17. Oktober 2018

Was dem einen sein Denunziant ist

­Aufgrund der Landtagswahl ist ein sehr schönes Thema in den letzten Wochen liegen geblieben: Die interessante Frage wie man richtig denunziert, wer alles ein Denunziant ist und vor allem wer alles kein solcher ist.
Doch fangen wir am Anfang an: Wie öfter in den letzten Jahren legt die AfD mal wieder vor. Nachdem sie für das Bundesland Hamburg bereits ein solches geschaffen hat, möchte sie nun auch in Sachsen ein Portal auflegen, in dem Schüler Anzeige gegen ihre Lehrer erstatten können, wenn diese die gebotene politische Neutralität missachten. Simpel übersetzt: Schüler sollen, auf Wunsch anonym, ihre Lehrer "verpetzen" können, wenn diese in ihrem Unterricht auf die AfD einprügeln.


Seitdem schäumt die Medienöffentlichkeit: Es ist die Rede vom Denunziantentum, es werden Vergleiche mit dem dritten Reich gefahren, die DDR darf natürlich auch nicht fehlen, und auch wenn der Begriff Gestapo eher (noch) nicht zu finden ist, so ist die Rede von Stasi und Totalitarismus (es ist am Rande gesagt, eine interessante Nuance, dass die selben Medien, die sonst nie die DDR und Totalitarismus in einen Kontext setzen würden, plötzlich voll davon sind, wenn es nur der guten Sache dient). Besonders aktiv ist (natürlich) der öffentlich rechtliche Rundfunk und nicht zuletzt die deutsche Lehrergewerkschaft. Die alle absolut empört sind.

Nun, wenn alle so sicher sind, dass die AfD hier ein Portal zur Denunziation schafft, dann kann es ja nicht schaden erst einmal die Frage zu stellen, was dieses "Denunzieren" eigentlich genau ist. Die Wikipedia hilft hier weiter:

"Unter einer Denunziation versteht man die (Straf-)Anzeige eines Denunzianten aus persönlichen, niedrigen Beweggründen, wie zum Beispiel das Erlangen eines persönlichen Vorteils."
Und ausserdem:
 "Im ethischen Sinn wird allgemein von Denunziation gesprochen, wenn in einem nicht freiheitlichen System Menschen auf aggressive Weise bei staatlichen Vollzugsbehörden angeschuldigt werden, obwohl dem Anzeigenden klar sein muss, dass er sie damit der Gefahr der politisch motivierten Verfolgung aussetzt."
Setzt man dies nun in den Kontext, dann hat die Definiton des AfD Portals hier zwei gewaltige Probleme: Zum einen fehlt der persönliche Vorteil, respektive niedrige Beweggrund.  Den müsste man schon konstruieren (Rache vielleicht?). Weit wichtiger ist aber etwas anderes: Wir leben eben nicht in einem unfreien System und die AfD ist auch keine staatliche Vollzugsbehörde. Das zentrale Element der Denunziation geht hier flöten: Niemand läuft Gefahr durch das Portal der AfD politisch verfolgt zu werden. Zumindest so lange man nicht behaupten will die BRD sei eine Diktatur. Simpel gesagt: Das Ganze als Denunziation zu verkaufen ist schlicht sachlich falsch. Alles was die AfD mit der Information tun kann, ist ein rechtsstaatliches Verfahren (in diesem Fall Dienstaufsichtsbeschwerde) einzuleiten, dass nicht sie kontrolliert sondern der demokratisch legitimierte Rechtsstaat. Oder noch doofer: In einem Rechtsstaat gibt eigentlich keine Denunziation.

Nun kann man solche Portale natürlich trotzdem falsch finden, auch wenn der Begriff nicht richtig ist. Dann muss man sich aber die Frage gefallen lassen, warum sie denn falsch sind. Weil sie das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler gefährden? Sagen wir es ganz direkt: Ein solches Verhältnis existiert nur in der Phantasie einiger Lehrer. Ein Lehrer hat über seinen Schüler zu schweigen, aber ein Schüler muss nicht über den Unterricht eines Lehrers schweigen. Es gibt weder ein Urheberrecht noch eine Vertraulichkeit des Unterrichtes. Vielmehr muss man sich fragen, was von einem Lehrer zu halten ist, der Angst davor hat, dass das, was er in seinem Unterricht verkündet, nach aussen dringen könnte.

