24. Juni 2022

火星的狗牛 – „Die Hunde des Mars“





(William K. Hartmann, "Dusk of Mars (after Frederic Church)," (2000))

„Cry ‚Havoc!’ and let slip the dogs of war.”

Marcus Antonius’ berühmt-berüchtigter Satz in der ersten Szene des dritten Aufzugs von Shakespeares Historiendrama „Julius Cäsar,“ und von August Wilhelm Schlegel leicht sinnverfremdend als „Mord rufen und des Krieges Hund entfesseln!“ wiedergegeben, ist wohl die bekannteste klassische symbolische Kopplung des Hundes mit der abstrakten Idee des Krieges. Und ebenso „klassisch“ ist die Vorstellung, den kosmischen Nachbarn der Erde, den Planeten Mars, wegen seiner schon mit bloßem Auge erkennbaren blutroten Einfärbung mit der Vorstellung des Kriegs und der Vernichtung in Verbindung zu bringen und entsprechend in seinem Auftreten am Nachthimmel und den Begegnungen mit den anderen Wandelsternen böse Vorzeichen erkennen zu wollen. Das geht weit über die Verbindung mit dem griechischen Gott des Krieges, Ἄρης, hinaus, dessen Pendant im römischen Pantheon, dem Mars, der Planet seinen heute gebräuchlichen Namen verdankt. Schon in der babylonischen Sternkunde, der die griechische vieles verdankte, war der Planet eine Verkörperung oder ein Symbol für den Kriegsgott Nergal – und auch im alten China galt das Auftauchen des „Feuersterns,“ des 火星 (Huǒ Xīng) als Ankündigung von „Krieg, Tod und Vernichtung.“ Asaph Hall, der 1877 die beiden Monde des Mars entdeckte, reihte sich in diese Tradition ein, indem er ihnen die Bezeichnungen der traditionellen Begleiter des Krieges, Furcht und Schrecken, Phobos und Deimos, verlieh.

Eine zweite, handfestere, aber nicht weniger symbolträchtige Verklammerung ergibt sich aus der leicht frivolen Feststellung, daß es im gesamten uns bekannten Universum genau zwei Planeten gibt, auf denen sich Zeichen von technologischer Aktivität , von zielgerichteter Manipulation der Umwelt, kurz: von intelligentem Leben gibt – und daß der Mars der einzige Weltkörper in diesem bekannten Universum darstellt, dessen Bevölkerung ausschließlich aus Robotern besteht. Als nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, zumindest im Westen, die Vorstellung populär wurde, daß des sich bei den Planeten unseres Sonnensystems um bewohnbare Welten nach dem Muster der Erde handeln könnte, deren Leben sich entsprechend der Darwinschen Entwicklungslehre an seine spezifischen Umwelten angepaßt hat, überwog die auf der von Simon Laplace und Immanuel Kant entwickelte Vorstellung, diese „Vielzahl der bewohnten Welten“ sei sukzessive entstanden, indem sich die Gaswolke, aus der die Planeten des Sonnensystems kondensierten, „von außen her“ abkühlten und den Weg des Lebens einschlugen, sobald die Zustände vor Ort dafür erträglich geworden waren. In dieser Sicht stellte der Mars eine „alte Welt“ dar, an der man die Zukunft der Erde bereits heute sehen konnte: eine einstmals blühende Welt, deren Ozeane verdunstet und der zur lebensfeindlichen Wüste geworden war. (Daß die Forschung durch Raumsonden, die dies seit nunmehr einem halben Jahrhundert vor Ort nachprüfen, einerseits durchaus bestätigt worden ist, andererseits hier Zeitmaßstäbe nicht von Jahrtausenden oder Jahrmillionen gelten, sondern von Jahrmilliarden, zählt zu den hübschen Ironien der Wissenschaftsgeschichte.) Insofern könnte man versucht sein, beim Mars tatsächlich „die Zukunft der Erde“ vorweggenommen zu sehen – jedenfalls in Jahrmilliarden, wenn die sich aufheizende Sonne die Ozeane tatsächlich zum Verdunsten bringt und die einzigen „Lebensformen,“ die dann noch an der Oberfläche tätig sein könnten, tatsächlich Roboter oder ähnlich beschaffene Automaten sein könnten.

