15. November 2019

1971: Boeing 2707, Concorde - ein Déjà Vu aus der Urzeit des Klimaalarmismus


(x magazin, Oktober 1971)

Dem englischen Autor und von Profession einer der reichsten Söhne seiner Ära, Horace Walpole (1717-1797), der heute nur noch als Verfasser des ersten und niemals gelesenen "gotischen Schauerromans" The Castle of Otranto (1765) ein fernes Gerücht ist, nicht aber als ältester Sohn des ersten britischen Premierministers Robert Walpole oder einer der bedeutendsten Briefschreiber seiner Zeit (die Ausgabe seiner Korrespodenz umfaßt 80 Bände, fast ausnahmslos auf Französisch abgefaßt),  verdankt die englische Sprache den Ausdruck "serendipity", ins Deutsche auch als Lehnwort "Serendipität" geschmuggelt - der höchst nützliche, völlig unerwartete Zufallsfund, der einem bei einer Suche nach etwas völlig anderem unterkommt und der das obskure Objekt der Begierde weit übertrifft. Abgeleitet hat Walpole das Wort 1754 in einem Brief an seinen Freund Horace Mann von einer (womöglich sogar existierenden) Legende um die "drei Prinzen von Serendip, die stes andere Schätze fanden, als sie gesucht hatten" (Serendip ist hier die alte, ungebräuchliche Bezeichnung für die Insel Taprobane, deren Name eine obsolete Benennung für Ceylon darstellt; denen, die dies noch als den alten Namen für Sri Lanka kennen, wird an dieser Stelle sicher die Zeile "Her name was Magill / but she called herself Lil. / But everyone knew her as Nancy" aus "Rocky Raccoon" einfallen.)

Ein netter Anwendungsfall einer solchen Serendipität unterlief dem Protokollanten gestern, als er zu einem völlig anderen Zweck die gesammelten Jahrgänge des seit Jahrzehnten vergessenen populär ausgerichteten Wissenschafts- und Technik-Magazin x - magazin für naturwissenschaft und technik (im "zeitgemäßen" kleindruck gehalten), das vom Januar 1969 an in der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart erschien und im Mai 1973 mit der ebenfalls dort seit 1964 verlegten (und noch heute bestehenden) Zeitschrift Bild der Wissenschaft "fusionierte" (im Klartext: eingestellt wurde), nachdem in dem zehn oder zwölf vorhergehenden Ausgaben zumehmend eine Orientierungslosigikeit und ein Aufweichen der Zielsetzung zu beobachten ist: das deutet auf erhebliche Absatzschwierigkeiten und Versuche der Redaktion oder des Verlages hin, hier neue Käuferschichten anzusprechen. x magazin, das ganz offenbar darauf ausgelegt war, an die Raumfahrtbegeisterung im Zuge der Mondlandung des Apollo-Programms anzuknüpfen und dessen "Rückgrad" die in jeder Ausgabe gebrachten Artikel des seinerzeit in (West)Deutschland weltberühmten "Weltraumprofessors" Heinz Haber bildeten (zumeist Kapitelvorabdrucke bei seinen ebenfalls bei DVA verlegten Büchern), brachte in beinahe jeder Nummer auch einer Science-Fiction-Erzählung zum Abdruck und darf somit als SF-Magazin gewertet werden - auch wenn es sich dabei in der Regel um Nachdrucke aus der Genre-Taschenbuchreihe des Goldmann-Verlags handelt (in den ersten 3 Jahrgängen) - und die keinesfalls den kurrenten Stand des sich rapide entwickelden Genres um 1970 wiedergaben, sondern aus dem Anfang der 1950er Jahre stammten (es finden sich u.a, zwei Nachdrucke aus Isaac Asimovs Ich, der Roboter) und ab 1971 erstaunlich viele russische und polnische Autoren brachte (etwa Lem oder Konrad Fialkowski aus Polen, oder Sewer Gansowski und die Brüder Strugatzki aus der UdSSR) über die Schiene des Verlags "Kultur und Fortschritt" (ab 1972 "Volk und Welt") in Ostberlin. Zumindest in diesem kleinen Teilbereich des Genres dürfte die Publikation hier Pionierarbeit geleistet haben. Nur ist diese Zeitschrift niemals bibliographisch erschlossen worden. Es läßt sich schlicht an keinem Ort nachschlagen, in welchem Nummern welche Beiträge erschienen sind. Der Protokollant nun erinnert sich, daß die allererste Science-Fiction-Kurzgeschichte, die ihm je als Lektüre unterkam, in der einzigen Nummer eben dieser Zeitschrift erschienen war, lange bevor er zum regelmäßigen Jünger des Genres mutierte. Im Alter von zehn (oder 9? oder 12?) Jahren merkt man sich keine nie gelesenen Autorennamen, und die Erinnerung an den Plot war eher antiklimaktisch (außerirdisches Schneckenwesen wird von einer Expedition zur Erde zurückgebracht, bei der Landung kommt es infolge einer Beinahe-Havarie zu einem Druckabfall; die Schnecke wird, anders als die Raumfahrer in ihren Druckanzügen, in Fetzen gerissen. Ende). Somit blieb nur, die Katalogisierung selbst zu übernehmen.

