31. Dezember 2019

Jahresausklangsklang: 崔萍 - Tsui Ping

Es scheint angemessen, das Ende eines Jahres mit einer melancholischen Ballade, einem Blues, einer verhangenen Sehnsucht in Moll abzuschließen. Bevor der Umschlag der Kalendariums ins Hoffnungsfrohe, weil noch nicht in die Niederungen der Realität Gewechselte, erfolgt.



崔萍 - 殘夢

﹝電影(月夜琴挑)插曲﹞

30. Dezember 2019

德国人 / déguórén / "Der Deutsche"

"Caishen! Caishen!" rumorte Jiang Dongli unter der hochgeklappten Motorhaube des maroden Zweitonners, der wie eine gestrandete Schildkröte so schräg am Rand der Schlammpiste stand, daß er jede Sekunde in das gelbe Brackwasser des Grabens abzurutschen drohte, der das Feld dahinter halb überschwemmt hatte. "Der Gott des Glücks ist mir gewogen. Ich kann mir keine bessere Weise vorstellen, den Doppel-Neunten (*) zu feiern, als im eisigen Regen einen abgesoffenen Motor gesundzupflegen, der mindestens zehntausend Jahre gelebt hat, während es stimmungvoll dunkel wird und nirgends ein Dorf zu sehen ist. Nicht mal ein Teehaus. Und das in Shandong, zehntausend Li von dem einzigen Ort, an dem ich jetzt sein sollte. Leuchtest du mal? Hier ist es dunkel wie in Buddhas..." - "Du hast recht," pflichtete ihm Cong Fengnian bei. während er versuchte, den Lichtkegel der klobigen Taschenlampe an Jiangs massigem Rücken auf irgendwelche bedeutsamen eisernen Eingeweide zu richten. "Du steckst unter dem Dach, und ich stehe hier unter den Tränen des Himmels." - "笨蛋! (**) Jedem Menschen ist ein Gleichmaß an Glück und Unglück zugemessen. Als Ausgleich werden mir hierfür drei Jahre lang Mißmut und angebrannte Nudeln und deine Witze erspart bleiben." Dann wandte er sich wieder seiner hoffnungslosen Aufgabe zu, die aus Congs Perspektive darin zu bestehen schien, mit dem Schraubenschlüssel Trommelwirbel auf dem Motor zu üben.

In diesem Moment fühlte er durch seine wattierte Jacke einen leichten, aber höchst bestimmten Druck im Rücken. Und eine Stimme, die sagte: "Ich möchte die ehrenwerten Herren nicht stören. Aber ich würde raten, sich ruhig zu verhalten, keine hastigen Bewegungen zu unternehmen und sich langsam umzudrehen. Und Shitzu kann sehr ungehalten werden, wenn es sein muß." Cong wandte sich mit einer, wie er hoffte, angemessenen Ruhe zu dem Sprecher um und sah einen großgewachsenen Chinesen vor sich, der nach englischer Mode in Breeches, eine Lodenjacke und hüfthohe Lederstiefel gekleidet war und neben dem ungeachtet des Namens kein Löwenhund, sondern eine höchst eindrucksvolle dänische Dogge zu erkennen gab, daß ihr nicht der Sinn nach Späßen stand. Die Läufe der Flinte im Arm des Neuankömmlings waren jetzt direkt auf Congs Brust gerichtet. "Kein Räuber!" entfuhr es ihm, sowohl aus Erleichterung wie auch, um Jiang vorzuwarnen. Weder Banditen noch versprengte Soldaten würden in einem solchen Aufzug daherkommen; und sie würden keine Wachhunde dabeihaben. - "Seid ihr allein?" "Wir sind allein. Wir hatten gehofft, es heute bis Jinan zu schaffen, aber irgendwann haben wir aufgehört, die Umwege zu zählen, und jetzt..." - "Wir sind ebenfalls keine Rotbärte," erklärte Jiang, überflüssigerweise, der mittlerweile aus seiner Versenkung aufgetaucht war. "Es wäre die erste Räuberbande, die nur aus zwei Generälen besteht," kam zurück. "Aber in diesen unsicheren Zeiten kann man nie vorsichtig genug sein."

28. Dezember 2019

Stegner vor!

Dieser Autor kann es nicht länger verhehlen: Er entwickelt sich mehr und mehr zu einem Fan von Ralf Stegner, seines Zeichens SPD. 

Ralf Stegner, dessen besondere Verdienste um die Erhaltung der Sprache in all ihren Facetten im ganzen Land hinreichend bekannt ist und dessen besonderes Talent zum geschickten Ausdruck erst durch das Medium Twitter zur Erleuchtung gebracht werden konnte, gilt nicht nur als einer der besten Wahlkämpfer und Sympathieträger der SPD, er verlor auch nur knapp die Kür zum SPD Chef (ehrenvoller sechster Platz unter sechs "Doppelspitzen") und verfehlte dann auch nur um bedauerliche 125 Stimmen das minimale Quorum für einen Beisitzerposten.

