11. August 2016

Politische Nostalgie

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA verläuft ungewöhnlich. Üblich wären, gerade dort, große Zukunftsverheißungen. Wie sie mit "Yes, we can" vor acht Jahren geradezu prototypisch angewendet wurden und zum Wahlsieg führten.
Diesmal aber sind die Kandidaten in erster Linie damit beschäftigt, Fehlentwicklungen zu beklagen. Auch Trumps "Make America great again" ist ja nur zum Teil vorwärtsgewandt. Im wesentlichen verspricht er seinen Wählern eine "greatness", die schon einmal da war. Zurück in die Zukunft sozusagen. Clintons Wahlkampf ist diffuser, aber auch nicht viel optimistischer.

Der amerikanische Publizist Yuval Levin sieht die Ursache dafür in einem allgemeinen Trend zur politischen Nostalgie. Links wie rechts würde die aktuelle Unübersichtlichkeit dazu führen, daß man sich an angeblich goldenen Zeiten der Vergangenheit orientiert. Bei den Demokraten wären dies die 50er Jahre mit ihrer Wohlsortiertheit, starken Gewerkschaften und der Installation des modernen Sozialstaats. Bei den Republikern wäre die Nostalgie-Bezugsepoche die Reagan-Zeit, mit den USA als dominierender Weltmacht und einer Politik mit Steuersenkungen und starker Führung.

So viel anders ist das in Deutschland auch nicht.
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Auch bei uns ist die zukunftsorientierte Politik auf dem Rückzug. Nur die Bezugspunkte für die politische Nostalgie sind etwas anders.

Es war die früher extrem fortschrittsoptimistische Linke, bei der es zuerst bröckelte. Die klassische SPD hatte mit Nostalgie überhaupt nichts am Hut, aber sie verlor ihre thematische Führungsrolle im linken Lager an die extrem rückwärtsgewandten Grünen. Um anschließend von den "Linken" attackiert zu werden, die speziell in Anspruch nehmen, die wahren Erben der früheren Sozialdemokratie zu sein und alles in der SPD ab Schröder und Agenda als "neoliberal" abtun. Wenn man sich mit "Linken" oder linken SPDlern unterhält, dann sind dort die 70er Jahre das goldene Zeitalter. Da gab es nicht nur Willy Brandt, sondern das war im linken Weltbild die wunderbare Zeit vor dem "Sozialabbau".

Rechts dauerte es etwas länger mit der Fortschrittsskepsis. Die Einführung des Euro war hier die auffälligste Wegmarke, mit dem Aufkommen neuer Parteien wie ProDM oder Schill. Und spätestens bei der AfD ist klar, daß "zurück" die wesentliche Blickrichtung ist. In erster Linie heißt das zurück in die Zeit vor Merkel, vor Griechenlandkrise oder gar Massenzuwanderung. Aber da die AfDler auch mit der Schröder-Zeit nicht wirklich glücklich waren, ist ihre "goldene Zeit" im Prinzip die Ära Kohl.

Sowohl für die USA wie für Deutschland gilt natürlich: Nostalgie ist eine politische Bankrotterklärung.
Niemand kann Entwicklungen zurückdrehen. Man bekommt auch die positiven wie die negativen Veränderungen immer nur im Paket und kann nicht selektiv wieder zurück. Ein Historiker mag im Rückblick zum Schluß kommen, daß man eine bestimmte Entscheidung wohl besser so nicht getroffen hätte. Aber für die Gestaltung der weiteren Politik sind solche Erkenntnisse ziemlich nutzlos.

Und wirklich zurück will auch niemand. Jedenfalls nicht, wenn man seinem schlechten Gedächtnis auf die Sprünge helfen würde und ihm noch einmal im Detail zeigen würde, was "Leben in der 70ern" oder einer der anderen "goldenen Zeiten" praktisch für ihn heißen würde. Speziell Gewerkschafter und Linke würden schreiend im Dreieck springen, wenn morgen die Sozialgesetzgebung vor dem angeblichen Sozialabbau wieder gelten würde. Und es kann eben kein "best of" aus allen Epochen geben: Steuersätze wie in den 50ern, Sozialleistungen wie derzeit, gemütliche Arbeitsplätze ohne Globalisierungsdruck, aber mit iPhone und Flugurlaub. Kann es nicht geben, wird es nicht geben.

Es wird also Zeit, wieder aus der Nostalgie-Welle rauszukommen. Sich die Gegebenheiten anschauen, wie sie heute sind. Und dann neue Konzepte zu entwickeln, wie man weiterkommen kann.

R.A.

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