Immerhin fällt ins Auge, wie sich im Lauf dieser vier Jahre der Wandel des Zeitgeistes auch in dieser Zeitschrift niederschlägt. Von einem Schwergewicht auf der Berichterstattung der damals aktuell nachgezeichneten Mondlandungen, flankiert von Meldungen über Neuentwicklungen auf dem Gebiet des Technik, flankiert mit heute eher schlicht anmutenden Einführungsserien ("Computer ohne Geheimnis", Januar-Mai 1969) und wirklich schlichter Zeitgeist-Psychologie ("Wie denke ich effektiver") finden sich immer wieder Berichte über jene "Pläne/Projekte/Obsessionen", an die man sich als Lauscher am Zeitgeist jener Jahre, noch vage erinnern mag ("Mit Bomben baggern. Sowjetische Pläne für friedliche Kernexplosionen", Juli 1970, "Wir sprachen mit Schimpansen. Affenkind lernt die Zeichensprache", Januar 1970). Nicht zuletzt, weil der Abstand eines halben Jahrhunderts vor Augen führt, was aus vielen dieser Zukunftsentwürfe geworden ist, ergibt sich ein mitunter durchaus lehrreicher Aha!-Effekt („Noch kommt unser elektrischer Strom nicht aus dem Meer. Noch ist die Ausführung dieser Projekte sehr teuer. Aber technologische Entwicklung produziert auch kostensparende Lösungen. Diese Tendenz ist schon heute sichtbar: In absehbarer Zukunft werden die Gezeitenkraftwerke unentbehrliche Bestandteile der ökonomischen und technischen Struktur eines jeden Küstenlandes sein.“ - "Energie aus Ebbe und Flut", September 1970, S. 29, und, wirklich nett: "Hunderttausend Anschläge pro Sekunde – davon träumen wohl manche Bürochefs, falls sie genügend Vorstellungsvermögen haben. Der Traum erfüllt sich.. In den Philips-Forschungslabors entdeckten wir einen Laser, der das Schreiben lernt. Nach dem Diktat eines Computers. Die beiden schaffen miteinander tatsächlich hunderttausend Anschläge in der Sekunde." - "Die Laserschreibmaschine, September 1971"). Was aber wirklich, frappant, auffällt, ist ein mit dem Jahr 1971 einsetzender Wechsel des Tonfalls: von der Berichterstattung über Technik und Wissenschaft (die nur Aspekte und Neuerungen vorstellt, also nicht "kritisch hinterfragt") kommt ein immer mehr fortschrittskritischer, warnender Ton auf.  Das Januarheft 1971 macht mit der Frage  "Ersticken wir im Plastikmüll?" auf. Mit der Juni-Ausgabe 1972 ist der Paradigmenwchsel vollzogen. Die Titelstory "Vom Computer prophezeit: So machen wir diese Welt kaputt" widmet sich den Limits of Growth des Club of Rome, bekanntlich DEM Urtext, auf den die seither rabenschwarzen Sicht des grünen Zeitgeistes seither gegründet ist ("Computer haben unsere Zukunft berechnet. Das Ergebnis ist erschreckend. Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Jeder weitere Schritt bring uns dem Chaos näher.") Schmalhans wird Küchenmeister und Beschränkung lautet das Motto der Zukunft ("Zurück zu Kolumbus? Die Energievorräte der Erde sind begrenzt. Das alte Segelschiff kommt zu neuen Ehren. Freilich nach modernsten aerodynamischen Erkenntnissen. Windenergie soll die Lasten über die Ozeane tragen.“ - September 1972, "Segeln ist schöner"), Greta läßt grüßen.

