30. März 2014

Hausaufgabe der Kirchen und nachhaltiger Fehler. Gastbeitrag von Ludwig Weimer

Jetzt lag das evangelisch-katholische Papier 22 „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ im Briefkasten: feierlich gedruckt, so dass seine inhaltlichen vereinten Schwächen umso dreifarbig-deutlicher hervorstechen. Wen erschüttert die Formulierung einer These wie: Wirtschaftliches Wachstum in den Dienst für den Menschen stellen?

Ich will vor allem auf ein einziges textimmanentes Problem aufmerksam machen, weil ich es für das wichtigste halte.

„Gebt ihr ihnen zu essen“, erwiderte Jesus den Aposteln, als diese nach den langen Worten die Hörer hungrig wegschicken wollten. Das Gleiche passiert gleich im ersten Leitbild-Kapitel „Orientierung aus christlicher Verantwortung“. Oder darf man so kühn hinschreiben: „Die Christen können nicht das Brot am Tisch des Herrn teilen, ohne auch das tägliche Brot zu teilen“? Sie können offensichtlich diesen Widerspruch sehr wohl aushalten. Und zwar machen sie eine Art Übersprunghandlung oder Ersatzaktion: ein Papier, wie die allgemeine Parteiengesellschaft eine bessere Wirtschafts- und Sozialordnung erstellen soll.

Da hilft aber kein Schutz vor einer zu erwartenden Kritik, indem man vorbeugend zugibt: „Wir beanspruchen keine herausgehobene Kompetenz in ökonomischen oder technischen Sachfragen.“ Das weiß sowieso schon jeder. Sie wollen dafür ihr besseres ethisches Orientierungswissen anbieten. Aber sie bieten nur etwas schwammig Verwirrtes.


Worin besteht die Desorientierung, der Fehler des Orientierungskapitels?

Ein Symptom ist: Das Subjekt wechselt von Satz zu Satz. Mal heißt es wir „als Christen“, mal Gesellschaft. Dasselbe passiert bei den Anspielungen auf Bibelstellen. Da werden der Adressat Glaubensgenossen bzw. Jünger Jesu und die Fremden durcheinandergeworfen. Der Prophet Jesaja redete ja wohl seine Juden an, „die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn Du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen“ (58,7). Das ist also der Nachbar, der Nächste für die Nächstenliebe, und das ist realistisch und sollte unter Glaubensgenossen nicht utopisch, ohne Ort der Verwirklichung sein. Das gemeinsame Papier der Uneins-Christen schiebt die Aufgabe hingegen dem Staat zu, einem „Staat, der seine Aufgaben nachhaltig zu erfüllen vermag“. Nebenbei: Ist nachhaltig schon zum Ersatzwort geworden für den Anspruch, heilig zu leben?

Der Fehler (nicht nur dieses Papiers) ist: Man kennt nicht mehr das Für- und Zueinander von Kirche und Gesellschaft, das in einer Doppelform des Handelns besteht: Zuerst einmal muss das Gottesvolk als Vorbild und „Stadt auf dem Berg“ etwas unter sich vorleben, und dann sollen die dadurch motivierten und gestärkten Christen als Bürger zusammen mit allen anderen Bürgern guten Willens Gutes in der Gesellschaft und Politik bewirken. Die erste Form fällt trotz (oder wegen?) der Kirchensteuer aus, das ist das Elend der Kirche hierzulande.

Die feierlich gedruckte Nummer 22 der Gemeinsamen Texte hat übrigens als Titelbild einen gestapelten Berg von Papieren. Wie sinnig. Ein Papierberg wird noch lange nicht zum Berg mit der strahlenden Stadt, die Jesus in der Bergpredigt von den Jüngern verlangte, um sie dem Volk verheißen zu können.


