28. Juni 2016

Eklatante Verachtung der Demokratie

Zugegeben: Von der deutschen Presse erwartet man nicht mehr allzuviel. Wenn es um die "richtige Sache" geht, dann sind journalistische Prinzipien zweitrangig, wenn nicht gleich total unwichtig. Grundsätze wie Neutralität, kritisches Nachfragen, Recherche oder Reflektion sind sicher nett, wenn man über Rudolph Sharpings Urlaub schreibt, sollten aber nicht im Weg stehen, wenn man gewichtige Forderungen erheben will. 

Die Verachtung der Prinzipien, die man ansonsten an jeder zweiten Stelle wie eine Monstranz vor sich herschleppt, ist selten so deutlich geworden wie in den letzten drei Tagen. Da gibt es eine Petition, deren Grundlage schon von sich aus extrem fragwürdig ist, und schon sieht der deutsche Medienzirkus die Chance, dass der Brexit nun doch von den Briten, die ja alle dann wieder "zur Vernunft" zurück gekommen sein werden, wieder einkassiert wird. Dazu ist erst einmal rein sachlich zu bemerken: Gesetze gelten zukünftig, nicht rückwärtig. Selbst wenn diese Petition, fragwürdig genug wie sie ist, zu einem Gesetz werden könnte, so wäre dieses Gesetz rückwärtig kaum anwendbar. Zum eher emotionalen Teil ist zu sagen, dass es eben gerade nicht dem Geist der Demokratie entspricht nach einer verlorenen Wahl oder Abstimmung sofort nach einer neuen Wahl oder Abstimmung zu rufen (das das oft genug passiert ist schlimm genug). Wenn der Sourverän gesprochen hat, dann muss man diese Wahl, so diese rechtsstaatlich zusammengekommen ist, erst einmal respektieren lernen. Es gehört zum Respekt vor dem demokratischen Prinzip auch mit Entscheidungen zu leben, die einem nicht in den Kram passen. Alles andere hat mit Demokratie nix zu tun.
Ein zweiter Ansatz, den inzwischen auch nahezu alle Blätter erfolgreich voneinander abgepinnt haben, ist der, dass die Wahl ja von "alten Männern" entschieden worden wäre und die Jungen mehrheitlich anderer Meinung wären. Nun, nehmen wir mal an, es wäre so. Na und ? Schon mal was vom Prinzip "one man, one vote" gehört ? Ich kann mich nicht erinnern schon mal etwas von "one young man, two votes" gelesen zu haben. Demokratie bedeutet, zumindest in seiner modernen Form, dass jeder erwachsene Bürger genau eine Stimme hat. Egal ob er alt, jung, männlich, weiblich, dumm, klug, dick, dünn, weiss oder schwarz ist. One man, one vote. Das auch nur in Frage zu stellen ist dreist. Dabei ist es auch unerheblich, wenn man nur auf die Betrachtung hinaus will, dass die selbe Abstimmung in fünf Jahren anders gelaufen wäre. Das ist vollkommen irrelevant. 
Der dritte Ansatz, der noch mit am abstossendsten ist, ist die Theorie (oder schon halbe Aufforderung), dass die englische Politik doch hingehen möge und das Votum ignorieren soll. Das wäre rechtlich vermutlich denkbar, denn Voten entfalten ja in dieser Form keine Rechtskraft. Der Nachfolger von Cameron möge einfach Neuwahlen ausrufen, diese zu einem Votum umdeklarieren und damit das alte Votum ausser Kraft setzen. Die Idee sollte jedem, der das Wort Demokratie noch vor sich her trägt, die Schamesröte ins Gesicht treiben. Satt den glasklaren, erklärten Willen des Souveräns umzusetzen, soll einfach so lange abgestimmt werden, bis das Ergebnis stimmt. Damit die Angstkampagne noch ein bisschen verfangen kann. 
Und das soll dann noch einem demokratischen Prinzip entsprechen. Das ist eine pur diktatorische Idee. Es ist die Idee vom dummen Volk, dass zu dumm ist, zu erkennen was gut für dieses ist und sich der Weisheit seiner Eliten hingeben soll. Und wenns das nicht tut, dann muss man es eben dem dummen Volk noch einmal erklären. Und noch einmal. Bis es dann passt.

Ich bin kein besonders guter Demokrat. Ich meine das bestimmte Entscheidungen, wie die über Grundrechte und bestimmte Prinzipien des Rechtsstaates, nicht per Mehrheitsentscheidung getroffen werden können. Aber hier geht es nicht um den Rechtsstaat oder ein Grundrecht. Es geht um eine politische Entscheidung, die vielen, vor allem deutschen und schreibenden, Zeitgenossen nicht passt. Und weil diese nicht passt, werden nun Ideen geboren, die die Idee der Demokratie mit Füssen treten. Das ist also die vierte Gewalt. 


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Llarian

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