Und genau hier ist man denn doch überrascht, auf eine heute völlig in Vergessenheit geratene Episode in Sachen "technischer Fortschritt", "Risikoabschätzung" und "Gefährdung des Weltklimas durch menschlichen Frevel" zu stoßen, der in vielen Facetten wie eine durchaus gespenstische Vorwegnahme unseres gegenwärtigen Kreisens um die Themen "Stickoxide", "CO2", "Feinstaub" und die alles überwölbende Obsession "Klimakrise!" anmutet. Da sich die frappanten Parallelen aus dem Text selbst ergeben, seien mir ein paar längere Passagen daraus als Zitat zugestanden. Heft 10 des dritten Jahrgangs vom Oktober 1971 eröffnet mit seinem zweiseitigen Leitartikel ("zur sache") aus der Feder des Redakteurs Herbert Heuseler, der sich mit dem damals avanciertesten Großprojekt der zivilen Luftfahrt befaßt - nämlich dem Projekt, die Verkehrluftfahrt ab Mitte der 1970er Jahre auf einen Höchstgeschwindigkeitssektor mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit auszuweiten. Dieses SST-Projekt (für SuperSonic Transport) war seit Mitte der 1960er Jahre avisiert worden; für die EU (damals noch EWG) war es das erste transnationale Technik-Großprojekt - die britisch-französische Concorde; die Sowjetunion entwickelte einige Jahre darauf die vergleichbare TU 144; in den USA hatte Boeing 1965 den Zuschlag zur staatlichen Millardenunterstützung durch den Senat bei der Entwicklung der Baureihe 2707 erhalten (alle drei Vorhaben trugen in ihrer Aufsetzung der Tatsache Rechnung, daß ein einzelnes Unternehmen nicht in der Lage war, die gewaltigen - und explodierenden - Entwicklungskosten zu stemmen.)




