3. November 2019

Treppenwitz: Greta allein zu Haus




Daß den Olympischen, denen wenn nicht die Lenkung des Weltgeschicks, so doch dessen fallweise Pointierung und Zuspitzung obliegt, ein mitunter durchaus, nun: olympischer Humor eignet, wurde ja erst vor wenigen Tagen an dieser Stelle angelegentlich des Auftauchens des Kometen Borisov angemerkt. Neu ist diese Erkenntnis natürlich nicht: der Mythenschatz des alten Griechenlands ist von solch ironischen Volten undenkbar; neben der Ausgeliefertheit des Einzelnen an die Ἀνάγκη, das Fatum (dazu, wie sehr dies zum Fatalismus der damaligen Lebensgefühls beigetragen hat, hat Jacob Burckhardt in in den Bänden seiner Griechischen Kulturgeschichte zwischen 1898 und 1902 einiges angemerkt), bildet die Bestrafung der Vermessenheit der Sterblichen darin den Basso ostinato.

Daß die neue Schutzheilige der Zeitgeistreligion, dem "Klimaglauben", der Endzeitsekte, die ihre Legitimation aus dem festen Glauben an das unmittelbar bevorstehende Weltende infolge des frevelhaften Treibens der sündigen Menschheit bezieht und die sich geißelnden Pilger der mittelalterlichen Bußprozessionen durch infantile Hüpfprozessionen ersetzt hat (note bene am nach christlicher Lehre erlösungsgeschichtlich aufgeladenen Freitag) - daß also Greta Thunberg sich in der Verlegenheit sieht, nicht am diesjährigen Konklave, am Kirchentag dieser neuen säkularen Heilslehre, dem "COP25", der fünfundzwanzigsten "Conference of the Powers", teilnehmen zu können - zu welchem Behufe sie ihre medienwirksam in Szene gesetzte Pilgerfahrt in die Neue Welt im August mit Hilfe des Windes, scheinbar ganz im Verzicht auf den Ausstoß des satanischen Klimakillers Kohlendioxid erst unternommen hatte: das hat durchaus etwas von einer göttliche (oder paganen) Ironie. Denn daß dieser Trip, auf welch schlichte Weise auch immer, kein überkandidelter "Klimaaktivismus" allein ist, keine ins Infantile übersteigerte Neuauflage der "Protestaufmärsche", wie sie die grüne Umweltbewegung seit ihrem Entstehen Mitte der siebziger Jahre in der Anti-Atomkraft-Bewegung, bis hin zum "Schottern gegen den Castor" darstellt (das ist sie auch; aber es ist ihr mit der "Fridays-for-Future"-Volte eine neue, quasi-religiöse Komponente zugewachsen), sollte eigentlich jedem, der sich mit der Geschichte von Endzeitsekten, von milleniarischen Kulten befaßt hat, klar sein. Zum einen waren die bisherigen Aufwallungen stes an einen konkreten Anlaß gebunden: ob nun eben die erwähnten "AKW-nee!"-Manifestationen, von Gorleben über Whyl und Wackersdorf, dem Phantom des Waldsterbens in den 1980er Jahren bis eben den Transporten wiederaufbereiteten Kernbrennstäbe aus dem französischen La Hague ins deutsche "Ziwschenlager" (die "" sind dem Umstand geschuldet, daß, nach aller Voraussicht, daraus wohl praktisch-faktisch, ein Endlager werden dürfte), zuletzt der Havarie der Tiefsee-Bohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko im April 2010 - die zwar nicht zu Massendemonstrationen gegen menschlichen Umweltfrevel führte, aber doch - zumindest solange sie anhielt - zum Symbol für die Hybris und Unverantwortlichkeit unserer technokratischen "Megamaschine" wurde. (Das Ausbleiben der damals prophezeiten "Jahrtausendölpest" - der in Kilometertiefe treibende Ölteppich löste sich zuallermeist auf, von Mikroben und Salzwasserchemie zersetzt, auf, bevor er das Lebens an der Oberfläche und an den Stränden gefährden konnte - ist von ebenden Medien, die die Weltgefährdung ausriefen, mit bezeichnendem Schweigen übergangen worden. Fehlgeschlagene Weltuntergänge interessieren in diesem Geschäftsmodell nicht nur nicht. Die niemals stattfindende Entwarnung gehört zum alarmistischen Programm, schon um die Befindlichkeit der in jedem Moment drohenden Katastrophe nicht zu gefährden.)