24. Dezember 2019

冰心, 《小橘灯》- Bing Xin, "Die kleine Orangenlaterne" (1957)



在一个春节前一天的下午,我到重庆郊外去看一位朋友。她住在那个乡村的乡公所楼上1。走上一段阴暗的仄仄的楼梯,进到一间有一张方桌和几张竹凳、墙上装着一架电话的屋子,再进去就是我的朋友的房间,和外间只隔一幅布帘。她不在家,窗前桌上留着一张条子,说是她临时有事出去,叫我等着她。

我在她桌前坐下,随手拿起一张报纸来看,忽然听见外屋板门嘎吱地一声开了。过了一会,又听见有人在挪动那竹凳子。我掀开帘子,看见一个小姑娘,只有八九岁光景,瘦瘦的苍白的脸,冻得发紫的嘴唇,头发短短的,穿一身很破旧的衣裤,光脚穿一双草鞋,正在登上竹凳子想去摘墙上的听话器,看见我似乎吃了一惊,把手缩了回来。我问她:你要打电话吗?她一面爬下竹凳,一面点头说:我要医院,找胡大夫,我妈妈刚才吐了许多血!我问:你知道××医院的电话号码吗?她摇了摇头说:我正想问电话局……”我赶紧从一旁的电话本子里找到医院的号码,就又问她:找到了大夫,我请他到谁家去呢?她说:你只要说王春林家里病了,她就会来的。

我把电话打通了,她感激地谢了我,回头就走。我拉住她问:你的家远吗?她指着窗外说:就在山窝那棵大黄果树下面,一下子就走到的。说着就登登登地下楼去了。



我又回到屋里去,把报纸前前后后都看完了,又拿起一本《唐诗三百首》来,看了一半,天色越发阴暗了,我的朋友还不回来。我无聊地站了起来,望着窗外浓雾里迷茫山景,看到那棵黄果树下面的小屋,忽然想去探望那个小姑娘和她生病的妈妈。我下楼在门口买了几个大红的桔子,塞在手提袋里,顺着歪斜不平的石板路,走到那小屋的门口。



我轻轻地扣着板门,发出清脆的"咚咚",刚才那个小姑娘出来开了门,抬头看了我,先愣了一下,后来就微笑了,招手叫我进去。这屋子很小很黑,靠墙的板铺上,她的妈妈闭着眼平躺着,大约是睡着了,被头上有斑斑的血痕,她的脸向里侧着,只看见她脸上的乱发,和脑后的一个大髻。门边一个小炭炉,上面放着一个小沙锅,微微地冒着热气。小姑娘把炉前的小凳子让我坐了,她自己就蹲在我旁边,不住地3打量我。我轻轻地问:大夫来过了吗?她说:来过了,给妈妈打了一针……她现在很好。


她又像安慰我似地说:你放心,大夫明早还要来的。我问:她吃过东西吗?这锅里是什么?她笑说:红薯稀饭,我们的年夜饭。我想起了我带来的桔子,就拿出来放在床边的小矮桌上。她没有作声,只伸手拿过一个最大的桔子来,用小刀削去上面的一段皮,又用两只手把底下的一大半轻轻地揉捏着。




我低声问:你家还有什么人?她说:现在没有什么人,我爸爸到外面去了……”她没有说下去,只慢慢地从桔皮里掏出一瓤一瓤的桔瓣来2,放在她妈妈的枕头边。



炉火的微光,渐渐地暗了下去,外面更黑了。我站起来要走,她拉住我,一面极其敏捷地1拿过穿着麻线的大针,把那小桔碗四周相对地穿起来,像一个小筐似的,用一根小竹棍挑着,又从窗台上拿了一段短短的洋蜡头,放在里面点起来,递给我,说:天黑了,路滑,这盏小桔灯照你上山吧!



我赞赏地接过,谢了她,她送我出到门外,我不知道说什么好,她又像安慰我似地说:不久,我爸爸一定会回来的。那时我妈妈就会好了,一定!”她用小手在面前画一个圆圈,最后按到我的手上:我们大家也都好了!显然地,这大家也包括我在内。泪水在我眼中打转……




我提着这灵巧的小桔灯,慢慢地在黑暗潮湿的山路上走着。这朦胧的桔红的光,实在照不了多远,但这小姑娘的镇定、勇敢、乐观的精神鼓舞了我,我似乎觉得眼前有无限光明!