Mit doppelter Schallgeschwindigkeit in drei Stunden von London nach New York oder von Moskau nach Chabarowsk zu fliegen galt vor fünfzehn Jahren als logischer Fortschritt in der zivilen Luftfahrt. Heute müssen wir jedoch erkennen, daß das teuerste Experiment in der Luftfahrtgeschichte, die Entwicklung von Überschall-Verkehrsflugzeugen, ohne Rücksicht auf unsere Umwelt und auf menschliche Bedürfnisse vorangetrieben wurde.
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Die amerikanische Version eines Überschall-Verkehrflugzeuges, Boeing 2707-300, konnte dagegen eine der letzten Hürden im US-Senat nicht nehmen und zerfiel schließlich im März dieses Jahres unter der Axt des amerikanischen Kongresses. Mit dieser Entscheidung (Nixon: „Ein verheerender Fehler“) zeigen die amerikanischen Senatoren Umwelt-Bewußtsein und folgen der Warnung zahlreicher internationaler Wissenschaftler, die durch einen Überschall-Luftverkehr der Zukunft schädliche Folgen für Mensch und Tier sowie für Wetter und Klima der Erde befürchten.
Tatsächlich sind heute bei den nach wie vor lückenhaften Kenntnissen über die Prozesse der Hochatmosphäre keine sicheren Vorhersagen über die Auswirkungen des Überschall-Luftverkehrs möglich. Eins ist jedoch sicher: Ein Überschall-Transporter wird fünfmal soviel Treibstoff verbrauchen wie der Jumbo-Jet und pro Flugstunde rund 80 Tonnen Wasserdampf, 70 Tonnen Kohlendioxid sowie je vier Tonnen Kohlenmonoxid und Stickstoffverbindungen aus seinen Brennkammern ausstoßen. Dabei wird natürlich der größte Gewichtsanteil dieser Verbindungen aus dem Sauerstoffgehalt der Atmosphäre entnommen. Nach einer Vorhersage der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) ist im Jahre 1978 allein über dem Nordatlantik mit 87000 SST-Flügen (Supersonic Transport) zu rechnen!
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Wissenschaftler warnten auf einem Kongreß des Massachusetts Institue of Technology vor Klimaschäden, wenn eine derartige SST-Flotte ständig Treibwerksdampf  in die Stratossphäre abläßt. Der in 1 bis 22 Kilometer Höhe ausgestoßene Wasserdampf, die Abgsae und die Rußteilchen können nämlich wegen der geringen Vertikalbewegungen in diesen Höhen mehrere Jahre in der Stratosphäre verbleiben und schließlich zu smogähnlichen Erscheinungen führen. Die Folge wäre eine erheblich verminderte Sonneneinstrahlung und ein empfindlich gestörter Wärmehaushalt der Erdatmosphäre. Schon ein Temperaturverlust von fünf bis sechs Grad würde für Europa eine neue Eiszeit bedeuten.
Schon eine geringfügige Vermehrung des Wasserdampfs von wenigen ppm (parts per million) könnte sich global in einer zehnprozentigen Erhöhung des Wasserdampfgehaltes in der Stratosphäre auswirken, die wiederum zu einer Zunahme der Bewölkung und zu Klimaveränderungen führen würde. Bereits heute ist eine Erhöhung des Wasserdampfgehaltes der Stratosphäre über Washington um 50 Prozent seit 1964 zu beobachten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß diese Belastung der Stratosphäre allein von den Abgasen der bisher in den erdnahen und erdfernen Weltraum abgeschossenen Raketen resultiert.
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Hinweise auf die Verweilzeiten kleinster Partikel in der Stratosphäre geben Untersuchungen über die Folgen des Krakatau-Ausbruches im August 1883 und über die Verfrachtung radioaktiver Verschmutzungen nach nuklearen Testexplosionen, So wurden bei dem Ausbruch des in der Sundastraße gelegenen Vulkans Krakatau Wasserdampf und Staubpartikeln bis in etwas 30 Kilometer Höhe verfrachtet. Nach zeitgenössischen Berichten kam es Monate und Jahre danach innerhalb und außerhalb der Tropen zu einer rauchigen Trübung der Atmosphäre, und die Sterne verloren ihre Leuchtkraft um ein bis zwei Größenklassen. Nach Untersuchungen von Professor Flohn, Bonn, können sich künstliche Partikel mit einem Radius von einem tausendstel Millimeter viele Jahre in der Stratosphäre halten. Der Mainzer Professor Junge errechnete für das Durchfallen der in diesen Zusammenhang interessanten Höhen von 20 bis 15 Kilometer je nach Partikelgröße einen Zeitraum zwischen 3 und 25 Jahren.
Einer „Alarmmeldung“ gleicht auch das kürzlich veröffentlichte Gutachten von Professor H. Johnston von der Berkeley-Universität in Kalifornien.
Wenn sich 500 Überschall-Verkehrsflugzeuge wie die Concorde täglich sieben Stunden in der Luft befinden, soll der Ozongehalt der Stratosphäre innerhalb von nur zwei Jahren um die Hälfte abnehmen, was zu einer Zunahme der für Lebewesen schädlichen Ultraviolettstrahlung auf der Erdoberfläche führen würde. Nach den Berechnungen Johnstons reicht das Stickoxid das in der Triebwerken aus den Luftbestandteilen Stickstoff und Sauerstoff entsteht, aus, um in einem durch die Sonnenenergie geförderten Prozeß ständig das Ozon der Stratosphäre zu Sauerstoff zu reduzieren. Das Stickoxid selbst wird dabei zu Stickstoffoxid oxydiert. Diese Verbindung wird durch Reaktion mit Sauerstoff jedoch wieder zu Stickoxid reduziert, so daß diese immer wieder in den Reaktionsprozeß zurückkehrt.

Zwangsläufig erhebt sich doch die Frage, ob die Überschall-Verkehrsflugzeuge so bedeutende Vorzüge aufzuweisen haben und von so gewaltigem Nutzen sind, daß wir uns getrost über die aufgezeigten Risiken hinwegsetzen können. Bei weitem nicht! Einerseits ist heute noch nicht einmal mit letzter Sicherheit zu entscheiden, ob die kosmische Strahlungsrate, die in Flughöhen der STT-Maschinen etwa 200- bis 300mal größer ist als am Erdboden, bei solaren Strahlungsausbrüchen nicht zu einer ernsten Gefahr für Passagiere und Besatzung werden kann, andererseits lähmt einen der Gedanke, welchen unmittelbaren Einwirkungen der Mensch durch den Überschall-Luftverkehr ausgesetzt wird.