Zum anderen hat sich dieser Alarmismus nie an einer einzelnen Person festgemacht. Die Proteste waren auf konkrete Anlässe bezogen; sie blieben es. Wo es Vorläufer von Fräulein Thunberg gab, blieben sie punktuell - aus den "Kinderstars" wurden nie Kultfiguren, die zum Dreh- und Angelpunkt monate- und jahrelanger Berichterstattung wurden. Etwa bei Felix Finkbeiner, dessen Auftritt von der UN-Klimakonferenz 2011 in New York als 13-Jähriger "Klimabotschafter" mittlerweile nicht einmal mehr in der Standardreferenz der Jetztzeit, der Wikipedia, figuriert (weder in der englischen noch der deutschen Version). Oder die damals zwölfjährige Severn Cullis-Suzuki, deren sechs-minütige Rede auf dem Klimagipfel in Rio im Sommer 1992 eine gespenstische Vorwegnahme von Greta Thunbergs bizarrem Auftritt Anfang September vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York darstellte. Nein: Mademoiselle Severn hat nicht "die Welt wachgerüttelt" - obschon jene Tagung den Auftakt zum institutionalisierten Klimaaktivismus darstellte: auf dieser Tagung wurde nämlich die Ausarbeitung des Kyoto-Protokolls beschlossen, das dann drei Jahre später in Japan in Kraft gesetzt wurde (genauer: dessen Rahmenbedingungen, unter anderen sein Inkrafttreten im Fall der Paraphierung durch eine genügende Anzahl von Signatarstaaten, beschlossen wurde). Das waren Beiwerke, "flankierende Maßnahmen". Sarkastisch Veranlagte dürfen sich an ähnliche Auftritte von "Kinderstars" in dem sozialistischen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts erinnert fühlen, die den gottgleichen Parteioberen durch Kindermund eine zusätzliche Legitimierung zukommen ließen (etwa Engelsina Marzikowa, die 1936 die Güte des georgischen "Väterchens" unterstrich, oder 宋彬彬, Song Binbin, deren Treffen mit dem "Großen Steuermann" 1966, eine der symbolischen Folien für das entfesselte Wüten der "Roten Garden" während der "Kulturrevolution" abgab.) Immer waren es nur bedeutungslose, austauschbare Chiffren: zur "heiligen Johanna der Schwachköpfe" aus eigenem Recht hat es keine dieser im Grunde bedauernswerten Gestalten gebracht.

Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont, daß es mir nicht darum geht, die Person Greta Thunbergs anzugreifen, "herunterzuschreiben", Häme über sie zu häufen. Es geht um die Bewegung, die hinter ihr steht, nicht zuletzt um die schamlose Geschäftemacherei*, der sie als Aushängeschild, als Markenzeichen dient. Der Bewegung, die nichts so sehr gleicht wie der "Kinderkreuzzug" des frühen 13. Jahrhunderts, als die fatalistische Zeitgeiststimmung nach dem Verlust des "Heiligen Landes" und die politischen Wirren der "kaiserlosen Zeit" dazu führten, daß zehntausende von Kindern sich Anführern aus ihren Reihen anschlossen - die zweifelsohne in jeder Faser an ihre Visionen glaubten, um, nur durch die Kraft ihres Glaubens, durch ihre Pilgerfahrt, mit Hilfe göttlicher Macht das Heilswerk, an den die Erwachsenen gescheitert waren, zu vollenden. (Der Wunder- und Mirakelglaube, der sich im Zug der sich ausbreitenden Marienverehrung im damaligen Nordeuropa breitgemacht hat, dürfte ein unabdingbares Fundament für diese Beweung dragestellt haben.) Der Glaube, daß sich das Meer in Italien vor ihnen teilen würde, daß Engel sie an ihr Ziel bringen würden, die völlige Ausschaltung von Ratio und Erfahrung durch einen kindlichen Wunderglauben, die völlige Abwesenheit von Details, von Einzelheiten über das Zustandekommen der garantierten Weltrettung, die Entschlossenheit, "die Erwachsenenwelt" durchs eigene Beispiel zu beschämen: die Parallelen sind augenfällig. Auch Greta - die zweifelsohne hochintelligent ist - kann man nicht für ihren absoluten Glauben an die schlichten "Wahrheiten", die sie so monothematisch verkündet, verantwortlich machen. Sie hat ihr Lebtag lang nichts anderes gehört, sie ist von Anfang an im festen Glauben an die bevorstehende Klimakalypse aufgewachsen.

