13. April 2016

Böhmermanns Gedicht und die unbemerkte Beleidigung

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Die Diskussion der ganzen Meta Ebenen zum "Fall Böhmermann", welche man überall lesen kann, ist durchaus interessant. Trotzdem glaube ich, dass das am Ende alles nicht so heiß gegessen werden wird, wie es aktuell kocht. Wie es eben so ist: Nicht nur die Dicke, auch die etwas Korpulente singt meistens nicht.

Was ich dagegen fast noch interessanter finde ist, dass dieses Gedicht Böhmermanns etwas versteckt eine implizite Beleidigung enthält, über die niemand spricht. Diese "versteckte" Beleidigung unterscheidet sich dabei von den offensichtlichen sogar dadurch, dass sie sich nur schwerlich mit dem Hinweis auf eine Satire relativieren lässt.

Als jemand der Böhmermanns Humor bisher als selbstgerechte, geistige Körperverletzung empfand und ihn daher mied, habe ich gestern dann doch einmal dieses Schmähgedicht, welches sich übrigens auch Herr Döpfner mit jeder(!) Zeile gleich juristisch zu eigen machte, gelesen. Bisher habe ich in diesem Blog immer die Auffassung vertreten, dass wir in einer toleranten Gesellschaft leben, in welcher auch die sexuelle Orientierung keinerlei Anlaß zu Vorurteilen und Ausgrenzung liefert. Nach diesem Gedicht und einigen Reaktionen, bzw. ausbleibenden Reaktionen darauf, erscheint es mir angebracht, diese Sicht zu überdenken.

In einer Zeile des Gedichts stellt Böhmermann die Begriffe "schwul", "pervers", "verlaust" und "zoophil" ohne jegliche Abgrenzung nebeneinander. Nicht nur, dass er auf diese Weise Homosexualität als Invektiv verwendet, er stellt damit Homosexualität, aufgrund der fehlenden Abgrenzung zu den anderen Begriffen, implizit ähnlich wertend, neben Perversion, Verwahrlosung und Sodomie. Wo bleibt der Aufschrei der Süddeutschen? Wo bleibt der Aufschrei der Zeit? Wo bleiben die Shitstorms in den sozialen Netzwerken? Alles Fehlanzeigen. Stattdessen macht sich der Chef des Springerkonzerns jede Zeile des Gedichtes, also auch diese, juristisch zu eigen. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass dies überhaupt nichts darüber aussagt, wie es in Menschen, denen solche Zeilen leicht von der Feder zu gehen scheinen, denkt; denkt in einem Land, in dem schon eine frivole, lebensfrohe Kommentierung einer prall gefüllten Bluse, an einer von Alkohol umwaberten, nächtlichen Hotelbar, für eine moralische Skandalisierung ausreichte, welche einen verdienstvollen, ehrbaren Politiker am Ende schwer beschädigte.

Natürlich kann man für Böhmermann wohlwollend das Argument ins Feld führen, dass er mit der Zuschreibung von Homosexualität an Erdogans Person nur die latente Homophobie in islamischen Gesellschaften karikieren wollte. Dazu wäre es aber nicht notwendig gewesen, es auf diese Art und Weise zu tun, indem man den Begriff "schwul", ohne erkennbare Abgrenzung, im gleichen Kontext verwendet wie Begriffe, welche man mit psychischer Erkrankung und Verwahrlosung assoziiert.

Als das Outing eines Fußballspielers zu seinen sexuellen Präferenzen zum wochenlangen Mahnmal eines moralischen Zeigefingers stilisiert wurde, hat mich das damals endlos genervt. Ich empfand es als ein durch die Kämpfer für eine bessere Welt inszeniertes Remake von Don Quijote, mit ihnen selbst in der Hauptrolle. Jetzt muß ich feststellen, dass es hier wohl doch nicht nur einen Kampf gegen Windmühlenflügel zu führen gilt. Der Feind scheint allerdings nicht dort zu stehen, wo ihn die Kämpfer für eine bessere Welt, gerne mit einer Träne im Auge, verorten, sondern in deren eigenem Kopf. Die moralische Monstranz, welche man allenthalben gerne vor sich herträgt, soll nicht den Weg in eine bessere Welt weisen, sondern nur der eigenen Eitelkeit zur Geltung verhelfen.

Was für ein scheinheiliges, schmieriges und groteskes Weltenrettertum.

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