25. August 2016

Digitale Erbschaft

Eine traurige Geschichte, eine grausame Krankheit, ein totes Kind.
Trauernde Eltern, die noch möglichst viele Erinnerungen aufbewahren wollen.
Und ein mitfühlender Reporter, der leider mit dem Neuland nicht zurecht kommt.

Es geht um die Frage, wie man an die verschlüsselten Daten auf einem iPhone kommt, wenn man die Zugangsdaten nicht kennt. Das beschriebene Beispiel mit den Eltern, die das Zugangspaßwort zum iPhone des verstorbenen Kindes nicht kennen, ist ja nur ein Sonderfall - es gibt viel mehr Konstellationen zu diesem Problem.

Der Journalist merkt noch, daß es schon sehr schwierig ist festzustellen, wer überhaupt berechtigt sein könnte an die gesperrten Daten heranzukommen. Ein eifersüchtiger Ehepartner, ein Geheimdienst, ein Handy-Dieb sind ja genau die Leute, gegen die eine Verschlüsselung überhaupt benutzt wird.
Und im konkreten Fall: Aus Sicht des trauernden Vaters mag es logisch erscheinen, daß er an die Daten des verstorbenen Sohns kommt. Es ist aber völlig offen, ob der Sohn das umgekehrt genauso gesehen hat. Pubertierende Kinder möchten nicht unbedingt, daß ihre Eltern Zugriff auf ihre Emails, Tagebucheinträge oder Photos haben.
Es gehört auch nicht zu den mitbezahlten Dienstleistungen eines Handy-Verkäufers, Entschlüsselungswünsche zu bedienen und die dafür nötigen aufwendigen Berechtigungsprüfungen vorzunehmen. Schließlich ist es alleine Kundenentscheidung, die Verschlüsselung überhaupt zu verwenden - man kann das Handy problemlos auch ohne Zugangscode verwenden.
­

Der Journalist merkt nicht, daß hier ein grundsätzliches technisches Problem vorliegt: Wenn die Verschlüsselung sauber programmiert ist, dann kann der Hersteller selber nicht an die Daten heran. Das ist eine grundsätzliche Eigenschaft dieser Art Software.
Und im geschilderten Beispiel hat der Hacker ja auch gar nicht das iPhone selber geknackt, sondern über Umwege und die Kenntnis anderer Passworte eine Sicherungskopie entschlüsselt.

Das Problem ist also nicht, daß Apple unkooperativ wäre oder seine Macht mißbrauchen würde.
Das eigentliche Problem ist, daß die Benutzer meist noch nicht gelernt haben, mit ihren Geräten vorausschauend umzugehen.

Wenn ich Daten verschlüssele, dann muß ich selber Vorsorge treffen, daß sie bei Bedarf zugänglich sind. Das fängt schon damit an, daß man selber Verfahren entwickeln muß um Passworte und Zugangscodes zu verwahren. Und das bedeutet natürlich auch, daß man anderen Leuten das mitteilt - wenn man will, daß sie im Falle eines Falles an die Daten herankommen sollen. Oft ist schon viel wert wenn man seine potentiellen Erben überhaupt mal darüber informiert, wo überall wichtige Informationen gespeichert sind, in welcher Cloud oder wo die Backup-Platte liegt.

Ach ja - bei dieser Gelegenheit kommt man eigentlich auch nicht umhin, die wirklich wichtige und langwierige Arbeit zu machen: Auszusortieren, welche Daten eigentlich noch relevant sind, und diese dann so zu dokumentieren, daß man selber in späteren Jahren oder eben die Erben irgend etwas damit anfangen können. Ein chaotisches Datengrab mit zehntausenden von Dateien und vielen GB Umfang kann selbst unverschlüsselt ziemlich nutzlos sein.

Das sind übrigens keine wirklich neuen Probleme.
Regelmäßig werden irgendwo Schätze gefunden, die irgendwann jemand vergraben hat, ohne seinen Erben etwas davon zu erzählen. Auf zehntausenden Konten - nicht nur Schweizer Nummernkonten - liegen Millionenvermögen, zu denen niemand Zugriff hat, von deren Existenz die Erben oft nicht einmal wissen.
Und auch das Dokumentationsproblem ist altbekannt. Ein Photoalbum aus der Vorkriegszeit, in dem die Großmutter zu jedem Photo in sauberer Handschrift Anlaß und Namen vermerkt hat - das ist ein echter Schatz für die Nachkommen. Aber nicht der Kasten mit irgendwelchen verblichenen Gesichtern in Schwarz-Weiß, bei denen man nicht weiß ob es die eigenen Vorfahren sind oder die des Vormieters.

Eigentlich geht es beim digitalen Erbe nicht so sehr darum, daß die Erben an die Daten kommen. In der Regel funktioniert das, weil die meisten Daten noch auf PCs oder Disketten stehen, bei denen der physische Besitz für den Zugriff reicht.
Eigentlich geht es darum, daß man das Vererben vorbereitet. NIcht nur durch Paßwortübergabe, sondern inhaltlich.

Es wird heute nicht nur materiell viel mehr vererbt als früher überhaupt nur vorstellbar war. Es werden auch Daten gespeichert, was der exponentiell steigende Speicherplatz nur fassen kann. Im wesentlichen eine völlig unbrauchbare Halde von Datenmüll. Das Geheimnis der guten digitalen Erbschaft heißt Löschen.

R.A.

© R.A.. Für Kommentare bitte hier klicken.