我的朋友已经回来了,看见我提着小桔灯,便问我从哪里来。我说:……从王春林家来。她惊异地说:王春林,那个木匠,你怎么认得他?去年山下医学院里,有几个学生,被当做共产党抓走了,以后王春林也失踪了,据说他常替那些学生送信……”

当夜,我就离开那山村,再也没有听见那小姑娘和她母亲的消息。

但是从那时起,每逢春节,我就想起那盏小桔灯。十二年过去了,那小姑娘的爸爸一定早回来了。她妈妈也一定好了吧?因为我们大家了!

 写于1957年1月3

Holt die Kinder, es ist Weihnachten!

Robert Habeck konnte die Gelegenheit nicht auslassen: Auf griechischen Inseln sitzen tausende von "Kindern" fest, die dort in unwürdigen Zuständen in Flüchtlingslagern leben und ganz, ganz dringend Hilfe und Aufnahme benötigen. So wie Maria und Josef vor 2019 Jahren das auch benötigten und dann glücklicherweise ebenso aufgenommen wurden. Na, wenn das nicht eine wunderschöne Weihnachtsgeschichte ist.

23. Dezember 2019

Boeing Starliner


(Landung der Starliner-Kapsel am frühen Sonntagmorgen, 7:58 Uhr Ortszeit auf der White Sands Missile Range in New Mexico.)

Vor fast exakt drei Jahren wurde an dieser Stelle über die Existenz des "Großen Galaktischen Ghuls" berichtet, dessen Atzung in den letzten 55 Jahren aus den Raumsonden der Erdlinge besteht; und zwar ausschließlich solcher, deren Destination der rote Nachbarplanet Mars ist.. Eine ähnliche Mutmaßung könnte seit ein paar Monaten einen frivol gestimmten Betrachter ankommen, der die aktuellen Entwicklungen im Bereich der bemannten Raumfahrt verfolgt. Der Plot dieser Plotte hat in den 1950er Jahren diversen Science-Fiction-Romanen der fünfziger Jahre Anwendung gefunden: die Menschheit (was in diesem Fall stets "die Amerikaner" meint) steht kurz davor, in den Weltraum aufzubrechen, die Raketen sind entwickelt, die Raumfahrer trainiert und nervengestählt - doch im letzten Moment versagen die Systeme, die Trägerraketen explodieren, und dies nicht nur einmal. Und dahinter stecken nicht, wie zunächst gemutmaßt, die Roten von jenseits des Eisernen Vorhangs (sonst wären wir nicht im Bereich der Science Fiction, sondern des Agententhrillers: "My name is Bond, James Bond..."), sondern die Grünen, die kleinen grünen (oder sonstwie gefärbten) Wesen von jenseits des Sonnensystems, die die Menschheit am Aufbruch in die galaktischen Weiten zu hindern gedenken. (Diese Sabotage konnte in der Regel auf zwei Weisen erfolgen: zum einen durch "mentale Kontrolle", im Sinne des "Manchurian Candidate"; oder indem "sie" unter uns sind und, als Terrestrier verlarvt, als Teilnehmer der Ingenieursteams - ihre Kenntnis von Astronomie und Zukunftstechnik ermöglichte ihnen das - handfest Hand anlegen konnten. Der erste derartige Alien-Saboteur findet sich übrigens im Oeuvre eines deutschen Autors, nämlich in der Erzählung "Der Marsspion" von 1908 des Schriftstellers Carl Grunert (1865-1918), die seiner vierten und letzten Sammlung von "Zukunftsnovellen" den Titel gab.)

22. Dezember 2019

Lob des Brexits

In praise of Brexit.

Nachdem auf diesem Netztagebuch bislang aktuelle keine Stellungsnahme zum anstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs erfolgt ist, sei dies, gute zehn Tage nach der englischen Parlamentswahl und einen Tag, nachdem das Parlament den Fahrplan für dem Austritt zum 31. Januar 2020 abgesegnet hat, nachgeholt. Am 17. Januar dieses Jahres zog der geschätzte Kollege R.A. dieser Stelle unter dem Titel Insel im Nebel folgendes Resumé:

Völlig egal, was man nun inhaltlich vom Brexit hält: Die bisherige Performance von Mays Truppe ist eine Katastrophe. Die Chefin ist weiterhin ratlos, der Brexit-Minister findet nicht statt und der Außenminister kaspert rum. Man tritt das Erbe der großen Margret Thatcher mit Füßen, hat aber keinerlei Plan, was man stattdessen nun möchte. Die Vorstellungen für die künftige britische Rolle in der Welt und vor allem die ökonomische Zukunft des Landes sind immer noch so vage wie vor dem Referendum.
Wie sich die Zeiten ändern. Nach dem haushohen Sieg der Tories bei der Parlamentswahl (die natürlich mit ihren klaren Ergebnis zuförderst dem Prinzip des Mehrheitswahlrechts mit seinem "winner takes all" geschuldet ist), nach der Fokussierung auf das Ziel "Get Brexit done!", darf nun jeder Zweifel als ausgeräumt betrachtet werden, daß sich das Inselkönigreich wie auch die EU in rund eintausend Stunden einem neuen Status Quo gegenübersehen. Es werden nun Nägel mit Köpfen gemacht.