(* Daß sowohl Vater Svante Thunberg wie auch der Orchestrator von Gretas Auftritts- und Medienkampagne, eben Ingmar Rentzhog, im Vorstand zweier börsennotierter Unternehmen sitzen, die mit CO2-Zertifikaten handeln, war in den vergangenen Monaten oft genug Thema zwar nicht in deutschen, oder doch in englischen, schweizer und schwedischen Medien. Es sei erinnert, daß es nur zwei Methoden für Unternehmen gibt, den "Giftausstoß" an CO2 zu unterbinden: entweder über den Verzicht auf jeden Vorgang bei der Produktion und Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, bei denen ein Verbrennungsmotor zum Einsatz kommt - also in der Praxis auf den kompletten Verzicht - oder aber über das "Aussourcen" durch den Erwerb ebendieser Zertifikate, durch die - auf zumiest nicht nachprüfbare Weise, anderenorts die äquivalente Menge eingespart wird.)

Andererseits ist nicht zu übersehen, daß es sich bei ihr um ein hochneurotisches Kind, um eine schwer gestörte Persönlichkeit handelt. Wer sich der unerfreulichen Mühe unterzogen hat, das Buch, das ihre Mutter "Malena" Erman über sie verfaßt hat, kann zu keinem anderen Schluß gelangen. "Scener ur Hjärtat" ist im August 2018 im Stockholmer Verlag Polrais herausgekommen; die deutsche Ausgabe erschien im Mai 2019 bei S. Fischer unter dem Titel "Szenen aus dem Herzen: Unser Leben für das Klima." Die Originalausgabe erschien bezeichnenderweise am Montag jener Augustwoche, an dem sich am Freitagmorgen Greta mit ihren mittlerweile ikonischen Pappschild vor dem schwedischen Reichstag aufbaute und "zufällig" vom Manager ihrer Schulstreik-Kampagne, Ingmar Rentzhog, "entdeckt" wurde. Wer sich, wie der Protokollant, der Mühe unterzogen hat, dieses Opusculum durchzugehen ("lesen" ist zuviel gesagt: das Werk ist im Wortsinn unlesbar), kann zu keinem anderen Schluß kommen: Wir haben es hier mit einer psychotischen Persönlichkeit zu tun, mit einem neurotischen Kind, dessen Familie seine Zwangsvorstellungen, Verweigerungen und monomanische Geltungssucht nicht etwa therapiert hat, sondern ihnen in jeder Hinsicht nachgegeben und sie verstärkt hat. Die Lektüre des Büchlein ist von ebenjener quälenden Eintönigkeit, die Gretas Vorträge und Ermahnungen auszeichnet. Dem Anschein nach besteht der Text zur Hälfte aus kurzen Aufzeichnungen, die ihre Mutter während des ersten neurotischen Schubs ihrer Tochter im Jahr 2014 als Gedächtnisstütze für die Verbesserung oder Verschlechterung ihrer Symptome (vor allem der kategorischen Nahrungsverweigerung) niedergeschrieben hat; die andere Hälfte besteht in unreflektiertem Wiederkäuen von Aufrufen des Typs "Ich will, daß ihr in Panik geratet!"

Es ging uns beschissen. Mir ging es beschissen. Svante ging es beschissen. Dem Kindern ging es beschissen. Dem Planeten ging es beschissen. Sogar dem Hund ging es beschissen. 
            Und wir mußten darüber schreiben.

heißt es auf Seite 88. Und eine Seite weiter liest man:

Gleichzeitig geht es der Welt um uns herum immer schlechter. Das Meereis schmilzt, die Insekten sterben, die Wälder werden abgeholzt, die Weltmeere und die Ökosysteme kollabieren.
     Genau wie die Menschen um uns herum. Die zugrunde gingen, wie wir es taten. Menschen, die noch immer völlig kaputt sind.. Wie unsere Freunde.
     Diejenigen, die abgehängt wurden.
     Diejenigen, die in keine Schablone passten.
     Diejenigen, die nicht das Glcük hatten, den richtigen Arzt zu finden.  
     Diejenigen, die nicht einmal einen Platz in der Statistik bekamen.
   Alle, die es tatsächlich geschafft haben, im Einklang mit dem Planeten zu leben, den sie bewohnen.     Aber nicht die Art von Einklang, von dem wir immer sprechen., dieses erdverbunne Leben in Harmonie mit der Natur.
   Hier geht es um einen vollkommen neuen Einklang - einen neuen Akkord.. Es geht dabei um ausgebrannte Menschen auf einem neuen Planeten.. Und für diese Geschichten gibt es keinen Platz in den Kochbüchern. (S.89-90).

