2. November 2019

Noch einmal Thüringen: Zu den Koalitionsmöglichkeiten jenseits von Blau-Schwarz-Gelb

Die Kollegen Llarian und Meister Petz haben in diesem Blog zur Diskussion über die Bildung einer blau-schwarz-gelben Koalition in Thüringen Stellung genommen. Das Erfurter Patt hat aber nicht nur dieses Bündnis – mag man es nun bürgerlich nennen oder nicht – auf den Debattentisch geworfen. Nein, auch andere, unterschiedliche Absurditätsgrade aufweisende Kooperationsmöglichkeiten wurden mit mehr oder weniger Ernsthaftigkeit dem (ab)geneigten Publikum unterbreitet. Im Folgenden sollen diese Regierungsoptionen einer Erörterung unterzogen wurden:
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1. Dreimal links plus einmal liberal:

Diese Konstellation könnte schon daran scheitern, dass es die FDP nicht in den Landtag schafft. Aber auch wenn die arg wackelnde Latte dann doch nicht fällt: Man kann sich das Ausmaß an politischer Dummheit kaum vorstellen, das nötig wäre, um die Freidemokraten zu einem derart autodestruktiven Schritt zu veranlassen. Denn dass die Liberalen als kleinster Partner in diesem Quartett, dessen sonstige Mitglieder bei vielen Themen Positionen einnehmen, die jenen der FDP diametral entgegengesetzt sind, auch nur minimal spürbare Impulse setzen könnten, ist absolut unwahrscheinlich. Vielmehr würde die Anbiederung an das linke Spektrum als das gesehen, was sie auch tatsächlich wäre, nämlich ein Rezidiv des alten Umfaller-Syndroms, das man den Freidemokraten in der Vergangenheit ja durchaus zu Recht nachgesagt hat.

2. Aufstand der Randständigen:

Eine Koalition aus Linkspartei und AfD mag auf den ersten Blick abstrus erscheinen, aber wenn man der insbesondere aus den Reihen der Zwangsgebührenfunker kommenden Argumentation folgen wollte, die nach der letzten Landtagswahl in Bayern zwecks Herbeisendung eines schwarz-grünen Bündnisses bemüht wurde, so müsste man sagen: Dem Wahlergebnis und damit dem Wählerwillen würde am ehesten entsprochen, wenn sich die beiden Bestplatzierten, nämlich die Links- und die Rechtspopulisten, zusammentäten. Jenseits solcher allzu simplen (da rein an der Arithmetik orientierten) Beobachtungen ließe sich eine SED-AfD-Koalition durchaus auch mit Schnittmengen in der Programmatik und im Wählermilieu rechtfertigen, und auch fernab jeglicher politischer Vorliebe ist zu konzedieren, dass ein Miteinander der einstigen und der aktuellen Protestpartei des Ostens immerhin den indiskreten Charme der Antibourgeoisie verströmen würde.

Aber natürlich spricht vieles gegen eine Verbindung der Linkspartei und der AfD: Ramelow würde sich in den ihm gewogenen Bobo-Kreisen mit einer solchen Aktion komplett diskreditieren (auf den „Only Nixon could go to China“-Effekt bräuchte er nicht zu hoffen); zwischen den beiden randständigen Parteien dürfte bei einigen landespolitischen Themen – etwa bei der Abschiebepraxis – nur schwer eine Einigung zu erzielen sein; die AfD inszeniert sich im Osten als Vollenderin der Wende, während die SED ihre halbherzige, der Heuchelei verdächtige Distanzierung vom DDR-Regime ja immer gern mit dem Hinweis auf die Katastrophe zu eskamotieren versucht, die über die Ostdeutschen mit dem Einzug des Wessi-Imperialismus und -Kapitalismus in den Jahren 1990 ff angeblich hereingebrochen sein soll. Und natürlich würde Ramelow seine neue Amtszeit bei Vereinbarung einer Koalition mit der AfD gleich mit einem Wortbruch beginnen, hatte er ein solches Bündnis vor der Wahl doch kategorisch ausgeschlossen.