20. Dezember 2019

Vincent Starrett - "Ballad of Brobdingnag" (1925)

Wenn wir schon keinen "Planeten namens Brobdingnag" (oder, wie im Wahlvorschlag der IAU vorgesehen, einen Stern mit diesem Namen) vorweisen können, so sei zur Kontinuitätswahrung - und um an das Thema "221B" anzuknüpfen, ein zugegeben leicht frivoles Gedicht aus der Feder Vincent Starretts (1886-1974) hergesetzt.


17. Dezember 2019

"Ein Planet namens 'Gulliver'?" - Nachtrag

Nein. Kein Planet namens "Gulliver."

Heute hat die IAU, die Internationale Astronomische Union mit Sitz in Paris das Ergebnis des in 104 Ländern (falls sich der Protokollant nicht um den einen oder anderen Posten verzählt hat) veranstalteten Wettbewerbs bekannt gegeben, ebenso vielen außerhalb des Sonnensystems entdeckten Planeten und ihren Sternen eine Namen zu geben, der über eine nichtssagende Katalognummer hinausgeht, wie vor zwei Monaten an dieser Stelle berichtet. Der blaue Zwergstern mit der Bezeichnung HD 32518 im Sternbild Giraffe wird also in Zukunft nicht offiziell den Namen "Brodbingnag" nach dem Land der Riesen in Jonathan Swifts satirischem Reiseroman von 1726 tragen, und ihn wird nicht der Planet "Gulliver" mit der dreifachen Masse des Jupiter in gut 160 Tagen einmal umkreisen, sondern der Planet Neri wird sein Zentralgestirn Mago umkreisen.

Mago ist der Name eines äthiopischen Nationalparks, der insbesondere auch dem Schutz von Giraffen dient – der Stern HD 32518 befindet sich im Sternbild Giraffe. Neri ist ein Fluss in eben jenem Nationalpark. (Vorschlag des Physikkurses, Kursstufe, des Max-Born-Gymnasiums, Neckargemünd)

(Freunde des Dechanten der Kathedrale des Hl. Patrick in Dublin und seines satirischen Hauptwerkes können sich damit trösten, daß zahlreiche Figuren und Orte als Namen von Landschaftsformationen des inneren - und größeren - Marsmonds, Phobos, verewigt worden sind: Laputa Regio, Lagado Planitia, und die Krater Skyresh, Flimnap, Grildrig - der Name, den die Riesentochter des Riesenbauers, die Gulliver im Riesenland in ihre Obhut nimmt, verleiht - und natürlich "Gulliver" himself, währen ein Krater auf Phobos' Schwestermond Deimos den Namen Swift trägt. Swift kam zu dieser Ehre, weil er - beziehungsweise die ziemlich verrückten Wissenschaftler auf der fliegenden Insel Laputa im dritten Buch - die Existenz der beiden Begleiter samt ihren Umlaufzeiten des Roten Planeten überraschend genau vorweggenommen hatten, fast genau 150 Jahre, bevor Asaph Hall in den USA dies 1877 in den Rang einer akkuraten Prognose transponierte.)

15. Dezember 2019

Greta fährt Bahn

Manchmal hat man als angelegentlicher Protokollant des laufenden Wahnsinns, mit dem man als mehr oder weniger aufmerksamer Zuschauer der Zeitläufe rund um die Uhr bespaßt wird, Gelegenheit, den Manen, Parzen, Nornen - oder wer auch immer für das Programm in der Matrix verantwortlich zeichnet - dankbar zu sein. Wenn nämlich die Mosaiksteinchen zur Illustration dieses Widersinns so präsentiert werden, daß man sie nur nebeneinanderzustellen braucht und sich jeder Kommentar erübrigt. Auch wenn es sich (das gehört zur Natur der Sache) nur um süße Nichtigkeiten handelt .

Manchmal sagt ein Bild doch mehr als tausend Worte. Oder in diesem Fall: ein paar Tweets.

4. Dezember 2019

Nichts Neues an der Klimafront

(Netzfund von heute)

Oder doch?