Und drückt nicht die Angst vor einer Dienstaufsichtsbeschwerde gerade eine Sorge darüber aus, dass man vielleicht doch etwas falsch macht? Will die Lehrergewerkschaft hier darauf hinaus, dass man durchaus gegen die Regeln verstossen darf, so lange es nur der eigenen Marschrichtung entspricht? Dann darf man sich allerdings fragen wie lange wir wirklich noch von einem freien System sprechen können, in denen eine staatliche Institution es für sich reklamieren möchte, den Schülern aufzuoktoyieren, welche politische Meinung sie zu haben haben.

Ganz schlaue Lehrer haben sich dann überlegt, dass ja gegen die Beschwerde grundsätzlich nichts zu sagen sei, diese aber nicht in die Hände einer politischen Partei sondern an die Schulleitung gehöre. Zum einen: Der Begriff der Denunziation wird hier deutlich besser erfüllt, denn hier geht die Beschwerde nicht an eine rechtlich neutrale Stelle sondern an eine Obrigkeit, die unter Umständen nicht neutral in der Sache ist. Zum anderen aber: Wen wollen die eigentlich verladen? An meiner Schule gab es jahrelang einen Lehrer, der dafür bekannt war, dass ihm noch die NPD deutlich zu links war. Konsequenzen? Keine. Allerdings auch nicht für den nicht minder radikalen Deutschlehrer auf der linken Seite, der das Feld von seiner Seite bearbeitete. Realistisch kann man im besten Falle davon ausgehen, dass da genau null bei raus kommt, im normalen Falle wird der Schüler wohl eher mit Repressionen rechnen dürfen (beispielsweise hier ganz gut beschrieben).

Man muss den Eindruck bekommen, dass es Lehrergewerkschaft und ÖR vor allem um eins geht: Ein Problem unter dem Teppich zu halten. Der ÖR möchte nicht das in diesem speziellen Fall, die Gewerkschaft nicht im allgemeinen Fall, darüber gesprochen wird, dass Unterricht an Schulen bei weitem nicht so neutral stattfindet wie er eigentlich stattfinden müsste. Es sollte nicht den "sozialistischen Deutschlehrer" geben, der auch schonmal aus dem Kapital zitiert, genausowenig wie den "braunen Geschichtslehrer" oder den Sozialkundelehrer der Guevara vereehrt.

Nun sind Lehrer auch nur Menschen (man glaubt es kaum!). Und kein Mensch kann seine Meinung an der Tür abgeben. Aber ein Ideal kann ich auch anstreben, ohne es komplett zu erfüllen. In meiner privaten Meinung lehne ich Urheber- wie auch Patentrecht ab (warum ist ein anderes Thema). Mein Arbeitgeber ist allerdings patentrechtlich durchaus ganz gut unterwegs. Und das führt dazu, dass ich auch schon das eine oder andere Patent geschrieben habe. Ich kann meine private Meinung aus meiner Arbeit heraushalten. Das erwarte ich durchaus auch von einem Lehrer. Gerade(!) von einem Lehrer. Und ich finde es mehr als bedenklich, dass ausgerechnet eine Vereinigung von Lehrern es für normal und geboten hält, dass ihre Mitglieder nicht nur gegen die ethischen Normen ihres Berufsstandes verstossen, sondern auch noch Zeter und Mordio schreien, wenn jemand anders die Einhaltung dieser Normen einfordert. Würden Lehrer die Norm ihres Berufsstandes erfüllen, dann würde das Portal komplett ins Leere laufen.

Allerdings ist es zugegebenermaßen in Deutschland billiger einfach den Begriff des Denunzianten fallen zu lassen, statt ein Problem einzugestehen. Es wird schon keiner nachfragen.
 
Llarian

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