Nur erfährt man nie, was es konkret mit dieser neuen Harmonie auf sich haben soll. Aber zweierlei ist klar: dieser apodiktische und zugleich völlig substanzlose Verkündigungston entspricht haargenau dem Duktus von religiösen Glaubensfanatikern, einschließlich der benehmenden Endlos-Wiederholung des immergleichen Mantras. Hier geht es in keiner Weise mehr um Welterkenntnis, gar um Aufklärung, sondern um die Zementierung eines aufs Äußerste reduzierten Weltbilds. Die unterschiedslose Vermengung von Privatestem und der Jeremiade über den heillosen Weltzustand zeigt dies ebenfalls. (Nota bene: ich gehe davon aus, daß der Schlußtext des Buches mit aus Mutter Malenas Feder stammt, sondern von einem Ghostwriter des Verlags aus kurzen Notizen und Interviews zusammengestückt worden ist. Das ändert die Sache aber nicht, da dieses erschreckende Dokument mit Billigung der Eltern erschienen ist, also eine bewußte  -sit venia verbo - Außen- und Selbstpräsentation darstellt).  Mir ist kein anderes Dokument bekannt, das einen derart unverstellten Blick in das innerste Herz einer Sekte, in die psychischen Verfaßtheiten von Apokalyptikern, wie es "in ihnen schaltet", bekannt. Das allein macht das Buch, als Dokumentation eines geschlossenen Wahnsystems, wertvoll.

(Ob es sich bei Greta tatsächlich um eine Asperger-Autistin handelt, soll hier nicht weiter behandelt werden; der Befund tut nichts zur Sache. Zwar hat sie selbst das, zumindest am Anfang ihrer "Karriere" zum Markenzeichen erhoben. Die Behauptung, als solche könne sie nur nüchtern, emotionslos "der Wahrheit ausgeliefert" sein, ist schlicht unzutreffend, wer Zeit seines Lebens allein gelernt hat, daß der Kommunismus die einzige Zukunft der Menschheit darstellt, der wird mit 16 mit jeder Faser ein gläubiger Komsomolze sein, aber dies macht den Sozialismus keinen Deut wahrer. Es ist unzweifelhaft, daß sie mit 11 Jahren, zur Zeit ihres ersten psychotischen Schubs, diese Diagnose erhalten hat - und selbst fest von ihrer Korrektheit überzeugt ist - wenn auch mit dem Zusatz "Mutismus". Dazu ist zu bemerken, daß die Symptomatik des Asperger-Syndroms bei geringer Inzidenz, also "schwachem Auftreten" - bei bis zu 30-32 Punkten auf der bis 50 reichenden Skala des Baron-Cohen-Tests, durchaus unscharf ist; es können auch andere Symptome vorliegen. Ihr Verhalten ist jedenfalls in hohem Maße untypisch für "Aspies": solchen Leuten ist es praktisch unmöglich, in der Öffentlichkeit aufzutreten, sie "gefrieren" unter solchen Umständen nachgerade, ein solch exaltiertes Auftreten, ein geradezu zwanghaftes Sich-Profilieren ist ihnen ein Ding der Unmöglichkeit; wer sehen möchte, wie sich das im konkreten Fall äußert, möge sich das Fernsehinterview zu Gemüte führen, das der NDR 1962 mit dem Namenspaten dieses Netztagebuchs, Arno Schmidt, geführt hat. Die zwanghafte Endloswiederholung der immergleichen Parolen widerspricht dem sprachspielerischen Habitus; ein Aspie würde nicht roboterhaft auf Replay geschaltet sein, sondern das Objekt seiner Faszination und Obsession mit endlosen Zahlen und Begründungen präsentieren. Andererseits entspricht die ersten Hälfte ihres grotesken Auftritt im Plenum der UN durchaus deren emotionalen Tonus: das exaltierte "How DARE YOU!", das keiner Karikatur mehr fähig ist, wäre in diesem Fall schmierenkomödiantisch: wenn Aspies etwas nicht beherrschen, nicht beherrschen können, ist es Schauspielerei, und hier würde es sich um den Versuch handeln, eine in keiner Weise gefühlte Empörung zu imitieren.)