3. (Dunkel-)Rot und Schwarz (weder von Stendhal noch in Stendal):

Dass man diese Möglichkeit nicht mehr als völlig abwegig ansieht, mag damit zu tun haben, dass eine solche Option bereits gedankenspielerisch durch den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten vorweggenommen wurde: Daniel Günthers (abstrakter) Vorschlag und die jetzigen (konkreten) Überlegungen zu einer Koalition oder wie auch immer gearteten Kooperation zwischen Linkspartei und CDU fanden und finden insbesondere in der linken Mainstream-Presse Akklamation.

Das entsprechende Räsonnement lässt sich dabei wie folgt zusammenfassen: Wenn starke Ergebnisse der AfD politisch nachvollziehbare Koalitionsbildungen verunmöglichen, dann müssen die sogenannten demokratischen Parteien auch dazu bereit sein, über ideologische Gräben hinweg Bündnisse zu schließen, dies auch dann, wenn eine größere inhaltliche Nähe zur AfD als zum prospektiven Regierungspartner besteht. Und, so könnte man hinzufügen: Wenn die CDU die Variante mit der SED ausprobieren will, dann wäre Thüringen wohl ein geeignetes Pflaster dafür: Einerseits soll nach den unvermeidlichen Umfragen eine erkleckliche Zahl an Wählern, darunter auch jenen der Christdemokraten, gegen eine Zusammenarbeit zwischen den beiden hier interessierenden Parteien (im Freistaat) nichts einzuwenden haben. Ramelow gilt eher als Sozialdemokrat denn als Betonkommunist und hat in den Medien ein gutes Standing, sodass eine wohlwollende Begleitung dieses Experiments durch die veröffentlichte Meinung zu erwarten wäre.

Doch freilich würde die CDU, wenn sie sich in Thüringen der SED öffnet, meines Erachtens einen verhängnisvollen Fehler machen: Koalitionen (oder anderweitige Kooperationen) sollten nach inhaltlichen Übereinstimmungen und, ja, auch imagehygienischen Rücksichten geschmiedet werden. Der letztlich auf eine Alternativlosigkeitsbehauptung hinauslaufende Vorwand, das gute Abschneiden der Rechtspopulisten rücke auch an und für sich denkunmögliche Bündnisse in den Bereich des Erwägenswerten, reiht sich in die offenkundig erfolglose Strategie der sogenannten Altparteien ein, die eigene Linie an einer möglichst weitgehenden Distanzierung von der AfD auszurichten. In der Politik ist es auf Dauer und insbesondere dann, wenn man Regierungsverantwortung übernehmen möchte, nicht von Vorteil, nur gegen etwas zu sein und nicht mehr zu wissen oder nicht mehr klar zu kommunizieren, wofür man eigentlich steht. Genau das ist aber das Problem der Unionsparteien und – auch wenn die Wiederholung verdrießen mag – ist dieses selbstredend ein Effekt der indifferenten Machtgier einer Angela Merkel, die das verwirklicht hat, was „Die Partei“ nur fordert, nämlich Inhalte zu überwinden, wobei die Bundeskanzlerin – diesbezüglich die Antipodin Christian Lindners – offensichtlich davon überzeugt ist, dass es besser ist, falsch zu regieren als nicht zu regieren.

Ich kenne Mike Mohring zu wenig, um seine politischen Fähigkeiten einschätzen zu können: Aber wenn er ein guter Dealmaker ist, würde er es auf eine von der CDU nicht generell tolerierte, aber in einzelnen Gesetzesvorhaben unterstützte SED-Minderheitsregierung ankommen lassen und selbst die eine oder andere Initiative ergreifen, für die er bei den in Frage kommenden Partnern – und sei darunter die AfD – um Zustimmung wirbt. Sollte Mohring das tun und es ihm gelingen, aus der Opposition heraus sein Bundesland zu gestalten, dann wäre dies, um nicht ins Pathos der Rede vom „Sieg der Demokratie“ zu verfallen, doch zumindest eine wohltuende Abkehr vom beorderten Parlamentarismus, wie er in Deutschland Tradition hat und in der Ära Merkel besonders negativ auffiel.

Noricus

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