6. März 2014

Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Zur Fastenaktion der EKD

Während die Katholiken am Aschermittwoch daran erinnert weden, dass sie Staub sind und zum Staub zurückkehren werden und der Verzicht auf persönlichen Genuss im Vordergrund steht, tendiert die evangelische Kirche zur publikumswirksamen Aktion.* Verzichtet wird ebenfalls, aber nicht auf so etwas Banales wie den sonntäglichen Schweinsbraten oder das Feierabendbier. 


Die lutherische Kirche in Norddeutschland ruft zum Beispiel zum Stromfasten und zum Konsum fair gehandelter Produkte auf. Natürlich in gerechter Sprache und mit geradezu unprotestantisch erscheinendem Pathos:
Wir essen vom Unrecht an Menschen und Tieren
unsere Milch schmeckt bitter von der Hoffnungslosigkeit der Bauern
/ an unseren Dingen klebt die Verzweiflung von Menschen
/ in unseren Kleidern glänzen die Tränen der Frauen aus Bangladesh.
Das Evangelium sieht für das Fasten unmissverständliche Regeln vor: 
Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der auch das Verborgene sieht; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. (Mt 6)
Über diese Anweisung wird bei derartigen Aktionen großzügig hinweggesehen, denn wenn das Fasten nicht die Welt verbessert, macht es keinen Spaß.

Auch die EKD posaunt alljährlich zu einer großen Fastenaktion. Sie steht diesmal unter dem Motto "Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten". In einem selbst für dieses Genre überdurchschnittlich verschwurbelten Leittext von chrismon-Chef Brummer bin ich über eine Passage gestolpert, die mich aufhorchen ließ:
Es kann nämlich durchaus ­gefährlich sein, Denkverbote zu ignorieren und den Chef auf einen Fehler hinzuweisen. Mut braucht es auch, Gewohnheiten und Traditionen infrage zu stellen – im Job, in der Familie oder in der Kirche.
Denkverbote, die zu ignorieren gefährlich ist? Da war doch was? Macht jetzt ausgerechnet die EKD zur Fastenzeit den Sarrazin? Dem sie vor ein paar Jahren noch höchstoffiziell das Überschreiten einer "roten Linie" bescheinigt hat?   

Gemach. Der organisierte Protestantismus - gerade in Deutschland - versteht sich spätestens seit den 68er Jahren im Grundsatz als "gesellschaftskritisch", "gegen den Strom schwimmend", "unbequem", "querdenkend" - eine Liste dieser Gemeinplätze könnte man weiterführen, bis das Phrasenschwein überquillt. Dabei beruft man sich unmittelbar auf die Reformation
Wir haben uns an dem Themenjahr 2014 der Reformationsdekade orientiert: Reformation und Politik. Martin Luther ebnete damals schon den Weg zu Freiheit und Demokratie, indem er sagte: „Ich bin ein intelligenter Mensch und manche Dinge kann ich so nicht akzeptieren. Ich muss mich nicht unterordnen und zu allem Ja und Amen sagen. Ich darf selber denken.“ Davon profitieren wir als demokratischer Staat noch heute. Reformation bedeutet auch, dass sich die Menschen zu alltäglichen Dingen ihre Gedanken machen.
Nun gut, dass der alte Fürstenknecht Luther alles andere als ein Demokrat war, mag ja eine historische Gewissheit sein, die Herr Brummer gerade selbst denkend in Frage stellt. Geschenkt. Aber was passiert jetzt weiter? Werden in den nächsten Wochen an evangelischen Kirchentüren unaufhörlich Hammerschläge ertönen und Pamphlete zu lesen sein, die die landläufigen Gewissheiten des 21. Jahrhunderts in Frage stellen? 

Ich glaube nicht. Denn die Türen sind sperrangelweit offen, und der einzige Zweck der Aktion besteht darin, sie möglichst geräuschvoll einzurennen. 

Die evangelische Kirche hat sich von der Wiege des Geistes in Deutschland zu einem Lautsprecher des Zeitgeistes gewandelt, der gar nicht daran denkt, vom Mainstream abzuweichen. Alexander Kissler, einer der verbliebenen pointiert konservativen Publizisten, hat dieses Phänomen in aller Deutlichkeit beschrieben:
Symptom der Schwafelkirche ist auch die nicht enden wollende Publikationsflut der Landesbischöfinnen und -bischöfe. Unterhalb von Margot Käßmann, der Königin der Soforteinfühlung, drängelt sich die zweite Liga. Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm posiert in kurzem Hemd auf dem Cover eines Gesprächsbandes, dessen Ko-Autor der eigene Sohn ist. Mehr Kumpel, mehr Lässigkeit geht nicht. Im Innern erzählt Vater Heinrich, Glück bedeute, „nicht aus der Knappheit leben“ zu müssen und dabei „die Frage sozialer Gerechtigkeit“ zu berücksichtigen. Die biblische Schöpfungsgeschichte sei „für ökologische Fragen von heute von großer Bedeutung“. Jesus wiederum war die „personifizierte Kraft der Beziehung“ und ein „ganz besonderer Mensch“, ein „Prophet“ und „ethischer Lehrer“, der „als Sohn Gottes bezeichnet wird.“ Glücklicherweise habe die feministische Theologie den „patriarchalen Gehalt“ der biblischen Texte relativiert. Die Kirche besitze „eine ungeheure Bedeutung für die soziale Infrastruktur“. 
Der amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, plaudert derweil in Buchform mit seiner Ehefrau. Er erklärt uns, was er schwierig findet, was ihn bewegt, wofür er „ganz viel Verständnis“ hat und warum es „Querdenkerinnen und Querdenker“ brauche, auch unter „Christinnen und Christen“: damit die „Spreizung der Einkommen“ abnehme. Da sei, so Nikolaus Schneider, „eine sozialstaatliche Systematik von Recht und Gerechtigkeit“ gefragt. Auch der Einsatz für „Reduktionsziele bei den Welthandels- und Weltklimakonferenzen“ sei Christenpflicht.
In diesen zwei Absätzen sind so ziemlich alle politischen und gesellschaftlichen Gemeinplätze enthalten, die momentan auch sonst in der öffentlichen Debatte en vogue sind. Wie die EKD-Oberen die für gefährlich, unbequem und querdenkend halten können, erschließt sich mir nicht. Aber anscheinend tun sie es, und werden dafür mit dem wohligen Gefühl des kritischen Geistes belohnt.

Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.
Meister Petz

* Disclaimer: Selbstverständlich gibt es zur Fastenzeit auch Zeitgeistreiterei in der katholischen Kirche, wenn auch weniger auffällig.


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