18. März 2014

Oxfam, der Sozialismus und die Juden

Es ist schon ein bemerkenswerter Vertrauens- und Reputationsvorschuß, den Nichtregierungsorganisationen (sog. NGOs) bei Medien und Öffentlichkeit genießen. Ich nehme an, daß dieser Vertrauensvorschuß auf einem klassischen logischen Fehlschluß basiert. Wenn man, oft zurecht, annimmt, daß Regierungsorganisationen partikulare (Eigen)interessen vertreten und diese öffentlichkeitswirksam sowie selektiv artikulieren, so meint man hiervor bei NGOs anscheinend weitgehend sicher zu sein. Bei NGOs, so der öffentliche Tenor, werden zumeist hehre, idealistische und altruistische Motive, die der "Allgemeinheit" dienten verfolgt. Der Fehlschluß liegt in der Zuordnung von "abhängigen Partikularsrinteressen" zum Konzept "Staat", so daß "Freiheit von staatlichem Einfluß" in der Vorstellung dann automatisch auch zur Freiheit von derartigen Abhängigkeiten wird. Solches nimmt man selbstverständlich auch bei Oxfam an, einem Verbund verschiedener Hilfsorganisationen, der sich nichts Geringeres als eine gerechtere Welt auf die Fahne geschrieben hat.
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Entstanden in der Nachkriegszeit, verstand sich Oxfam (das Oxford Committee for Famine Relief) zunächst tatsächlich als Hilfsorganisation, die Spenden sammelte und im kriegszerstörten Europa unter der notleidenden Bevölkerung verteilte. Mit der zunehmenden Größe der Organisation kam später, wie anders, ihre zunehmende Politisierung, die, wie anders, stramm links zu verorten ist. Schon wieder ein Fehlschluß; nämlich der, daß die Linderung der Not leidender Menschen am besten dadurch erreicht werden könne, indem man Reicheren etwas wegnimmt.

Aktuell rechnet uns Oxfam vor, daß Englands fünf reichste Familien mehr besäßen als die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung zusammen. Auch hier wird ein Fehlschluß suggeriert, nämlich daß die Einkommenssituation der Unterschicht in Großbritannien kausal (d. h. wesentlich, streng genommen sogar ausschließlich) mit dem Reichtum dieser Familien verknüpft sei. Und wie immer wird diese Behauptung nicht belegt. Es reicht wohl, wieder einmal Neid zu schüren.

An dieser Stelle eine kurze Ehrenrettung des Neidbegriffes. Man muß wohl eine handlungsmotivierende und eine handlungshemmende Form des Neides unterscheiden. Sehe ich beispielsweise, daß mein Nachbar ein schnelleres Auto als ich besitzt, dann kann ich handlungsmotivierend-neidisch sagen "Das will ich auch haben, besser sogar ein noch schnelleres", woraufhin ich mich beruflich mehr anstrengen werde, die hierfür nötigen Mittel zu erarbeiten, während die handlungshemmend-mißgünstige (und sozialistische) Form des Neides in der Forderung verharrt, daß es ungerecht sei, daß der Nachbar ein schnelleres Auto fahre und man ihm die vermeintlich überschüssigen Mittel staatlicherseits wegnehmen solle, so daß der solcherart Neidische handlungsmäßig nicht etwa bei sich selbst anzusetzen braucht.

Gefordert wird denn auch von Oxfam "staatliches Eingreifen", eine repressivere Steuerpolitik und dergleichen mehr. Das gute alte Mantra von mehr Gerechtigkeit durch mehr Gleichheit also.


Und dabei könnte man doch gegenwärtig durchaus die Empirie bemühen. Zu was die Idee, daß staatliche Umverteilung (und Verstaatlichungen) zu mehr Wohlstand für alle führten, tatsächlich führt, läßt sich aktuell in Venezuela beobachten. Hier erntet gegenwärtig die stramm sozialistische Regierung (insbesondere aber die Bevölkerung), was unter der Regierung des verstorbenen sozialistischen Volkstribuns Hugo Chávez gesät worden war, nämlich Miß- und Mangelwirtschaft, eine horrende Staatsverschuldung und galoppierende Korruption.
Übrigens werden allem Anschein nach die Protestierenden dort ebenso zusammengeschossen wie kürzlich in der Ukraine. Über die ausbleibende mediale Rezeption mag sich der geneigte Leser sein eigenes Urteil bilden.

Zu alldem von Oxfam, der altruistischen NGO, kein Wort. Dabei hatte man sich dort 2010 noch hocheuphorisch zu Venezuelas Latin America's inequality success Story geäußert.


