31. März 2014

Fragen zu allen Dingen überhaupt (1): Sind das Steuerhinterziehen und das Plagiieren bei universitären Abschlussarbeiten gleich verwerflich?


Man kann den Steuerhinterziehern nur gratulieren: Sie haben es in die erste Liga der Kriminellen geschafft. Waren früher Mord und Totschlag, Bankraub mit Geiselnahme, Kindesentführung, Sexualverbrechen oder organisierter Menschenhandel erforderlich, um die für einen Krimi notwendige Fallhöhe zu erreichen, taugt für das zwangsabgabefinanzierte „Pädagogikfernsehen“ (Oliver Jungen in der FAZ) nun auch derjenige als Bösewicht, der größere Summen am Fiskus vorbeischleust.

Historiker einer späteren Generation werden wohl mit Erstaunen feststellen, wie in unserer Zeit aus der lästigen Pflicht des Steuerzahlens eine moralische Verbindlichkeit gegenüber dem Vaterland und gleichsam ein Fetisch der veröffentlichten Meinung konstruiert wurde, ganz zu schweigen davon, dass es der Staat zur Aufklärung von Finanzdelikten mit dem Strafgesetzbuch nicht mehr so genau nimmt und die in seinem Namen tätigen Hehler auch noch für einen Orden vorgeschlagen werden.

Den vorläufig letzten Akt in diesem Stück absurden Theaters bildeten die den Mündern von Medienschaffenden und Politikern entströmenden Wortspenden zum Fall Uli Hoeneß. Vor wenigen Tagen hat nun die Saarbrücker Zeitung in einem (leider nicht online zugänglichen) Artikel geschrieben, dass Annette Schavan „den Hoeneß machen“ solle. Die Klage der ehemaligen Bundesministerin für Bildung und Forschung gegen die Aberkennung ihres Doktortitels war vom Verwaltungsgericht Düsseldorf abgewiesen worden.

30. März 2014

Hausaufgabe der Kirchen und nachhaltiger Fehler. Gastbeitrag von Ludwig Weimer

Jetzt lag das evangelisch-katholische Papier 22 „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ im Briefkasten: feierlich gedruckt, so dass seine inhaltlichen vereinten Schwächen umso dreifarbig-deutlicher hervorstechen. Wen erschüttert die Formulierung einer These wie: Wirtschaftliches Wachstum in den Dienst für den Menschen stellen?

Ich will vor allem auf ein einziges textimmanentes Problem aufmerksam machen, weil ich es für das wichtigste halte.

25. März 2014

Marginalie: Ursula von der Leyen und Private Paula´s Krapfen

Die Bundeswehr hat Schwierigkeiten mit dem Nachwuchs, soll heißen als "attraktiver Arbeitgeber" in Erscheinung zu treten. Insbesondere seit Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht sind die Abbruchquoten derer, die freiwilligen Wehrdienst leisten, stark gestiegen. Daß dies auf eine bei jungen Menschen gesunkene allgemeine Frustrationstoleranz und Bereitschaft zum Hinnehmen von Härten zurückzuführen, oder daß die mangelnde Attraktivität der Truppe gar auf  jahrzehntelangen politisch und medial transportierten Radikalpazifismus zurückzuführen sei, mag man offensichtlich nicht so sehen; das wäre wohl zu naheliegend. Dafür plant  die Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, die Zugangsvoraussetzungen zur Bundeswehr zu überprüfen, was heißen soll: herabzusetzen. Hier hat sie im bundesdeutschen Bildungssystem freilich ein gutes Vorbild, wo man bereits seit langem nach der Maxime handelt: kommt ein Schüler nicht mit, dann senke die Standards für alle.

24. März 2014

Zitat des Tages: Mit Dank an die Krim-Krise


Fast muss die Wirtschaft der Krim-Krise dankbar sein. Die unerwartete Machtprobe, in die der russische Präsident die Europäer zwingt, führt der Koalition vor Augen, wie schnell die Wirklichkeit einen anderen Verlauf nimmt als geplant.