14. Juni 2022

Москва - второй Билефельд





Daß die staatliche Propaganda totalitärer Systeme in Kriegs- und Krisenzeiten in unschöner Regelmäßigkeit ausgesprochen bizarr anmutende Sumpfblüten hervorbringt, darf nach den Erfahrungen mit solchen Gebilden im Lauf der letzten 100 Jahre als historisches Gesetz gelten – und insofern überrascht es kaum, daß in den russischen Medien im Zusammenhang mit Putins „Спецоперация на Украине,“ der „Spezoperazija na Ukraine“ es in dieser Hinsicht so hoch hergeht wie in den Tagen des georgischen Väterchens. In den vergangenen Wochen habe ich an dieser Stelle ja schon mehrmals über besonders groteske Beispiele dafür berichtet (hier und hier). In der vergangenen Woche ist nun ein weiterer solcher Schnörkel hinzugekommen, als in der laufenden Medienbegleitung zu lesen war, daß die russische Duma einen Antrag beschließen soll, um die 1991 erfolgte Unabhängigkeitserklärung Litauens für ungültig zu erklären und somit zumindest pro forma schon einmal „heim ins Reich“ zu holen, im Zug von Putins erklärtem Ziel des „Einsammelns russischer Erde“ (Cобирал русские земли).

Zwei Reaktionen waren bislang darauf zu verzeichnen: zum einen den Vorschlag des konservativen Abgeordneten Matas Maldeikis, der für die christdemokratische Partei „Vaterlandsbund“ (Tėvynės Sąjunga – Lietuvos krikščionys demokratai) im litauischen Parlament, dem Seimas, sitzt, der vorschlug, für den Fall, daß Präsident Putin einen solchen Beschluß unterzeichnen würde, doch im Gegenzug bitte den „Ewigen Frieden“ von 1634 außer Kraft zu setzen, der ein Ende der fast 30 Jahre lang andauernden Kriegszüge zwischen dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen auf der einen Seite und dem Zarenreich auf der anderen Seite beendet hatte, mit der Forderung, daß Herr Putin bitte die Vorherrschaft des polnischen Königs Władysław IV. Wasa (oder seines aktuellen Rechtsnachfolgers) anzuerkennen habe und die damals an Russland gefallenen Gebiete an den Westen zu restituieren habe. Von entsprechenden Forderungen deutscher Politiker nach einer Rückgabe Königbergs ist bislang nichts bekannt geworden.

12. Juni 2022

Llarians Welt: Selbstoptimierung?

Mir wurde neulich in unserem kleinen Zimmer "vorgeworfen" (zumindest war der Anwurf so verwendet), dass ich ein geistiger wie körperlicher "Selbstoptimierer" sei. Dem Vorwurf habe ich erst einmal ad hoc zugestimmt, ohne groß darüber nachzudenken. Denn es erschien mir (und erscheint mir) durchaus sinnvoll an sich selber zu arbeiten. Aber vielleicht verbirgt sich hinter diesem platten Anwurf doch etwas mehr als nur ein Begriff.

8. Juni 2022

Eine wirkliche Mondrakete: Hin und wieder zurück





I.

