei vor allem ein Religionsersatz, ein Sinnersatz.

Daraus kann man eine Frage formulieren, die sich ergibt, wenn man die gleichzeitige Vorliebe für gehobene Literatur über Tierarten und das Seelenleben der Säugetiere vergleicht: Beginnen wir zu zweifeln, ob der Homo sapiens wirklich mehr ist als ein Affe? Fürchten die Naturgänger, wir müssen uns zurückstufen lassen? Wollen sie vielleicht ins Paradies der Tiere zurück? Oder wollen sie vielmehr draußen prüfen und beweisen, dass sie mit ihrem Geist doch den Schmetterlingen und Krähen überlegen sind?

Ich kann aus Erfahrung sagen: Je öfter ich sehe, wie dumm die Pferde sind, dass sie den Balken am Tor nicht wegschieben, den sie den Bauer jeden Tag zweimal wegschieben sehen, und wie klug die Dohlen am Berggipfel sind, sich von meiner Brotzeit etwas zu erbetteln, desto ferner rücke ich das Tier, das nur für die Nahrung lebt, von uns Menschen ab. Kein Tier will zum Mond, ich will mit meinem Denken die ganze Menschheitsgeschichte überblicken und über Milliarden Milchstraßen hinaus. Haben Sie eine Erklärung für diesen menschlichen Hochmut?

Ludwig Weimer

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