9. April 2014

Gefallene Mädchen, der Abstieg der Domina und die Erfolgsgeschichte der Queen


Vermutlich wissen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, was ein Koberer ist. Angehörige dieses Berufsstandes versuchen, Menschen auf der Straße durch Überredungskünste in ein Etablissement der – sagen wir mal – eher anrüchigen oder zumindest nicht familiengerechten Vergnügung zu locken.

Vielleicht sind Sie durch die Überschrift gekobert, also dazu verleitet worden, sich auf diesen Artikel näher einzulassen. Ich hoffe nur, dass der Titel bei Ihnen keine Erwartungen geweckt hat, die der Beitrag nicht erfüllen kann und auch gar nicht zu erfüllen gedenkt. Das Rotlichtmilieu soll im Folgenden nämlich nicht im Mittelpunkt stehen, obwohl wir sogleich einer Dirne – oder besser gesagt – der Dirne begegnen werden.
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Sie ist im Wortsinne ein gefallenes Mädchen. Denn in der Standardsprache wurde sie auf die Rolle der Prostituierten verwiesen, während einige Dialekte noch ihre alte, völlig unverfängliche Bedeutung bewahrt haben. Wenn man im Bairischen von einem Dirndl oder Derndl spricht, ist damit – wertungsfrei – eine nicht allzu viele Lenze zählende Frauensperson gemeint. Die Hanseatin, die sich als Hamburger Deern bezeichnet, möchte damit lokalpatriotisch auf ihre Herkunft aus der Elbmetropole hinweisen und sich zweifellos nicht als Erwerbstätige mit Betriebsstätte in der Herbertstraße outen. Dass sich die Kenntnis des mundartlichen Gebrauchs ersprießlich auf ein werkgetreues Verständnis eines berühmten Fontane-Gedichts auswirkt, bedarf keiner näheren Erörterung.

Aber nicht nur die Dirne, nein, auch die Frau ist gefallen. Zwar im Sinne der bürgerlichen Moral nicht so tief wie jene, doch immerhin ist sie von der Herrin zur sozial unmarkierten Vertreterin des weiblichen Geschlechts abgestiegen. Nicht besser als den tiuschen frouwen ging es der italienischen donna, war sie doch noch zu Römerzeiten eine domina, also ihrerseits eine Herrin. Der alte Glanz hat sich noch in der Bezeichnung der Muttergottes als Madonna bewahrt; noch zu Zeiten Francesco Petrarcas war es aber durchaus – jedenfalls literarischer – Usus (und keineswegs blasphemisch oder lächerlich), eine irdische Dame von Stand mit diesem Wort zu belegen.
Und so wie der lorbeergekrönte Dichter mit dem florentinischen Migrationshintergrund seine noble Laura anhimmelte, schmachtete ein Minnesänger vom Schlage eines Walther von der Vogelweide natürlich nach einer frouwe. Allerdings schien für Walther die Herkunft mehr als die hierarchische Stellung zu zählen, denn:
kan ich rehte schouwen
guot gelâz unt lîp,
sem mir got, sô swüere ich wol, daz hie diu wîp
bezzer sint danne ander frouwen.
Wenn ich mich darauf verstehe,
gutes Benehmen und gutes Äußeres zu beurteilen,
bei Gott, dann möchte ich wohl schwören, dass hierzulande die Frauen
besser sind als anderswo die Damen [Übersetzung aus dem Wikipedia-Artikel].
„Lieber eine Deutsche ohne Rang als eine ausländische Adelige“, so könnte man die politisch unkorrekte Vorliebe des Poeten wohl zusammenfassen. „Lieber ein Weib als eine Frau“, mag sich so mancher Nachfahre des großen Verseschmieds insgeheim denken. Denn abgesehen von seiner pejorativen Verwendung – das „misogyne Manifest der germanophonen Literatur“ (Noricus) wäre mit „Über die Frauen“ wohl unpassend zahm betitelt – hat das Weib ja auch eine ausgesprochen sinnliche Konnotation, etwa wenn es ewig lockt. Und bezeichnenderweise ist die Rede vom Vollweib und eben nicht von der – äußerst eigenartig und ziemlich blutleer tönenden – Vollfrau.

Die etymologische Cousine des Weibes, the wife, ist bekanntlich in der heutigen englischen Standardsprache die Ehefrau, ganz so wie auch la moglie, die italienische Stammesverwandte der spanischen mujer 'Frau', verheirateten Personenstandes ist. Die beiden romanischen Wörter setzen das lateinische mulier 'Frau' fort, das dem auf Latein gebets- und bibelfesten Christen aus dem Ave Maria („Benedicta tu in mulieribus“ – „Du bist gebenedeit unter den Frauen [früher: 'Weibern']“) und dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther, Kapitel 14 Vers 34 („mulieres in ecclesiis taceant“„sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung“), bekannt ist.

Das gewöhnliche englische Wort für 'Frau', woman, wird volksetymologisch gern auf womb-man, also ‘Gebärmuttermensch‘ zurückgeführt; es dürfte richtigerweise aber von der Zusammensetzung wifman ‘Fraumensch‘ (oder auf gut Bairisch: 'Weiberleit') herrühren. Das Benennen von Frauen nach geschlechtsspezifischen Körperteilen ist offenbar doch eher eine Erfindung wenig galanter Gangsta-Rapper.

Kehren wir kurz zur verheirateten Frau zurück: Eine solche scheint die queen nämlich ursprünglich bezeichnet zu haben, bevor sie sich über die Bedeutungsverengung 'Frau eines Königs' zur eigenberechtigten Monarchin emanzipiert hat. (In den skandinavischen Sprachen bedeutet das etymologisch verwandte Wort – etwa kvinna im Schwedischen – schlicht und einfach 'Frau'.) Elizabeth II. ist ja gerade nicht die Gattin des Königs, sondern selbst Königin, während ihr Gemahl lediglich ein prince ist. So wie der Spross des royalen Paares, Charles, der sich wohl damit abfinden muss, dass gegen Langzeitregentinnen keine Quote gewachsen ist. Ruft man sich das selbstgewählte Image und die öffentlichen Äußerungen des Thronfolgers ins Gedächtnis, kann man eigentlich nur hoffen, dass der folgende Wunsch kein frommer bleibt, sondern von der zuständigen Stelle tatsächlich erhört wird: God save the Queen!

Noricus


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