Gestern, am 6. Juni 2022, dem Pfingstmontag („einem Feiertag, von dem niemand weiß, wozu er gut ist,“ schreibt Norbert Hummelt in seiner gerade erschienen Tour d’horizon „1922: Wunderjahr der Worte“ über das Annus Mirabilis der modernen Literatur, zum gleichen Termin vor einem vollen Jahrhundert), hat am frühen Morgen nach Ortszeit auf dem KSC, dem Kennedy Space Center in Florida, das SLS, das Space Launch System, die Mondrakete des Artemis-Programms der NASA, zum zweiten Mal seinen Weg von dem VAB, der Montagehalle, (Englisch „Vehicle Assembly Building“) zum LC-39B, dem Launch Complex 39, der Startrampe zurückgelegt. Und wenn beim Leser der Eindruck entsteht, die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA, die National Air and Aeronautics Administration, laboriere an einem AKüFi, einem Abkürzungsfimmel, der jedem Militär zur Ehre gereichen würde, liegt er damit vollkommen richtig. (Bezeichnenderweise gibt es im Englischen nicht nur den obsoleten Fachausdruck „Acromania“ für eine verschärfte Form von Geisteskrankheit, sondern auch das Pendant „Acronymania,“ gemäß der Definition in Webster’s Dictionary „fervent or excessive enthusiasm for the use of acronyms or initialisms,“ zuerst 1960 als Neubildung im „New Scientist“ verwendet – der Kleine Zyniker vermutet einen gewissen Zusammenhang mit der zwei Jahre zuvor erfolgten Gründung einer gewissen Raumfahrtbehörde – und 1999 in der angesehenen medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ von David Sharop als klinisches Krankheitsbild klassifiziert (Band 353, S. P1728).)





(Offizieller AkÜFI der NASA für den Anfangsbuchstaben "D")

Der Transport des Ensembles der 98 Meter hohen Rakete, dem Starttisch und dem Startturm, beides unter ML (für „Mobile Launcher“) zusammengefaßt, alles zusammen mit einem Gewicht von 9700 Tonnen zum 6,8 km entfernten Startkomplex, auf dem gewaltigen Transporter (CT-2, für „Crawler-Transporter 2“) begann eine Viertelstunde nach Mitternacht floridianer Ortszeit (EDT, für „Eastern Daylight Time“) und endete nach zehneinhalb Stunden um 10:47, also 16:47 MESZ (für „Mitteleuropäische Sommerzeit“). In gut zwei Wochen, am Sonntag, dem 19. Juni, soll nun der zweite Versuch einer Probebetankung (WDR, für „Wet Dress Rehearsal“) mit drei Millionen Litern flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff erfolgen, um nach erfolgreicher Absolvierung des Countdowns (für den es sinnigerweise keine Abkürzung gibt) wieder zurück zum VAB gefahren zu werden, um dann – hoffentlich – im August endlich doch in die Erdumlaufbahn und von dort auf einen gut dreiwöchigen unbemannten Probeflug zum Erdtrabanten starten zu können. Der Grund für diese dritte Rangierfahrt liegt darin, daß die NASA die Feststoff-Rettungsrakete (LAS, für „Launch Abort System“), die die Orion-Kapsel im Notfall in Sicherheit bringen soll, nur für 20 Tage lang für einen Einsatz freigibt, bis die Tankfüllung erneuert werden muß. In gewisser Weise entspricht das Profil dieser unbemannten Mission, Artemis-1, den beiden Erstflügen aus dem Apollo-Mondflugprogramm vor einem halben Jahrhundert, die ziemlich in Vergessenheit geraten sind: Apollo 4 und Apollo 6, vom November 1967 und April 1968. Allerdings gelang es in Fall von Apollo 6 nicht, die Kapsel wie geplant auf den Kurs zum Mond zu bringen, weil die dritte Stufe der Saturn-V-Trägerrakete nicht zündete (außerdem hatten sich zwei der drei Triebwerke der zweiten Stufe viel zu früh abgeschaltet).

7. Juni 2022

Randbemerkung: Das Ende von #metoo? Wohl eher nicht.

Nach dem doch etwas unerwarteten Ende des Depp/Heard Prozesses in den USA versucht so mancher, in der Regel konservative, Kommentator das Ende von #metoo herbei zu sehnen. "Endlich" einmal glaubt man dem Mann und endlich einmal bekommt eine Frau die Rechnung für die öffentliche Zerstörung ihres Ex-Mannes mit einer erfundenen Misshandlungs-Geschichte. Lange hat Justitia geschlafen, doch nun ist sie endlich erwacht und hat den ganzen geifernden Hyänen endlich den Garaus gemacht. 

Oder auch nicht.