Man könnte, als skeptisch grundierter Beobachter des jetzt ins vierte Jahrzehnts seines unermüdlichen Wirkens tretenden Klimaalarmismus - und wenn man noch Lust und Bedürfnis danach verspüren würde, diese zeitgeistige Obsession kritisch und im Kontext historischer Entwicklungen zu verorten* - dafür halten, daß der Monatswechsel von November in die Adventszeit des Jahres 2019 (wieder mal) eine neue Qualität zum Tragen gebracht hat, einen Einstellungswechsel. Nur wäre ein solcher Versuch müßig: es handelt sich um ein Kontinuum von Haltungen und Einstellungen auf einer abschüssigen Ebene, von der anfangs zumindest als berechtigt einzustufenden Frage "Gefährdet das Treiben unserer entwickelten Industriegesellschaft tatsächlich das Weltklima?" (jedenfalls solange man diese Frage mit der gebotenen Objektivität, Nüchternheit, die riesigen Unklarheiten mit übertünchenden Pragmatik ergebnisoffen angeht) hin zum einzig verbliebenen Religions- und Zukunftsersatz für die Politik, die Medien und den Troß der ihnen in gewünschter Weise zuarbeitenden "Klimawissenschaftlern" darstellt.

(* Statt dessen scheint es, schon zur Schonung des eigenen Seelenfriedens, geboten, diese Preisgabe aller pragmatischen Vernunft und historischen Erfahrung als Farce zu nehmen, als einen weiteren Beweis in der endlosen Reihe historischer Beispiele, daß der Narrheit des menschlichen Treibens keine Grenze gesetzt scheint.)

25. November 2019

Eine dumme Entscheidung

Ein Wirtschaftskorrespondent der Welt, Phillipp Vetter, hat vor ein paar Tagen einen schönen Meinungskommentar zur jüngsten "Entscheidung" von Volkswagen veröffentlicht, der mit dem schönen Titel "Die einzig richtige Entscheidung" überschrieben ist. Wie es sich für einen guten Kommentar gehört, lohnt sich seine Diskussion, denn wie schon die Überschrift nahelegt, ist dieser Autor eher sehr gegenteiliger Meinung.

21. November 2019

Die unglaubliche Dummheit. Eine Wählerschelte.

Es ist zugegebenermaßen ziemlich billig sich an der tatsächlichen oder vermeintlichen Bödheit von Politikern abzuarbeiten. Eine breite Mehrheit der politisch interessierten Menschen in Deutschland tendiert ohnehin dazu diejenigen, die anderer Meinung sind als sie selbst, als unreflektiert oder zumindest wenig reflektiert, um nicht zu sagen im Extremfall als blöd, einzuschätzen. Das ist "Tagesgeschäft" und kaum einer Zeile wert. Doch manchmal, gefühlt viel zu häufig, aber dann doch zumindest erwähnenswert selten, gibt es Aussagen von Politikern, die so himmeljauchzend dumm sind, dass man sie doch mit ein paar Zeilen kommentieren möchte (und damit meine ich nicht Lapsen wie Kobold statt Kobalt). Weniger allein ihres Inhaltes wegen, sondern primär wegen der sich dadurch so offenkundig zeigenden Ignoranz, Dummheit oder Inkompetenz. Im besten Falle aller drei genannten Eigenschaften. 

17. November 2019

Maurice Baring, "Venus"

Da im vorigen Eintrag der Name Charles Cros fiel, und das Thema die Kontaktaufnahme mit dem Mars war, sei als Ausgleich die Traumvariante aus dem Umzirk der Jahrhundertwende vom inneren Schwesterplaneten Venus hierhergesetzt.

Die Unmöglichkeit, mit irdischen Teleskopen einen Blick durch die undurchdringliche Wolkendecke zu werfen und Genaueres über die Verhätlnisse auf ihrer Oberfläche zu erfahren, haben ihr in der phantastischen Literatur immer einen zweiten Platz hinter dem roten Planeten zugewiesen. Svante Arrhenius' Mutmaßung von 1915, daß es sich um eine ins Extrem gesteigerte Variante der "grünen Hölle" der tropischen Regenwälder handeln können (aufgrund der größeren Sonnennähe) - "everything on Venus is dripping wet," schrieb er.


We must therefore conclude that everything on Venus is dripping wet…A very great part of the surface of Venus is no doubt covered with swamps, corresponding to those on the Earth in which the coal deposits were formed…The constantly uniform climactic [sic] conditions which exist everywhere result in an entire absence of adaptation to changing exterior conditions. Only low forms of life are therefore represented, mostly no doubt belonging to the vegetable kingdom; and the organisms are nearly of the same kind all over the planet. The vegetative processes are greatly accelerated by the high temperatures.


(The Destiny of the Stars, 1918, New York: G. P. Putnam's Sons; im Original Stjärnornas Öden, 1915)

Diese Vision war den Autoren der Pulp-Magazine, allen voran Edgar Rice Burroughs, ein Geschenk, aufgeladene Dschungelabenteuer unter einer "primitiven" Tier- und Eingeborenenwelt spielen zu lassen. Für eher symbolistisch gestimmte Autoren der vorhergehenden Generation blieb der symbolische Gehalt einer "Welt der Liebe" anziehender.