Heike Göbel in einem auf FAZ.net abrufbaren Artikel.


Kommentar: Heike Göbels lesenswerter Beitrag zieht eine wenig schmeichelhafte 100-Tage-Bilanz der Großen Koalition. Man wird den dortigen Ausführungen kaum widersprechen können. Treffend wird darin die Positionierungsstrategie des Regierungsjuniorpartners charakterisiert:

Die SPD hat sich die Schlüsselressorts für Wirtschaft und Soziales gesichert, um wieder als Schutzmacht des (kleinen) Bürgers sichtbar zu werden. Und zwar ganz handfest. Immer geht es ums Geld: höhere Niedriglöhne, abschlagsfreie Frührente, gedeckelte Mieten, günstiger Grünstrom – im Subtext jedes Gesetzentwurfs findet sich Umverteilung, wie auch immer verbrämt.

Mit Frank-Walter Steinmeier besetzt die SPD auch das Auswärtige Amt. Handfestigkeit in der Ressortführung kann man ihm wohl schwerlich vorwerfen, ebenso wenig rhetorische Bestimmtheit, wie folgende Passage aus einem Interview mit der WELT nahelegt:

22. März 2014

Die Farbe der Freiheit. Ein Gastbeitrag von nachdenken_schmerzt_nicht

Nach Artikel 13 unseres Grundgesetzes ist die eigene Wohnung unverletzlich, ihre Privatheit also ein Grundrecht. Dieses Grundrecht kann nach Absatz 4 nur bei "Gefahr im Verzug", unter besonderen Bedingungen also, außer Kraft gesetzt werden. Eine richterliche Anordnung muß in jedem Fall nachgeholt werden. – Nicht so jedoch, wenn der grüne Moralist antritt die Welt zu retten.
Der Bremer Umweltsenator Dr. Joachim Lose plant einen neuen Gesetzentwurf, durch den "Beauftragte einer Behörde" autorisiert werden sollen, ohne weiteren Beschluß Privatwohnungen zu betreten. Dies ist aus seiner Sicht notwendig, um zu verhindern dass freie Bürger das Falsche tun: "Klimaschädliche" Elektroheizungen in ihren Wohnung zu installieren. Wenn es also darum geht den Menschen auf den "rechten Weg" zu bringen, kann auch das Grundgesetz nicht das letzte Wort sein.

20. März 2014

Marginalie: Krimsekt

Zu dieser kleinen Marginalie hat mich der großartige Text vom Kollegen Doeding inspiriert, der treffend die Boykottfarce um Produkte aus den "Siedlungsgebieten" beim Namen nennt.

In vielen Ländern der EU ist die anscheinend größte Sorge von politisch interessierten Verbrauchern, aus Versehen ein Produkt aus einer jüdischen Siedlung in der Westbank zu kaufen und - Gott bewahre - wömiglich gar zu verspeisen.

Die ansonsten mehr als unauffällige EU-Außenbeauftragte Lady Ashton tut, was eine Politikerin in Deutschland (vulgo: Claudia Roth) nicht besser tun könnte: Sie nimmt die Sorgen der Menschen ernst.

Nun ist aber die EU gerade von dieser Herzensangelegenheit abgelenkt und befasst sich mehr oder weniger intensiv mit den Geschehnissen in der Ukraine. Nachdem wir uns im vorigen Absatz erst daran erinnert haben, dass überhaupt über eine Außenbeauftragte verfügen, so tritt diese plötzlich wieder in Aktion:
European foreign policy chief Catherine Ashton has strongly condemned Russia for its role in the "so-called" referendum in Crimea, which she described as "illegal and in clear breach of the Ukrainian constitution".

