4. März 2014

Und sie verstehen sich doch – Deutsche Sprache, fremde Sprache


Man stelle sich folgenden, nicht ganz frei erfundenen Sachverhalt vor: Ein junger Mann bayrischer Provenienz, er mag etwa zwanzig Lenze zählen, betritt am Morgen nach einer durchzechten Nacht eine rheinländische Bäckerei. Sein noch etwas vernebelter Blick schweift über die verschiedenen Köstlichkeiten, die eine Wiederauffüllung seines durch den Ausnüchterungsprozess arg beeinträchtigten Nährstoffbudgets verheißen. Plötzlich bleiben seine Augen an einer runden, besonders fetthaltigen Variante des Teigwarengeschlechts hängen. Ohne sich zu entsinnen, dass er fern der Heimat weilt, ruft er der Verkäuferin fast lüstern entgegen: „Zwei Krapfen bitte!“

Stille. Einen Moment lang geschieht nichts. Und just in dem Moment, als sich unser junger Freund seines sprachlichen Fauxpas bewusst wird, entgegnet ihm die Verkäuferin in rheinischem Frohnaturen-Ton: „Ach, Sie meinen Berliner. Bei uns heißen die Berliner.“

Berliner. Langform: Berliner Pfannkuchen. Abkürzungsvariante: Pfannkuchen. Womit der/das babylonische Schlamassel noch kein Ende nimmt. Denn im Heimatidiom des Verfassers bezeichnet man als Pfann(en)kuchen, was in Österreich Palatschinken und in bestimmten Gegenden Deutschlands Eierkuchen genannt wird. Der Pfannkuchen, den man traditionell zu Fasching, pardon: Fastnacht, Verzeihung: Karneval, verzehrt, heißt im Süden eben Krapfen.

Das ist doch kalter Kaffee, wird sich der polyglotte Leser vielleicht denken. Apropos: Da fällt mir die Geschichte eines entfernten, seinerzeit noch in zartem Alter befindlichen Verwandten ein, der – jenseits des Mains sprachlich sozialisiert – in einer oberbayrischen Bauernwirtschaft „kalten Kaffee“ bestellt. Der vierschrötigen Kellnerin steht ein „De spinnant, de Preißn“ ins Gesicht geschrieben. Doch der Gast ist König, und ohne die geographisch mobilen Familienmitglieder wäre hier beinahe das falsche koffeinhaltige Getränk serviert worden. Der Knabe dachte natürlich an einen Spezi (alias Cola-Mix), den er dank der Intervention der ehrenamtlichen Gastrodolmetscher auch tatsächlich bekam.

Während der Bayer einen Spezi ordert, lässt sich der Österreicher ein Spezi bringen. Und was unter dem weiß-blauen Himmel das Radler heißt, behält bei den Lieblingsnachbarn das männliche Genus (der Radler). Bei dieser Anarchie, dieser schieren Regellosigkeit mag sogar ein libertärer Geist nach dem Staat rufen, oder noch besser: nach der Europäischen Union. Kann der weise Vater in Brüssel diesen grammatikalischen und auch den ganzen lexikalischen Wirrwarr nicht mit einer Verordnung beseitigen, so wie er den Gurken den Krümmungsgrad diktiert?

Schlau wie sie sind, haben die Österreicher bei ihrem Beitritt zur EU darauf geachtet, dass wenigstens ein Teil ihres (sinnigerweise die Gastronomie betreffenden) sprachlichen Erbes nicht unter die Räder des Bürokratiemonstrums kommt. Aber hallo? Werde ich als (zugegeben grenznaher) Bayer da nicht linguistisch enteignet? Wörter wie Erdäpfel, Kren, Ribisel, Schlögel, Topfen, Vogerlsalat oder Weichseln gehören zu meinem angestammten Vokabular, und dass man für den Rostbraten in Deutschland Hochrippe sagt (wirklich?), habe ich erst aus dieser Liste erfahren. Danke, liebe EU, dass Du mich meine Muttersprache lehrst (freilich hätte ich jetzt gern geschrieben: mir meine Muttersprache lernst)!

Doch diese urösterreichischen Ausdrücke entpuppen sich bisweilen als Produkte des Wiener Kulturimperialismus: So ist der Paradeiser im Westen der Alpenrepublik ein Import, der die Tomate beileibe noch nicht verdrängt hat. Derartige Subtilitäten dürften dem gemeinen Bundesdeutschen, vulgo: Piefke, der ohnehin mit Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit auf die „Ösis“ herabschaut, kaum zu vermitteln sein. Da mokiert sich Silke Burmester, dem Verfasser dieser Zeilen durch eine Meckerecke bereits lieb und teuer geworden, über die von modebewussten Österreicherinnen und Österreichern getragene „Jean“. Aber wie lustig ist es für den Menschen aus dem süddeutschen Sprachraum, wenn er einen Satz wie „Heute hat sie Hosen an“ hört? Was, gleich mehrere? Ist es bei euch so kalt, oder ist das die nordische Antwort auf die Burka?

Und noch etwas, werte Frau Burmester: Die Stiege ist auch wieder so ein Fall eines Wortes, das langsam und sicher aus dem Freistaat in sein rot-weiß-rotes Réduit abgeschoben wird. Wie könnte man sich sonst erklären, dass in der urbayrischen Stadt Traunstein eben nicht von der „Apothekertreppe“ die Rede ist? Und der „Powidl-Pate“ ist sowieso ein seltsamer Mischmasch; denn in großen Teilen Österreichs werden der Pate und die Patin als Göd und Godn (beziehungsweise Varianten davon) bezeichnet. (Anglophile Leser werden hier sprachvergleichend anmerken, dass Don Vito Corleone im Original der godfather ist.)

In (Teilen?) der Schweiz heißt der Pate übrigens Götti, wie der Verfasser seit der Lektüre von Jeremias Gotthelfs „Die Schwarze Spinne“ weiß. Dass diese Helveter, ohnehin als Eigenbrötler verschrien, der deutschen Sprache ihre spezielle Note verleihen, mag kaum jemanden verwundern. Die fahren dann einfach an einem schönen Sommertag an einen See, wo sie parkieren, um zu grillieren, und halten das alles mit der Kamerafunktion ihres Natel(s?) für das virtuelle Fotoalbum fest.

Die Moral von der Geschicht:
Um einander zu verstehen,
Muss man nicht im Gleichschritt gehen.
Des Einheitsbreis bedarf es nicht.

Noricus


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