*     *     *

Charles Cros - "Sonnet astronomique" (1873)

Alors que finissait la journée estivale,

Nous marchions, toi pendue à mon bras, moi rêvant
À ces mondes lointains dont je parle souvent.
Aussi regardais-tu chaque étoile en rivale.

Au retour, à l'endroit où la côte dévale,
Tes genoux ont fléchi sous le charme énervant
De la soirée et des senteurs qu'avait le vent.
Vénus, dans l'ouest doré, se baignait triomphale.

Puis, las d'amour, levant les yeux languissamment,
Nous avons eu tous deux un long tressaillement
Sous la sérénité du rayon planétaire.

Sans doute, à cet instant deux amants, dans Vénus,
Arrêtés en des bois aux parfums inconnus,
Ont, entre deux baisers, regardé notre terre.

Zeitmarke: Vor [200] - 150 - 100 Jahren: "Hallo Mars - Hier Erde!"


(Popular Science Monthly, September 1919)

Vorausgeschickt sei, daß es sich bei der ersten temporalen Wegmarke um kein "richtiges" Jubiläum handelt, sondern um ein Gerücht, eine "moderne Legende" (wie sie eben im Bereich der Wissenschafts- und Technikgeschichte ebenso auftreten wie in anderen Bezirken), und beim zweiten Datum um kein spezielles Vorkommnis, sondern nur eine gängige Meldung über eine seinerzeit kurrente Idee - die aber hierbei Gelegenheit bietet, das Thema nett zu illustrieren.

15. November 2019

1971: Boeing 2707, Concorde - ein Déjà Vu aus der Urzeit des Klimaalarmismus


(x magazin, Oktober 1971)

Dem englischen Autor und von Profession einer der reichsten Söhne seiner Ära, Horace Walpole (1717-1797), der heute nur noch als Verfasser des ersten und niemals gelesenen "gotischen Schauerromans" The Castle of Otranto (1765) ein fernes Gerücht ist, nicht aber als ältester Sohn des ersten britischen Premierministers Robert Walpole oder einer der bedeutendsten Briefschreiber seiner Zeit (die Ausgabe seiner Korrespodenz umfaßt 80 Bände, fast ausnahmslos auf Französisch abgefaßt),  verdankt die englische Sprache den Ausdruck "serendipity", ins Deutsche auch als Lehnwort "Serendipität" geschmuggelt - der höchst nützliche, völlig unerwartete Zufallsfund, der einem bei einer Suche nach etwas völlig anderem unterkommt und der das obskure Objekt der Begierde weit übertrifft. Abgeleitet hat Walpole das Wort 1754 in einem Brief an seinen Freund Horace Mann von einer (womöglich sogar existierenden) Legende um die "drei Prinzen von Serendip, die stes andere Schätze fanden, als sie gesucht hatten" (Serendip ist hier die alte, ungebräuchliche Bezeichnung für die Insel Taprobane, deren Name eine obsolete Benennung für Ceylon darstellt; denen, die dies noch als den alten Namen für Sri Lanka kennen, wird an dieser Stelle sicher die Zeile "Her name was Magill / but she called herself Lil. / But everyone knew her as Nancy" aus "Rocky Raccoon" einfallen.)

10. November 2019

眉村 卓 - Taku Mayumura (1934-2019)



Es fragt sich, ob es ratsam ist, im Deutschen einen kleinen Nachruf, eine bescheidenes Gedächtnisblatt für einen Autor zu bringen, von dem nur eines mit Sicherheit zu sagen ist: nämlich daß jeder einzelne leser, der sich hierhin verirrt, mit diesem Namen absolut nichts verbindet. Anders als bei Musikstars, die an dieser Stelle gewürdigt wurden (in der letzten Zeit etwa Anne Vanderlove oder Yao Li) läßt sich eine solche terra incognita, ein solcher unausgefüllter Fleck auf der eigenen inneren Landkarte, auch nicht durch ein paar Einspielungen von Liedern wettmachen. Der bloße Hinweis auf das Werk reicht nicht, da es hiesigen Lesern unzugänglich bleiben wird und die Resonanzen, die es bei der Leserschaft eines solchen Autors hervorrufen würde, schlicht nicht gegeben sind.

7. November 2019

"...and it is always eighteen ninety-five": Vincent Starrett, "221b"



- Vincent Starrett - 221b

Here dwell together still two men of note
Who never lived and so can never die:
How very near they seem, yet how remote
That age before the world went all awry.
But still the game’s afoot for those with ears
Attuned to catch the distant view-halloo:
England is England yet, for all our fears –
Only those things the heart believes are true.

