30. Oktober 2018

Die große Lösung und die lästigen Formalien

Es steht schlecht um die Regierungskoalition in Berlin, die einstmals eine große war. Schon von Beginn an mochte sie keiner so wirklich, inzwischen ist sie weiten Wählerschichten geradezu verhaßt. Und nicht nur die Anhänger der in der Koalition verhakten Parteien sehnen sich nach dem Befreiungsschlag, nach der großen Lösung, die den Frust endlich beendet.

Auf SPD-Seite wird schon seit Regierungsbildung darüber geredet. Spätestens seit dem Debakel in Bayern wird in weiten Parteikreisen und dem Parteiumfeld gefordert: Sofort raus aus der GroKo, die schadet uns nur.

Auf Unions-Seite blieb der Frust länger unter der Decke und richtete sich mehr gegen die Parteiführungen als den Koalitionspartner. Aber auch hier liegen seit den Wahldesastern in Bayern und vor allem Hessen die Nerven blank. Die bisher absolut Merkel-treue Hessen-CDU hat schon am Wahlabend unisono die Schuld an der Niederlage an die Berliner GroKo abgeschoben.
Und seit nun Merkel gestern ihren Abschied angekündigt hat, gibt es auch auf Unionsseite die Hoffnung auf die große Lösung. Ein Hoffnungsträger (irgendein Friedrich Kramp-Spahn) wird neuer Parteivorsitzender, übernimmt das Kanzleramt, und dann wird die Republik wieder so wie vor Merkel.

Es ist erstaunlich, daß bei diesen Wunschvorstellungen auch erfahrene politische Aktivisten oft vergessen, daß nach dem ersten Schritt noch einige weitere kommen werden. Und die sind dann nicht so einfach und erfolgbringend. Sondern das Risiko ist groß, daß nach der großen Lösung nicht die Befreiung kommt, sondern ein noch viel größeres Desaster.

29. Oktober 2018

Merz? Ja, ist denn heut scho Weihnachten?

­Die Hessenwahl war bei Licht betrachtet vor allem eins: Ziemlich langweilig. Es stellte sich allenfalls die Frage ob die SPD noch tiefer stürzen würde, als ohnehin schon überall eingepreist war, doch am Ende kam dann wirklich ein Ergebnis raus, dass die Demoskopen im Wesentlichen so erwartet hatten (eigentlich auch einmal etwas ungewöhnliches in letzter Zeit).

21. Oktober 2018

Ein Brief an Angela Merkel

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

im Bundestagswahlkampf 2013 haben Sie mit dem Slogan „Sie kennen mich“ geworben. Das war zwar ein ungewollter politischer Witz; denn als Persönlichkeit sind Sie für die Deutschen in all den Jahren opak geblieben. Aber ich will Sie gleichwohl beim Wort nehmen. Ja, ich kenne Sie, Frau Bundeskanzlerin. Und deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass Ihnen diese lust- und mutlose Große Koalition in Berlin, diese pausenlosen Bloßstellungen, Demütigungen und Niederlagen noch den geringsten Spaß machen.

19. Oktober 2018

Moments bloguicaux: Paradoxes zum Herdenverhalten

Der Verfasser dieser Zeilen liest zwar keine bunten Blättchen. Doch wird er auf der Website seines E-Mail-Providers und in den Online-Auftritten der Qualitätsmedien gleichwohl ausreichend mit Geschichten aus dem Human-Interest-Ressort versorgt. Zugegeben: Manchmal können auch diese Nebensächlichkeiten den Anlass für eine nicht völlig belanglose Reflexion bilden.

Immer wieder wird berichtet, dass die Gewandungsgepflogenheiten aristokratischer Stilikonen, wie insbesondere der beiden Herzoginnen Kate und Meghan aus dem Vereinigten Königreich, dazu führen, dass ein Kleid in kurzer Zeit ausverkauft ist oder ein Internet-Shop zusammenbricht.

Dem Endunterfertigten stellen sich diesbezüglich zwei Fragen: Wie erkennen die Imitationswilligen so schnell, um welches Modestück es sich bei dem von den Blaublüterinnen (besser gesagt: durch Heirat blaublütig Gewordenen) handelt? Warum wollen nicht ganz wenige Frauen das gleiche Garderobenelement ihr Eigen nennen, da es doch als mittlere gesellschaftliche Katastrophe gilt, wenn zwei Damen zu einer Veranstaltung in übereinstimmendem Fummel erscheinen?

