19. April 2014

Der Narzißmus der Andrea Nahles

Ja, ich weiß, verehrter Leser; schon wieder Frau Nahles. Mir scheint, daß sowohl dem Bloggen als auch dem Lesen von Blogs manchmal ein selbstschädigendes Moment innewohnt. Man beschäftigt sich in seiner oft raren Freizeit vergleichsweise vertieft mit Dingen, die schon bei oberflächlicher Betrachtung geeignet wären, einem den Tag zu verleiden. Andrea Nahles ist zweifellos solch ein Ding. Dabei habe ich mit ihr gemeinsam, daß wir beide völlige ökonomische Laien sind. So gesehen herrscht zwischen uns also Waffengleichheit, mit dem Unterschied daß das Bloggen über Dinge, von denen man wenig versteht, keinerlei Schaden anrichtet (außer vielleicht Langeweile oder Ärger beim Leser); ganz anders als bei Gesetzgebungsverfahren, die durch ökonomische Laien und unter völliger Ignorierung ökonomischen Sachverstandes angestoßen werden.
­Kürzlich übte der dem Bundeskanzleramt unterstellte Nationale Normenkontrollrat, der u. a. die Aufgabe hat, bürokratische Folgekosten von Gesetzentwürfen zu prüfen und zu reduzieren, eine vernichtende Kritik am Mindestlohngesetz. Dieses ist, verkürzt gesagt, überhaupt nicht richtig durchgerechnet worden; die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes bleiben weitgehend im Dunkeln; die mit dem Gesetz verbundenen Risiken wurden nicht angemessen abgeschätzt.

Diese handwerkliche Unzulänglichkeit wirft ein Schlaglicht nicht auf das Ministerium, dessen Mitarbeiter vermutlich nicht aus Unfähigkeit geschlampt haben, sondern auf die Person Andrea Nahles selbst, die in einem gesetzgeberischen Husarenritt, mit völlig heißer Nadel gestrickt und buchstäblich um jeden Preis, "ihr" Gesetz auf den Weg und in die Öffentlichkeit bringen wollte. Dabei war ihr weder die Finanzierung noch handwerkliche Seriosität wichtig, denn es geht ihr dabei offensichtlich um sich selbst und niemanden sonst. Vermutlich ist sie in den ersten Wochen ihrer Amtszeit wie ein Derwisch durch das Ministerium getanzt, allen Mitarbeitern ständig "Beine machend", jetzt endlich schnell fertig zu werden; bereits dort etwaige Bedenken von Referenten wegwischend. Anders kann ein solch umfassender und gleichzeitig so fehlerhafter Gesetzentwurf in so kurzer Zeit kaum entstanden sein.


Es geht ihr nicht darum gute, dem Land dienliche Gesetze zu machen. Es geht ihr mutmaßlich nicht einmal um die Menschen, die von den Gesetzen kurzfristig profitieren werden und noch weniger um die, die es bezahlen müssen. Es geht ihr zuvorderst darum, die alten Rechnungen mit Gerhard Schröder und insbesondere mit  Franz Müntefering zu begleichen und möglichst viel von deren Projekten, der Agenda 2010 etwa oder der Rente mit 67, zurückzudrehen. Daß Andrea Nahles auf entsprechenden Bildern in der letzten Zeit stets wirkt, als habe sie ein besonders wohlschmeckendes Bonbon, das im übrigen nur sie besitzt, in der Wange, dokumentiert den persönlichen Triumph einer narzißtischen Eitelkeit, die glaubt, sich mit einem ebenso narzißtischen Größen-Selbst über die aus ihrer Sicht zu restriktiven Institutionen wie dem Bundesrechnungshof oder den Normenkontrollrat hinwegsetzen zu können. 

Aber noch einmal zu den Gesetzentwürfen. Mindestlohn und Rentenpaket bilden ja nicht zwei unabhängige Gesetzespakete, die -jedes für sich- ökonomischen Schaden verursachen werden; nein, sie verstärken sich in ihren erwartbaren destruktiven Wirkungen gegenseitig. Während der Mindestlohn zu einer konjunkturellen Abkühlung beitragen wird, hängt das Rentenpaket in seiner Finanzierung von erheblichem Wirtschaftswachstum (das in der Finanzierungsplanung fest einkalkuliert ist) geradezu ab. Aber der Reihe nach.