Während hierzu bei Oxfam also beredtes Schweigen herrscht, wähnt man sich zu anderen Themen im Urteil offenbar um so sicherer. Im Nahostkonflikt zum Beispiel. Als die US-amerikanische Schauspielerin und langjährige Oxfam-Botschafterin Scarlett Johansson kürzlich einen Werbevertrag mit dem israelischen Unternehmen Sodastream, das u. a. auch im Westjordanland produziert, unterschrieb, hieß es seitens Oxfam, daß dieser Vertrag mit den ethischen Prinzipien von Oxfam nicht vereinbar sei. Weiter hieß es:

Oxfam glaubt, dass Geschäfte wie die von Sodastream, die in (jüdischen) Siedlungen tätig sind, die fortwährende Armut und Rechtlosigkeit der Palästinenser-Gemeinden fördert, die wir unterstützen.
Oxfams Geheimnis bleibt es dabei, wie ein Rückzug der Firma aus dem Westjordanland mit anschließender Arbeitslosigkeit vieler palästinensischer Arbeiter der "Armut und Rechtlosigkeit" entgegen wirken soll.

Aber nun gut, die Hamas und insbesondere die Fatah sind zutiefst sozialistische Organisationen, von der deutschen SPD gerne zum strategischen Dialog eingeladen, und hier gilt dann bei NGOs wie Oxfam wohl wieder der Venezuela-bias. Gleiches gilt für die Tatsache, daß in den "jüdischen" Siedlungen (d. h. Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Firmen) selbstverständlich auch Palästinenser wohnen, beschult und behandelt werden sowie für ihren Lebensunterhalt arbeiten dürfen.  Mehr Unwahrheiten wie Oxfam im obigen Zitat kann man in einem solch kurzen Satz wohl kaum unterbringen. Aber noch ein Zitat:
Wir sind gegen jede Wirtschaftsbeziehung zu den israelischen Siedlungen, die nach internationalem Recht illegal sind.
Auch wenn letztgenannter Punkt fast common sense ist, kann man hier auch eine deutlich andere Position vertreten, insbesondere wenn man sich einmal vergegenwärtigt, wie die "besetzten Gebiete" historisch entstanden sind. Man könnte nämlich durchaus sagen, daß das Land für die Araber schlicht futsch ist. Wer, wie die Araber, drei(!) territoriale Eroberungs- und erklärte Vernichtungskriege gegen Israel, einem völkerrechtlich anerkannten, unabhängigen Staat, beginnt, und sich dabei drei Mal eine deutlich blutende Nase holt, der muß umgekehrt seinerseits damit rechnen, daß er territoriale Verluste hinnehmen muß, sei es als militärisches Sperrgebiet und Pufferzone, die vor weiteren Angriffen schützen sollen, oder sei es auch durch klassische Annektion. Es ist mutmaßlich lediglich einem humanistischen Zögern Israels zu verdanken, daß die arabische Bevölkerung in den besetzten Gebieten 1967 nicht vertrieben und das Land anschließend endgültig annektiert worden ist. Ob dieses Vorgehen aus Israels Sicht rückblickend strategisch klug war bzw. sich bewährt hat, steht wohl auf einem anderen Blatt.

Auch Hitler hat einen territorialen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gestartet und anschließend waren die deutschen Ostgebiete weg, nachdem man die ethnisch deutsche Bevölkerung aus Ost- und Westpreußen vertrieben hatte. Das Völkerrecht folgte hier irgendwann den geschaffenen Realitäten, endgültig mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch  Kohl im Rahmen der 2 + 4-Verhandlungen 1990. Dies soll nicht den Blick dafür verstellen, daß den Heimatvertriebenen damals großes individuelles Unrecht geschehen ist. Gleichwohl ließen sich daraus nie ernsthaft territoriale Restitutionsforderungen ableiten. Man stelle sich umgekehrt einmal eine Regierung der frühen Bundesrepublik vor, die wegen der Ostgebiete ein solches Zetermordio, wie wir es seit 40 Jahren im nahen Osten hören, gemacht hätte. Man hätte ihr völlig zurecht vorgeworfen, daß die Annektion der deutschen Ostgebiete eine Folge des Hitlerschen Vernichtungsfeldzuges gewesen sei und daß man offenbar die Konsequenzen der eigenen Vernichtungspolitik nicht selbst tragen wolle. Wenn es aber um Israel geht, scheint das Wasser bergauf zu fließen und  -wieder einmal- alles anders zu sein.

Übrigens hat Scarlett Johansson ihre Tätigkeit für Oxfam inzwischen beendet und wird ihren Werbevertrag mit Sodastream erfüllen. Um hier einmal einen positiven Schlußpunkt zu setzen.

Andreas Döding


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