19. März 2014

Die Demokratie als Brückentechnologie

Zettel war es sehr wichtig auf die seiner Meinung nach bestehende Anfälligkeit der Piratenideologie zum Totalitarismus und zur Tyrannei hinzuweisen. Mehr noch, gerade gegen Ende seines Lebens lag es ihm sehr am Herzen möglichst viele Menschen vor dieser, seiner Meinung nach schon fast zwangsläufigen Entwicklung der Piratenpartei zu warnen und zu diesem Zwecke auf ältere Artikel seinerseits zu diesem Thema hinzuweisen.

18. März 2014

Oxfam, der Sozialismus und die Juden

Es ist schon ein bemerkenswerter Vertrauens- und Reputationsvorschuß, den Nichtregierungsorganisationen (sog. NGOs) bei Medien und Öffentlichkeit genießen. Ich nehme an, daß dieser Vertrauensvorschuß auf einem klassischen logischen Fehlschluß basiert. Wenn man, oft zurecht, annimmt, daß Regierungsorganisationen partikulare (Eigen)interessen vertreten und diese öffentlichkeitswirksam sowie selektiv artikulieren, so meint man hiervor bei NGOs anscheinend weitgehend sicher zu sein. Bei NGOs, so der öffentliche Tenor, werden zumeist hehre, idealistische und altruistische Motive, die der "Allgemeinheit" dienten verfolgt. Der Fehlschluß liegt in der Zuordnung von "abhängigen Partikularsrinteressen" zum Konzept "Staat", so daß "Freiheit von staatlichem Einfluß" in der Vorstellung dann automatisch auch zur Freiheit von derartigen Abhängigkeiten wird. Solches nimmt man selbstverständlich auch bei Oxfam an, einem Verbund verschiedener Hilfsorganisationen, der sich nichts Geringeres als eine gerechtere Welt auf die Fahne geschrieben hat.

16. März 2014

Zitat des Tages: Der verklärte Blick auf die DDR


Auch nach 25 Jahren Aufarbeitung ist es uns offenbar nicht gelungen, in der Gesellschaft zu verankern, dass die DDR eine menschenverachtende Diktatur war. Die Hauptschuld daran trägt die Linkspartei, die den DDR-Verklärern immer wieder politischen Rückhalt gibt. Man braucht nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man die SED-Diktatur lobt. 
Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, zitiert in diesem Welt-Artikel. 

Kommentar: Man kann diese Einsichten nicht oft genug wiederholen, zumal im wiedervereinigten Deutschland ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall Ostalgie und die Relativierung des vom real existierenden Sozialismus begangenen Unrechts eine verbreitete gesellschaftliche Einstellung zu sein scheinen. „Es war nicht alles schön in der DDR“, fasst wiederum die Welt diesen verharmlosenden Blick auf die Vergangenheit treffend zusammen und erläutert die mittlerweile im Mainstream angekommene apologetische Haltung gegenüber dem schlechteren Deutschland folgendermaßen:
Jedem Gesamtdeutschen im Jahr 2014 kommt die DDR, wenn sie so quellenunkritisch aus ihrer Aktenlage und aus den Erinnerungen ihrer Insassen rekonstruiert wird, irgendwie idyllisch vor. Die selbstbewussten Frauen, Nackte an den Stränden, Arbeit, Sicherheit und Freizeit. Selbst die Mangelwirtschaft wirkt, wenn man sie heute sieht, wie ein vom Staat gelenktes großes Downgrading. [...]
Da erscheint das Aber [der überwachende und bevormundende Unrechtsstaat] gar nicht mehr so schlimm, beinahe wie ein aufregendes Abenteuer.

15. März 2014

Ein paar Gedanken zu freien Gedanken oder warum unsere Eltern alle Rassisten waren.


