Kollege Noricus hat mit seinem Beitrag auf interessante Aspekte der Selbstkorrektur in modernen Demokratien hingewiesen.
Ein Zitat aus dem zugrunde liegenden Interview mit Michael Ignatieff hat mich dagegen nicht überzeugt:
Diesen Vorstellungen liegt ein ganz grundsätzliches Verständnisproblem zugrunde.
Denn es geht in der Politik nicht um Lösungen!
Nicht daß Lösungen unwichtig wären. Aber sie sind nachgelagert. Wenn erst einmal ein Ziel definiert ist, dann wird die dazu passende Lösung gefunden. Durchaus mit Expertenhilfe, oft auch im Konsens der Politiker, zum Beispiel in der Ausschußarbeit. Nur interessieren sich Medien und Bürger fast nie für diese Arbeit.Ein Zitat aus dem zugrunde liegenden Interview mit Michael Ignatieff hat mich dagegen nicht überzeugt:
Es ist ein sehr schmutziges Spiel, sicher. Der Aspekt an der Politik, der mich am meisten stört, ist dass es fast nie um politische Inhalte geht. Alle Kämpfe in der modernen Politik gehen um Standing.Das ist eine sehr gängige Klage. Die "schmutzige" Politik, in der es nicht um Lösungen geht, sondern "nur" um Machtkämpfe. Oft hört man auch die Vorstellung, man solle die Parteien und Politiker ersetzen durch Experten, die würden dann nur von Sachüberlegungen geleitet die jeweils beste Lösung finden.
Diesen Vorstellungen liegt ein ganz grundsätzliches Verständnisproblem zugrunde.
Denn es geht in der Politik nicht um Lösungen!
Sie ist eben nachrangig. Denn zuerst einmal geht es darum, ein Ziel zu definieren - DAS ist der Kern des politischen Prozesses. Da helfen Experten überhaupt nichts, da geht es nicht um "Inhalte" - sondern um Machtkampf, um Bündnisse, um Kompromisse. Es geht dabei nicht um Vor- oder Nachteile einer Idee. Es geht um die Interessen verschiedener Gruppen in der Bevölkerung. Interessen, die erst einmal alle legitim sind, die aber im Widerspruch stehen.
Wie man einen zu bauenden Sportplatz gestaltet - das ist ein Fachthema, das ist Inhalt, das ist dann die Expertensache. Aber ob nun überhaupt ein Sportplatz gebaut werden soll, oder doch ein Kindergarten, oder eine Kultureinrichtung: Das ist die eigentliche politische Entscheidung. Es gibt keine objektiven Kriterien, ob nun ein Theater oder ein Sportplatz sinnvoller sind. Man kann das nur abstimmen - dann wird man sehen, ob die Kulturfreunde mehr Zuspruch bekommen oder die Sportler.
Im Zweifelsfall interessiert sich aber die Mehrheit der Bürger weder für das Theater noch für den Sportplatz. Sondern es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Wünschen. Und es gibt auch nicht eine Abstimmung, sondern übe die Jahre immer wieder Entscheidungen in die eine oder andere Richtung.
Politik soll diese widersprechenden Interessen ausgleichen. Herausfinden, was mehrheitsfähig ist. Und für einen gewissen Ausgleich sorgen: Wenn heute der Sport den Zuschlag bekommt, dann geht die nächste Investition vielleicht in den Wohnungsbau oder ins Krankenhaus. Wenn Politik gut läuft, dann bekommt keine Gruppe alle Wünsche erfüllt, aber jede Gruppe wird halbwegs angemessen berücksichtigt. Und dabei nicht zu vergessen, daß jeder Bürger meist mehreren Interessengruppen angehört - und seine Prioritäten auch häufig ändert. Und außerdem ist jeder Bürger natürlich gleichzeitig auch Steuerzahler und möchte möglichst gar nichts finanziert sehen ;-)
Politik ist ein ständiges Ausbalancieren von Interessen, in ständig wechselnden Bündnissen. Da geht es tatsächlich fast nicht um Lösungen und das können keine Experten entscheiden.
Es ist deswegen kein Zufall, daß wenn ausnahmsweise mal eine "Regierung der Experten" eingesetzt wird, um dem "Parteiengezänk" zu entgehen - daß diese Experten dann meist gnadenlos unpopulär werden. Wie letztens das Kabinett Monti in Italien.
Und es ist auch kein Zufall, daß die Piraten als Partei scheitern werden. Weil sie immer nur darüber nachdenken, wie man mit "Liquid Democracy" und anderen rein technischen Verfahren zu "sachgerechten Entscheidungen" kommt - aber sie haben bis heute nicht begriffen, daß sie sich nur an einem Nebenthema abarbeiten.
Und dann gibt es noch einen Aspekt. Der politische Streit dient letztlich auch dazu, Führungspersonal auszuwählen. Also Leute, die einer starken Verwaltung vorstehen können, ohne von dieser dominiert zu werden. Leute, die die Interessen des Landes erfolgreich gegenüber anderen Ländern vertreten. Und natürlich die Interessen der eigenen Klientel durchbekommen.
Wie sagte Michael Ignatieff:
Alle Kämpfe in der modernen Politik gehen um Standing.Genau. Die Bürger wollen als Kanzer oder Bürgermeister keinen liebreizenden Experten. Sie wollen einen durchsetzungsfähigen Typ, der den Laden schmeißen kann. Personenwahlergebnisse zeigen es immer wieder: Experten werden nicht gewählt. Sondern sie sind nur dazu da, hinterher dem Wahlsieger zuzuarbeiten.
Michael Ignatieff ist ein hochintelligenter Wissenschaftler, das merkt man seinem Text an. Er hat aus seinem Elfenbeinturm einen Ausflug in die praktische Politik gemacht, aber diese nicht verstanden.
Und deswegen ist er dort nach kurzer Zeit auch tragisch gescheitert.
R.A.
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