7. April 2014

Zitat des Tages: Feministinnen im Kampfmodus – Brüderle zur Causa Himmelreich


Ich bin heute noch überzeugt, dass ich die politische Debatte anders nicht überstanden hätte. Da kommen Sie mit der Wahrheit nicht weiter, wenn Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer im Kampfmodus sind.
Der Spitzenkandidat der FDP für die Bundestagswahl 2013, Rainer Brüderle, in einem Interview in der heutigen Ausgabe des Handelsblatts (die dem Verfasser vorliegt); das Gespräch wird auszugsweise auf dem Online-Portal der Zeitung referiert.
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Kommentar: Sie werden sich, liebe Leserinnen und Leser, zweifellos noch an die Angelegenheit Brüderle/Himmelreich erinnern, die zu Beginn des Jahres 2013 den Anlass für die unter dem Hashtag aufschrei auf Twitter geführte Sexismusdebatte bildete: Die Stern-Journalistin Laura Himmelreich hatte in ihrem Brüderle-Porträt mit dem Titel „Der Herrenwitz“ von einer nächtlichen Bar-Begegnung mit dem FDP-Politiker berichtet, bei der dieser ihr beschieden habe, sie könne „ein Dirndl auch ausfüllen“, er ihr unter einem Handkuss seine Tanzkarte angeboten und schließlich gestanden habe: „Politiker verfallen doch alle Journalistinnen“. Beim Abschied sei Brüderles Gesicht jenem der Medienschaffenden sehr nahe gekommen, und deren Schilderung insinuiert, dass nur die Intervention der Sprecherin des Liberalen Schlimmeres verhindert habe.

Den betreffenden Vorhalt der beiden Mitarbeiter des Handelsblatts (Daniel Delhaes und Thomas Sigmund) beantwortet Brüderle in einer Weise, die wohl so zu verstehen ist, dass er den Vorfall – wie von Himmelreich kolportiert – (jedenfalls die Dirndl- und die Tanzkarten-Äußerung) einräumt: 
Was ich gesagt habe, war nicht böse gemeint. Es standen viele Journalisten um uns herum, und keiner hat sich darüber aufgeregt, auch die Dame nicht.

Brüderle – so wie übrigens schon Zettel – geht von einer Kampagne des Stern gegen die FDP aus:

Am Montag werde ich zum Spitzenkandidaten gewählt. Am Mittwoch liegt der gedruckte „Stern“ auf meinem Schreibtisch. Das war doch von langer Hand geplant. Der „Stern“ wollte die FDP und mich nachhaltig beschädigen. Das ist ihm auch gelungen. 

Liest man sich die Zeilen Laura Himmelreichs heute erneut durch, so erscheint diese Vermutung durchaus plausibel. Die Charakterisierung des FDP-Politikers ist fast durchweg negativ. Das fängt schon mit der Überschrift an und mündet dann in durchschaubaren Bezichtigungen wie den folgenden:

In Brüderles Welt sind die Fronten klar. Alle Parteien links von der Union sind "linke Socken". Dem grünen Fraktionschef Jürgen Trittin wirft er vor, unter "feinem Zwirn" "immer noch das Mao-Jäckchen" zu tragen. Und bei seiner Vorstellung zum Spitzenkandidaten rät er der SPD: "Lasst den Karl Marx in seinem Museum in Trier." Er klingt, als hätte er noch nicht mitbekommen, dass der Kalte Krieg vorbei ist (Seite 1 des Stern-Online-Dokuments).
[...]
In diesem Jahr wird Brüderle 40 Jahre FDP-Mitglied sein. Bisher ließ ihn die Partei seine Gute-Laune-Poltererei pflegen. Nur von anderen gab es gelegentlich Protest. Als vor einigen Jahren das Foto von Brüderle mit den vier leicht bekleideten "Weingöttinnen" (Brüderle) in der Zeitung erschien, befasste sich der Frauenausschuss im Mainzer Landtag damit. Noch Jahre später machte er sich über die "verklemmten" Mitglieder im Ausschuss lustig. Er bezeichnete sie als "Fencheltee-Trinker" mit "grauen Strickpullis" (Seite 2 des Stern-Online-Dokuments).

Brüderle hatte damals, als die Causa Himmelreich ruchbar wurde, vier Möglichkeiten: Er konnte abstreiten; gestehen und sich bußfertig zeigen; gestehen und sein Unverständnis für die allgemeine Erregung bekunden; oder aber schweigen. Der inzwischen 68-Jährige hat sich bekanntlich für Letzteres entschieden. Während eine Angela Merkel und ein Horst Seehofer auf nahezu jedes Rauschen im Blätterwald mit einer kleineren oder größeren Kurskorrektur reagieren und Sigmar Gabriel offenbar eine Vorliebe für das juristisch heikle Instrument des Parteiausschlussverfahrens hegt, hat Brüderle die Kohl’sche Tradition des Aussitzens wieder zu Ehren kommen lassen.

Was zweifellos die beste Option war. Denn wie Zettel in seinem bereits verlinkten Beitrag völlig zutreffend bemerkt hat, ging es darum, Brüderle, die FDP und in der Folge den weißen Mann zu diskreditieren. Dieses Muster, den Gegner mit der größtmöglichen Keule zu erschlagen, um sich nicht mit seinen Argumenten oder der Sache an sich beschäftigen zu müssen, ist für die Debatten in diesem Lande typisch. Auch die derzeit bullernde Causa Pirinçci folgt diesem Schema: Zwischen „Zensur!“-Rufen und Hitler-Vergleichen bleibt das Inhaltliche auf der Strecke. Die Gelegenheit zu einer sinnvollen Diskussion wird wieder verschenkt.

Dabei wäre eine ernsthafte, sine ira et studio geführte Sexismus-Debatte durchaus gewinnbringend. Nicht nur, weil dabei der aus Angst vor dem Islamophobievorwurf gern verschwiegene Sexismus der Parallelgesellschaften zur Sprache kommen müsste. Sondern auch, weil dann vielleicht der Blick auf den politisch korrekten Sexismus gelenkt würde, der es sich bequem darin macht, Individuen letztlich auf ihr Geschlecht zu reduzieren. 


Doch vermutlich wären das zum jetzigen Zeitpunkt Luxusdiskussionen. Denn – wie Brüderle gegen Ende des Interviews feststellt: 

Union und SPD verfrühstücken gerade wertvolles Saatgut.
Noricus


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