Wussten Sie schon, dass die allermeisten unserer Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel im Grunde ihres Herzens Rassisten waren, die gleichzeitig islamophob, homophob und obendrein noch was gegen Kinder hatten? Obendrein waren sie hinterwäldlerisch, ungebildet und -wichtig heutzutage- ausgesprochen dumpf. Glauben Sie nicht, lieber Leser? Dem ist aber so, wie ich Ihnen gerne im Weiteren erklären möchte. Aber seien Sie vorsichtig, womöglich entdecken Sie, dass Sie eventuell  auch das eine oder andere Attribut für sich in Anspruch nehmen können, wenn Sie nur lange genug leben.

14. März 2014

Der Uli und der Michel


Ganz Deutschland diskutiert seit gestern kurz nach 14 Uhr über das Urteil im Hoeneß-Prozess. Den einen ist es zu milde, den anderen zu streng, viele geben sich damit zufrieden. Aber kaum jemand gibt zu Protokoll, überhaupt kein Interesse an diesem Thema zu haben - obwohl das sonst auch ein beliebter Reflex bei "großen" Themen ist. 

Aber es geht schließlich um Steuern, und das lässt niemanden kalt, wie ich in einem früheren Artikel zum selben Thema ausgeführt habe.

Ich will hier auch nicht die Frage erörtern, ob Uli Hoeneß Gerechtigkeit widerfahren ist, denn diese bekommt man von der Justiz bekanntlich nicht, sondern allenfalls ein Urteil. Statt dessen werde ich das Thema "Steuern als Volksobsession" an Hand einer kleinen Geschichte wieder aufgreifen.

Das deutsche Einkommenssteuersystem lässt sich mit einer Familie mit unmündigen Kindern vergleichen, in der der Vater Staat dem deutschen Michel zuerst sein gesamtes erwirtschaftetes Einkommen wegnimmt und dann ein Taschengeld für seine persönlichen Lebenshaltungskosten zugesteht. 

13. März 2014

Meckerecke: Wie die "Welt" den Rechtsstaat versteht

Die interessantesten Reflexionen zum Fall Ulrich H., die ich heute in den unendlichen Weiten der digitalen Sphäre gelesen habe, finden sich bei Rayson und im Blog zum Medienrecht des Rechtsanwalts Kompa. Dieser weist völlig zutreffend darauf hin, dass das heute vom Landgericht München II verkündete Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist und deshalb zugunsten von H. nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt.

Selbst wenn das Urteil heute rechtskräftig geworden wäre, könnte niemand daran gehindert werden, seine Solidarität mit H. zu bekunden. Ein Strafurteil ist ja keine umfassende und abschließende Bewertung des Charakters eines Menschen, sondern eine Sanktion für eine oder mehrere seiner Handlungen.
 
Bei der WELT scheint man da irgendetwas nicht ganz verstanden zu haben. Wie sonst ist die Unterschrift „,Mia san mia’ statt Rechtsstaat“ unter einem Video zu erklären, das H.-Unterstützer bei einer Versammlung vor dem Münchner Justizpalast zeigt? Wohlgemerkt: Die Sprechchöre fanden vor dem Gerichtsgebäude statt und nicht im Verhandlungssaal. Als im Verfahren über die dritte Startbahn des Münchner Flughafens die Urteilsverkündung durch Pfiffe und das Absingen der Bayernhymne unterbrochen worden war, ist man bei der WELT nicht auf eine solche Schlagzeile gekommen - von deren bavarophobem Unterton ganz zu schweigen. 

Noch einmal zum Mitschreiben für das Personal des Globusblatts: H. genießt die – gemäß Ziffer 13 des Pressekodex – auch für die gedruckte Meinung verbindliche Unschuldsvermutung. Wer sich vor dem Gerichtsgebäude bei H. für dessen Verdienste um einen bekannten deutschen Fußballverein bedankt und seiner Sympathie für den Angeklagten Ausdruck verleiht, ist nicht schon allein deshalb ein Feind des Rechtsstaats.
Noricus

Änderung 14.03.2014, 06.05 Uhr: Die Verpflichtung der Presse auf die Unschuldsvermutung findet sich in Ziffer 13 des Pressekodex und nicht - wie hier zunächst irrtümlich vermerkt - in Ziffer 16.