Und, als an- und abschließende Aporie des Autors hinsichtlich dieses Themas: Warum herrscht bei Männern Uniformzwang, der sich hinsichtlich der Notwendigkeit eines Strangulationsaccessoires in jüngerer Vergangenheit gottlob mehr und mehr auflockert, während den Frauen eine beneidenswerte Diversität an Körperbedeckungsvarianten offensteht?

Noricus

© Noricus. Für Kommentare bitte hier klicken.

17. Oktober 2018

Was dem einen sein Denunziant ist

­Aufgrund der Landtagswahl ist ein sehr schönes Thema in den letzten Wochen liegen geblieben: Die interessante Frage wie man richtig denunziert, wer alles ein Denunziant ist und vor allem wer alles kein solcher ist.
Doch fangen wir am Anfang an: Wie öfter in den letzten Jahren legt die AfD mal wieder vor. Nachdem sie für das Bundesland Hamburg bereits ein solches geschaffen hat, möchte sie nun auch in Sachsen ein Portal auflegen, in dem Schüler Anzeige gegen ihre Lehrer erstatten können, wenn diese die gebotene politische Neutralität missachten. Simpel übersetzt: Schüler sollen, auf Wunsch anonym, ihre Lehrer "verpetzen" können, wenn diese in ihrem Unterricht auf die AfD einprügeln.

15. Oktober 2018

It’s Upper Bavaria, stupid – Zu regionalen Besonderheiten im bayerischen Wahlverhalten

Das vorläufige Endergebnis der Wahl des Bayerischen Landtages gestaltet sich wie folgt (Angaben in Prozent):

CSU 37,2
Grüne 17,5
FW 11,6
AfD 10,2
SPD 9,7
FDP 5,1

Viele kluge Köpfe haben sich in Analysen dieses Resultats geübt. Der Verfasser dieser Zeilen möchte zum besseren Verständnis des Urnenganges im Freistaat auch sein intellektuelles Scherflein beitragen und dabei auf bestimmte regionale Besonderheiten im Abstimmungsverhalten näher eingehen. Schauen wir uns also zunächst an, wie die in den Landtag einziehenden Parteien in den einzelnen Regierungsbezirken abgeschnitten haben (alle Angaben in Prozent):

13. Oktober 2018

Ein bisschen Zahlenmagie zur Bayernwahl

Am Donnerstag habe ich mich der Landtagswahl in Bayern vom politischen Setting her genähert, heute will ich das Augenmerk auf die im Endeffekt alles entscheidenden Zahlen richten. Wenn man die in den letzten eineinhalb Monaten durchgeführten Umfragen heranzieht, ergeben sich für die Parteien, die Chancen auf einen Einzug in das Freistaatsparlament haben, voraussichtlich die folgenden Schwankungsbreiten (in Prozent ausgedrückt):

CSU 33–36
Grüne 16–19
AfD 10–14
SPD 10–13
FW 7–11
FDP 5–6
Linke 4–5

11. Oktober 2018

Weiß-blaues Wahlorama

Am Sonntag wählen wir Bayern unseren neuen Landtag. Wenn man trotz aller von Trump, Brinkhaus und dem Brexit eingeflößten Skepsis gegenüber Umfragen und Prognosen auf das vorliegende Sondierungsmaterial Bedacht nimmt, so könnte der 14. Oktober ein weiterer Meilenstein in der Erosion der Volksparteien werden. Die CSU pendelt in den Erhebungen zwischen 33 und 35 Prozent, die SPD ist in der von INSA zwischen dem 2. und 8. Oktober durchgeführten Befragung sogar auf gerade noch nicht einstellige 10 Prozent gefallen.

8. Oktober 2018

Und ewig grüßt die Apokalypse

­Vor knapp drei Jahren, im Dezember 2015, war es eine zukünftige Erderwärmung von zwei Grad Celsius, die deutlich unterschritten werden musste, um einen Übergang in eine "Heisszeit" - was immer das bedeutet - sicher zu verhindern.

