In Rainer Werner Fassbinders skandalumwittertem Stück Der Müll, die Stadt und der Tod beteuert der Spekulant Hans von Gluck, nachdem er seiner Abneigung gegen einen jüdischen
Konkurrenten in drastischen Worten Ausdruck verliehen hat:
Das ist kein Witz. So denkt es in mir.
Henryk M. Broder schrieb zu dieser Passage einmal im SPIEGEL:
Kein Antisemit reflektiert seine Ressentiments, grübelt, wie "es" in ihm denkt.
Dies dürfte zwar auf die allermeisten Fälle zutreffen. Doch
ein Ding der Unmöglichkeit ist das reflektierte Ressentiment keineswegs. Bisweilen
wird ein Mensch des Umstands gewahr, dass es in ihm denkt, dass er gewisse Einstellungen und
Vorurteile hegt, die sich der Ratio und dem Verstand widersetzen.
Ein Beispiel für ein reflektiertes Ressentiment hat die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff jüngst
in einer Rede im Dresdner Schauspielhaus
geliefert. In ihrem Vortrag mit dem Titel Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod sprach sie sich gegen die künstliche Befruchtung (und die in
Deutschland für den eingreifenden Dritten ohnehin strafbare Leihmutterschaft) aus
und bekannte, dass ihr
das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft (Seite 12 f).
Es mag kaum überraschen, dass ein Sturm der Entrüstung über
die Autorin hereingebrochen ist. (Links auf einige der empörten Reaktionen
findet man in einem Beitrag Sophie Dannenbergs für die Achse des Guten.) Sogar der Chefdramaturg am Staatsschauspiel
Dresden, Robert Koall, meldete sich mit einem offenen Brief zu Wort (Zitate auf
Seite 3), in dem er „einen schleichenden Klimawandel in der Gesellschaft“ diagnostiziert
und Lewitscharoff vorwirft, sie bemühe sich „nicht um Toleranz und Solidarität, um Gemeinschaft
und Gemeinwohl.“ Mit ihrer Klimax schließt die Erwiderung:
Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte.
Abgesehen davon, dass in Deutschland angesichts des
Grundrechts auf freie Meinungsäußerung niemand dazu
verpflichtet ist, in seinen Äußerungen für Toleranz, Solidarität, Gemeinschaft
und Gemeinwohl einzutreten, ist nicht recht ersichtlich, was an Lewitscharoffs Äußerungen
gefährlich sein soll: Die Vortragende lässt ja keinen Zweifel daran, dass es
sich bei der Projektion ihres Ekels um ein Ressentiment handelt, das
eingestandenermaßen völlig irrational ist. Wie es in ihr denkt, wird zur Nachahmung ja gerade
nicht empfohlen.
Gefährlich werden Ressentiments erst dann, wenn sie sich den
Anschein des Vernünftigen, des Belegten, des Objektivierbaren geben. Und auch
hier wird man – worauf Gideon Böss in seinem Blog hinweist – bei Sibylle
Lewitscharoff fündig: In ihrer Eröffnungsrede zur Messe „Buch
Wien“ anno 2013 erging sich die Schriftstellerin nämlich in einer Tirade gegen das
Online-Versandhaus Amazon:
Wenn ich eine Firma hasse, dann diese! Amazon bezahlt keine Steuern in den Ländern, in denen dieser widerliche Klub eine Menge Geld verdient, er bezahlt seine Angestellten empörend schlecht, ruiniert die Buchhändler und zunehmend auch die Verlage. Mit zusammengebissenen Zähnen musste ich neulich in Rom bei Amazon ein Buch bestellen – einfach, weil es in dem Viertel, in dem ich wohne, überhaupt keine Buchhandlungen mehr gibt und Feltrinelli in der Innenstadt das Buch nicht besorgen konnte.[…]Das, mit Verlaub, ist eine ziemlich scheußliche neue Welt. Sollte es mir vergönnt sein, den Tod dieser verhassten Firma noch zu erleben – was leider nicht sehr wahrscheinlich ist –, werde ich mit einem Jubelruf auf den Lippen ins Grab sinken.
Man mag die von Lewitscharoff angeführten Argumente unschwer
als Strohmänner identifizieren, die ein tief sitzendes Ressentiment gegen den „Monopolkapitalismus“
nur unschwer verdecken können. Ironischerweise hätte die Schriftstellerin
angesichts ihrer römischen Erfahrungen ohne weiteres zumindest auf eine Ursache
von Amazons geschäftlichem Erfolg kommen können.
Reaktionen auf dieses holzschnittartige Unternehmensbashing blieben weitgehend
aus, wie Gideon Böss anmerkt. Jedenfalls enthielt sich die federführende Elite
dieses Landes einer negativen Stellungnahme. Es scheint also zu gelten: Alle Ressentiments sind gleich,
doch manche sind gleicher als andere. Wer an dieser Feststellung noch Zweifel
hat, möge einen Blick in die aktuelle SPIEGEL-Online-Kolumne von Sibylle Berg
werfen. Dort heißt es im Vorspann:
Was bringt gutsituierte, weiße, heterosexuelle Menschen wie Sibylle Lewitscharoff dazu, über Dinge zu schwafeln, die sie nicht betreffen?
Quod erat demonstrandum.
Noricus
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