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.

12. März 2014

Zitat des Tages: Die Dialektik der Sperrklausel


Die Hürde für den Einzug in die Knesset wird künftig nicht mehr bei zwei, sondern bei 3,25 Prozent liegen. Die Koalition um Ministerpräsident Netanjahu begründet diese Wahlrechtsnovelle mit der Verbesserung der Regierbarkeit Israels und einer Vermeidung der Zersplitterung des Parlaments. Kritiker sehen darin einen Versuch, arabische Parteien beziehungsweise palästinenserfreundliche Fraktionen von der Teilnahme an der Gesetzgebung auszuschließen. Michael Borgstede schreibt in der WELT:
Praktisch macht das Gesetz der arabischen Minderheit also genau jenen Meinungspluralismus unmöglich, den die zahlenstärkere jüdische Mehrheit für sich selbstverständlich in Anspruch nimmt.

10. März 2014

Gute Ressentiments, böse Ressentiments


In Rainer Werner Fassbinders skandalumwittertem Stück Der Müll, die Stadt und der Tod beteuert der Spekulant Hans von Gluck, nachdem er seiner Abneigung gegen einen jüdischen Konkurrenten in drastischen Worten Ausdruck verliehen hat:
Das ist kein Witz. So denkt es in mir.
Henryk M. Broder schrieb zu dieser Passage einmal im SPIEGEL:
Kein Antisemit reflektiert seine Ressentiments, grübelt, wie "es" in ihm denkt.
Dies dürfte zwar auf die allermeisten Fälle zutreffen. Doch ein Ding der Unmöglichkeit ist das reflektierte Ressentiment keineswegs. Bisweilen wird ein Mensch des Umstands gewahr, dass es in ihm denkt, dass er gewisse Einstellungen und Vorurteile hegt, die sich der Ratio und dem Verstand widersetzen.
Ein Beispiel für ein reflektiertes Ressentiment hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff jüngst in einer Rede im Dresdner Schauspielhaus geliefert. In ihrem Vortrag mit dem Titel Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod sprach sie sich gegen die künstliche Befruchtung (und die in Deutschland für den eingreifenden Dritten ohnehin strafbare Leihmutterschaft) aus und bekannte, dass ihr
das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar  geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft (Seite 12 f).

6. März 2014

Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Zur Fastenaktion der EKD

Während die Katholiken am Aschermittwoch daran erinnert weden, dass sie Staub sind und zum Staub zurückkehren werden und der Verzicht auf persönlichen Genuss im Vordergrund steht, tendiert die evangelische Kirche zur publikumswirksamen Aktion.* Verzichtet wird ebenfalls, aber nicht auf so etwas Banales wie den sonntäglichen Schweinsbraten oder das Feierabendbier. 


4. März 2014

Und sie verstehen sich doch – Deutsche Sprache, fremde Sprache


Man stelle sich folgenden, nicht ganz frei erfundenen Sachverhalt vor: Ein junger Mann bayrischer Provenienz, er mag etwa zwanzig Lenze zählen, betritt am Morgen nach einer durchzechten Nacht eine rheinländische Bäckerei. Sein noch etwas vernebelter Blick schweift über die verschiedenen Köstlichkeiten, die eine Wiederauffüllung seines durch den Ausnüchterungsprozess arg beeinträchtigten Nährstoffbudgets verheißen. Plötzlich bleiben seine Augen an einer runden, besonders fetthaltigen Variante des Teigwarengeschlechts hängen. Ohne sich zu entsinnen, dass er fern der Heimat weilt, ruft er der Verkäuferin fast lüstern entgegen: „Zwei Krapfen bitte!“

Stille. Einen Moment lang geschieht nichts. Und just in dem Moment, als sich unser junger Freund seines sprachlichen Fauxpas bewusst wird, entgegnet ihm die Verkäuferin in rheinischem Frohnaturen-Ton: „Ach, Sie meinen Berliner. Bei uns heißen die Berliner.“

3. März 2014

Der Schatten von München

Manche fühlen sich aktuell, noch unter dem frischen Eindruck des 100-Jahre-Gedenkens, an den Ausbruch des ersten Weltkriegs erinnert. Aber das paßt eigentlich überhaupt nicht - es stehen sich keine kriegsbereiten Großmächte gegenüber, denen nur ein Zündfunke fehlt.