Heute veröffentlichte das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) in einem Sonderbericht die Kunde, dass eine Begrenzung der zukünftigen Erderwärmung auf lediglich 1,5 Grad Celsius immer noch möglich ist. Zumindest dann, wenn man zu "beispiellosen Veränderungen" in unserer Gesellschaft bereit ist. Wer es ein bisschen weniger sachlich möchte als in der "Süddeutschen", kann das Ganze auch im Qualitätsmedium "Die Zeit", unter der Rubrik "Wissen", nachlesen: Es weht ein Hauch biblischer Apokalypse durch die Neuzeit, die sich der sündige Mensch - mal wieder - selbst einbrockt. So weit also nichts Neues, außer vielleicht, dass es heuer die ehemals progressiven, linken Kräfte der jungen Bundesrepublik sind, welche den christlichen "Schuld und Sühne" Gedanken für sich entdeckt haben und nicht die ewig gestrigen, verstaubten und naiv bibeltreuen.

Fragen zu allen Dingen überhaupt: Ist es Kunst, kann es weg, und wenn es weg ist, ist es dann noch Kunst?

"Going, going, gone". 
(Banksy)

Die Briten haben den Deutschen nicht nur Errungenschaften wie eine eigene Währung, eine Königin und den Linksverkehr voraus, sondern auch - und das gehört in Deutschland zum Pflichtwissen gebildeter Kreise: Humor. Dieser wird auch gerne geschätzt, solange er im Bereich von toten Papageien oder einschlafenden Kirchenbesuchern verweilt. Was die Deutschen dagegen nie verstanden haben, ist der sogenannte practical joke oder kurz prank. Deshalb haben wir es nie zu einer Tradition gebracht - man denke nur an Verstehen Sie Spaß, wo ein zum Verzweifeln fader Schweizer  völlig einfallslos irgendwelche Prominenten "reinlegte", das galt dann als Samstag-Abend-Unterhaltung. Die wenigen gelungenen Ausnahmen - Bernd Fritz' großartiges Buntstiftschlecken bei Gottschalk oder kürzlich Joko und Klaas' Ryan-Gosling-Fake bei der Goldenen Kamera - wurden eher missbilligt

Einen außergewöhnlichen prank hat der britische Künstler Banksy jetzt im Vatikan des Kunstmarkts, bei Sotheby's in London abgezogen. Er hatte im Rahmen eines seiner Werke einen Schredder verbaut, der just in dem Moment, als der Hammer bei einem Gebot von 860.000 GBP fiel, das Bild in kleine Streifen zerschnitten hat.   

7. Oktober 2018

Warum Kavanaughs Ernennung eine gute Nachricht ist

Brett Kavanaugh wird Richter am Supreme Court of the United States. Das ist eine gute Nachricht. Und zwar nicht nur dann, wenn man für den 53-Jährigen oder seinen Förderer Donald Trump Sympathien hegt (die dem Verfasser dieser Zeilen ebenso fremd sind wie einschlägige Antipathien), sondern auch, wenn man bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre und Dekaden bedenklich findet.

Über Kavanaughs Qualität als Jurist kann der Endunterfertigte nicht urteilen, fehlen ihm dazu doch sowohl Einblicke in die bisherige Arbeit des Mannes aus Washington als auch Kenntnisse des amerikanischen Rechtssystems, die für eine halbwegs seriöse Bewertung ausreichen würden. Um Kavanaughs Fähigkeiten als Rechtsprechungsorgan ging es in der Debatte über seine Eignung als Höchstrichter auch gar nicht. Vielmehr wurde ihm zur Last gelegt, in jungen Jahren einen moralisch verwerflichen Lebenswandel geführt zu haben, der in der versuchten Vergewaltigung eines damals 15-jährigen Mädchens gegipfelt haben soll.

3. Oktober 2018

Marginalie: Verständnis für Alan Posener? Einfach nur peinlich

­Zugegeben: Sich an Alan Posener abzuarbeiten ist nicht viel ehrenvoller als an Jakob Augstein: Beide leben in einer linken Parallelwelt, die mit der Realität in Deutschland nur am Rande zu tun hat. Dennoch lohnt es sich das neueste Elaborat aus Poseners Feder, dass er heute auf online Seite der Welt veröffentlicht hat, einmal kurz durchzulesen, erlaubt es doch einen recht klaren Blick auf das linke Denken dieser Tage.