Bei der "Alarmmeldung" handelte es sich um das Paper "Reduction of stratospheric ozone by nitrogen oxide catalysts from supersonic transport exhaust," aus Science, Bd. 173, Nr. 3996, S. 517-22, vom 6. August 1971 von Howard S. Johnston (1920-2012), einer der Pioniere der Stratosphärenchemie.

(Für die Boeing 2707 war eine Länge von 97m und eine Spannweite von 43,4m vorgesehen; bei 294 Sitzplätzen für die Modellvariante 200 und 234 Plätzen für das letzte entwickelte Modell 300; bei einer Reisegeschwindigkeit von 2,7 Mach in einer Höhe von 18 bis 21 km.)


Das Schicksal des Projekts "Überschallverkehrsflug" ist bekannt. Das sowjetische Konkurrenzunternehmen TU 144 war nach dem Absturz des dritten gebauten (und als erster in Dienst gestellten) Maschine auf der Luftfahrtschau im französischen Le Bourget am 3. Juni 1973 (mit 14 Toten, den 8 Besatzungsmitgliedern und acht Zuschauern der Luftfahrtschau) ein Auslaufmodell; die Concorde, die, wie so viele Kritiker seit Anfang der 70er Jahre nicht müde wurden zu betonen, war nie ein wirtschaftlich konkurrenzfähiges Modell (auch wenn der Preisaufschlag für die Linienflüge über den Atlantik noch um einiges heftiger ausfiel als etwa von Heuseler 1971 ausgeführt: "Um aber allein auf den Atlantikrouten Überschall-Verkehrflugzeuge ökonomisch einsetzen zu können, wäre ein 35prozentiger Aufschlag auf den üblichen Erste-KlasseFlugpreis notwenig. Ein Flug von Frankfurt nach New York und zurück würde demnach mit einem SST 4280 DM kosten, gegenüber dem günstigsten Angebot in der Economy-Klasse von 1142 DM"); die Einstellung des Betriebs nach dem Absturz der Maschine beim Start vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle am 25. Juli 2000 wurde von den beiden Betreiber-Airlines British Airways und Air France auch in ihrer Außendarstellung nicht bedauert. Das Projekt war von Anfang an ein "weißer Elefant" gewesen: zu prestigeträchtig, um es sterben zu lassen, aber keine Option auf eine technologische Zukunft. Man kann, ohne sich einen Ruch von Technikfeindschaft einzuhandeln, zugestehen, daß es sich um eine Fehlplanung handelte: eine falsche Einschätzung der Bedürfnisse des Flugpassagiere, um einen Irrtum, der auf eine lineare Fortsetzung des titius, altius, fortius setzte, der "Höher, weiter, schneller", ohne die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß in vielen technischen (und humanen) Gegebenheiten Grenzen erreicht werden, ab denen eine Steigerung keinen Gewinn mehr erbringt. In denen der Aufwand keinen praktischen Nutzen nach sich zieht. Die Reisegeschwindigkeit durch die Luft dürfte mit den Großjets der Boeing 747 und des Airbus (dessen Entwicklung als Konkurrenz zur Unternehmen Concorde zur selben Zeit als EU-weites Unternehmen forciert wurde) sein diesbezügliches Plateau erreicht haben.

Es fällt vielmehr etwas anderes ins Auge: nämlich daß es sich bei dieser vergessenen Episode um das erste technologische Großprojekt handelt, das nicht (zumindest was die amerikanische Seite angeht) an technischen Mängeln, an Unterfinanzierung, an einer falschen Zielsetzung (einschließlich der schlichten Überflüssigkeit) gescheitert ist, sondern bewußt inszenierten Initiativen. Daß hier von vornherein das Beschreiten dieses Wegs abgelehnt und verhindert wurde. Daraus ist bekanntlich, zumal bei uns, ein geradezu fatales Muster erwachsen, das in der Ablehnung von Gentechnik und Atomkraft ihr sichtbarstes Zeichen gefunden hat. Und, und dies scheint mir schwerer zu wiegen: das Movens dieser Ablehnung war der gewichtigste denkbare Grund überhaupt: die Behauptung der größtmöglichen Gefährdung der Biosphäre, der Umwelt, durch frevelhaftes menschliches Tun allein zum Zweck blinden Profits. "Eine neue Eiszeit!" (Wir befinden uns noch nicht im Zeichen der Globalen Erwärmung, die die Furcht vor der "Neuen Eiszeit" erst 1978/1979 abzulösen begann.)