Zum Zweiten: Aus der Ferne, als nicht unmittelbar Beteiligter, sind Ferndiagnosen stets mißlich. Dennoch spricht dieses Buch eine Sprache, die deutlich genug ist: Zum einen wird hier, ausgelöst durch das allgegenwärtige Narrativ des akuten Gefährdung der Biosphäre, durch den seit einem guten halben Jahrhundert unablässig angefeuerten Alarmismus, der Vorausssage, in zwei Jahrzehnten werde unsere irdische Heimat unbewohnbar, eine Neurose zum Ausbruch gebracht. Vor Jahrhunderten waren es die ohne Unterlaß gepredigten religiösen Katastrophen-Imaginationen, die hier die speziellen Wahnideen prägten (für den Islam gilt dies bis heute); heute dient "die Umwelt" als Projektionsfläche: beiden gemein ist das drohende Weltende. Gleichzeitig ist klar, daß das Sich-Einbringen, der grelle Aktionismus, der Gretas Auftritte kennzeichnet, von ihrer Familie als Therapie gesehen wird, als ein Mittel, das ihre Energie von der Selbstzerstörung in etwas "Kreatives, Positives" wandelt - soweit man, angesichts der völligen inneren Substanzlosigkeit dieser Projektionen, die außer äußerster Panik nichts kennen, davon überhaupt reden kann. Nur sollte sich jedermann, dem an Vernunft, an Zukunft gelegen ist, dagegen verwahren, daß hier die gesamte Welt, der Bestand unserer technologischen Zivilisation als Therapeutikum für ein schwer gestörtes Kind herhalten soll.  

Der Infantilität dessen, was uns hier vorgeführt wird, tut das keinen Abbruch. Auch nicht, daß sich hier etwas zutiefst Erschreckendes zeigt. Wenn auch auf andere Weise, als es Familie Thunberg glauben machen will. Daß eine Welt (zumindest ein Teil ihrer westlichen Hemisphäre) sich hier von einem Programm nasführen und in Bann schlagen läßt, das bisher auf belächelte Sekten beschränkt war, die den Weltuntergang für den dreißigsten Mai verkündeten (erinnert sich noch jemand an die Mitglieder von "Heaven's Gate", die sich 1997 im Angesicht des Kometen Hale-Bopp durch Suizid ins himmlische Elysium beamten?), spricht Bände über den maroden geistigen Zustand unserer Zivilisation. Es deutet auf ein obsessives Erlösungsbedürfnis, das aller Aufklärung Hohn spricht, das womöglich eine anthropologische Konstant darstellt und in den trivialisierten Sinnangeboten der tradierten Religionen - die eben KEINEN Sinn mehr anzubieten wissen -  nicht mehr findet. Und das sich nun in einer infantilisierten Weise Bahn bricht, die erschrecken sollte.

Aber um zum Auftakt zurückzukehren: wie es das Schicksal - oder die Olympischen - nun einmal will, soll das symbolische Werk nicht wie geplant über die Bühne gehen. Vor drei Tagen hat die chilenische Regierung den für Dezember geplanten Klimakirchentag abgesagt. Die Unruhen, die in den letzten zwei Oktoberwochen hauptsächlich, aber nicht nur die Hauptstadt Santiago de Chile erschüttert haben (mit insgesamt 19 Toten), und die vor fünf Tagen dazu geführt haben, daß der konservative Präsident Piñero sein gesamtes Kabinett entlassen hat, haben auch zu dieser Streichung geführt. unmittelbarer Auslöser war die zweite Erhöhung der Ubahn-Fahrpreise in diesem Jahr; scheinbar geht es um triviale Beträge; aber Fahrpreise (dabei darf man für hiesige Verhältnisse durchaus an Benzinkosten denken) stellen heute das dar, was der Brotpreis zur Ägide der Französischen Revolution darstellte. Auf der Achse des Guten kann man nachlesen, daß dieser Protest nicht zuletzt ein Aufbegehren gegen die Kostenumlage gegen "regenerative Energien" darstellt - also genau jenes Herzstück dessen, was Politik, Medien und Ökobewegung als unabdingbares Vademecum der Weltrettung ästimieren ("Was deutsche Medien verschweigen: Chiles Aufstand gegen die Klimaretter"). Statt dessen wird nun die spanische Hauptstadt madrid vom 2. bis 13. Dezember das Konklave ausrichten, auf dem, wie auf den bisherigen 24 Kirchentagen auch, die "Welt zum Handeln" aufgefordert wird, Ablaßsummen der sündigen Industrieländer in Höhe von 100.000.000.000 € p.a. eingefordert werden und man sich auf eine Wiederholung in 12 Monaten einigt.

