14. September 2015

Wir schafften das nicht

Was für ein Rausch, was für ein Höhenflug: Kaiserinnenwetter im Frühherbst! "Wir schaffen das!", ruft die Kanzlerin, liebevolle Menschen strömen zu den Bahnhöfen mit Geschenken und Gesängen, Mama Merkels neue Untertanen freuen sich, die Dichter in den Redaktionsstuben schreiben Huldigungen.

Merkel beendet die Schande von Budapest. (Bild, 6.9.)

Während Bürger, Politiker und Journalisten es sich erlauben können, sich selbst für die großartige Willkommenskultur an deutschen Bahnhöfen zu feiern, muss die Bundeskanzlerin viele Schritte und damit viele Jahre vorausdenken. (Filipp Piatov, Die Welt, 7.9.)

Mehr internationale Solidarität als von der Kanzlerin verkündet und praktiziert ist nicht möglich. (Berthold Kohler, FAZ, 8.9.)

Deutschland wird Einwanderungsland. Und Angela Merkel ist ein Vorbild - nicht nur für die Deutschen. (Jakob Augstein, SPON, 10.9.)

Was von ihrer Ära hauptsächlich in Erinnerung bleiben wird, ist noch nicht ausgemacht. Ihre nun im Ausland als vorbildhaft gelobte Flüchtlingspolitik hätte das Potenzial dazu. (WAZ, 11.9.)

Unbedingte Solidarität zum deutschen Markenzeichen machen – das kann derzeit nur Angela Merkel. (Torsten Krauel, Die Welt, 11.9.)

Vielleicht ist es für uns Deutsche am schwersten, das nachzuvollziehen: Was für ein ganz außerordentliches Gesicht in der politischen Landschaft unserer Zeit Merkel diesem Lande gibt – mit ihrer ungekünstelten, freundlichen Ausstrahlung, ihrer Ruhe und Beharrlichkeit. Und bei alledem wirkt sie nicht wankelmütig, sondern sicher und entschlossen. (Volker Zastrow, FAZ, 6.9.)

So lobesvoll singt es sich beim Blick auf die vor uns liegenden "gewaltigen Herausforderungen" und "Riesenaufgaben", die wir der Kanzlerin verdanken - als wär's ein neuer 4. August, fast so schön und hell wie Anno 14!


Vorbei, vorbei. Die Behörden kapitulieren nach einer Woche. Wir haben das nicht geschafft.

Ausgerechnet zwei Tage, bevor Ungarn damit beginnt, die Flüchtlinge einzukerkern, wird der freie Transit durch jenes brutale, unsolidarische Land beendet und die dort Gestrandeten alleingelassen. Dunkelheit senkt sich wieder auf uns.

Eher als gedacht, überschreitet die Wirklichkeit in feindlicher Absicht die Grenzen unserer deutschen Heimat, dem Traumland. Nicht zufällig ruft die verwirrte Presse nach der Bundeswehr, welche schon ganz andere Fluten gemeistert hat, von Hamburg bis zur Oder, vielleicht aber bald gebraucht wird, um Demos von Extremisten zu "ermöglichen oder verhindern, Not kennt schließlich kein Gebot." Wo bleibt Hindenburg?

Oder war schon Dolchstoß? Beate Posch vom Deutschlandfunk findet die Schuldigen bei der CSU: "Dazu kommt das Poltern von Scheuer, Seehofer und Friedrich gegen die Bundesregierung und die Kanzlerin. Die seien an allem schuld. Eine verfehlte Politik sei gemacht worden. Und dann wundern sich die CSU-Granden, dass nicht sofort und von alleine Hilfe kommt. (...) Wer hilft schon gerne jemanden, der am Ende doch nur motzt."

Denn das muss man schon sagen: die Motzer, Wetterer und Polterer von der CSU haben sich durchgesetzt, während Merkel eher schlecht dasteht. Vielleicht bleibt die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ja in Erinnerung als Anfang vom Ende ihrer Ära.

Kallias

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