Beklemmend sind dagegen die Parallelen zum März 1939. Hitler läßt die Wehrmacht in tschechisches Gebiet einrücken und annektiert das Land. Obwohl er im Münchner Abkommen von 1938 Frieden versprochen und den Bestand des Nachbarlands zugesagt hatte. Die westlichen Großmächte hatten auf Appeasement gesetzt und müssen ohnmächtig zuschauen, wie der Diktator sich über alle völkerrechtlichen Abmachungen hinwegsetzt und sie zum Gespött macht.

Auch Putins Angriff auf die Ukraine ist ein klarer Bruch der Vereinbarungen, in denen Rußland 1994 in Budapest die Grenzen des Nachbarlands garantiert hatte. Und wieder müssen die westlichen Großmächte, die auf Abrüstung gesetzt hatten, der Skrupellosigkeit des Diktators ohnmächtig zuschauen.

Man kann noch einige Parallelen mehr finden. Der verletzte Stolz einer Großmacht, die wesentliche Einbußen hinnehmen mußte und die neue Friedensordnung wieder zu ihren Gunsten revidieren möchte. Die Ausnutzung von Minderheitenproblemen in den Nachbarländern. Und sogar der Versuch, mit einer prachtvollen Olympiade internationalen Ruhm zu gewinnen. Um dann die Panzer rollen zu lassen.

Aber Geschichte wiederholt sich nie mit völlig gleichen Ergebnissen. Putin ist nicht Hitler, obwohl seine Fixierung auf außenpolitische Machtpolitik fast ähnlich dominant ist. Und die Ukraine ist trotz ihrer internen Zerrissenheit kein hilfloses Opfer. Noch ist völlig offen, wie die Krise ausgeht.

2. März 2014

Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa


Überall in der ehemaligen Sowjetunion leben russischstämmige Menschen. Ihre Vorfahren wurden, in den Ländern die der Sowjetimperialismus annektierte, angesiedelt, um die Identifikation der unterdrückten Völker zur eigenen Nation und Kultur zu brechen.
So sank, lt. Wikipedia, in der Estnischen SSR die Zahl der Esten von 88% vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges auf 61,5% im Jahre 1989, während die Zahl der Bürger mit ostslawischem kulturellen Hintergrund im gleichen Zeitraum von 8,2% auf 35,2% stieg.
Der Prozess der Russifizierung begann schon im russischen Zarenreich und wurde flankiert vom orthodoxen Staatskirchentum.
Wie auch in diesen Tagen orthodoxe Geistliche in mitten russischer Besatzer auf der Krim zu sehen sind. Bei denen es sich übrigens ebenfalls um russische Orthodoxe handeln müsste. Dazu aber später mehr.

Wladimir Putin könnte mit seiner für 2015 geplanten Gründung einer Eurasischen Union eine Wiederauflage der Sowjetunion anstreben, sagte im Dezember 2012 Hillary Clinton.
Unter diesem Blickwinkel betrachtet, ist nicht nur der Georgienkrieg 2008 Teil dieser Bestrebung durch Putins Russland, sondern vor allem seine derzeit im Vollzug befindliche Annexion der Krim, wo auf Regierungsgebäuden bereits von Militärs die russische Flagge gehisst wird.

Zu Zettels Todestag (6): Rußland

Zum Abschluß unserer kleinen Gedenkserie zu Zettels Todestag geht es um ein recht aktuelles außenpolitisches Thema: Rußland.