A yellow fog swirls past the window-pane
As night descends upon this fabled street:
A lonely hansom splashes through the rain,
The ghostly gas lamps fail at twenty feet.
Here, though the world explode, these two survive,
And it is always eighteen ninety-five.

(March 1942)


"221B"

Hier wohnen immer noch die zwei bekannten Herrn
Die es nie gab und deshalb niemals sterben.
Wie nahe scheinen sie uns - und wie fern
Liegt ihre Zeit. Der Weltlauf fiel in Scherben.
Und doch beginnt die Jagd - für alle, deren Ohren
Den alten Klang vernehmen. Trotz aller Gefahr -
Trotz unsrer Furcht ist England nicht verloren.
Denn nur an was das Herz glaubt, ist auch wahr.

Ein gelber Nebel wabert vor den Fenstern
Wenn sich die Nacht auf die berühmte Straße senkt.
Die fahlen Gaslaternen werden zu Gespenstern
Wenn eine Hansom-Droschke durch den Regen lenkt.
Auch wenn die Welt zerbirst - die beiden werden bleiben.
Hier wird man immer 1895 schreiben.

(U.E.)

4. November 2019

"Ballade en novembre": Feuille commémorative Anne Vanderlove



Es bleibt mir die Erinnerung
An die Lieben, die vergehn
Es ist jetzt Zeit, die Tür zu schließen
Es ist jetzt Zeit, schlafen zu gehn.
Ich war nicht immer nett und gut
Mit Haar, das in die Augen stieb
Doch hat er mich so akzeptiert
Und vielleicht sogar etwas lieb.

Auf Strand und Garten fällt der Regen dicht...
Und sind jetzt meine Augen feucht
liegt es am Regen im Gesicht.

Der Nordwind fängt wild an zu wehn
Der mir im Spiel das Haar zerwühlt
Ich war nicht immer wirklich schön
Er wohl was für mich gefühlt.
Mein Kleid ist stets noch mitgenommen
Und mein Haar ist wie wild zerstiebt.
Er hat mich, wie ich war, genommen.
Ich hab ihn wirklich sehr geliebt.

Qu'on me laisse à mes souvenirs
Qu'on me laisse à mes amours mortes
Il est temps de fermer la porte
Il se fait temps d'aller dormir
Je n'étais pas toujours bien mise
J'avais les cheveux dans les yeux
Mais c'est ainsi qu'il m'avait prise
Je crois bien qu'il m'aimait un peu

Il pleut sur le jardin, sur le rivage
Et si j'ai de l'eau dans les yeux
C'est qu'il me pleut sur le visage

Le vent du Nord qui s'amoncelle
S'amuse seul dans mes cheveux
Je n'étais pas toujours bien belle
Mais je crois qu'il m'aimait un peu
Ma robe a toujours ses reprises
Et j'ai toujours les cheveux fous
Mais c'est ainsi qu'il m'avait prise
Je crois que je l'aimais beaucoup

Il pleut sur le jardin, sur le rivage
Et si j'ai de l'eau dans les yeux
C'est qu'il me pleut sur le visage

Si j'ai fondu tant de chandelles
Depuis le temps qu'on ne s'est vus
Et si je lui reste fidèle
À quoi me sert tant de vertu ?
Qu'on me laisse à mes amours mortes !
Qu'on me laisse à mes souvenirs
Mais avant de fermer la porte
Qu'on me laisse le temps d'en rire
Le temps d'essayer d'en sourire

3. November 2019

Treppenwitz: Greta allein zu Haus




Daß den Olympischen, denen wenn nicht die Lenkung des Weltgeschicks, so doch dessen fallweise Pointierung und Zuspitzung obliegt, ein mitunter durchaus, nun: olympischer Humor eignet, wurde ja erst vor wenigen Tagen an dieser Stelle angelegentlich des Auftauchens des Kometen Borisov angemerkt. Neu ist diese Erkenntnis natürlich nicht: der Mythenschatz des alten Griechenlands ist von solch ironischen Volten undenkbar; neben der Ausgeliefertheit des Einzelnen an die Ἀνάγκη, das Fatum (dazu, wie sehr dies zum Fatalismus der damaligen Lebensgefühls beigetragen hat, hat Jacob Burckhardt in in den Bänden seiner Griechischen Kulturgeschichte zwischen 1898 und 1902 einiges angemerkt), bildet die Bestrafung der Vermessenheit der Sterblichen darin den Basso ostinato.