Das Papier erkühnt sich zu den Sätzen: „Als Christen leben wir aus der festen Zuversicht, dass die Welt in Gottes guter Hand liegt. Aus solcher Gewissheit wächst der Mut zu entschiedenem Handeln“ – man kann kaum weiterlesen, es kommt nichts, was sie „als Christen“ tun. Und der Grabspruch von Gottes guter Hand ist so unsäglich antijüdisch, wie der Folgesatz das jüdische Axiom ausdrückt: Die Gläubigen sind dazu berufen, Gott in der Welt Hände zu verleihen. Gottes gute Hand – welche Ausrede! Die Frage, wo war Gott in Auschwitz ist identisch mit: wo waren die Christen? Nichts kapiert?

Matthias Kamann schrieb in „Die Welt“ vom 21. 3. 14: „Die Kirchen erreichen ‚die da draußen‘ nicht mehr. … Sie treibt kein gesamtgesellschaftlicher Ordnungsimpuls. Sie gehen in Gottesdienste nicht, weil das für Deutschland wichtig wäre oder ‚der freiheitliche, säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann‘, wie es in Ernst-Wolfgang Böckenfördes Diktum heißt, mit dem sich zumal kirchennahe Politiker in wachsender Zwanghaftigkeit einreden, die säkulare Gesellschaft lechze nach christlichen Ordnungen.“

Knapp vor dem Ende des Papiers (Seite 59) vermeint man, jetzt dämmere den Ghostwritern der beiden Kirchen etwas: „Sie müssen auch ihr eigenes Handeln in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bedenken. Das kirchliche Engagement für Änderungen der Gesellschaft wirkt umso überzeugender, wenn es innerkirchlich seine Entsprechung findet.“ Das entpuppt sich aber bloß als Zitat eines Vorgängerpapiers (Nr. 9) von 1997 und wird denselben Weg nehmen.

Statt immer neuer Wort-Handreichungen und Ausweichthemen wie Energiewende und Bewahrung der Schöpfung wäre eine Tat zur Kirchenreform notwendig und als Erstes eine Tat zur Bewahrung des Gottesvolkes vor seinem Aussterben in Europa.

Manche Papiere erscheinen mit schon überholten Programmen, die inzwischen in den Tagesmedien heftiger Kritik unterzogen wurden. So geschah es kürzlich mit dem Papier der Deutschen Bischöfe Nr. 37 „Empfehlungen zur Energiewende“.

Der Katholik wird darin in die moralische Pflicht genommen, die Lasten der Energieziele der Regierung anzunehmen, als seien sie der Wille Gottes, genannt „Schöpfungsgerechtigkeit“ (13): „Dies können finanzielle Mehrbelastungen sein, aber auch Beeinträchtigungen des Naturbilds und Eingriffe in die Natur“ (11). Die Kommission der deutschen Bischöfe ist der Meinung, die „bevorzugte Nutzung von Sonne und Wind“ helfe dem Klima, wenn man aus dem Energiesparen quasi ein Kirchengebot wie das Fasten am Karfreitag macht. Dabei rät die vom Bundestag eingesetzte Expertenkommission schon längst, das Erneuerbare-Energien-Gesetz wieder abzuschaffen, weil die Förderung von Photovoltaik, Windenergie und Biomasse außer deutlichen Mehrkosten keine Innovationswirkung entfaltet habe.

Die Unterstützung der öffentlichen Hand durch die Kirche mit dem neuen Patriotismus „deutsche Kraft … weltweit ein wichtiges Zeichen“ (Schlussworte) mag mit der (doch auch umstritten-sinnvollen) energetischen Gebäudesanierung sogar konkret und beträchtlich sein („nicht zuletzt mit ihrem großen Gebäudebestand“, 22), erwartet wird von der Kirche ein anderer Umbau, der nicht nach Ersatzhandlung und Werbung mit zeitgeistlichen Themen aussieht.

Niemand lechzt nach solchen Papieren, außer Druckereien. Schlimm wird es, wenn die Öffentlichkeit gar nicht mehr von den Christen mehr erwartet als eine Zeitgeist-Zustimmung. Wie weit wir davon noch entfernt sind?

Ludwig Weimer

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