Zettel hat über dieses Land, und insbesondere über die Politik Wladimir Putins, sehr viel geschrieben; sein letzter Artikel "Rußland auf hegemonialem Kurs" stammt vom 10. Januar 2013. Er stellt die Prognose von Stratfor für das Jahr 2013 vor, bietet Links zu früheren Artikeln und schlägt schließlich einen Bogen zur deutschen Energiepolitik.

Von den älteren Artikeln vermittelt besonders "Entkolonialisierung oder 'Selbstverstümmelung'? Rußlands auf dem Weg zurück zu einer imperialen Politik" vom 16. November 2008 einen guten Einblick in Zettels Deutung der neueren russischen Geschichte.

(Der von Zettel erwähnte Vortragstext von Igor Maximytschew ist leider nicht mehr im Netz auffindbar.)

Kallias

1. März 2014

Meckerecke: Gemeinsame Inkompetenz

Schon immer war den Hierarchen der Amtskirche ein mäßiger und bescheidener Lebensstil der ihnen untertanen Schäfchen ein Herzensanliegen. Luxus und Verschwendung waren schließlich Chefsache und jeder privat verprasste Dukaten fehlte womöglich hinterher beim Zehnten.
Inzwischen ist das Problem dringlicher geworden. Während deutsche Bischöfe mit ihren gottgewollten und steuerfinanzierten Bezügen (B7 bis B10, 9000 - 12000 €, zuzüglich Dienstwohnung und Dienstwagen) darben müssen, steigert der global entfesselte Kapitalismus den weltweiten Wohlstand. Da muß eingeschritten werden.

Egal was sie theologisch trennt, hier sind sich katholische und evangelische Bischöfe einig. "In gemeinsamer Verantwortung" veröffentlichen sie eine Sozialinitiative um dem wüsten Treiben Einhalt zu bieten, sie kritisieren "Gier und Maßlosigkeit". Und breiten auf vielen Seiten aus, was sie in den Parteiprogrammen von Grünen und Kommunisten so alles gefunden haben. In der Bibel werden sie jedenfalls nicht fündig geworden sein, wenn es um die angeblichen Ursachen der Finanzkrise oder die Beurteilung der deutschen Haushaltslage geht.

Man kann davon ausgehen, daß keiner der hohen Herren auch nur den Unterschied zwischen einer Aktie und einem Optionsschein kennt. Aber ganz sicher sind sie sich, daß der Handel mit diesem Teufelszeug irgendwie stärker staatlich kontrolliert werden muß.
Und demnächst liefert uns dann der Vorstand der Deutschen Bank eine Exegese der Offenbarung des Johannes ...

Aber abgesehen davon, daß sie sich ausführlichst zu allen möglichen Sachen äußern, von denen sie keine Ahnung haben: Welche "Verantwortung" beanspruchen sie denn hier?

Sollte jemand tatsächlich ihren Vorschlägen folgen - werden sie dann "mea culpa" anerkennen, wenn es dann schief geht? Wohl nicht. Sie werden sich in ihre Bischofspaläste zurückziehen und weiter über das Elend der Welt klagen.
Sie sind so wenig für das wirtschaftliche Geschehen in Deutschland verantwortlich wie ein Theaterbesucher für die Qualität der Aufführung. Die "gemeinsame Verantwortung" ist eine Floskel, Verantwortung übernehmen können sie nicht und wollen sie nicht.
R.A.

© R.A.. Für Kommentare bitte hier klicken.

Zu Zettels Todestag (5): Der Achtundsechziger

Im Jahre 1968 ist Zettel 30 Jahre alt gewesen. Kein Student mehr, noch nicht Professor. In einer kleinen Serie erinnerte er sich 40 Jahre später an diese Zeit. Ich habe die Artikel seiner Serie "Wir Achtundsechziger" leicht gekürzt zu einem zusammengefasst, deshalb Vorsicht: es folgt ein langer Schmöker!

Kallias