(Gepaart ist dies in diesem Fall mit zwei weiteren Merkmalen, die sich seitdem durch diese Art von "Klimaalarmismus" hindurchziehen: die unrealistische Annahme der schändlichen Treibens (87.000 Flüge pro Jahr alein über dem Nordatlantik) sowie die janusköpfige Doppelung: "wir wissen nichts über die Atmosphärenvorgänge und können daher keine Entwarnung geben" sowie im nächsten Atemzug das Operieren mit Verweildauer und Belastung pro Flug. (Ob die Zunahme des Wasserdampfgehalts der Stratosphäre über Washington, D.C., überhaupt irgendetwas mit ein paar hundert Raketenstarts in hunderten von Kilometern Entfernung zu tun haben könnte, wollen wir erst gar nicht überschlagen, geschweige denn, ob es den Einbruch der Neuen Eiszeit beschleunigt.) Hauptsache, "es lähmt einen der Gedanke".)

Zwei Unterschiede zum heutigen Treiben der Dauerberieselung über den unmittelbar bevorstehenden Kollaps des Klimas fallen aber auf: die SST-Episode fällt in die "Gründungsphase" des westlichen Umweltbewußtseins; 1970 fand in den USA der erste "Earth Day" statt (der das Photo des blauen Erdkugel, vom Mond aus gesehen, als Signum hatte); an einzelnen hysterisch anmutenden Warnungen war auch damals kein Mangel (so wurde in der Washington Post zu diesem Analß vor einem Anstieg des Meeresspiegels um 120 Meter infolge des drohenden Abschmelzens der Polkappen gewarnt): allein: es blieben vereinzelte Meldungen, es gab keine Sintflut des Alarmismus, wie wir ihn seit Anfang der 90er Jahre sehen, und der als einzige Variante eine Erhöhung der Dosis zu kennen scheint. Und dieses "Umweltbewußtsein" wurde nicht zu einem alles überdeckenden Zeitgeist, zum einzigen Ersatz für eine Sinngebung des gegenwärtigen Lebens. Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, waren von politischer Art, im Rahmen des Machbaren, des Finanzierbaren, des Pragmatisch Gebotenen: wie das Verbot von DDT (auch wenn es sich als falsch und kontraproduktiv herausstellte), die Einführung des geregelten Dreiwege-Katalysators zur Reinigung von Autoabgsaen, Filteranlagen für Fabrikschlote, Doppelrümpfe für Öltanker, Mülltrennung und Recycling (daß dies in Deutschland mittlerweile zu einer reinen Fassade verkommen ist, weil eine getrennte Aufarbeitung infolge einer aus dem Ruder gelaufenen Systems dies nicht mehr rentabel macht, ist ein Racheeffekt anderer Art).


PS. Ja, der Protokollant hat die seit Jahrzehnten verschollene kleine Erzählung wiedergefunden (und sie ist leider in der Zwischenzeit nicht besser geworden. Sie findet sich in der Ausgabe vom Juni 1970 auf den Seiten 50 bis 54 und stammt von Arkady und Boris Strugatzki: "Ausnahmezustand" (Чрезвычайное происшествие); zuerst im Original 1960 in der Erzählsammlung Der Weg nach Amalthea/Путь на Амальтею) erschienen. Weder die Internet Science Fiction Database noch die Bibliographie deutschsprachiger Science Fiction-Stories und Bücher noch die nicht online verfügbare Personalbibliographie der Brüder Strugatzki im Bibliographischen Lexikon der utopisch-phantastischen Literatur des Corian-Verlages (also die drei Standard-Referenzwerke zum Thema) verzeichnen diese Übersetzung.












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U.E.

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