Da es zum unverbrüchlichen Programm der neuen Pucelle, der Heiligen Johanna des 21. Jahrhunderts, gehört, kein Flugzeug zu benutzen - nicht einmal gegen den Erwerb von Ablaßzetteln (auch hier zeigt sich das Guru-mäßige; die Erlöserin darf sich keinen Sünden hingeben) -sieht sich Fräulein G. in der mißlichen Lage, ihre Weltfahrt in Zeichen des alten modus vivendi, in völliger Abhängigkeit von der Gunst der Elemente*, umsonst unternommen zu haben. Auf dem Nordatlantik hat die Zeit der schweren Herbststürme begonnen. Es scheint unwahrscheinlich, daß sich ein paar millionenschwere Sportsfreunde mit einen Extremsportgerät finden werden, um die "bekloppte Klimaprinzessin" (so Hadmut Danisch heute in hartem, aber nicht unzutreffenden Lutherdeutsch). Man kann es auch Künstlerpech nennen. Mein Vorschlag wäre: Per Eisenbahn (elektrisch!) bis zum äußersten Zipfel Alaskas, so weit die Schienen reichen; mit dem Hundeschlitten weiter in Richtung Beringstraße, die per Ballon (Helium ist klimaneutral) oder Kajak, je nach Witterung, zu queren wäre, weiter mit dem Schlitten, vor dem Rentiere im Zaum laufen, nach Wladiwostok und von dort per Transsib Richtung Alteuropa. Angesichts der verbleibenden maximal 40 Tage (und da es sich nur um einen halben Erdumfang handelt) ließe sich das sogar als reales Re-Enactment von Phileas Foggs Wettlauf gegen die Zeit aus Le Tour du monde en quatre-vingts jours von 1872 werten  -der sich bekanntlich auch mit den Mitteln der neunzehnten Jahrhunderts behelfen mußte.

(* Es fällt auf, daß, soweit die Ideologie der "Nachhaltigkeit", wie sie seit über 20 Jahren den Zeitgeist prägt, just dies zum Ziel erklärt: die Abhängigkeit aller menschlichen Tätigkeit von der Gunst der Natur - also genau von dem, wovon sich die moderne Zivilisation, Schritt um Schritt, emanzipiert hat - die biologische Natur des Menschen, die nicht zu ändern ist, einmal ausgenommen: die Energieversorgung aus volatilen Quellen wie Sonne und Wind - und zu einem geringen Teil aus tierischen Fäkalien; hier dürfte auch der tiefere Grund für die kategorische Ablehnung der Kernkraft verborgen sein, die eben hypermodern ist, nicht "natürlich"; der Verzicht auf moderne Landbaumethoden; die Inkriminierung der Gentechnik, der Impetus gegen den "Moloch der Metropole", das entschiedene Vorgehen gegen jegliche Form des Individualverkehrs, der über den lokalen Rahmen hinausgeht - letztlich scheinen nur E-Wägelchen, -Fahrräder oder gar -Tretroller genehmen; also Verkehrsmittel, deren Reichweite jenen vierbeinigen biologisch abbaubaren Entitäten entspricht, von denen zur vorigen Jahrhundertwende auf den Straßen New Yorks zehntausend zu Tode geschunden verendeten; der Verzicht auf Impfung, die Ersetzung von wissenschaftlich geprüftem Faktenwissen durch Glaubensüberzeugungen. Die Liste ließe sich fortsetzen.)


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Nachtrag, 3.11., 20:18.

Immerhin ist es tröstlich, daß es selbst solch einer im Grunde traurigen Groteske komische, zumindest sardonische Seiten abzugewinnen gibt. Auf ihrer Facebookseite schreibt Greta vor zwei Tagen, am 1. November, zwei Stunden nach Mitternacht (ich nehme an, daß der schwedische Zeitstempel gilt und man die sechs oder sieben Stunden Zietdifferenz zur Neuen Welt abziehen muß):

Greta Thunberg
· 1. November · 

So today is Halloween. I don’t celebrate it back home, but I thought I might give it a try.
And apparently when it comes to scaring a bunch of angry climate crisis deniers - I don’t even have to dress up!! #trickortreat

https://www.facebook.com/gretathunbergsweden/photos/a.733630957004727/962280284139792/?type=3&theater

"Hurra, Halloween! Und das Schönste, ich muß mich nicht mal verkleiden, damit sich die Leute zu gruseln!" Wo sie recht hat... Ich bin jedenfalls nicht der erste, der bei ihr eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Wednesday aus der Addams Family konstatiert hat.











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Ulrich Elkmann

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