1. April 2014

Feu tricolore (5): Manuel Valls – ein „rechter“ Sozialist und Frauenschwarm im Hôtel Matignon


Manchmal lohnt es sich zu warten: Anfang November des letzten Jahres hatte ich – nicht zuletzt angeregt durch diesen interessanten Artikel in der FAZ – einen Beitrag über François Hollandes zunehmende Unbeliebtheit und die Zukunftschancen des damaligen Innenministers Manuel Valls geplant. Folgende Zeilen waren bereits entworfen (ich habe sie für den vorliegenden Beitrag geringfügig ergänzt, aber ihre Essenz beibehalten):

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Günther Nonnenmacher ist wohl so etwas wie der Frankreichbeauftragte unter den Herausgebern der FAZ. Vor wenigen Tagen hat er zur desolaten Lage unseres großen Nachbarlandes Stellung genommen. Wenn Sie Zettels Serie „Frankreichs Wahljahr 2012“ und die im Kleinen Zimmer dazu geführten Diskussionen verfolgt haben, dürfte Sie diese Entwicklung nicht besonders überraschen.



Der in der Gunst des Volkes ins Bodenlose gefallene Präsident François Hollande wird inzwischen mit himmelweitem Abstand von Innenminister Manuel Valls überstrahlt. Vermutlich haben Sie den Namen dieses Politikers vor kurzem in den deutschen Medien gelesen, nämlich im Zusammenhang mit der auch hierzulande stark beachteten Festnahme eines 15-jährigen Mädchens während eines Schulausflugs und ihrer nachfolgenden Abschiebung in den Kosovo. Valls stellte sich in dieser Angelegenheit auf den Law-and-Order-Standpunkt, was seinem medialen Image zwar geschadet, seine Popularität bei den Franzosen aber offenbar noch gefördert hat.



Ein äußerst interessantes, sine ira et studio geschriebenes Porträt dieses Aufsteigers in der Sozialistischen Partei ist ebenfalls vor wenigen Tagen in der FAZ erschienen. Darin erfahren Sie unter anderem, dass Valls’ politische Einstellungen wohl von einer Art Buschkowsky-Erfahrung geprägt sind, die er als Bürgermeister eines multikulturellen Pariser Vorortes gesammelt hat. Valls ist übrigens selbst ein Mann mit Migrationshintergrund, stammt er doch von einem katalanischen Vater* und einer Tessiner Mutter ab. Er wurde erst mit zwanzig Jahren französischer Staatsbürger.



Nonnenmacher vermutet, dass Hollande im Sinne eines Befreiungsschlages versuchen könnte, die Regierungsmannschaft früher auszutauschen als geplant. Ja, Sie haben richtig gelesen: Es ist in Frankreich durchaus Usus, dass der Präsident während seiner Amtszeit einen Premierminister (und damit auch die gesamte Regierung) zur Demission auffordert. Die geschriebene Verfassung sieht ein derartiges Recht des ersten Mannes im Staate zwar nicht vor: Artikel 8 Absatz 1 Satz 2 der Constitution Française (hier in deutscher Übersetzung) macht eine Entpflichtung des Premiers vielmehr davon abhängig, dass dieser (freiwillig) den Rücktritt der Regierung erklärt. Doch gemäß der Staatspraxis der Fünften Republik wird dem Wunsch des Präsidenten nach einem Personalwechsel stets entsprochen (außer im Falle der cohabitation, wenn also Präsident und Premier verschiedenen Parteien angehören). Ob der neue Bewohner des Hôtel Matignon Manuel Valls heißt, wird sich wohl in absehbarer Zeit herausstellen.


Als Reaktion auf die für die Sozialisten wenig erfreulich ausgegangenen Kommunalwahlen wird nun die Regierung umgebildet, an ihrer Spitze steht fortan Manuel Valls. Ob diese Maßnahme dem Präsidenten der Republik und seiner „deprimierten, heillos zerstrittenen Partei“ (Günther Nonnenmacher in der FAZ) die Gunst der Wähler zurückerobern kann, bleibt abzuwarten. Valls jedenfalls steht für den „rechten“, reformorientierten Flügel des Parti Socialiste. Die biographischen Parallelen zu Nicolas Sarkozy sind einigermaßen verblüffend, als politische Vorbilder nennt er die Angelsachsen Tony Blair und Bill Clinton (siehe dazu diesen Beitrag in der Presse).

Besonders für die gebeutelte französische Wirtschaft dürfte der gebürtige Katalane eine Art Hoffnungsträger darstellen. So schreibt das Nachrichtenmagazin L’Express:
 
Proche de la ligne strauss-kahnienne au plan économique, ouvert à un socialisme qui accueille à bras ouverts la mondialisation, l'ancien ministre de l'Intérieur peut être qualifié de social-libéral.
Da er auf wirtschaftlicher Ebene der Strauss-Kahn’schen Linie nahesteht und für einen Sozialismus, der die Globalisierung mit offenen Armen begrüßt, aufgeschlossen ist, kann der ehemalige Innenminister als sozialliberal bezeichnet werden.


Wie dem verlinkten Artikel zu entnehmen ist, tritt der neue Premierminister für einen Abbau der Staatsverschuldung ein. Er ist Befürworter der sogenannten TVA sociale („soziale Mehrwertsteuer“) und damit einer partiellen Umschichtung der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme von den Lohnnebenkosten auf die Umsatzsteuer (und damit auf den Konsumenten), wobei der Sinn dieser Maßnahme durchaus umstritten ist. Was vielleicht das Wichtigste ist: Valls plädiert schon seit Längerem für einen déverrouillage (wörtlich: Entriegelung) der 35-Stunden-Woche und eine Rückkehr zur vormals geltenden Normalarbeitszeit von 39 Stunden pro Woche. 

Um diesen Beitrag nicht mit etwas Politischem, sondern etwas Menschlichem, Allzumenschlichem zu beschließen: Laut einer Umfrage der Frauenzeitschrift Elle würden 20 Prozent der Interviewten mit dem neuen Regierungschef gern eine „aventure torride“ („brennend heißes Abenteuer“) erleben. Doch Manuel Valls ist bereits vergeben, und zwar an die Violinistin Anne Gravoin. Eine Ehe mit einer Musikerin: Auch darin besteht eine Parallele zu Nicolas Sarkozy. Doch anders als Valls war dieser niemals Premierminister.

*Anmerkung für Fußballfans: Ein gewisser Manuel Valls, Großcousin des nunmehrigen Premierministers, hat die Hymne des FC Barcelona komponiert. Wer heute Abend das Champions-League-Spiel Barça gegen Atlético Madrid anschaut, kann ja mal die Ohren spitzen.
Noricus


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