20. Oktober 2006

Zettels Meckerecke: Herrscher des Universums

Schlagzeilen sollen den Hauptpunkt einer eines Artikels, einer Meldung, ihren zentralen Inhalt mitteilen. Journalisten lernen im Volontariat oder auf der Journalistenschule, daß man sie zweitens so formulieren sollte, daß der Leser neugierig auf den Beitrag wird. Schlagzeilen sind insofern auch Köder, die man auswirft, um das Interesse einzufangen. Völlig legitimerweise.

In der schlechten Presse haben Schlagzeilen aber noch eine dritte Funktion: Sie werden so formuliert, daß sie eine bestimmte Stellungnahme zu dem nahelegen, was berichtet wird; sie suggerieren eine Wertung. Sie wollen Vorurteile des Lesers bestätigen oder diese verstärken, vielleicht auch erzeugen.

Das geht dann manchmal so weit, daß die Schlagzeile eine Behauptung enthält, die durch den Artikel selbst überhaupt nicht belegt wird. Hier ist ein aktuelles Beispiel.



"Bush erklärt sich zum Herrscher des Universums" titelt Spiegel-Online (SPON) am 18. Oktober. Eine nun wirklich sensationelle Meldung. "Ist Bush jetzt endgültig übergeschnappt?" mag sich der Leser denken. Und derjenige, der sein Bild von Bush aus den Werken Michael Moores gewonnen hat, wird vermutlich nur das bestätigt sehen, was er immer schon wußte: Bush ist größenwahnsinnig.

Schaut man nach, worauf sich denn eigentlich diese Meldung bezieht, dann macht man zunächst eine interessante Entdeckung: Das Thema brauchte fast zwei Wochen, um zur Kenntnis der Redaktion von SPON zu gelangen. Denn der zugrundeliegende Status Report der US-Regierung wurde bereits am 6. Oktober veröffentlicht.

Steht darin, daß Präsident Bush sich zum Herrscher des Universums erklärt? Natürlich nicht. Von Präsident Bush ist überhaupt nicht die Rede. Vom Universum ist überhaupt nicht die Rede. Von Herrschaft ist nicht die Rede.

Als Prinzipien (Principles) wird das genaue Gegenteil dessen genannt, was die Überschrift von SPON suggeriert (Hervorhebungen von mir):

The conduct of U. S. space programs and activities shall be a top priority, guided by the following principles:

* The United States is committed to the exploration and use of outer space by all nations for peaceful purposes, and for the benefit of all humanity. Consistent with this principle, "peaceful purposes" allow U. S. defense and intelligence-related activities in pursuit of national interests;

* The United States rejects any claims to sovereignty by any nation over outer space or celestial bodies, or any portion thereof, and rejects any limitations on the fundamental right of the United States to operate in and acquire data from space;

* The United States will seek to cooperate with other nations in the peaceful use of outer space to extend the benefits of space, enhance space exploration, and to protect and promote freedom around the world;

* The United States considers space systems to have the rights of passage through and operations in space without interference. Consistent with this principle, the United States will view purposeful interference with its space systems as an infringement on its rights;

* The United States considers space capabilities -- including the ground and space segments and supporting links -- vital to its national interests. Consistent with this policy, the United States will: preserve its rights, capabilities, and freedom of action in space; dissuade or deter others from either impeding those rights or developing capabilities intended to do so; take those actions necessary to protect its space capabilities; respond to interference; and deny, if necessary, adversaries the use of space capabilities hostile to U. S. national interests;

* The United States will oppose the development of new legal regimes or other restrictions that seek to prohibit or limit U.S. access to or use of space. Proposed arms control agreements or restrictions must not impair the rights of the United States to conduct research, development, testing, and operations or other activities in space for U. S. national interests; and

* The United States is committed to encouraging and facilitating a growing and entrepreneurial U.S. commercial space sector. Toward that end, the United States Government will use U. S. commercial space capabilities to the maximum practical extent, consistent with national security.



Also: Die USA wollen mit anderen Nationen zusammenarbeiten und behalten sich das Recht vor, dabei ihren eigenen nationalen Interessen zu folgen. Im Grunde Selbstverständlichkeiten. Daß diese jetzt betont werden, mag daran liegen, daß China im Begriff ist, neben den USA und Rußland zur dritten Weltraum-Macht zu werden, einschließlich bemannter Raumfahrt und sogar einem Mond-Programm. Selbstverständlich folgt dabei auch China seinen nationalen Interessen, so wie es auch Rußland tut.

"USA betonen nationale Interessen im Weltraum" - das wäre zum Beispiel eine Überschrift gewesen, die das Thema zutreffend zusammenfaßt. SPON aber behauptet: "Bush erklärt sich zum Herrn des Universums".

Im Text steht das genaue Gegenteil: "Die USA lehnen jeden Anspruch einer Nation auf Herrschaft über den Weltraum oder Himmelskörper oder Teile davon ab".




Ein Einzelfall? Keineswegs. Bei SPON ist das nachgerade endemisch. Vor allem, wenn es um die USA geht. Vor allem, wenn es um Präsident Bush geht, um den Irak-Krieg.

"Gewalt in Bagdad - USA planen militärischen Strategiewechsel" titelt SPON heute.

In der heutigen New York Times kann man das lesen, worauf sich die SPON-Meldung bezieht: Es gibt im Weißen Haus und im Pentagon eine Diskussion über die einzuschlagende Strategie und Taktik. Daß die USA einen "militärischen Strategiewechsel planen", ist schlicht die Unwahrheit. Das ist lediglich eine der gegenwärtig diskutierten Optionen; und eine eher unwahrscheinliche. Die NYT zitiert Richard L. Armitage, einen ehemaligen stellvertretenden Außenminister mit guten Verbindungen zum Militär: "Strategy takes time, and that's the question. Do we have time for a new strategy?" "Strategie braucht Zeit, und das ist die Frage: Haben wir die Zeit für eine neue Strategie?"

SPON aber macht seinen Lesern weis, die USA planten bereits den Strategiewechsel.