Der Mindestlohn wird Arbeitsplätze kosten, das wurde vor einiger Zeit vom SPD-Wadenbeißer und möglichen "Heide-Mörder" Ralf Stegner als zutreffend und v. a. auch als erwünscht bezeichnet und bestätigt, was Erling Plaethe seinerzeit hier im Blog treffend kommentiert hat: Ein Sozi, der sich wünscht, daß (im ARGE-Sprech) schwer vermittelbare Arbeitnehmer in die Langzeitarbeitslosigkeit entlassen werden, ist bei näherer Betrachtung nur auf den ersten Blick ein Widerspruch…


Natürlich werden die Arbeitsplatzverluste nicht nur die vielzitierten Friseure im Grenzgebiet zu Polen betreffen. Wenn die mit dem Mindestlohn verbundenen Preissteigerungen vieler Dienstleistungen auch andernorts dazu führen werden, daß z. B. ein Krankenhaus seine Glasfassade nur noch alle ein bis zwei Jahre reinigen läßt statt wie bisher halbjährlich, dann werden die daraus resultierenden betriebsbedingten Kündigungen in der Gebäudereinigungsbranche statistisch nur mit Mühe auf den Mindestlohn zurückzuführen sein. Zumal die Politik und viele Medien nicht an Nebelkerzen sparen werden, um diesen Zusammenhang zu verschleiern.


In ihrem Frühjahrsgutachten werden die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute deutlich: Der Mindestlohn, so die Ökonomen, wird etwa 200.000 Arbeitsplätze und 0,1 Prozent Wirtschaftswachstum kosten. Die Jobs von Herrn Stegner und Frau Nahles gehören freilich nicht dazu.

Weiter ist das gegenwärtig  gute Wachstum zu einem erheblichen Teil der EZB-Niedrigzinspolitik geschuldet wie Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, aktuell erläutert. Auch der von Finanzminister Schäuble für 2016 angekündigte ausgeglichene Haushalt hängt wesentlich von der Zinspolitik der EZB ab. Der gegenwärtige Aufschwung, einschließlich sprudelnder Steuergelder, ist also nicht zuletzt wieder eine Party auf Pump, die schnell vorbei sein kann; zumal sich die Zeichen für einen möglichen Börsencrash mit anschließend weltweit abkühlender Konjunktur aktuell zu mehren scheinen.

Auch die Euro-Staatsschuldenkrise ist ja längst nicht ausgestanden. Die Tatsache, daß Griechenland kürzlich Anleihen emittieren konnte, die mit einem Nominalzins von 4,75% weggegangen sind wie warme Semmeln, bedeutet selbstverständlich nicht, daß der griechische Staat aus dem gröbsten heraus ist, sondern daß die Anleger im Gegenteil gelernt haben, daß im Notfall der europäische und insbesondere der deutsche Steuerzahler einspringen wird. Für die Art, wie die Medien dies z. T. kritiklos gefeiert haben ("Investoren vertrauen dem Land wieder"), ist der Begriff Populismus vermutlich ausnahmsweise einmal zutreffend. Man hat halt Bammel vor den Europawahlen im Mai.

Schließlich sind auch der Fortgang und die langfristigen Auswirkungen der Ukraine-Krise für die Weltwirtschaft noch völlig unklar. Konjunkturelle Risiken allerorten also, und Frau Nahles beschert uns (und was nie vergessen werden sollte: abgenickt und unterstützt von Bundeskanzlerin Angela Merkel) mit dem Rentenpaket ein Gesetz, das bis 2030 bis zu 233 Milliarden Euro kosten wird, bei ab 2016 in Kraft tretender Schuldenbremse (die allerdings u. a. bei Konjunktureinbrüchen wieder ausgehebelt werden kann). Zwar ist in den 233 Mrd. Euro eine mögliche Frühverrentungswelle eingepreist, die Nahles laut eigener Aussage verhindern will. Wie sie das aber verfassungsrechtlich unbedenklich anstellen will und ob die Instrumente dann wie gewünscht greifen, bleibt jedoch völlig offen. 


Von der ganzen überstürzten Machart her, von der mangelnden Folgenabschätzung und auch von der ideologischen Durchtränkung erinnert diese Gesetzesinitiative auf erschreckende Weise an die Energiewende und das EEG.

Für mich als ökonomischen Laien riecht (oder besser: stinkt es) folglich wieder einmal nach Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge und mittelbar auch der Steuern, um diesen Wust finanzieren zu können. Denn daß die Konjunktur, bei einer sich zunehmend verschärfenden demographischen Situation und den oben genannten Risiken, das jahrzehntelang tragen könnte, erscheint mir schlechterdings ausgeschlossen, womit sich der Kreis zu den Einwänden des Normenkontrollrates und zum Narzißmus der Ministerin schließt.

Würde bitte mal jemand der Dame das Bonbon wegnehmen?

Andreas Döding


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