2. November 2019

Noch einmal Thüringen: Zu den Koalitionsmöglichkeiten jenseits von Blau-Schwarz-Gelb

Die Kollegen Llarian und Meister Petz haben in diesem Blog zur Diskussion über die Bildung einer blau-schwarz-gelben Koalition in Thüringen Stellung genommen. Das Erfurter Patt hat aber nicht nur dieses Bündnis – mag man es nun bürgerlich nennen oder nicht – auf den Debattentisch geworfen. Nein, auch andere, unterschiedliche Absurditätsgrade aufweisende Kooperationsmöglichkeiten wurden mit mehr oder weniger Ernsthaftigkeit dem (ab)geneigten Publikum unterbreitet. Im Folgenden sollen diese Regierungsoptionen einer Erörterung unterzogen wurden:

1. November 2019

CONTRA: Warum eine blau-schwarz-gelbe Koalition keine "bürgerliche" Koalition ist


­
Am Tag nach der Wahl - die endgültige Zusammensetzung des Parlaments in Erfurt steht aufgrund des knappen FDP-Ergebnisses noch nicht einmal ganz fest - erschallen, nicht zuletzt hier im kleinen Zimmer - die Rufe nach einer AfD-CDU-FDP-Koalition. 

Dass ich so einer Koalition ablehnend gegenüber stehe, genauso wie einer CDU/FDP-Beteiligung an einer Koalition mit der Linken, wird nicht überraschen. Mir geht zwar Thüringen an sich offen gestanden relativ gepflegt am Allerwertesten vorbei, und ich verlange ja auch nicht, dass die Repräsentanten eine größere Weltweisheit an den Tag legen als die, die sie repräsentieren (siehe Eingangszitat). 

Nicht am Sitzfleisch kann mir vorbeigehen, dass das Ganze als "bürgerlich-konservativ-liberale Mehrheit" nicht nur von Höcke und Gauland verkauft, sondern auch von einigen originär bürgerlichen, konservativen und liberalen als solche gekauft wird. 

PRO: Warum eine schwarz/blau/gelbe Koalition Sinn machen würde

Ab und zu gibt es in Zettels Raum die Kategorie Pro & Contra, in der zwei Autoren in einer bestimmten Frage gegensätzliche Ideen diskutieren. Aufgrund der aktuellen Situation in Thüringen haben ich und Meister Petz uns entschieden einen solchen Beitrag zu verfassen. Im folgenden Beitrag lesen Sie die von mir verfasste Pro Seite, kurzfristig wird die Contra Seite zugefügt.

***

Zugegeben: Ich glaube nicht wirklich daran, dass eine solche Koalition wirklich zustande kommen könnte, es gibt sehr gute Gründe anzunehmen, dass eine solche für CDU und auch die FDP verheerend ausgehen würde. Die FDP würde in den Medien systematisch bespuckt, gevierteilt, gehängt und erschlagen werden (und anschließend würde es unangenehm werden) und die Karriere von Mohring wäre mit dem Merkelschen Bannstrahl auch beendet, bevor sie eigentlich so richtig begonnen hätte. 

Dennoch wäre eine solche Koalition nicht die dümmste aller Ideen für das Land selber. Und es spricht weit mehr dafür als nur das dumme Gesicht eines Lars Klingbeil (der es auch vorgestern wieder nicht lassen konnte, angesichts eines weiteren, desaströsen SPD-Absturzes gegen die FDP zu hetzen), wobei das sicher schon ein sehr guter Grund wäre. 

31. Oktober 2019

"Hallowe'en in a Suburb" / "Vorstadt-Halloween"




"Hallowe'en in a Suburb"

The steeples are white in the wild moonlight,
And the trees have a silver glare;
Past the chimneys high see the vampires fly,
And the harpies of upper air,
That flutter and laugh and stare.

For the village dead to the moon outspread
Never shone in the sunset’s gleam,
But grew out of the deep that the dead years keep
Where the rivers of madness stream
Down the gulfs to a pit of dream.

29. Oktober 2019

"To seek out new worlds", II: Ein Planet namens "Gulliver"?

In Anknüpfung an das gleichfalls so betitelte Posting von vor zwei Wochen aus Anlaß der Verleihung des diesjährigen Physik-Nobelpreises soll es auch heute wieder um ferne Welten gehen, um Planeten, die außerhalb unseres heimischen Sonnensystems ihre Zentralgestirne umlaufen - aber nicht nur. Diesmal geht es sogar um die Möglichkeit für das geneigte pp. Publicum, in dieser Sphäre entscheidend tätig zu werden - wenn auch nur in einem winzigen Maßstab. Zu gewinnen gibt es dabei nichts (sieht man einmal davon ab, daß, in welch bescheidenem Maß auch immer, als Namensgeber tätig werden darf); die Gründung des galaktischen Imperiums der Menscheit steht noch (sit veni verbo) in den Sternen, und auf den Weltlauf wird dies, das kann man fest garantieren keinerlei Einfluß haben. Und dennoch...